Englischer Solicitor: Neues System zur Erlangung der Zulassung

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Schnitte
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Englischer Solicitor: Neues System zur Erlangung der Zulassung

Beitrag von Schnitte »

Da ich mich derzeit aus persönlichen Gründen in London herumtreibe und das vielleicht auch längerfristig tun werde, habe ich mich über die Wege zur Zulassung als Solicitor in England (und Wales) schlaugemacht. Die Regelungen hierzu wurden vor einigen Jahren gegenüber dem althergebrachten LPC-System sehr umfassend reformiert. Ich vermute, dass das für den einen oder anderen hier von Interesse sein könnte und schreibe daher einen kleinen Erfahrungsbericht mitsamt Übersicht dazu.

Nach dem neuen Regime seit 2021 braucht es – vorbehaltlich diverser Übergangsregelungen für solche, die noch nach dem alten Regime angefangen haben – für die Zulassung als Solicitor vier Dinge:

• Einen Studienabschluss in irgendeinem Studiengang (nicht notwendigerweise Jura) in irgendeinem Land auf mindestens Bachelor-Stufe oder gleichwertig; auch andere Qualifikationen, etwa abgeschlossene Berufsausbildungen, können reichen. In England selbst ist insoweit das Modell verbreitet, als Paralegal (eine Art Reno) anzufangen und dann später den Solicitor draufzusatteln. Das deutsche erste Staatsexamen reicht, man muss halt einen Anerkennungscheck durchlaufen.
• Eine Charakterprüfung – im Wesentlichen Abwesenheit von Vorstrafen.
• Zwei Jahre “qualifying work experience”. Was hier anerkannt wird, ist sehr weit; es muss in irgendeiner Form Rechtsberatung (nicht zwangsläufig zum englischen Recht) sein und von einem zugelassenen Solicitor abgezeichnet werden, der mit der Arbeit des Kandidaten vertraut ist. Auch hier kommt die bereits angesprochene Aufwertung von Paralegals zum Tragen. Eine Tätigkeit als deutscher Rechtsanwalt wird sicher reichen, wenn man in der Kanzlei einen Kollegen mit Zulassung als Solicitor hat, der das abzeichnet.
• Man besteht die neu gestaltete “Solicitors Qualifying Examination” (SQE). Das ist die grösste Hürde, über die ich unten näher schreiben werde.


Wie gesagt, die grösste Hürde ist die SQE-Prüfung, die in der englischen Juristenwelt für viel Aufsehen gesorgt hat. Sie besteht aus zwei Teilen, SQE1 und SQE2.

SQE1 ist eine computerbasierte multiple-choice-Prüfung, die über zwei Tage verteilt in jeweils fünf Stunden, mit einer einstündigen Pause, eine grosse Bandbreite des englischen Rechts – Straf-, Zivil- und öffentliches Recht, sowohl materiell als auch prozessual , kreuz und quer durcheinander – abklopft. Die Fragen sind zumeist kleine Fälle, in denen aus fünf Antwortmöglichkeiten die “beste” ausgewählt werden muss. In den fünf Stunden der beiden SQE1-Teilprüfungen sind jeweils 180 Fragen zu beantworten, die Grenze für das Bestehen wird erst nach Abnahme der Prüfung festgesetzt, um das Ergebnis auf eine Gauss’sche Glockenkurve hinzubiegen. Das Ganze hat es durchaus in sich; die Stoffmenge für SQE1 ist erheblich, und die Durchfallquoten lagen bei den bisherigen Durchgängen bei jeweils knapp 50 Prozent. Abgenommen wird das in Computertestzentren in England, aber auch einer Reihe von Grossstädten im Rest der Welt.

SQE2 testet demgegenüber die praktische Solicitor-Tätigkeit aus Sicht eines FWW-Anwalts. Sie besteht aus drei schriftlichen Tagen, wiederum in Computertestzentren, in denen Schriftsätze oder Aktenvermerke anzufertigen sind, sowie zwei mündliche Tage (in England/Wales), in denen in einer Art Assessment Centre Mandantengespräche simuliert werden. Die Durchfallquoten sind deutlich geringer als bei SQE1, was aber auch daran liegen kann, dass man SQE2 erst ablegen kann, wenn SQE1 bestanden ist, und die schwächsten Kandidaten daher schon vorher ausgesiebt wurden.

Man kann das Ganze schön abschichten: Obwohl SQE1 und SQE2 jeweils mehrmals jährlich durchgeführt werden, hat man nach SQE1 sage und schreibe sechs Jahre Zeit für SQE2. Die meisten Kandidaten machen freilich beide Prüfungen unmittelbar nacheinander, um das schnell durchzuziehen.

Ich hoffe, das bietet einen groben Überblick für diejenigen, die sich für die auf internationaler Ebene durchaus hilfreiche Qualifikation als englischer Solicitor interessieren. Ist offensichtlich ein deutlich anderes System als die deutsche Anwaltschaft. Wegen der geringen formalen Hürden kann das auch für Quereinsteiger aus Deutschland oder nach-dem-ersten-Examen-aus-Referendariat-Verzichter von Interesse sein.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

--- Offizialat Freiburg, NJW 1994, 3375
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Re: Englischer Solicitor: Neues System zur Erlangung der Zulassung

Beitrag von Brainiac »

Vielen Dank für diesen Beitrag!
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Strich
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Re: Englischer Solicitor: Neues System zur Erlangung der Zulassung

Beitrag von Strich »

Vielen Dank! Das ist tatsächlich sehr interessant.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Schnitte
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Re: Englischer Solicitor: Neues System zur Erlangung der Zulassung

Beitrag von Schnitte »

Dazu noch ein kleines Update: Mittlerweile sind Kandidaten, die bereits in einem von zahlreichen anderen Staaten qzur Anwaltschaft zugelassen sind, von SQE2 befreit. Dazu gehören auch deutsche Rechtsanwälte. Hier genügt also der zweitägige multiple-choice-Test, um Solicitor zu werden.
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