Bei der Urteilsverfassungsbeschwerde im Rahmen der verfassungsmäßigen Rechtfertigung ist grds. zunächst die formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit des verdächtigen Gesetzes zu prüfen und im Anschluss Verhältnismäßigkeit des Einzelakts. Im letzteren Fall unterteile ich die Prüfung in der Angemessenheit weiter in eine abstrakte und konkrete Abwägung.
Etwas unsicher bin ich mir allerdings bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung bzgl. des Gesetzes, genauer der hier zu prüfenden Angemessenheit. Was baut man hier regelmäßig ein bzw. wie könnte man hier sauber schematisch vorgehen? Erfolgt die Prüfung im Grunde nicht genauso wie bei der Gesetzesverfassungsbeschwerde (nur das der Schwerpunkt vermutlich bei der Einzelaktsprüfung liegt)?
Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung
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Re: Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung
Schematisch kann man sich das ca. so vorstellen, keine Garantie für Vollständigkeit:
Bei Gesetzesverfassungsbeschwerden entfällt Punkt III.3 logischerweise, gibt ja keinen Einzelakt. Pauschal würde ich übrigens auch nicht sagen, dass bei Urteilsverfassungsbeschwerden grundsätzlich der Schwerpunkt auf der Verhältnismäßigkeit des Einzelakts liegt. Das hängt einfach vom Sachverhalt ab, im Zweifel solltest du anhand der Angaben und Parteivorträge erkennen können, wofür man dir gerade "Munition" liefert und wo weitergehende Ausführungen gewünscht sind.
Gibt gerade in Klausuren nicht selten Urteilsverfassungsbeschwerden, bei denen der Beschwerdeführer sich eine halbe Seite lang über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes auskotzt.
Ob man formelle/materielle Verfassungsmäßigkeit des eingreifenden Gesetzes schon in der Schranke oder auch als Schranken-Schranke prüft ist mWn Geschmackssache, das hier sollte aber jedenfalls ein häufig vertretener Aufbau sein.I. und II. Schutzbereich und Eingriff in ein Grundrecht
(+)
III.Verfassungsmäßige Rechtfertigung
1. Schranke
(Benennung der Schranke, Feststellen dass ein Gesetz erforderlich ist)
a. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
(Selbsterklärend)
b. Materielle Verfassungsmäßigkeit im Übrigen
(nicht-grundrechtsbezogene Verfassungsprinzipien)
c. Ggf. Erfüllung der Schrankenqualifikation
(Allgemeinheit o.ä.)
2. Schranken-Schranken
a. Verhältnismäßigkeit des Gesetzes
(Hier eine abstrakt-generelle Abwägung zw. den aus dem Gesetz allgemein zu erwartenden Grundrechtsbeinträchtigungen und den zu erwartenden Vorteilen)
b. ggf. Wesensgehalt
3. Verfassungsmäßigkeit der Anwendung
Hier dann einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz prüfen, aber diesmal eben eine konkret einzelfallbezogene Abwägung
Bei Gesetzesverfassungsbeschwerden entfällt Punkt III.3 logischerweise, gibt ja keinen Einzelakt. Pauschal würde ich übrigens auch nicht sagen, dass bei Urteilsverfassungsbeschwerden grundsätzlich der Schwerpunkt auf der Verhältnismäßigkeit des Einzelakts liegt. Das hängt einfach vom Sachverhalt ab, im Zweifel solltest du anhand der Angaben und Parteivorträge erkennen können, wofür man dir gerade "Munition" liefert und wo weitergehende Ausführungen gewünscht sind.
Gibt gerade in Klausuren nicht selten Urteilsverfassungsbeschwerden, bei denen der Beschwerdeführer sich eine halbe Seite lang über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes auskotzt.
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Re: Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung
Ja klar ist der zu setzende Schwerpunkt sachverhaltsabhängig. Das grundsätzliche Schema ist mir bekannt. Gibt es aber in der Angemessenheit bzgl. des Gesetzes nicht ein bestimmtes Vorgehen? Oben steht die "abstrakt-generelle Abwägung". Was käme hier alles rein?
Weiter frage ich mich immer wieder, ob in der konkreten einzelfallbezogenen Abwägung wiederum eine abstrakte und konkrete Abwägung vorgenommen wird oder meint "abstrakt" immer die gesetzliche Verfassungsmäßigkeit und "konkret" die einzelfallbezogene Prüfung?
Weiter frage ich mich immer wieder, ob in der konkreten einzelfallbezogenen Abwägung wiederum eine abstrakte und konkrete Abwägung vorgenommen wird oder meint "abstrakt" immer die gesetzliche Verfassungsmäßigkeit und "konkret" die einzelfallbezogene Prüfung?
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Re: Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung
Dann verstehe nicht ganz was genau die Frage ist.
Abstrakt heisst eben ohne Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts, konkret bedeutet eine ausschließliche Prüfung des konkreten Sachverhalts.
Du prüfst eben einmal was für Verkürzungen grundrechtlich geschützter Freiheit in der Breite zu erwarten sind und welche Erfolge man sich daraus versprechen kann. Also welche Verhaltensarten sind künftig nur noch eingeschränkt ausübbar und was wird das im "big picture" für eine Veränderung in der Gesellschaft bewirken? Ist überhaupt eine spürbare positive Veränderung zu erwarten? Und steht die zu erwartende positive Veränderung in angemessenem Verhältnis zum Verlust der durch das Gesetz erschwerten Verhaltensweisen?
Und in der konkreten Prüfung schaust du eben detailliert: Welches Verhalten wird unserem Beschwerdeführer gerade erschwert oder verboten? Seine Beeinträchtigung kann schwerer oder weniger schwer wiegen, als die, die in der Breite generell zu erwarten war. Und folgt aus der Anwendung der Norm auf den Beschwerdeführer überhaupt ein Gewinn für den Zweck des Gesetzes? Ist das ein kleiner oder großer Gewinn und steht der in angemessenem Verhältnis zu den Beeinträchtigungen, mit der der Beschwerdeführer nun leben muss?
Abstrakt heisst eben ohne Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts, konkret bedeutet eine ausschließliche Prüfung des konkreten Sachverhalts.
Du prüfst eben einmal was für Verkürzungen grundrechtlich geschützter Freiheit in der Breite zu erwarten sind und welche Erfolge man sich daraus versprechen kann. Also welche Verhaltensarten sind künftig nur noch eingeschränkt ausübbar und was wird das im "big picture" für eine Veränderung in der Gesellschaft bewirken? Ist überhaupt eine spürbare positive Veränderung zu erwarten? Und steht die zu erwartende positive Veränderung in angemessenem Verhältnis zum Verlust der durch das Gesetz erschwerten Verhaltensweisen?
Und in der konkreten Prüfung schaust du eben detailliert: Welches Verhalten wird unserem Beschwerdeführer gerade erschwert oder verboten? Seine Beeinträchtigung kann schwerer oder weniger schwer wiegen, als die, die in der Breite generell zu erwarten war. Und folgt aus der Anwendung der Norm auf den Beschwerdeführer überhaupt ein Gewinn für den Zweck des Gesetzes? Ist das ein kleiner oder großer Gewinn und steht der in angemessenem Verhältnis zu den Beeinträchtigungen, mit der der Beschwerdeführer nun leben muss?
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Re: Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung
Okay ja ich habe mir die Prüfung aufgrund unzähliger Schemata und vor allem unterschiedlich verwendeter Begrifflichkeiten immer verkompliziert. Dein Beitrag war insoweit schon aufschlussreich. Vielen Dank.
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Re: Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung
Falls die Frage darauf abzielte: Du prüfst die Verhältnismäßigkeit nach dem altbekannten Schema: (i) legitimer Zweck, (ii) Geeignetheit, (iii) Erforderlichkeit und (iv) Angemessenheit. Insbesondere auf Ebene der Erforderlichkeit, erst recht aber bei der Angemesenheit unterscheidet sich die Prüfung von (a) dem Gesetz als abstrakt-genereller Regelung und (b) der einzelnen gerichtlichen Entscheidung.JEE hat geschrieben: ↑Samstag 15. April 2023, 11:58 Ja klar ist der zu setzende Schwerpunkt sachverhaltsabhängig. Das grundsätzliche Schema ist mir bekannt. Gibt es aber in der Angemessenheit bzgl. des Gesetzes nicht ein bestimmtes Vorgehen? Oben steht die "abstrakt-generelle Abwägung". Was käme hier alles rein?
Weiter frage ich mich immer wieder, ob in der konkreten einzelfallbezogenen Abwägung wiederum eine abstrakte und konkrete Abwägung vorgenommen wird oder meint "abstrakt" immer die gesetzliche Verfassungsmäßigkeit und "konkret" die einzelfallbezogene Prüfung?
Eine vom fraglichen Gesetz abweichende, weniger eingriffsintensive Rechtsfolge mag bspw. für das Gros der Normadressaten nicht gleich tauglich sein, das gesetzgeberische Ziel gleichermaßen effektiv umzusetzen; für einen einzelnen Betroffenen können jedoch auch mildere Mittel ausreichend sein.
"In a real sense, we are what we quote." - Geoffrey O'Brien