Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

Moderator: Verwaltung

Antworten
Johilfiger
Newbie
Newbie
Beiträge: 6
Registriert: Montag 13. November 2023, 11:22

Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von Johilfiger »

Guten Tag, ich habe eine prozessrechtliche Frage, bei der ich nicht weiterkomme. Ich habe leider noch nicht mit dem Referendariat angefangen und bin daher etwas ratlos. Es geht um folgenden fiktiven mietrechtlichen Fall:

Materiellrechtlich geht es um eine Duldungspflicht bezüglich eines Einbaus in einer Mietwohnung der Partei A gegenüber dem Vermieter, bei der sich Gesundheitsgefahren für A stellen. Die Frage würde sich allerdings auch bei einer Räumungsklage gleichermaßen stellen.

Wegen unentschuldigtem Fernbleiben des Anwalts am Verhandlungstag erging ein Versäumnisurteil gegen A. Es wurde Einspruch (§ 338 ZPO) eingelegt, das Versäumnisurteil wurde nach einer Verhandlung allerdings aufrechterhalten, da von dem Anwalt fehlerhaft kein korrekter Beweisantrag zur Verteidigung gestellt wurde bzw. dieser erst verspätet erfolgt ist (§ 296 ZPO). So konnten erhebliche Gesundheits-/Lebensgefahren verbunden mit der Duldungspflicht nicht ärztlich vor Gericht bewiesen werden und die Duldungspflicht wurde anerkannt.

Soweit ich weiß stehen gegen ein solches aufrechterhaltenes Versäumnisurteil keine Rechtsmittel mehr zur Verfügung. Mich würde interessieren, ob ihr noch andere Möglichkeiten seht, sich gegen ein solches Urteil bzw. die Duldungspflicht zur Wehr zu setzen. Etwa um eine Änderung des Urteils zu erwirken oder sich gegen die Zwangsvollstreckung zur Wehr zu setzen.

Ich bin über jede Hilfe äußerst dankbar. LG
Benutzeravatar
batman
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8287
Registriert: Donnerstag 29. April 2010, 12:06
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von batman »

Johilfiger hat geschrieben: Montag 13. November 2023, 11:29 Soweit ich weiß stehen gegen ein solches aufrechterhaltenes Versäumnisurteil keine Rechtsmittel mehr zur Verfügung.
Woher nimmst Du diese Erkenntnis?
Johilfiger
Newbie
Newbie
Beiträge: 6
Registriert: Montag 13. November 2023, 11:22

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von Johilfiger »

Ich bin davon ausgegangen, weil in dem geschilderten Fall § 514 I ZPO greift, wonach die Berufung ausgeschlossen ist. Den Sonderfall einer zweiten Säumnis jetzt mal außen vor gelassen. Oder irre ich mich da?
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5293
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von thh »

Johilfiger hat geschrieben: Montag 13. November 2023, 11:29das Versäumnisurteil wurde nach einer Verhandlung allerdings aufrechterhalten, da von dem Anwalt fehlerhaft kein korrekter Beweisantrag zur Verteidigung gestellt wurde bzw. dieser erst verspätet erfolgt ist (§ 296 ZPO). So konnten erhebliche Gesundheits-/Lebensgefahren verbunden mit der Duldungspflicht nicht ärztlich vor Gericht bewiesen werden und die Duldungspflicht wurde anerkannt.

Soweit ich weiß stehen gegen ein solches aufrechterhaltenes Versäumnisurteil keine Rechtsmittel mehr zur Verfügung.
Dieses Urteil ist ein ganz normales Urteil, gegen das die Rechtsmittel zur Verfügung stehen, die auch gegen andere erstinstanzliche Urteile möglich sind. Ob dies möglich ist, hängt in erster Lnie von der Beschwer (d.h. in welcher Höhe der Beklagte unterlegen ist) ab.
Johilfiger hat geschrieben: Montag 13. November 2023, 14:02Ich bin davon ausgegangen, weil in dem geschilderten Fall § 514 I ZPO greift, wonach die Berufung ausgeschlossen ist. Den Sonderfall einer zweiten Säumnis jetzt mal außen vor gelassen. Oder irre ich mich da?
Diese Regelung gilt für das Säumnisurteil selbst, nicht aber für das Urteil, dass das weitere Verfahren nach Einspruch abschließt (und hier das Säumnisurteil aufrechterhält).
Johilfiger
Newbie
Newbie
Beiträge: 6
Registriert: Montag 13. November 2023, 11:22

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von Johilfiger »

Vielen Dank für die Information. Das ist sehr interessant. Ich dachte ehrlich gestanden, dass es beides formal als ein Urteil angesehen wird. Hatte mich schon etwas gewundert.

Welche Rechtsbehelfe würdet ihr vorliegend für aussichtsreich erachten? Selbst wenn eine Berufung zeitlich noch möglich wäre (was wohl ausscheidet), wäre wohl dieser Einwand bzw. ein verspäteter Beweisantrag nicht mehr zu berücksichtigen oder?

Habt ihr sonst noch Ideen, vielleicht im Vollstreckungsverfahren, die Abhilfe schaffen könnten? Kenn mich da noch nciht so gut aus.
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5293
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von thh »

Johilfiger hat geschrieben: Montag 13. November 2023, 14:49Welche Rechtsbehelfe würdet ihr vorliegend für aussichtsreich erachten? Selbst wenn eine Berufung zeitlich noch möglich wäre (was wohl ausscheidet), wäre wohl dieser Einwand bzw. ein verspäteter Beweisantrag nicht mehr zu berücksichtigen oder?
Wenn die Berufungsfrist versäumt wurde, wird eine Berufung regelmäßig unzulässig sein (es sei denn, die Frist wurde unverschuldet versäumt, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird). Regelmäßig ist ein neues Vorbringen in der Berufungsinstanz, das auch in erster Instanz hätte vorgebracht werden können, nicht erfolgversprechend.
Johilfiger hat geschrieben: Montag 13. November 2023, 14:49Habt ihr sonst noch Ideen, vielleicht im Vollstreckungsverfahren, die Abhilfe schaffen könnten? Kenn mich da noch nciht so gut aus.
Im Vollstreckungsverfahren geht es nur noch um, nun ja, die Vollstreckung, so dass Einwände gegen das Bestehen der Forderung - also letztlich die sachliche "Richtigkeit" des Urteils - regelmäßig unbehelflich sind.
Johilfiger
Newbie
Newbie
Beiträge: 6
Registriert: Montag 13. November 2023, 11:22

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von Johilfiger »

Vielen Dank für die fachkundige Antwort! Es ist großartig, eine Hilfestellung zu bekommen!

Ich bin bei meiner Suche auf den Vollstreckungsschutz gem. § 765a ZPO gestoßen. Dieser setzt neben einer Interessenabwägung eine sittenwidrige Härte voraus. Eine typische Fallgruppe ist laut Baumbach eine Gesundheitsgefährung in Folge der Zwangsvollstreckung.

Habt ihr Einwände gegen ihre Anwendbarkeit der Vorschrift in der geschilderten Konstellation? Ich hatte damit bislang noch nichts zu tun und Sorge, ich könnte etwas übersehen haben. Zum Beispiel, dass die Präklusionsvorschriften möglicherweise höherranging sind und damit die Gesundheitsgefährdung als Grund für $ 765a ZPO ausscheidet. Oder sonst etwas?
Benutzeravatar
batman
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8287
Registriert: Donnerstag 29. April 2010, 12:06
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von batman »

Wenn Du schon den "Baumbach" zur Hand hast, kannst Du Dich darin ja erstmal selbst über § 765a ZPO informieren. Das schult auch bereits für das sicherlich irgendwann anstehende Referendariat...
Johilfiger
Newbie
Newbie
Beiträge: 6
Registriert: Montag 13. November 2023, 11:22

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von Johilfiger »

Ich habe die Kommentierung zu § 765a ZPO gelesen, würde aber trotzdem gerne die Einschätzung von euch erfahren. Fühle mich auf dem Gebiet noch recht unsicher.

So wie ich es sehe, müsste der Antrag durchgehen. Es wird darauf hingewiesen, die Vorschrift sei eng auszulegen und könnte möglicherweise nur zeitweilig helfen. Da hier aber Gesundheitsgefahren relevant sind, halte ich einen wichtigen "Ausnahmefall" für gegeben.
Johilfiger
Newbie
Newbie
Beiträge: 6
Registriert: Montag 13. November 2023, 11:22

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von Johilfiger »

Niemand?
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2278
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Vorgehen gegen rechtskräftiges Urteil

Beitrag von Strich »

Gesundheitsgefahren allein reichen nicht. Es müssen ganz erhebliche, über die Zumutungen der Vollstreckung weit hinausgehende gesundheitliche Gefahren sein. Man kann auch 80 Jährige aus einer Wohnung räumen lassen, auch wenn sie selbst physisch nicht in der Lage sind (und das daher mit ganz erheblichen gesundheitlichen Gefahren verbunden ist), die Wohnung zu räumen. Die müssen sich dann eines Dritten bedienen. Nach den derzeitigen Informationen ist bei einem rk Räumungsurteil der Drops gelutscht.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Antworten