Scaevola hat geschrieben:AdamCarter hat geschrieben:
Schön dass du mich nur eingeschränkt zitierst und damit den Eindruck erweckst ich hätte einen irre weiten Spielraum für "unzeitgemäß" gelassen. Ich nenne gerne noch mal meine Beispiele für unzeitgemäße Überbleibsel (von denen die meisten glücklicherweise auch schon lange von den Religionen, zumindest im Westen, hinter sich gelassen wurden. Dass Religionen sich weiterentwickeln ist völlig normal und wichtig.): Burkazwang, Hexenverbrennungen, Irreperable Körperverletzungen an Babys, Steinigungen, weniger schlimm aber trotzdem unwürdig: Schächtung von Tieren.
Es geht um Überbleibsel die massiv in die Rechtskreise von Menschen eingreifen die eben nicht Teil dieser Religion sind (oder zumindest nicht dieser Auslegung der Religion), wie eben eine irreperable Körperverletzung (und nochmal: Ein Baby ist nicht christlich/jüdisch/muslimisch, es ist ein Baby). Darüber zu wachen dass so etwas nicht geschieht wäre nicht nur eine schöne Staatsaufgabe, darüber zu wachen ist ureigene Staatsaufgabe.
Na mal ehrlich, Entscheidendes ist durch das verkürzte Zitat wohl kaum verlorengegangen. Du trägst Deine Wertungen an die Religionen heran und verlangst von ihnen, sich danach zu richten. "Unzeitgemäße Überbleibsel" "sollten" entfernt werden. Darauf bezog sich mein leicht sarkastischer Vorschlag einer staatl. Religionsbehörde. So kann Religionsfreiheit, wenn man es mit ihr ernst meint, wohl nicht funktionieren. Inzwischen bist Du ja immerhin von der verfassungsrechtspolitischen Forderung abgerückt, dass die Betätigung von Religionsfreiheit in allen Fällen hinter kollidierenden Rechtsgütern soll zurückzustehen müssen. Wie Du an dem Prozessionsbeispiel selbst siehst, kann die Abwägung auch mal zu Gunsten der Glaubensfreiheit gehen, ohne das wir gleich im Gottesstaat leben.
Ich bin von überhaupt nichts abgerückt, ich hatte mich unklar ausgedrückt (hatte ja vorher extra geschrieben dass das keine juristische Meinung sondern eine persönliche politische ist, dementsprechend hab ich auch keine juristische Terminologie verwendet). Wenn jemand einen religiösen Umzug veranstaltet, in der Öffentlichkeit betet oder ein Kruzifix irgendwo aufhängt ist das
für mich kein Eingriff - ja, juristisch schon, aber darum ging es da nicht. Wie gesagt, war unbedacht und ich hätte es näher ausführen sollen, war spät abends sieh mir das bitte nach.
Und bei dem Zitat ist sehr entscheidendes verloren gegangen. Du sagt de facto "Wenn der Staat von Religionen fordert Steinigungen, Burkazwang und Hexenverbrennungen zu unterlassen dann kann Religionsfreiheit nicht funktionieren.". Es sollte aber eine Selbstverständlichkeit sein dass der Staat kriminelle Handlungen bekämpft, egal ob sie religiös motiviert sind oder nicht (ansonten wäre es ja auch Affront gegen die Religionsfreiheit gegen Osama Bin Laden oder Anders Breivik vorzugehen...).
Scaevola hat geschrieben:Interessanterweise ist übrigens die Liste der "unzeitgemäßen Überbleibsel" in Deiner Antwort noch verlängert worden, nämlich um das Schächten. Das ist natürlich ein weiteres Betätigungsfeld für Deinen missionarischen Eifer im vermeintlichen Dienst der Aufklärung. Denn eins ist ja klar: Fleisch von geschächteten Tieren ist nach allen wissenschftlichen Erkenntnissen nicht gesünder als das, was aus normalen "westlichen" Schlachthöfen herauskommt (von denen aber irgendwie auch niemand so genau wissen will, wie es in ihnen zugeht). Es gibt also gar keinen rationalen Grund, geschächtetes Fleisch zu essen! Irgendwelche Koransuren oder Torastellen vermögen daran nichts zu ändern, im Gegenteil, es ist offenbar an der Zeit, sie modern auszulegen.
Ich wollte das Schächtungsbeispiel erst nicht reinschreiben weil es halt schon ein paar Hausnummern von den anderen Sachen entfernt ist, weil religiös motivierte Gewalt gegen Menschen nunmal deutlich schlimmer ist als religiös motivierte Tierquälerei. Aber ein Tier aus religiösen Gründen zu quälen ist keinen deut besser als es aus purem Sadismus zu tun, deswegen habe ich es noch per edit eingefügt.
Scaevola hat geschrieben:In Sachen Tanzverbot würde ich Dir schon eher zustimmen. Ganz pragmatisch gesehen (also kein tragfähiges Argument) finde ich es allerdings auch keine große Einschränkung für die betroffenen Kreise, einige wenige Abende im Jahr auf das Tanzvergnügen zu verzichten. Es dient ja vielleicht zumindest der seelische Erhebung, gar nichts zu tun oder mal ein gutes Buch zur Hand zu nehmen - alternativ kann man natürlich auch Splatterfilmchen schauen...
Splatterfilme finde ich eher öde, hab früher mal ein paar geguckt weil man als Filmenthusiast mal in die meisten Genres reinschaut. Gibt ein paar Filme die nicht nur simple Schockproduktionen sondern darüber hinaus ganz interessant sind, aber nix was einen langfristig fesselt. Ein gutes Buch ist ne tolle Sache, aber ich entscheide gerne selbst wann ich ein Buch lese und wann ich Party mache. Klar ist das Tanzverbot mehr ein Kuriosum denn religiöse Unterdrückung, sowas muss aber einfach nicht sein.
Vielleicht mal ein paar generelle Worte: Dass ich bestimmte religiöse Praktiken kritisch sehe heisst nicht dass ich Religionen grundlegend ablehne oder dass ich selbst kein religiöser Mensch wäre. Ich würde mir aber einfach nie anmaßen, jemand anderem meine Religion aufzwingen zu wollen, zu fordern dass jemand Rücksicht auf sie nimmt (finde ich ziemlich mimosenhaft) oder kriminelles Verhalten damit zu rechtfertigen. Ich fordere auch nicht dass Kinder völlig religionsfrei erzogen werden, der Glauben der Eltern ist wichtig für deren Wertesystem, welches sie natürlich ihren Kindern vermitteln wollen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen religiöser Erziehung und religiöser Indoktrination. Ersteres könnte so aussehen "Es gibt verschiedene Religionen, manche Menschen glauben dass XY, deine Mutter und ich glauben, dass Z, deswegen gehen wir auch jeden Samstag/Sonntag in die Kirche/Moschee/Synagoge was ABC symbolisiert." - Dafür braucht man keine Beschneidung, keine Taufe, kein garnichts. Indoktrination dagegen wäre "Es gibt Gott XY, er will dass du so und so lebst, tust du das nicht kommst du in die Hölle." (vor allem auch weil dem Kind, das seinen Eltern natürlich vertraut, damit suggeriert wird, die Eltern
wüssten das mit absoluter Sicherheit was dem Prinzip
Glauben eigentlich diametral entgegensteht), damit verbunden sind dann aufgezwungene Rituale wie die Taufe oder Blutopfer wie die Beschneidung. Mit religiöser Erziehung ermögliche ich selbstständiges Denken und Eigenverantwortlichkeit, mit religiöser Indoktrination verhindere ich das.
Und klar, religiös motivierte Beschneidung regt mich mehr auf als wenn die Eltern ihr Kind "einfach so" beschneiden lassen, ich sehe beides aber als absolut gleich strafwürdig an. Was mich an der religiös motivierten Variante mehr aufregt ist schlicht die unglaubliche Dreistheit die damit verbunden ist und dass Menschen dazu neigen Religion als Rechtfertigung für das groteskeste Verhalten zu akzeptieren. Niemand käme auf die Idee das Abschneiden der männlichen Brustwarzen als von der Erziehungsfreiheit gedeckt anzusehen (dabei ist das exakt das Gleiche wie eine Beschneidung, es ist ein nicht lebensnotwendiger Teil des Körpers mit nem Haufen Nervenenden an intimer Stelle [wobei der Penis noch nen Tacken intimer ist] der irreparabel entfernt wird), aber an dem Penis eines kleinen Jungen herumzuschnippeln wird einfach so hingenommen "weil es ja ein Jahrtausende altes Ritual ist". Menschen die Religion deartig praktizieren reduzieren sie auf
das hier und das ist ne Riesensauerei weil Religion eben auch viele Menschen zu einer Menge guter Taten veranlasst hat und vielen durch schwierige Lebensabschnitte hindurchhilft. Religion ist kein bescheurtes Opferritual, auf genau das wird sie aber von Leuten, die das als einen Kernbereich verkaufen, reduziert.