Ist dieser Straftatbestand noch zeit-/verfassungsgemäß?

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Volki
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Beitrag von Volki »

Pokerface hat geschrieben:Dir ist schon bewusst, dass Inzest die Gefahr birgt, dass die Kinder eines solchen Paares behindert zu Welt kommen. Das Risiko ist extrem höher als bei "normalen Paaren".
ich hätte auch immer gedacht, das Inzucht doof macht, man schaue sich nur die Briten an, aber tatsächlich ist das wohl eines von diesen unausrottbaren Ammenmärchen. Meinte jedenfalls der Spiegel in einer der letzten Ausgaben. Stimmt nicht. Ist falsch. Nicht nachweisbar. Quatsch. Wissenschaftlich nicht begründbar. Das Risiko, dass Bruder und Schwester einen kranken Abkömmling zeugen, sei genau so gering wie bei nicht verwandten Paaren. Glauben wir das einfach mal, dann ist da tatsächlich nicht viel, was die Norm erklärt, außer so irgendwas moralischem.
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Grimster
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Beitrag von Grimster »

Den Spiegelartikel war wirklich lesenswert.
Ich habe auch meine Zweifel, ob dieser Straftatbestand noch zu rechtfertigen ist.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

http://de.wikipedia.org/wiki/Inzest

(Zu den genetischen Problemen des Inzests auf der Seite unten.)
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dergrinch
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Beitrag von dergrinch »

Ein hunderter wäre mal ehrlich gewesen vom Gericht, aber dort scheint man sich nicht mit dem Zweck und dem Tatbestand auseinandergesetzt zu haben.

Selbst wenn man dem Spiegelartikel keinen Glauben (Wofür es keinen Anlass gibt) schenkt, haben wir noch immer keine Argumentation für diese Norm.
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Volki
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Beitrag von Volki »

Ich glaube keinem Wiki, den ich nicht selbst geschrieben habe.
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JS
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Beitrag von JS »

Jurastudentin hat geschrieben:
Philipp22 hat geschrieben:Ja watt denn? Sollte man es vielleicht Behinderten unter Strafandrohung verbieten, Kinder zu zeugen? #-o
Ja, genau. Oder Menschen mit Krankheiten, die per Geschlechtsverkehr übertragen werden können - und zwar nachweislich. Soll man ihnen den Beischlaf verbieten, sie einbuchten, wenn sie Beischlaf hatten? Ich glaube, täte man das, würde auch dem Letzten klar werden, dass das nicht ganz verfassungsmäßig sein kann.
Das muss man differenzierter sehen. Wenn man eine übertragbare Krankheit hat, muss man das dem Partner sagen.
dergrinch hat geschrieben:Ein hunderter wäre mal ehrlich gewesen vom Gericht, aber dort scheint man sich nicht mit dem Zweck und dem Tatbestand auseinandergesetzt zu haben.

Selbst wenn man dem Spiegelartikel keinen Glauben (Wofür es keinen Anlass gibt) schenkt, haben wir noch immer keine Argumentation für diese Norm.
Ja, die Behinderungsfrage ist vollkommen egal, wie ich bereits dargelegt habe.

Finde es auch merkwürdig, dass es hier keine konkrete Normenkontrolle gab. Das Ding gehört vors BVerfG.

Vor allem auch im Interesse der Kinder, die ja unzweifelhaft auf diese Weise entstehen. Mag mir gar nicht vorstellen, wie diese verleugnet und ausgegrenzt werden.

Das Thema muss raus aus der Tabuzone.
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." - Konrad Adenauer
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

JS hat geschrieben:Das muss man differenzierter sehen. Wenn man eine übertragbare Krankheit hat, muss man das dem Partner sagen.
Die Schwester weiß meistens, dass ihr Bruder ihr Bruder ist.
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dergrinch
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Beitrag von dergrinch »

Volki hat geschrieben:Ich glaube keinem Wiki, den ich nicht selbst geschrieben habe.
Wieso?

Stimmt es etwa nicht, dass Setarkos unser geistiges Oberhaupt ist.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

JS hat geschrieben:Das Thema muss raus aus der Tabuzone.
Deswegen hatte ich ja den thread eröffnet.

Kann jemand etwas aus rechtsvergleichender Perspektive beitragen?

Es gibt im StGB aber noch andere Bestimmungen, an deren Verfassungsmäßigkeit zu zweifeln ist. Als Beispiel sei mal noch § 183 I genannt, wo es im Hinblick auf Art. 3 GG besser "Wer" statt "Mann" heißen sollte (ansonsten habe ich aber nichts gegen diese Norm einzuwenden).
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Edit
Zuletzt geändert von Gelöschter Nutzer am Mittwoch 21. Februar 2007, 02:33, insgesamt 2-mal geändert.
Frittenverkäufer
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Beitrag von Frittenverkäufer »

Philipp22 hat geschrieben:Laut T/F soll es der Strafgrund sein, den engsten Familienkreis von sexuellen Aktivitäten freizuhalten -> mE aber kein legitimer Zweck zur Einschränkung von Art. 2

Sinnvollerweise hätte vom LG hier mal ein 100 I-Beschluss ergehen sollen.
Bei mir steht (52. Auflage):
Durch § 173 sollen nach der zweifelhaften systematischen Einordnung die Institutionen Ehe und Familie geschützt werden, nach teilw. vertretener Ansicht auch die psychische Integrität des Partners (...)

Eine überzeugende Begründung fehlt; eine Legitimation der Strafdrohung fällt schwer. (...)

Die Vorschrift sollte gestrichen werden.

Und Lencker meint in Schönke/ Schröder:

Rechtsgut des § 173 ist nach h.M. das Freisein der engsten Familie von damit für unvereinbar gehaltenen sexuellen Beziehungen, dies unabhängig davon, ob es sich um eine noch intakte oder ohnehin schon zerstörte Familie handelt; daneben werden als Strafgrund zT auch Gefahren für die psychische Entwicklung des Partners (minderjährige Tochter, Geschwisterinzest) und die angebliche Gefahr eugenischer und genetischer Schäden genannt (vgl. BT-Drs. VI/1552 S. 14, VI/3521 S. 17, ferner zB BGH 39 329 [Ehe und Familie als jedenfalls im Vordergrund stehende Schutzobjekte], Dippel LK10 3, Lackner/Kühl 1, Otto II 332, Sturm JZ 74, 3, Tröndle/Fischer 2). Doch ist zu bezweifeln, ob sich eine rationale, am Gesichtspunkt der Sozialschädlichkeit orientierte Begründung für die Strafbarkeit der „Blutschande“ wirklich finden läßt, maW ob hier nicht letztlich doch überlieferte Moralvorstellungen strafrechtlich sanktioniert werden (vgl. AE, BT, Sexualdelikte 59, Dippel NStZ 94, 182, Horn SK 2, M-Maiwald II 157 u. näher Jung, Leferenz-FS 311, Stratenwerth, Hinderling-Festschr., 1976, 301, Lenckner-FS 360, SchwZStr. 115, 92; zur Frage der Verfassungsmäßigkeit vgl. Klöpper aaO vor § 169, wo diese verneint wird [S. 131]). Zur Neufassung durch das 4. StrRG vgl. Sturm JZ 74, 3.
Zum objektiven Tatbestand stellt Lencker dann in Randnummer 3 fest:

Der Beischlaf erfordert eine Vereinigung der Geschlechtsteile in der Weise, daß das männliche Glied - wenn auch nur unvollständig - in die Scheide eingedrungen ist; bloße Berührung genügt nicht (RG JW 30, 916), ebensowenig das bloße Einführen des Glieds in den sog. Scheidenvorhof (BGH NJW 59, 1091, M-Schroeder I 171; and. BGH 16 175, MDR 90, 1128, MDR/D 73, 17, Dippel LK10 9, Horn SK 3, Lackner/Kühl 3, Tröndle/Fischer 6 wegen der auch hier bestehenden Empfängnismöglichkeit; mit dem Begriff „Beischlaf“ ist dies jedoch nicht mehr vereinbar, der, wie BGH NJW 59, 1091 mit Recht feststellt, die „naturgemäße Vereinigung der Geschlechtsteile“ bedeutet; vgl. auch RG 4 23, 40 39, JW 34, 2335). Eine emissio oder immissio seminis ist nicht erforderlich; auch braucht der weibliche Partner noch nicht geschlechtsreif zu sein (RG 71 130, Dippel LK10 12), wie überhaupt die Gefahr einer Empfängnis nicht zu bestehen braucht („Pille“). Den Beischlaf „vollzieht“ auch das Opfer einer Vergewaltigung, sofern nicht wegen vis absoluta eine Handlung entfällt (vgl. 38 ff. vor § 13, Dippel LK10 10; and. und zT mißverständlich Horn SK 4); vgl. im übrigen u. 7. Sonstige sexuelle Handlungen, auch wenn sie beischlafähnlich sind (zB Analverkehr), werden durch § 173 nicht erfaßt, obwohl sie für die durch die Vorschrift geschützten Ehe- und Familienbeziehungen ebenso belastend sein können (ebenso Dippel LK10 11).

Im LK wird laut Spiegel die verfassungsmäßigkeit der Norm auch bezweifelt.

Also in meinen Augen spricht nichts für diese Norm.

Wenn man vielleicht der Ansicht sein sollte, man müsse ein allgemeines sittliches Empfinden oder sowas schützen bräuchte man eine ganz andere Norm, die alles mögliche unter Strafe stellt.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Man wird wohl auch hier wieder die berühmte "Einschätzungsprärogative" des Gesetzgebers vorschieben, die ja alle möglichen und unmöglichen Eingriffe immer noch zu 'halten' vermag.
Frittenverkäufer
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Beitrag von Frittenverkäufer »

Pokerface hat geschrieben:
Hier wird die Gesundheit des ungeborenen Kindes fahrlässig aufs Spiel gesetzt und das sollte mE auch unter Strafe gesetzt werden.
Diesen Gedanken würde ich mal ganz zu Ende denken. So steigt z.B. das Risiko für das Kind mit dem Alter der Frau. Vielleicht sollte man vorsichtshalber Frauen ab 37 den ungeschützten Geschlechtsverkehr verbieten?

Und was ist mit anderen erheblich erblich bedingten Gefahren für das Kind? Die Neigung der Eltern zu Allergien, Asthma, Neurodermitis, Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall?
Soll der Staat hier tatsächlich eingreifen?


Ich weiß nicht, ob das Risiko für die Kinder von Inzestpaaren Behinderungen zu haben erheblich höher ist. Die Frage ist ja zumindest umstritten.

Wie auch immer: Inzest wird es nicht mehr oder weniger geben, weil es unter Strafe steht. Wer das glaubt überschätzt die Macht des StgB.

Es scheint so zu sein, dass es für die Masse der Menschen eine widerliche Vorstellung ist mit Bruder oder Schwester zu schlafen. Warum dann eine Strafe für dieses Verhalten, wenn es Ausnahmsweise doch mal vorkommt?
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

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Zuletzt geändert von Gelöschter Nutzer am Mittwoch 21. Februar 2007, 02:33, insgesamt 1-mal geändert.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Pokerface, bleib' doch mal am Boden und heb' nicht gleich ab.
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