§ 15 I VersG - Grundrechte Dritter auf Tatbestandsseite?

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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Gelöschter Nutzer

§ 15 I VersG - Grundrechte Dritter auf Tatbestandsseite?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Eine etwas dumme Frage, aber:

Genügt jede (unmittelbare) Beeinträchtigung von Grundrechten Dritter, um auf Tatbestandsseite eine "unmittelbare Gefahr" für die öffentliche Sicherheit durch eine Versammlung annehmen, selbst dann, wenn es sich um "typische" Folgen einer Versammlung handelt? (in einer Klausur freilich nur, soweit dazu vorgetragen wird)

Bsp.: Versammlung auf dem Marktplatz, die Behörde macht nur geltend, dass dadurch Geschäfte auf dem Platz mit Umsatzeinbußen rechnen müssen und dass normale Passanten nicht den Marktplatz überqueren können.

Würdet ihr jetzt auf Tatbestandsseite eine "unmittelbare Gefahr für die öff. Sicherheit", hier in Gestalt von Art. 2 I GG der Passanten, Art. 12 I, 14 I GG (Gewerbebetrieb) der Geschäftsleute annehmen, und dann lediglich auf Rechtsfolgenseite eine hierauf gestützte Auflage (Verlegung der Versammlung an einen anderen Ort) als unverhältnismäßig/ermessensfehlerhaft ansehen, da natürlich hier Art. 8 I, 5 I GG Vorrang haben?

Das klingt zwar formal richtig, kommt mir aber irgendwie komisch vor. Bedarf es nicht bereits auf Tatbestandsseite einer Gefahr, die über typische Nebenfolgen einer Versammlung (= reguläre Beeinträchtigung für Anwohner und Geschäftsleute) hinausgeht?

Abwandlung: auf dem Marktplatz findet am Samstag immer ein Wochenmarkt statt. Hier würde ich Art. 12 I GG wohl erst auf Rechtsfolgenseite zurücktreten lassen.

Was meint ihr? Vielen Dank!
Parvis
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Registriert: Samstag 17. Januar 2015, 19:22

Re: § 15 I VersG - Grundrechte Dritter auf Tatbestandsseite?

Beitrag von Parvis »

Hallo Suchender_,

auch wenn der Thread jetzt schon eine Weile offen ist, hilft dir meine Antwort vielleicht weiter.
Die Grundrechte sind m.E. aus Gründen der Folgerichtigkeit vollständig auf der Tatbestandsseite zu prüfen, wobei das nicht ganz unumstritten ist (s. letzter Absatz).

Um den Tatbestand zu bejahen, muss bereits die Gefahr bestehen, dass in absehbarer Zeit ein Schutzgut tatsächlich beeinträchtigt wird. Das erfordert, dass die Grundrechte bei Verwirklichung der Gefahr (also mit Eintreten der Störungen von Passanten und Gewerbetreibenden) tatsächlich verletzt werden. Das kann hier mangels unmittelbarer Grundrechtsbindung der sich Versammelnden nur der Fall sein, wenn der Staat eine Schutzpflicht (aus Art. 2 I, 12 I, 14 I GG) verletzt, indem er die Störungen nicht verhindert. Ob und inwieweit die Unterbindung solcher Störungen angemessen wäre, muss auch unter Berücksichtigung entgegenstehender Grundrechte Dritter beantwortet werden (vgl. BVerfGE 88, 203, 254). Hier wäre dann bereits eine Abwägung angezeigt, an deren Ende stehen kann, dass im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit und der örtlich und zeitlich begrenzten Versammlung die (idR ohnehin geringfügigen) Beeinträchtigungen der entgegenstehenden Grundrechte hinzunehmen sind.

Die Gegenansicht verlegt die Überprüfung, ob eine staatl. Schutzpflicht besteht und verletzt wird, auf die Rechtsfolgenseite, da bejahendenfalls das Ermessen auf Null reduziert wäre (vgl. das AS-Skript POR NRW, Rn. 61). Dagegen spricht aber, dass das Bestehen einer Gefahr (Nichtverhindern v. Störungen als künftige Verletzung von Grundrechten) und das Ermessen über die zu treffenden Maßnahmen (Versammlungsverbot oder -verlegung) zwei unterschiedliche Fragen sind, die auch gesondert geprüft werden müssen.
Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuens.
Gelöschter Nutzer

Re: § 15 I VersG - Grundrechte Dritter auf Tatbestandsseite?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich habe deine Antwort erst jetzt gesehen, vielen Dank!
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