[LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschneidung

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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AdamCarter
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von AdamCarter »

Swann hat geschrieben:Würdest du auch eine Otopexie als Kriminalunrecht ansehen?
Im Gegensatz zur Vorhaut ist Otapostasis eine biologische Fehlbildung und eine Korrektur hat keine Nachteile (vergleichbare wäre es etwa wenn das Hörvermögen in gleichem Maße eingeschränkt würde wie die Sensibilität des Penis). Die Ohren sind auch ein wesentlich weniger intimes Körperteil als das männliche Glied. Im Gegensatz zu einem intakten Penis (auch wenn diverse Religionsgemeinschaften gerne was anderes behaupten) können abstehende Ohren tatsächlich soziale Probleme herbeiführen weil man sie im Gegensatz zum besten Freund nunmal an sehr prominenter Stelle trägt.
Dennoch stehe ich grundsätzlich auch "Schönheits-OPs" aller Art bei Kindern skeptisch gegenüber und würde grundsätzlich mit der selben Argumentationsbasis starten, eine Otopexie wird aber, wenn man Wikipedia glauben darf, bis zum 14ten Lebensjahr von der Krankenkasse übernommen - einem 13-14jährigen traue ich in dieser Hinsicht durchaus eine Willensbildung zu, auch da ein Kind in diesem Alter sich sicherlich eher über das Vorher/Nachher-Verhältnis im Klaren wäre als es das (hoffentlich) mangels sexueller Erfahrung bei einer Beschneidung wäre.

Ich würde die Otopexie also als Grenzfall bezeichnen und den Eingriff bei Kleinkindern auf jeden Fall ablehnen, ab einem gewissen Altern aber u.U. eine Rechtfertigung in Betracht ziehen. Eine Beschneidung ist im Gegensatz dazu aber ein glasklarer Fall - den Penis intakt zu lassen hat keine Nachteile, ihn zu beschneiden keine Vorteile (wie gesagt, es gibt ein paar Veränderungen die manch einer als vorteilhaft ansehen mag, aber die sind eben erst in einem Alter relevant wo man selbst entscheiden kann) wohl aber negative Folgen: Irreparabilität, Schmerzen, mögliche Komplikationen und psychische Spätfolgen, "Brandmarkung" mit religiösem Merkmal, komplette Wegnahme der Entscheidungsfreiheit.
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Urs Blank
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Urs Blank »

AdamCarter hat geschrieben: können abstehende Ohren tatsächlich soziale Probleme herbeiführen
Und die sozialen Probleme durch eine fehlende Beschneidung sind eingebildet, oder wie ist das zu verstehen? Wenn die Beschneidung eine "elementare Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Judentum" ist (so Dieter Graumann), dann soll ihr Verbot keine sozialen Probleme verursachen? Was meinst du, zu welch sozialen Verwerfungen bereits unterlassene Taufen in manchen christlichen Familien (noch heute) führen können, obwohl man das Ungetauftsein ja nun wirklich niemandem ansieht. Deinen Behauptungen scheint die Einstellung zugrunde zu liegen, das Religion und religiöse Überzeugungen ohnehin nicht sonderlich ernst zu nehmen sind - unter der Prämisse kann man natürlich die derzeit diskutierte Frage bequem als Scheinproblem abtun.
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AdamCarter
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von AdamCarter »

Urs Blank hat geschrieben:
AdamCarter hat geschrieben: können abstehende Ohren tatsächlich soziale Probleme herbeiführen
Und die sozialen Probleme durch eine fehlende Beschneidung sind eingebildet, oder wie ist das zu verstehen? Wenn die Beschneidung eine "elementare Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Judentum" ist (so Dieter Graumann), dann soll ihr Verbot keine sozialen Probleme verursachen? Was meinst du, zu welch sozialen Verwerfungen bereits unterlassene Taufen in manchen christlichen Familien (noch heute) führen können, obwohl man das Ungetauftsein ja nun wirklich niemandem ansieht. Deinen Behauptungen scheint die Einstellung zugrunde zu liegen, das Religion und religiöse Überzeugungen ohnehin nicht sonderlich ernst zu nehmen sind - unter der Prämisse kann man natürlich die derzeit diskutierte Frage bequem als Scheinproblem abtun.
Abstehende Ohren sind eine biologische Fehlbildung die nicht dem gesunden Normalzustand entsprechen. Ein unbeschnittener Penis ist dagegen gesund und normal. Ohren trägt man am Kopf wo sie jeder ständig sehen kann, als ich das letzte Mal geguckt habe war mein Penis an weniger prominenter Stelle positioniert und zumindest ein gewisser Teil meines sozialen Umfelds hat ihn noch nicht zu Sehen bekommen. Abgesehen davon dass ein fehlendes religiöses Zeichen in einer toleranten und vielfältigen Gesellschaft kein Problem darstellt. Wie im obigen Post klargestellt (in dem ich übrigens beide Seiten hinsichtlich des Ohren anlegens kurz beleuchtet habe wovon du natürlich nur ein einziges Argument für eine Rechtfertigung herausgreifst obwohl ich letzlich tendenziell zu dem Schluss gekommen bin dass diese bis zu einem gewissen Alter eher abzulehnen ist) geht es mir nicht nur um religiös motivierte Beschneidungen sondern grundsätzlich um medizinisch nicht notwendige. Und ich halte Religion durchaus für eine wichtige und ernstzunehmende Angelegenheit, denke allerdings dass in der heutigen Zeit die Religionsfreiheit neu definiert werden muss in dem Sinne dass - das ist ist jetzt meine politische Ansicht und nicht meine juristische Einschätzung der aktuellen Rechtslage - sie lediglich abdeckt dass man in seinem eigenen Rechtskreis ungestört seine Religion ausüben kann, sie aber nie und nimmer fremde Rechtsgüter einschränken darf, egal wie klein der Eingriff auch sein mag (zur Klarstellung: Beschneidung ist ein ganz erheblicher Eingriff), Beispiele wären da zum Beispiel Berücksichtigung der Religionsfreiheit bei Baugenehmigungen oder das unsägliche Tanzverbot an Ostern.
In unserer heutigen Gesellschaft kann und soll jeder glauben was er möchte, unzeitgemäße Überbleibsel sollten aber aus der Religion entfernt werden (das Religionen sich modernisieren müssen ist völlig normal, deswegen haben wir heutzutage ja auch keine Steinigungen und Hexenverbrennungen mehr und moderne Muslime zwingen ihre Frauen nicht, in Burkas durch die Gegend zu laufen). Es gibt glücklicherweise auch viele streng gläubige Menschen die aus ihrer Religion große Kraft und moralische Überzeugungen ziehen, sich aber nicht sklavisch an Rituale klammern die einer modernen Gesellschaft unwürdig sind.

edit: Off Topic entfernt.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Scaevola »

AdamCarter hat geschrieben: Ein unbeschnittener Penis ist dagegen gesund und normal.

Was ist "normal" und wer entscheidet das?
Und ich halte Religion durchaus für eine wichtige und ernstzunehmende Angelegenheit, denke allerdings dass in der heutigen Zeit die Religionsfreiheit neu definiert werden muss in dem Sinne dass - das ist ist jetzt meine politische Ansicht und nicht meine juristische Einschätzung der aktuellen Rechtslage - sie lediglich abdeckt dass man in seinem eigenen Rechtskreis ungestört seine Religion ausüben kann, sie aber nie und nimmer fremde Rechtsgüter einschränken darf, egal wie klein der Eingriff auch sein mag (zur Klarstellung: Beschneidung ist ein ganz erheblicher Eingriff), Beispiele wären da zum Beispiel Berücksichtigung der Religionsfreiheit bei Baugenehmigungen oder das unsägliche Tanzverbot an Ostern.
Das ist natürlich irgendwo konsequent. Jedoch läuft dieser Ansatz trotz Deines Lippenbekenntnisses zur "Religionsfreiheit", die lediglich "neu definiert" werden müsse, auf ihre Abschaffung oder jedenfalls Zurückstutzung auf die Glaubensfreiheit im stillen Kämmerlein hinaus. Dort darf man selbst in Deinem Staat der totalen Vernuft noch glauben! Aber wehe, ein Prozessionsteilnehmer setzt auch nur einen Fuß auf die Straße...
In unserer heutigen Gesellschaft kann und soll jeder glauben was er möchte, unzeitgemäße Überbleibsel sollten aber aus der Religion entfernt werden
Darüber zu wachen wäre ja mal eine schöne Staatsaufgabe...
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AdamCarter
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von AdamCarter »

Scaevola hat geschrieben:
AdamCarter hat geschrieben: Ein unbeschnittener Penis ist dagegen gesund und normal.

Was ist "normal" und wer entscheidet das?
Ähm, frag doch mal einen Biologen, einen Arzt oder auch einen Rabbi ob es normal ist, dass man mit einer Vorhaut geboren wird... Ohne medizinischen Grund einen Teil des Körpers irreperabel zu entfernen ist jedenfalls nicht normal.
Die Vorhaut abzuschneiden ist genauso unnormal, wie einem Mann die Brustwarzen abzuschneiden. Der Unterschied ist nur, dass ersteres von manchen aus dem völlig hirnrissigen Grund "Das machen wir aber schon voll lange so" akzeptiert wird.
Scaevola hat geschrieben:
Und ich halte Religion durchaus für eine wichtige und ernstzunehmende Angelegenheit, denke allerdings dass in der heutigen Zeit die Religionsfreiheit neu definiert werden muss in dem Sinne dass - das ist ist jetzt meine politische Ansicht und nicht meine juristische Einschätzung der aktuellen Rechtslage - sie lediglich abdeckt dass man in seinem eigenen Rechtskreis ungestört seine Religion ausüben kann, sie aber nie und nimmer fremde Rechtsgüter einschränken darf, egal wie klein der Eingriff auch sein mag (zur Klarstellung: Beschneidung ist ein ganz erheblicher Eingriff), Beispiele wären da zum Beispiel Berücksichtigung der Religionsfreiheit bei Baugenehmigungen oder das unsägliche Tanzverbot an Ostern.
Das ist natürlich irgendwo konsequent. Jedoch läuft dieser Ansatz trotz Deines Lippenbekenntnisses zur "Religionsfreiheit", die lediglich "neu definiert" werden müsse, auf ihre Abschaffung oder jedenfalls Zurückstutzung auf die Glaubensfreiheit im stillen Kämmerlein hinaus. Dort darf man selbst in Deinem Staat der totalen Vernuft noch glauben! Aber wehe, ein Prozessionsteilnehmer setzt auch nur einen Fuß auf die Straße...
Naah, vielleicht hab ich das zu ungenau formuliert. Eine Prozession schränkt schliesslich niemanden wirklich in seinen Rechten ein (Ja gut, Allgemeine Handlungsfreiheit weil die Strasse vielleicht zu ist, negative Religionsfreiheit vielleicht auch noch. Wie gesagt, hab ich zu ungenau formuliert.). Religion unterscheidet sich in der Hinsicht nicht von anderen Ideologien oder politischen Ansichten, genauso wie eine Partei natürlich demonstrieren darf, darf eine Religionsgemeinschaft auch prozessieren (Hmm, nicht sicher ob das das richtige Verb ist). Nur Unfug wie die schon genannten, Tanzverbot (welcher fromme Christ verbringt denn schon Ostern in einem Nachtclub wo er sich durch tanzenden Leute gestört fühlen könnte...) oder bevorzugte Behandlung bei Baugenehmigungen (Wenn man eine Kirche bauen möchte ist das nicht wichtiger als ein Sportzentrum. Der Bau wird dadurch ja auch nicht verboten, die Religionsgemeinschaft muss sich lediglich an die selben Regeln halten wie alle anderen auch.) müssen nun wirklich nicht sein. Aber nochmal: Das ist meine politische Ansicht, hat nichts mit dem konkreten Fall zu tun und ich hab es nur erwähnt weil Urs Blank mein Verhältnis zu Religion angesprochen hat.
Scaevola hat geschrieben:
In unserer heutigen Gesellschaft kann und soll jeder glauben was er möchte, unzeitgemäße Überbleibsel sollten aber aus der Religion entfernt werden
Darüber zu wachen wäre ja mal eine schöne Staatsaufgabe...
Schön dass du mich nur eingeschränkt zitierst und damit den Eindruck erweckst ich hätte einen irre weiten Spielraum für "unzeitgemäß" gelassen. Ich nenne gerne noch mal meine Beispiele für unzeitgemäße Überbleibsel (von denen die meisten glücklicherweise auch schon lange von den Religionen, zumindest im Westen, hinter sich gelassen wurden. Dass Religionen sich weiterentwickeln ist völlig normal und wichtig.): Burkazwang, Hexenverbrennungen, Irreperable Körperverletzungen an Babys, Steinigungen, weniger schlimm aber trotzdem unwürdig: Schächtung von Tieren.
Es geht um Überbleibsel die massiv in die Rechtskreise von Menschen eingreifen die eben nicht Teil dieser Religion sind (oder zumindest nicht dieser Auslegung der Religion), wie eben eine irreperable Körperverletzung (und nochmal: Ein Baby ist nicht christlich/jüdisch/muslimisch, es ist ein Baby). Darüber zu wachen dass so etwas nicht geschieht wäre nicht nur eine schöne Staatsaufgabe, darüber zu wachen ist ureigene Staatsaufgabe.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Scaevola »

AdamCarter hat geschrieben:
Schön dass du mich nur eingeschränkt zitierst und damit den Eindruck erweckst ich hätte einen irre weiten Spielraum für "unzeitgemäß" gelassen. Ich nenne gerne noch mal meine Beispiele für unzeitgemäße Überbleibsel (von denen die meisten glücklicherweise auch schon lange von den Religionen, zumindest im Westen, hinter sich gelassen wurden. Dass Religionen sich weiterentwickeln ist völlig normal und wichtig.): Burkazwang, Hexenverbrennungen, Irreperable Körperverletzungen an Babys, Steinigungen, weniger schlimm aber trotzdem unwürdig: Schächtung von Tieren.
Es geht um Überbleibsel die massiv in die Rechtskreise von Menschen eingreifen die eben nicht Teil dieser Religion sind (oder zumindest nicht dieser Auslegung der Religion), wie eben eine irreperable Körperverletzung (und nochmal: Ein Baby ist nicht christlich/jüdisch/muslimisch, es ist ein Baby). Darüber zu wachen dass so etwas nicht geschieht wäre nicht nur eine schöne Staatsaufgabe, darüber zu wachen ist ureigene Staatsaufgabe.
Na mal ehrlich, Entscheidendes ist durch das verkürzte Zitat wohl kaum verlorengegangen. Du trägst Deine Wertungen an die Religionen heran und verlangst von ihnen, sich danach zu richten. "Unzeitgemäße Überbleibsel" "sollten" entfernt werden. Darauf bezog sich mein leicht sarkastischer Vorschlag einer staatl. Religionsbehörde. So kann Religionsfreiheit, wenn man es mit ihr ernst meint, wohl nicht funktionieren. Inzwischen bist Du ja immerhin von der verfassungsrechtspolitischen Forderung abgerückt, dass die Betätigung von Religionsfreiheit in allen Fällen hinter kollidierenden Rechtsgütern soll zurückzustehen müssen. Wie Du an dem Prozessionsbeispiel selbst siehst, kann die Abwägung auch mal zu Gunsten der Glaubensfreiheit gehen, ohne das wir gleich im Gottesstaat leben. Interessanterweise ist übrigens die Liste der "unzeitgemäßen Überbleibsel" in Deiner Antwort noch verlängert worden, nämlich um das Schächten. Das ist natürlich ein weiteres Betätigungsfeld für Deinen missionarischen Eifer im vermeintlichen Dienst der Aufklärung. Denn eins ist ja klar: Fleisch von geschächteten Tieren ist nach allen wissenschftlichen Erkenntnissen nicht gesünder als das, was aus normalen "westlichen" Schlachthöfen herauskommt (von denen aber irgendwie auch niemand so genau wissen will, wie es in ihnen zugeht). Es gibt also gar keinen rationalen Grund, geschächtetes Fleisch zu essen! Irgendwelche Koransuren oder Torastellen vermögen daran nichts zu ändern, im Gegenteil, es ist offenbar an der Zeit, sie modern auszulegen.
In Sachen Tanzverbot würde ich Dir schon eher zustimmen. Ganz pragmatisch gesehen (also kein tragfähiges Argument) finde ich es allerdings auch keine große Einschränkung für die betroffenen Kreise, einige wenige Abende im Jahr auf das Tanzvergnügen zu verzichten. Es dient ja vielleicht zumindest der seelische Erhebung, gar nichts zu tun oder mal ein gutes Buch zur Hand zu nehmen - alternativ kann man natürlich auch Splatterfilmchen schauen...
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AdamCarter
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von AdamCarter »

Scaevola hat geschrieben:
AdamCarter hat geschrieben:
Schön dass du mich nur eingeschränkt zitierst und damit den Eindruck erweckst ich hätte einen irre weiten Spielraum für "unzeitgemäß" gelassen. Ich nenne gerne noch mal meine Beispiele für unzeitgemäße Überbleibsel (von denen die meisten glücklicherweise auch schon lange von den Religionen, zumindest im Westen, hinter sich gelassen wurden. Dass Religionen sich weiterentwickeln ist völlig normal und wichtig.): Burkazwang, Hexenverbrennungen, Irreperable Körperverletzungen an Babys, Steinigungen, weniger schlimm aber trotzdem unwürdig: Schächtung von Tieren.
Es geht um Überbleibsel die massiv in die Rechtskreise von Menschen eingreifen die eben nicht Teil dieser Religion sind (oder zumindest nicht dieser Auslegung der Religion), wie eben eine irreperable Körperverletzung (und nochmal: Ein Baby ist nicht christlich/jüdisch/muslimisch, es ist ein Baby). Darüber zu wachen dass so etwas nicht geschieht wäre nicht nur eine schöne Staatsaufgabe, darüber zu wachen ist ureigene Staatsaufgabe.
Na mal ehrlich, Entscheidendes ist durch das verkürzte Zitat wohl kaum verlorengegangen. Du trägst Deine Wertungen an die Religionen heran und verlangst von ihnen, sich danach zu richten. "Unzeitgemäße Überbleibsel" "sollten" entfernt werden. Darauf bezog sich mein leicht sarkastischer Vorschlag einer staatl. Religionsbehörde. So kann Religionsfreiheit, wenn man es mit ihr ernst meint, wohl nicht funktionieren. Inzwischen bist Du ja immerhin von der verfassungsrechtspolitischen Forderung abgerückt, dass die Betätigung von Religionsfreiheit in allen Fällen hinter kollidierenden Rechtsgütern soll zurückzustehen müssen. Wie Du an dem Prozessionsbeispiel selbst siehst, kann die Abwägung auch mal zu Gunsten der Glaubensfreiheit gehen, ohne das wir gleich im Gottesstaat leben.
Ich bin von überhaupt nichts abgerückt, ich hatte mich unklar ausgedrückt (hatte ja vorher extra geschrieben dass das keine juristische Meinung sondern eine persönliche politische ist, dementsprechend hab ich auch keine juristische Terminologie verwendet). Wenn jemand einen religiösen Umzug veranstaltet, in der Öffentlichkeit betet oder ein Kruzifix irgendwo aufhängt ist das für mich kein Eingriff - ja, juristisch schon, aber darum ging es da nicht. Wie gesagt, war unbedacht und ich hätte es näher ausführen sollen, war spät abends sieh mir das bitte nach.

Und bei dem Zitat ist sehr entscheidendes verloren gegangen. Du sagt de facto "Wenn der Staat von Religionen fordert Steinigungen, Burkazwang und Hexenverbrennungen zu unterlassen dann kann Religionsfreiheit nicht funktionieren.". Es sollte aber eine Selbstverständlichkeit sein dass der Staat kriminelle Handlungen bekämpft, egal ob sie religiös motiviert sind oder nicht (ansonten wäre es ja auch Affront gegen die Religionsfreiheit gegen Osama Bin Laden oder Anders Breivik vorzugehen...).
Scaevola hat geschrieben:Interessanterweise ist übrigens die Liste der "unzeitgemäßen Überbleibsel" in Deiner Antwort noch verlängert worden, nämlich um das Schächten. Das ist natürlich ein weiteres Betätigungsfeld für Deinen missionarischen Eifer im vermeintlichen Dienst der Aufklärung. Denn eins ist ja klar: Fleisch von geschächteten Tieren ist nach allen wissenschftlichen Erkenntnissen nicht gesünder als das, was aus normalen "westlichen" Schlachthöfen herauskommt (von denen aber irgendwie auch niemand so genau wissen will, wie es in ihnen zugeht). Es gibt also gar keinen rationalen Grund, geschächtetes Fleisch zu essen! Irgendwelche Koransuren oder Torastellen vermögen daran nichts zu ändern, im Gegenteil, es ist offenbar an der Zeit, sie modern auszulegen.
Ich wollte das Schächtungsbeispiel erst nicht reinschreiben weil es halt schon ein paar Hausnummern von den anderen Sachen entfernt ist, weil religiös motivierte Gewalt gegen Menschen nunmal deutlich schlimmer ist als religiös motivierte Tierquälerei. Aber ein Tier aus religiösen Gründen zu quälen ist keinen deut besser als es aus purem Sadismus zu tun, deswegen habe ich es noch per edit eingefügt.
Scaevola hat geschrieben:In Sachen Tanzverbot würde ich Dir schon eher zustimmen. Ganz pragmatisch gesehen (also kein tragfähiges Argument) finde ich es allerdings auch keine große Einschränkung für die betroffenen Kreise, einige wenige Abende im Jahr auf das Tanzvergnügen zu verzichten. Es dient ja vielleicht zumindest der seelische Erhebung, gar nichts zu tun oder mal ein gutes Buch zur Hand zu nehmen - alternativ kann man natürlich auch Splatterfilmchen schauen...
Splatterfilme finde ich eher öde, hab früher mal ein paar geguckt weil man als Filmenthusiast mal in die meisten Genres reinschaut. Gibt ein paar Filme die nicht nur simple Schockproduktionen sondern darüber hinaus ganz interessant sind, aber nix was einen langfristig fesselt. Ein gutes Buch ist ne tolle Sache, aber ich entscheide gerne selbst wann ich ein Buch lese und wann ich Party mache. Klar ist das Tanzverbot mehr ein Kuriosum denn religiöse Unterdrückung, sowas muss aber einfach nicht sein.

Vielleicht mal ein paar generelle Worte: Dass ich bestimmte religiöse Praktiken kritisch sehe heisst nicht dass ich Religionen grundlegend ablehne oder dass ich selbst kein religiöser Mensch wäre. Ich würde mir aber einfach nie anmaßen, jemand anderem meine Religion aufzwingen zu wollen, zu fordern dass jemand Rücksicht auf sie nimmt (finde ich ziemlich mimosenhaft) oder kriminelles Verhalten damit zu rechtfertigen. Ich fordere auch nicht dass Kinder völlig religionsfrei erzogen werden, der Glauben der Eltern ist wichtig für deren Wertesystem, welches sie natürlich ihren Kindern vermitteln wollen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen religiöser Erziehung und religiöser Indoktrination. Ersteres könnte so aussehen "Es gibt verschiedene Religionen, manche Menschen glauben dass XY, deine Mutter und ich glauben, dass Z, deswegen gehen wir auch jeden Samstag/Sonntag in die Kirche/Moschee/Synagoge was ABC symbolisiert." - Dafür braucht man keine Beschneidung, keine Taufe, kein garnichts. Indoktrination dagegen wäre "Es gibt Gott XY, er will dass du so und so lebst, tust du das nicht kommst du in die Hölle." (vor allem auch weil dem Kind, das seinen Eltern natürlich vertraut, damit suggeriert wird, die Eltern wüssten das mit absoluter Sicherheit was dem Prinzip Glauben eigentlich diametral entgegensteht), damit verbunden sind dann aufgezwungene Rituale wie die Taufe oder Blutopfer wie die Beschneidung. Mit religiöser Erziehung ermögliche ich selbstständiges Denken und Eigenverantwortlichkeit, mit religiöser Indoktrination verhindere ich das.

Und klar, religiös motivierte Beschneidung regt mich mehr auf als wenn die Eltern ihr Kind "einfach so" beschneiden lassen, ich sehe beides aber als absolut gleich strafwürdig an. Was mich an der religiös motivierten Variante mehr aufregt ist schlicht die unglaubliche Dreistheit die damit verbunden ist und dass Menschen dazu neigen Religion als Rechtfertigung für das groteskeste Verhalten zu akzeptieren. Niemand käme auf die Idee das Abschneiden der männlichen Brustwarzen als von der Erziehungsfreiheit gedeckt anzusehen (dabei ist das exakt das Gleiche wie eine Beschneidung, es ist ein nicht lebensnotwendiger Teil des Körpers mit nem Haufen Nervenenden an intimer Stelle [wobei der Penis noch nen Tacken intimer ist] der irreparabel entfernt wird), aber an dem Penis eines kleinen Jungen herumzuschnippeln wird einfach so hingenommen "weil es ja ein Jahrtausende altes Ritual ist". Menschen die Religion deartig praktizieren reduzieren sie auf das hier und das ist ne Riesensauerei weil Religion eben auch viele Menschen zu einer Menge guter Taten veranlasst hat und vielen durch schwierige Lebensabschnitte hindurchhilft. Religion ist kein bescheurtes Opferritual, auf genau das wird sie aber von Leuten, die das als einen Kernbereich verkaufen, reduziert.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Muirne »

Ich wollte das Schächtungsbeispiel erst nicht reinschreiben weil es halt schon ein paar Hausnummern von den anderen Sachen entfernt ist, weil religiös motivierte Gewalt gegen Menschen nunmal deutlich schlimmer ist als religiös motivierte Tierquälerei. Aber ein Tier aus religiösen Gründen zu quälen ist keinen deut besser als es aus purem Sadismus zu tun, deswegen habe ich es noch per edit eingefügt.
Und ungefähr genauso wie der unnötige Tierproduktskonsum generell, aber von dieser Erkenntnis ist leider auch das Grundgesetz noch ein paar Jährchen weg und wir entfernen uns vom Ausgangsthema - ich musste es aber sagen, ich konnte nicht anders.
»Natürlich ist das herablassend. Torquemada ist mir gegenüber herablassend, ich bin esprit gegenüber herablassend. So ist die Nahrungskette in diesem Forum nunmal.« - Swann
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Mir kommt in der ganzen Diskussion das elterliche Erziehungsrecht deutlich zu kurz.
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
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Olli
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Olli »

In Bayern ist prinzipiell alles schwerer als im Rest der Republik, auch das Kilo Mehl. (Ara, 24.01.2012)

Morgenmagazin: Wir geben ab zur Tagesschau nach Hamburg. Auch eine sehr schöne Stadt.
Jens Riewa: Die schönste. Guten Morgen meine Damen und Herren.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

AdamCarter hat geschrieben:
Urs Blank hat geschrieben:
AdamCarter hat geschrieben: (war das "koscher" angesichts des Themas Absicht? :D ).
So ist es.

OT: Mir schon klar, dass das Konzept der "living constitution" sich hierzulande großer Beliebtheit erfreut... Ich finde es nur unerfreulich, dass eine kleine Strafkammer, bestehend aus einem VRLG und zwei Postbediensteten, mal so im Vorübergehen das Verhältnis von Staat und Religion neu justiert, mit unmittelbaren Auswirkungen auf Millionen von Mitbürgern. Und das mit einer jämmerlich knappen Begründung.
Naja, das ist nunmal der Ausdruck richterlicher Unabhängigkeit und mir ist es lieber wenn auchmal "Abweichlerurteile" gefällt werden als dass immer vor der herrschenden Rechtsprechung/Meinung (wobei ich mir bei ersterem garnicht sicher bin obs da überhaupt mal was gab und die h.M. in der Literatur die religiöse Beschneidung zunehmend ablehnt) gekuscht wird. Bei Bedarf werden diese Urteile dann auf höherer Ebene kassiert (bzw. ihrer Begründung wird die Rechtmäßigkeit entzogen), hier war das Urteil aber m.E. gerechtfertigt und wird sich in der Rechtsprechung auch hoffentlich so durchsetzen.

Und ich denke nicht, dass ein juristisches Urteil einer umfassenderen Begründung bedarf nur weil es sensibles oder politisch brisantes Thema betrifft. Ein Richter hat über diesen Dingen zu stehen und Recht zu sprechen, nichts anderes. Wenn der Politik die Entscheidung nicht passt, dann muss sie das Recht ändern. Aber auch das darf man sicherlich anders sehen.
Man könnte aber wohl mindestens erwarten, dass sich ein solches Urteil mit dieser Rechtsfrage deutlicher auseinandersetzt als lediglich die verschiedenen Ansichten der Rechtslehre zu sammeln und dann in ein bis zwei Sätzen zu einer eigenen Auffassung zu gelangen.
LG Köln hat geschrieben:Die Handlung des Angeklagten war auch nicht durch Einwilligung gerechtfertigt. Eine Einwilligung des seinerzeit vierjährigen Kindes lag nicht vor und kam mangels hinreichender Verstandesreife auch nicht in Betracht. Eine Einwilligung der Eltern lag vor, vermochte indes die tatbestandsmäßige Körperverletzung nicht zu rechtfertigen.
14

Gemäß § 1627 Satz 1 BGB sind vom Sorgerecht nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohl des Kindes dienen. Nach wohl herrschender Auffassung in der Literatur (vgl. Schlehofer in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., vor §§ 32 ff. Rn. 43; Lenckner/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., vor §§ 32 ff. Rn. 41; Jerouschek NStZ 2008, 313, 319; wohl auch Exner a.a.O.; Herzberg a.a.O.; Putzke a.a.O.) entspricht die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös gesellschaftlichen Umfeldes noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohl des Kindes. Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs.1 und 2 Satz 1 GG begrenzt. Das Ergebnis folgt möglicherweise bereits aus Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 1 WRV, wonach die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden (so: Herzberg JZ 2009, 332, 337; derselbe Medizinrecht 2012, 169, 173). Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet (zu den Einzelheiten vgl.: Schlehofer a.a.O.; a.A. im Ergebnis Fischer, 59. Aufl., § 223 Rn. 6 c; inzident wohl auch: OLG Frankfurt NJW 2007, 3580; OVG Lüneburg NJW 2003, 3290; LG Frankenthal Medizinrecht 2005, 243, 244; ferner Rohe JZ 2007, 801, 802 jeweils ohne nähere Erörterung der Frage). Schwarz (JZ 2008, 1125, 1128) bewertet die Einwilligung unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Kriterien als rechtfertigend, er geht jedoch nur auf die Elternrechte aus Artikel 4 und 6 GG, nicht hingegen – was notwendig wäre - auf die eigenen Rechte des Kindes aus Artikel 2 GG ein. Seine Auffassung kann schon aus diesem Grunde nicht überzeugen.
Das ist schlicht unterkomplex und aus diesem Grunde bin ich mir nun fast sicher, dass der Weg des Verbotsirrtums schlicht und ergreifend dazu dient, die weitere gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung zu verhindern.
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Swann »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben: Das ist schlicht unterkomplex und aus diesem Grunde bin ich mir nun fast sicher, dass der Weg des Verbotsirrtums schlicht und ergreifend dazu dient, die weitere gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung zu verhindern.
Die Anforderungen, die das LG Köln zu beachten hatte, ergeben sich aus § 267 V StPO. Ich sehe nicht, inwiefern das Landgericht das außer Acht gelassen hätte.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Natürlich genügt die Entscheidungen den Vorgaben der Strafprozeßordnung, aber nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Ich meine, dass die Entscheidung des LG Köln bei der Beurteilung des einfachen Rechts den Bedeutungsgehalt der grundrechtlichen Gewährleistungen bereits im Ansatz verkennt oder zumindest wesentlich falsche Wertungen vornimmt ohne sich ausreichend mit den verfassungsrechtlichen Fragestellungen auseinandergesetzt zu haben.

(Ich sehe schon der Erwiderung entgegen, dass ich die Begründungserfordernisse an Gerichtsurteile überspanne. Hier wird man aber eventuell mit einer gewisse "Je-Desto-Formel" arbeiten können: je mehr eine Entscheidung des einfachen Rechts von grundrechtlichen Vorgaben determiniert wird, umso mehr wird man auch erwarten können, dass das erkennende Gericht sich mit den grundrechtlichen Determinanten beschäftigt. Dieser Fall spielt ganz wesentlich im Bereich der Grundrechte und hätte deshalb einer ausführlicheren Würdigung bedurft.)
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
Swann
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Swann »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Natürlich genügt die Entscheidungen den Vorgaben der Strafprozeßordnung, aber nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Ich meine, dass die Entscheidung des LG Köln bei der Beurteilung des einfachen Rechts den Bedeutungsgehalt der grundrechtlichen Gewährleistungen bereits im Ansatz verkennt oder zumindest wesentlich falsche Wertungen vornimmt ohne sich ausreichend mit den verfassungsrechtlichen Fragestellungen auseinandergesetzt zu haben.

(Ich sehe schon der Erwiderung entgegen, dass ich die Begründungserfordernisse an Gerichtsurteile überspanne. Hier wird man aber eventuell mit einer gewisse "Je-Desto-Formel" arbeiten können: je mehr eine Entscheidung des einfachen Rechts von grundrechtlichen Vorgaben determiniert wird, umso mehr wird man auch erwarten können, dass das erkennende Gericht sich mit den grundrechtlichen Determinanten beschäftigt. Dieser Fall spielt ganz wesentlich im Bereich der Grundrechte und hätte deshalb einer ausführlicheren Würdigung bedurft.)
Eine vertiefte grundrechtliche Auseinandersetzung wäre nur bei Entscheidungsrelevanz angezeigt. Da die Strafkammer dem Angeklagten aber einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zubilligt, muss sie das gerade nicht leisten. Entgegen der Auffassung mancher Verwaltungsgerichte ist ein Urteil nicht erst dann gelungen, wenn es auch als Inauguraldissertation durchginge. ;)
julée
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von julée »

Swann hat geschrieben: Eine vertiefte grundrechtliche Auseinandersetzung wäre nur bei Entscheidungsrelevanz angezeigt. Da die Strafkammer dem Angeklagten aber einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zubilligt, muss sie das gerade nicht leisten. Entgegen der Auffassung mancher Verwaltungsgerichte ist ein Urteil nicht erst dann gelungen, wenn es auch als Inauguraldissertation durchginge. ;)
Ich würde es allerdings schon als einen Unterschied ansehen, ob das Handeln gerechtfertigt war oder ob nur ein Handeln "ohne Schuld" aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums vorlag.
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