Früher war alles besser ... oder?

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Grundlagencrack
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Früher war alles besser ... oder?

Beitrag von Grundlagencrack »

Wer erinnert sich noch: Bis weit in die "Nullerjahre" hinein gab es in der 1. Staatsprüfung keine Unterteilung in einen universitären und einen staatlichen Teil. Angeblich sollten mit den sodann stattfindenden Reformen ja die Grundlagenfächer gestärkt werden. Ganz scheint dies jedoch nicht aufzugehen, außerdem - und das ist entscheidend - besteht für potentielle Arbeitgeber nun die Mögllchkeit, die Ergebnisse des unversitären Teils herauszurechnen.

Ich hatte noch das Glück, vor dieser Zeit zu studieren und das Studium abzuschließen. Mein Wahlfach war die Rechtsphilosophie, die insgesamt 34 Prozent (!) meiner Note ausmachte (24 Prozent für die Hausarbeit zum Thema "Recht und Zwang bei Kant und Kantorowicz" und 10 Prozent für die mündliche Prüfung, bei der es im wesentlichen um die philosophische Begründung der Menschenrechte ging). Das Wahlfach hat mir erst ein VB ermöglicht, das gebe ich offen zu. Und das Gute war und ist: niemand kann dies aus meinem Abschlusszeugnis ersehen! Es gibt keinerlei Hinweis auf das belegte Wahlfach. Und einen herausrechenbaren universitären Teil gibt es ebenfalls nicht.

War früher alles besser? In diesem Fall ja, finde ich. Wie seht Ihr das?
Grundlagencrack
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Re: Früher war alles besser ... oder?

Beitrag von Grundlagencrack »

Ich zitiere mal aus einem anderen Thread:

"Seit Jahren kranken alle Reformvorschläge daran, dass man beinahe unendlich viele Punkte findet, bei denen eine vertiefte Befassung und Ausbildung sinnvoll ist, aber nie etwas streichen will und kann. Suchender führt das - wie ich finde, sehr schön und diskussionswürdig - auf die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Anspruch des Studiums und den Examina, in denen nur das juristische Handwerkszeug geprüft wird, zurück."

Dem stimme ich vollkommen zu, sage allerdings, dass man diese Problematik damals, zu Zeiten der Examenshausarbeit und der möglichen 34 Prozent aus den Wahlfächern zumindest teilweise noch umgehen konnte. Heute wird das sehr viel schwieriger. Das Grundproblem bestand aber natürlich auch damals schon, nur eben etwas abgeschwächt. Ohne Wahlfach und die Möglichkeit einer Themenhausarbeit hätte ich damals das Studium abgebrochen. So konnte ich mich damit noch gerade arrangieren.
Micha79
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Re: Früher war alles besser ... oder?

Beitrag von Micha79 »

Der Punkt ist das Misstrauen gegenüber manchen Institutionen, welches leider, wie die Erfahrung zeigt, nicht stets unbegründet ist.
Professor X hat ein uninteressantes Wahlfach - niemand bucht es - Professor X macht sich Sorgen um seinen Fachbereich und ggf. die finanzielle Ausstattung - daher gibt es ab sofort dort Topnoten. Der Arbeitgeber kann nicht beurteilen, ob er es mit einem Geschenkeempfänger in diesem Sinn zu tun hat oder ob der Wahlbereich von einem scharfen Schleifer betreut wurde.
Das ist mit dem Bedürfnis nach Zentralisierung der Abiturnoten vergleichbar.

Ich verstehe sehr gut, dass man nicht auf die Staatsprüfung reduziert werden möchte. Aber die Arbeitgeber möchten natürlich die Aussagekraft der Examensnoten nicht in einem Assessment-Center prüfen müssen.

Mir ist auch die begrenzte Aussagekraft des Staatsexamens und das Kriterium Glück/Pech bekannt, aber immerhin ist das Staatsexamen im schriftlichen Teil anonym, sodass auch Kriterien wie Geschlecht/Aussehen in diesem Bereich nicht maßgeblich sind. Ich will das Fass Staatsprüfung nicht aufmachen; aber universitäre Wahlfachprüfungen haben neben diesen auch beim Staatsexamen bestehenden Risiken noch zusätzliche Risiken.

Ein berechtigtes Gegenargument könnte natürlich sein, dass es in anderen Fächern auch geht. Aber dort spielen ja auch zunehmend Privatunis/Connections eine Rolle; man schaue einmal in den USA (fast nur Ivy League-Leute werden Bundesrichter, auch wenn es etwas abnimmt). Cash allein bringt nicht weiter, aber Leistung allein erst recht nicht.

Das alles ist ein weites Feld...
Grundlagencrack
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Re: Früher war alles besser ... oder?

Beitrag von Grundlagencrack »

Micha79 hat geschrieben: Dienstag 7. November 2023, 09:49 Der Punkt ist das Misstrauen gegenüber manchen Institutionen, welches leider, wie die Erfahrung zeigt, nicht stets unbegründet ist.
Professor X hat ein uninteressantes Wahlfach - niemand bucht es - Professor X macht sich Sorgen um seinen Fachbereich und ggf. die finanzielle Ausstattung - daher gibt es ab sofort dort Topnoten. Der Arbeitgeber kann nicht beurteilen, ob er es mit einem Geschenkeempfänger in diesem Sinn zu tun hat oder ob der Wahlbereich von einem scharfen Schleifer betreut wurde.
Das ist mit dem Bedürfnis nach Zentralisierung der Abiturnoten vergleichbar.

Ich verstehe sehr gut, dass man nicht auf die Staatsprüfung reduziert werden möchte. Aber die Arbeitgeber möchten natürlich die Aussagekraft der Examensnoten nicht in einem Assessment-Center prüfen müssen.

Mir ist auch die begrenzte Aussagekraft des Staatsexamens und das Kriterium Glück/Pech bekannt, aber immerhin ist das Staatsexamen im schriftlichen Teil anonym, sodass auch Kriterien wie Geschlecht/Aussehen in diesem Bereich nicht maßgeblich sind. Ich will das Fass Staatsprüfung nicht aufmachen; aber universitäre Wahlfachprüfungen haben neben diesen auch beim Staatsexamen bestehenden Risiken noch zusätzliche Risiken.

Ein berechtigtes Gegenargument könnte natürlich sein, dass es in anderen Fächern auch geht. Aber dort spielen ja auch zunehmend Privatunis/Connections eine Rolle; man schaue einmal in den USA (fast nur Ivy League-Leute werden Bundesrichter, auch wenn es etwas abnimmt). Cash allein bringt nicht weiter, aber Leistung allein erst recht nicht.

Das alles ist ein weites Feld...

Ich weiß nicht genau, wie das jetzt abläuft, aber "damals", als das Wahlfach noch voll ins Staatsexamen integriert war, wusste ich zwar sehr genau, wer sich den Sachverhalt der Examenshausarbeit ausgedacht hatte, aber offiziell lief es absolut anonym ab. Ich konnte es nur am Stil erkennen, den ich eben aus vorherigen Seminaren sehr gut kannte. Umgekehrt kannte der Prof. mich natürlich theoretisch gut (eben aus den Seminaren etc.), aber auch er wusste nicht, wer da seinen Sachverhalt bekommen hat, insbesondere nicht, dass ich es war usw usw. Will sagen: die Anonymität war zumindest theoretisch voll gegeben. Man merkte auch einen Unterschied, was die Bewertung betraf. Die Seminararbeiten fielen regelmäßig besser als die Examenshausarbeiten aus, ich kenne da mehrere Vergleichsfälle von Kommilitonen. Also ich denke: geschenkt wurde einem da nichts, aber es gab und gibt eben Leute, denen einerseits Hausarbeiten mehr liegen (mir z.B.) und die insbesondere auch gerne Themenhausarbeiten schreiben.

Auch eine Fallbearbeitung in der Examenshausarbeit hätte ich übrigens jedem reinen Klausurenexamen vorgezogen, die großen Scheine z.B. wiesen bei mir immer große Diskrepanz zwischen den Klasurnoten (immer unter 10) und den Hausarbeiten (immer über 10) auf. Es geht bestimmt vielen so. Wer gute Hausarbeiten schreiben kann, wird durch die neuen Prüfungsordnungen benachteiligt. Und das sind meistens diejenigen, die eher wissenschaftlich arbeiten. Also hat schon aus dem Grunde imho die Reformflut der vergangenen Jahrzehnte dafür gesorgt, dass eher die Auswendiglerner und Klausurcracks nun die besseren Ergebnisse abliefern. Es ist ein weites Feld.
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