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Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Samstag 19. September 2015, 19:55
von Gelöschter Nutzer
Hallo liebe Foristen,

Staatsrecht II ist nun schon eine Weile her und ich beschäftige mich gerade mit dem Aufbau der Verfassungsbeschwerde.

Bei mehreren möglichen Grundrechtsverstößen ( z.B. Art. 12 I, 14 I, 3 I) prüft man diese
ja als eigenständige Unterpunkte der Begründetheit. Wenn ich nun aber innerhalb der Prüfung des Art. 12 die materielle Verfassungsmäßigkeit der belastenden Norm betrachte, müsste ich doch logischerweise die anderen möglichen Verstöße gegen die anderen Grundrechte gleich mit prüfen. Das widerspricht aber jedem Aufbau, den ich bisher gesehen habe. Aber die Schranke muss doch vollständig verfassungsmäßig sein um auch nur Art. 12 wirksam einzuschränken oder? Aus den Lehrbüchern werde ich leider nicht schlau. ](*,)

LG stud.iur

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 11:41
von Vortex
Das ist im Prinzip die Elfes-Konstruktion, die aber abseits von Art. 2 I GG, wenn ich mich richtig erinnere, keine Anwendung findet bzw. (jedenfalls in Klausuren) unüblich ist. Außerdem, wieso sollte sich jmd., dessen Berufsfreiheit möglicherweise verletzt ist, durch diesen Umweg faktisch auf bspw. Art. 6 I GG berufen können? (BVerfG =/= Superrevisionsinstanz)

Bei Art. 2 I GG stellt sich das Problem schon eher, weil dort im Vorbehalt explizit von "verfassungsmäßige Ordnung" die Rede ist, bei den spezielleren Grundrechten verwirrst du mE. den Korrektor damit nur.

Hier noch ein alter Thread dazu (aber auch zu Art. 2 I GG): http://forum.jurawelt.com/viewtopic.php?f=44&t=24603

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 12:17
von Gelöschter Nutzer
Erstmal Vielen Dank ;)

Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann kann also eine Norm, die gegen ein Grundrecht verstößt trotzdem eine wirksame Schranke (da sonstiges Verfassungsrecht einegehalten wurde) für ein anderes sein. Dann wäre der Prüfungspunkt bb) ja eigentlich fehlerhaft benannt und sollte eher Materielle Einschränkungsanforderungen heißen.

Bsp: 1. Eingriff in den Schutzbereich des einzelnen Grundrechts
2. Rechtfertigung
a) Schranke (bzw. Einschränkbarkeit)
b) Schranken-Schranken
aa) Formelle REchtmäßigkeit des Gesetzes
bb) Materielle Rechtmäßigkeit des Gesetzes

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 12:26
von Honigkuchenpferd
Deine ursprünglichen Überlegungen waren im Ausgangspunkt völlig richtig: Soweit man die "Elfes-Konstruktion" anerkennt, findet sie im Übrigen auf alle (Freiheits-)Grundrechte Anwendung. Es wäre ja auch völlig widersinnig, wenn Art. 2 I GG stärker geschützt würde als andere Grundrechte. Allerdings wird das Problem im Gutachten in der Regel einfach (wortlos) übergangen, damit man nicht inzident andere Grundrechte prüfen muss. Man prüft beim ersten Grundrecht die formelle Verfassungsmäßigkeit und dann die materielle Verfassungsmäßigkeit gerade in Bezug auf dieses Grundrecht. Erst anschließend prüft man sonstige Grundrechte. Man muss nur aufpassen, sich nicht zu widersprechen.

Die Drittbetroffenheit ist ein Aspekt, der das Ganze zusätzlich verkompliziert, den man aber davon unterscheiden sollte.

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 13:18
von Vortex
StudIur hat geschrieben:Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann kann also eine Norm, die gegen ein Grundrecht verstößt trotzdem eine wirksame Schranke (da sonstiges Verfassungsrecht einegehalten wurde) für ein anderes sein.
Nein, das nicht unbedingt, aber du prüfst ja weiter unten dann sowieso die in Betracht kommenden weiteren Grundrechtsverstöße, d.h. der einzige Unterschied ist eigentlich, dass du zwar evtl. ein bisschen Dogmatik einbüßt, aber dafür an Übersichtlichkeit gewinnst, denn ich denke, kein Korrektor will gerne so einen extrem verschachtelten Aufbau sehen.

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 13:25
von Ara
Größere Schwierigkeiten macht es doch eigentlich in der Prüfung des konkreten Einzelaktes.

In der Verhältnismäßigkeit muss ich dann ja gegebenenfalls eine praktische Konkordanz bilden. Wenn ich auf Seiten des Beschwerdeführers nur isoliert das einzelne Grundrecht anbringen darf (weil ich später die anderen noch prüfe), aber auf der Seiten das Wohl der Allgemeinheit habe und möglicherweise hier sehr viele verschiedene Grundrechte anderer Leute anbringe, dann ergibt es ja gleich 2 Probleme.

1. Wiederholt sich die Prüfung inhaltlich mehrfach

2. Die verschiedenen Grundrechte können sich ja wechselseitig verstärken, so dass die Interessen der Allgemeinheit zwar die einzelnen Einschränkungen rechtfertigen kann, jedoch nicht in ihrer Gesamtheit.

Eine Lösung das sauber darzustellen hab ich aber auch noch nicht gefunden.

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 13:36
von Vortex
Zudem habe ich mir gerade folgendes überlegt. Wahrscheinlich super dumm, weil zu sehr auf die Spitze getrieben, aber müsste es iSd. Elfes-Konstruktion nicht korrekterweise z.B. so ablaufen:

"Das Gesetz müsste eine taugliche Schranke für Art. 12 I GG sein. Dazu müsste es verfassungsgemäß sein. Das Gesetz müsste also bspw. mit Art. 5 I GG in Einklang stehen. Dazu müsste es eine taugliche Schranke für Art. 5 I GG sein. Dazu müsste es verfassungsgemäß sein... usw. usf."

(Also wieso nicht gleich von Anfang an sich das Ganze sparen...)

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 13:40
von Honigkuchenpferd
Bei ganz konsequenter Anwendung kann die Elfes-Konstruktion tatsächlich zu einem völlig absurden Zirkel führen, wenn (potentiell) mehrere Grundrechte berührt sind. Rein praktisch muss man halt irgendwo ansetzen. Am besten, man hält in Klausuren schön den Ball flach.

Was den Einzelakt angeht, würde ich im Übrigen dazu raten, lieber alle Karten sofort auf den Tisch zu legen.

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 13:54
von Ara
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Bei ganz konsequenter Anwendung kann die Elfes-Konstruktion tatsächlich zu einem völlig absurden Zirkel führen, wenn (potentiell) mehrere Grundrechte berührt sind. Rein praktisch muss man halt irgendwo ansetzen. Am besten, man hält in Klausuren schön den Ball flach.

Was den Einzelakt angeht, würde ich im Übrigen dazu raten, lieber alle Karten sofort auf den Tisch zu legen.
Das heißt du würdest es konkret wie machen?

Beispielsweise Art. 12 GG und Art. 14 GG sind gleichermaßen betroffen

I. Art. 12 GG
1. Schutzbereich
2. Eingriff
3. Rechtfertigung
Hier Verhältnismäßig mit Erwähnung von Art. 12 GG und Art. 14 GG?

II. Art. 14 GG
1. Schutzbereich
2. Eingriff
3. Rechtfertigung
Verweis nach oben?

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 14:05
von Honigkuchenpferd
Art. 14 I GG würde ich bei Art. 12 I GG noch nicht ausdrücklich ansprechen, aber halt alle Aspekte, die in der Sache relevant sind, erwähnen und mir nichts für Art. 14 I GG "aufsparen". Soweit es bei Art. 14 I GG nicht besondere Gesichtspunkte gibt, würde ich dann im Wesentlichen tatsächlich nur nach oben verweisen.

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 16:05
von Gelöschter Nutzer
Ok,

ich danke euch allen herzlich für die Erläuterungen =D>

Eine Frage stellt sich mir aber noch.
Wie ist das mit eurem Beispiel, wenn man bei einem Grundrecht schon im Schutzbereich rausfliegt obwohl das Gesetz trotzdem das selbe Grundrecht bei anderen verletzt?

Bsp:
I. Artikel 12
1. Schutzbereich (-)
II. Artikel 14
1. Schutzbereich (+)
2. Eingriff (+)
3. Rechtfertigung
a) Schranke
b) Schranken-Schranken
aa) Formell
bb) Materiell
(1) Vereinbarkeit mit Art. 12 ?

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Sonntag 20. September 2015, 16:14
von Honigkuchenpferd
Das könntest du dann in der Tat nur inzident prüfen. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass so etwas jemals erwartet wird.

Re: Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz

Verfasst: Montag 21. September 2015, 09:58
von Gelöschter Nutzer
Ok, ich habs verstanden. Nochmals Vielen Dank für all die Antworten