Systematik im BGB

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

Moderator: Verwaltung

Antworten
esabelfeld
Newbie
Newbie
Beiträge: 4
Registriert: Mittwoch 5. Mai 2021, 14:42

Systematik im BGB

Beitrag von esabelfeld »

Hallo liebe Mitglieder,
warum entstehen im BGB Konkurrenzen?
Ich löse gerade einen Fall, der die Frage beinhaltet, ob §§ 311 II, III, 280 I, 241 II neben § 179 I anwendbar ist. Warum stellt sich diese Frage überhaupt? Liegt es daran, dass die eine Normkette aus dem Schuldrecht kommt und die andere aus dem Allgemeinen Teil? Was spricht dagegen einfach beides anzuwenden?

Ich danke euch für jede Hilfe!

Beste Grüße
Subbuteo
Noch selten hier
Noch selten hier
Beiträge: 36
Registriert: Freitag 14. September 2018, 20:03

Re: Systematik im BGB

Beitrag von Subbuteo »

Nun ja, das BGB kennt viele Anspruchsgrundlagen und oft kommt es vor, dass der Tatbestand mehrerer Normen erfüllt ist. Dann stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Normen untereinander, da die Rechtsfolge und/oder der Tatbestand abweichen kann. In manchen Bereichen ist das Verhältnis ausdrücklich geregelt (etwa sperrt das EBV in § 993 aE BGB diverse andere Anspruchsgrundlagen). In anderen Fällen hingegen muss das Verhältnis erschlossen werden und ist ggf. strittig.

Dein Beispiel ist ein ganz typisches. Wieso es zu dieser Konkurrenz kommt, kannst du dir anhand von Beispielen selbst erschließen. § 179 knüpft an einen Vertreter ohne Vertretungsmacht an, d.h. ein Handeln vor/bei Vertragsschluss. Die inzwischen normierte cic aus §§ 311 II, 280 I, 241 II greift bei vorvertraglichen Pflichtverletzungen an. Das gleiche gilt für den Schadensersatzanspruch aus § 122, der an eine angefochtene WE anknüpft und die cic, die oft ebenso tatbestandlich greifen wird. Wenn A den B über Eigenschaften der Kaufsache arglistig täuscht, ist das Geschäft anfechtbar. Gleichzeitig liegt eine Vertragsverhandlung / -Anbahnung vor, sodass die cic in Betracht kommt.

Gegen die These einfach alles parallel anzuwenden, sprechen oft differenzierte Wertungen der jeweiligen Normen. Bleiben wir etwa beim Beispiel mit der wg. argl. Täuschung anfechtbaren Willenserklärung. Diese setzt tatbestandlich argl. Täuschung+Fristeinhaltung (§ 123) voraus. Der Anspruch auf cic ordnet als Rechtsfolge die §§ 249 ff. (Schadensrecht) an, sodass als negatives Interesse Vertragsaufhebung verlangt werden kann. Die Anfechtung würde über § 142 ebenfalls den Vertrag aufheben. Die Anfechtung setzt aber eine Frist von 1 Jahr voraus (§ 124), die cic hingegen folgt der allg. Verjährung mit 3 Jahren, § 195. Der BGH lässt hier dennoch beides zu. Grund sei die unterschiedliche Schutzrichtung (Freie Willensbildung vs Vermögensschutz).

Bei deinem Beispiel ergibt sich ein ganz ähnliches Problem. § 179 enthält Differenzierungen. Schau dir mal die einzelnen Absätze an. Die cic hingegen ist eher die Holzhammer-Methode.

Viele dieser Konkurrenzen kann man sich anhand von Argumentationsmustern merken (etwa schützt das Kaufrecht bei Arglist nicht, wodurch ein Vorrang des Kaufrechts ggü. der argl. Täuschung abzulehnen ist). Andere muss man sich einfach merken. Im Laufe des Studiums gewinnt man einen besseren Überblick.


/e
Es sei noch darauf hingewiesen, dass natürlich oftmals mehrere Normen parallel anwendbar sind. Explodiert der gekaufte Notebookakku auf Grund mangelhafter Sicherheitsschaltung und hinterlässt einen Brandfleck auf Omas neuem Teppich, kommt ein Integritätsschaden aus §§ 280 I, 437 in Betracht. Parallel wird das Eigentum von Oma beschädigt, sodass auch ein Anspruch aus § 823 I vorliegt. Gleichzeitig kann wiederum ein Anspruch aus dem Produkthaftungsgesetz vorliegen. Auch wenn diese Ansprüche parallel möglich sind, sind sie nicht das gleiche. Der Anspruch nach § 280 I etwa enthält tatbestandlich eine Umkehr der Beweislast (= diese gut für Oma) und der Anspruch aus ProdHaftG stellt eine Gefährdungshaftung dar (d.h. verschuldensunabhängig; besonders gut für Oma)
Benutzeravatar
scndbesthand
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 1996
Registriert: Freitag 18. Januar 2008, 17:08
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Systematik im BGB

Beitrag von scndbesthand »

Im BGB entstehen immer dann Konkurrenzen, wenn mehrere Rechtsnormen einer Person einen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Interesse zusprechen. Das kommt sehr häufig vor und ist notwendige Folge des Aufbaus des BGB.

Allgemeines Beispiel: A leiht B eine Sache und B veräußert sie an den gutgläubigen C. Der Sachverhalt berührt Ansprüche des A gegen B aus dem Vertragsrecht, aus dinglichem Recht und aus Deliktsrecht. A könnte gegen B sowohl einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB (Unmöglichkeit der Rückgabe aus dem Leihvertrag), aus §§ 989, 990 BGB (Schadensersatz aus EBV), aus § 823 Abs. 1 BGB (Eigentumsverletzung) und §§ 823 Abs. 2 BGB, 246 Abs. 2 BGB (Verletzung eines Schutzgesetzes Unterschlagung) haben.

Es gilt nun zu klären, ob ein Anspruch selbständig neben einem anderen Anspruch bestehen kann (und der Anspruchsinhaber die Chance erhält, in einem Klageverfahren zwei rechtliche Begründungen für seinen Anspruch geben zu können), oder ob eine Anspruchsgrundlage von vornherein zurücktritt, wenn eine andere einschlägig ist. Ist ersteres der Fall, redet man von Anspruchskonkurrenz.

Oftmals macht es keinen Unterschied, ob eine oder alle Anspruchsgrundlagen zu bejahen sind. Manchmal ist das Konkurrenzverhältnis jedoch fallentscheidend, insbesondere bei unterschiedlichen Verjährungsfristen.

Bezogen auf Deinen Fall, in denen c.i.c.-Ansprüche neben Ansprüche aus § 179 BGB treten, kann es in bestimmten Fallgestaltungen von Bedeutung sein, das Konkurrenzverhältnis zu klären. Z. B. dann, wenn der Anspruchsberechtigte den Mangel der Vertretungsmacht kennen muss. Nach § 179 Abs. 3 S. 1 BGB ist ein Anspruch aus § 179 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Vertritt man die Ansicht, dass § 179 BGB die Ansprüche abschließend regelt, kommt ein Anspruch aus c.i.c. nicht mehr in Betracht. Im Falle der Anspruchskonkurrenz besteht ein Anspruch aus c.i.c., aber gekürzt um den Grad des Mitverschuldens (§ 254 BGB).
„Willkommen beim kassenärztlichen Servicecenter. Hinweise zum Datenschutz finden Sie unter ElfSechsElfSieben Punkt DeEh Släsch Datenschutz. Wenn Sie in einer lebensbedrohlichen Situation sind, legen Sie bitte jetzt auf und wählen EinsEinsZwei.“
esabelfeld
Newbie
Newbie
Beiträge: 4
Registriert: Mittwoch 5. Mai 2021, 14:42

Re: Systematik im BGB

Beitrag von esabelfeld »

Vielen Dank für die ausführliche Erklärung!!
Antworten