Welche Grundrechte muss man prüfen?

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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Rudelfuchs
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Welche Grundrechte muss man prüfen?

Beitrag von Rudelfuchs »

Hallo Forenmitglieder,

muss man in der Begründetet einer Verfassungsbeschwerde in einer Klausur nur die Grundrechte prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt beruft? Oder muss man auch andere Grundrechte (die in Betracht kommen) prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt nicht berufen hat?

Ich habe gerade einen Fall nachgearbeitet, bei der in der Lösung ein Grundrecht geprüft wird, auf das sich der Beschwerdeführer nicht berufen hat.
Nach meiner Auffassung ist es aber richtig, nur die Grundrechte zu prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer berufen hat. Denn das BVerfG ist an den Streitgegenstand gebunden und darf damit nicht über ihn hinaus gehen, vgl Art 93 I Nr. 4 a GG und § 90 I BVerfGG. Gleiches gilt auch im Verwaltungsrecht nach § 88 VwGO. Der Streitgegenstand richtet sich primär nach dem Begehren des Beschwerdeführers und damit nur auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechte.

Wie ist das in der Praxis? Prüft das BVerfG nur die geltend gemachten Grundrechte oder alle in Betracht kommenden Grundrechte, auch wenn sie in der Verfassungsbeschwerde nicht geltend gemacht wurden?
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Justitian
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Re: Welche Grundrechte muss man prüfen?

Beitrag von Justitian »

Rudelfuchs hat geschrieben: Sonntag 19. April 2020, 13:53 Hallo Forenmitglieder,

muss man in der Begründetet einer Verfassungsbeschwerde in einer Klausur nur die Grundrechte prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt beruft? Oder muss man auch andere Grundrechte (die in Betracht kommen) prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt nicht berufen hat?

Ich habe gerade einen Fall nachgearbeitet, bei der in der Lösung ein Grundrecht geprüft wird, auf das sich der Beschwerdeführer nicht berufen hat.
Nach meiner Auffassung ist es aber richtig, nur die Grundrechte zu prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer berufen hat. Denn das BVerfG ist an den Streitgegenstand gebunden und darf damit nicht über ihn hinaus gehen, vgl Art 93 I Nr. 4 a GG und § 90 I BVerfGG. Gleiches gilt auch im Verwaltungsrecht nach § 88 VwGO. Der Streitgegenstand richtet sich primär nach dem Begehren des Beschwerdeführers und damit nur auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechte.

Wie ist das in der Praxis? Prüft das BVerfG nur die geltend gemachten Grundrechte oder alle in Betracht kommenden Grundrechte, auch wenn sie in der Verfassungsbeschwerde nicht geltend gemacht wurden?
Streitgegenstand ist der Akt öffentlicher Gewalt, nicht die Rechtsansicht des Beschwerdeführers.
Die Frage ist aber zwischen den beiden Senaten umstritten.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
Rudelfuchs
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Re: Welche Grundrechte muss man prüfen?

Beitrag von Rudelfuchs »

Justitian hat geschrieben: Montag 20. April 2020, 00:44
Rudelfuchs hat geschrieben: Sonntag 19. April 2020, 13:53 Hallo Forenmitglieder,

muss man in der Begründetet einer Verfassungsbeschwerde in einer Klausur nur die Grundrechte prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt beruft? Oder muss man auch andere Grundrechte (die in Betracht kommen) prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt nicht berufen hat?

Ich habe gerade einen Fall nachgearbeitet, bei der in der Lösung ein Grundrecht geprüft wird, auf das sich der Beschwerdeführer nicht berufen hat.
Nach meiner Auffassung ist es aber richtig, nur die Grundrechte zu prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer berufen hat. Denn das BVerfG ist an den Streitgegenstand gebunden und darf damit nicht über ihn hinaus gehen, vgl Art 93 I Nr. 4 a GG und § 90 I BVerfGG. Gleiches gilt auch im Verwaltungsrecht nach § 88 VwGO. Der Streitgegenstand richtet sich primär nach dem Begehren des Beschwerdeführers und damit nur auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechte.

Wie ist das in der Praxis? Prüft das BVerfG nur die geltend gemachten Grundrechte oder alle in Betracht kommenden Grundrechte, auch wenn sie in der Verfassungsbeschwerde nicht geltend gemacht wurden?
Streitgegenstand ist der Akt öffentlicher Gewalt, nicht die Rechtsansicht des Beschwerdeführers.
Die Frage ist aber zwischen den beiden Senaten umstritten.
Danke für deine Antwort.

Der Streitgegenstand richtet sich nach dem in der Klage gefassten Klagebegehren und dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (sog zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Man kennt diesen Streitgegenstandsbegriff vor allem aus der ZPO-Vorlesung. Meines Wissens gilt dieser aber für die ganze Prozessrechtsordnung.

Da diese Frage innerhalb der Senate umstritten ist, kann ich leider nicht sicherheitshalber einer hM folgen. Mir sind daher folgende zwei Vorgehensweisen in den Kopf gekommen. Welche würdest du favorisieren?

1. Man prüft nur die im Sachverhalt genannten Grundrechte. Wenn dann noch weitere Grundrechte in Betracht kommen, schreibt man folgendes bei der Zulässigkeitsvoraussetzung Beschwerdebefugnis: "Vorliegend kommt auch ein Abwehrrecht des A aus Art X GG in Betracht. A hat sich jedoch nicht auf dieses Grundrecht berufen. Fraglich ist, ob dieses Grundrecht iRd Verfassungsbeschwerde überhaupt überprüft werden kann. Das BVerfG ist an den Streitgegenstand des Verfahrens gebunden. Der Streitgegenstand richtet sich nach dem in der Klage gefassten Klagebegehren und dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (sog zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Da A dieses Grundrecht nicht geltend gemacht hat, sind sie nicht von seinem Klagebegehren erfasst und damit nicht Teil des Streitgegenstandes. Damit kann dieses Grundrecht nicht iRd Verfassungsbeschwerde des A geprüft werden."

2. Oder man prüft im Examen stets alle in Betracht kommenden Grundrechte.
arlovski
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Re: Welche Grundrechte muss man prüfen?

Beitrag von arlovski »

wenn die fallfrage nicht limitiert indem sie nach bestimmten grundrechten fragt, pruefst du alle realistischerweise in betracht kommenden grundrechte. ein 'berufen' laesst sich doch in aller regel dem vortrag entnehmen, auch wenn der herr das grundrecht nicht beim namen nennt

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OJ1988
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Re: Welche Grundrechte muss man prüfen?

Beitrag von OJ1988 »

Die Frage der Limitierung der Prüfung auf die geltend gemachten Grundrechte stellt sich in einer Examensklausur nicht, in der nach Sachverhalt noch gar kein Rechtsbehelf eingelegt wurde, sondern zunächst einmal die Erfolgsaussichten eines solchen geprüft werden sollen.
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Justitian
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Re: Welche Grundrechte muss man prüfen?

Beitrag von Justitian »

Rudelfuchs hat geschrieben: Montag 20. April 2020, 10:18
Justitian hat geschrieben: Montag 20. April 2020, 00:44
Rudelfuchs hat geschrieben: Sonntag 19. April 2020, 13:53 Hallo Forenmitglieder,

muss man in der Begründetet einer Verfassungsbeschwerde in einer Klausur nur die Grundrechte prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt beruft? Oder muss man auch andere Grundrechte (die in Betracht kommen) prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer im Sachverhalt nicht berufen hat?

Ich habe gerade einen Fall nachgearbeitet, bei der in der Lösung ein Grundrecht geprüft wird, auf das sich der Beschwerdeführer nicht berufen hat.
Nach meiner Auffassung ist es aber richtig, nur die Grundrechte zu prüfen, auf die sich der Beschwerdeführer berufen hat. Denn das BVerfG ist an den Streitgegenstand gebunden und darf damit nicht über ihn hinaus gehen, vgl Art 93 I Nr. 4 a GG und § 90 I BVerfGG. Gleiches gilt auch im Verwaltungsrecht nach § 88 VwGO. Der Streitgegenstand richtet sich primär nach dem Begehren des Beschwerdeführers und damit nur auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechte.

Wie ist das in der Praxis? Prüft das BVerfG nur die geltend gemachten Grundrechte oder alle in Betracht kommenden Grundrechte, auch wenn sie in der Verfassungsbeschwerde nicht geltend gemacht wurden?
Streitgegenstand ist der Akt öffentlicher Gewalt, nicht die Rechtsansicht des Beschwerdeführers.
Die Frage ist aber zwischen den beiden Senaten umstritten.
Danke für deine Antwort.

Der Streitgegenstand richtet sich nach dem in der Klage gefassten Klagebegehren und dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (sog zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Man kennt diesen Streitgegenstandsbegriff vor allem aus der ZPO-Vorlesung. Meines Wissens gilt dieser aber für die ganze Prozessrechtsordnung.

Da diese Frage innerhalb der Senate umstritten ist, kann ich leider nicht sicherheitshalber einer hM folgen. Mir sind daher folgende zwei Vorgehensweisen in den Kopf gekommen. Welche würdest du favorisieren?

1. Man prüft nur die im Sachverhalt genannten Grundrechte. Wenn dann noch weitere Grundrechte in Betracht kommen, schreibt man folgendes bei der Zulässigkeitsvoraussetzung Beschwerdebefugnis: "Vorliegend kommt auch ein Abwehrrecht des A aus Art X GG in Betracht. A hat sich jedoch nicht auf dieses Grundrecht berufen. Fraglich ist, ob dieses Grundrecht iRd Verfassungsbeschwerde überhaupt überprüft werden kann. Das BVerfG ist an den Streitgegenstand des Verfahrens gebunden. Der Streitgegenstand richtet sich nach dem in der Klage gefassten Klagebegehren und dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (sog zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Da A dieses Grundrecht nicht geltend gemacht hat, sind sie nicht von seinem Klagebegehren erfasst und damit nicht Teil des Streitgegenstandes. Damit kann dieses Grundrecht nicht iRd Verfassungsbeschwerde des A geprüft werden."

2. Oder man prüft im Examen stets alle in Betracht kommenden Grundrechte.
Also einmal wurde ja bereits gesagt dass sich die Frage meistens nicht stellen dürfte. Des Weiteren ist der Beschwerdeführer in der Klausur ja künstlich: er wird sich auf die Grundrechte berufen, die in der Lösungsskizze ausschließlich oder zumindest schwerpunktmäßig vorkommen.

Abgesehen davon würde ich grundsätzlich die zweite Variante favorisieren und vollumfänglich prüfen. Es dürfte sich durch alle Prozessordnungen ziehen dass Rechtsansichten nicht den Streitgegenstand bestimmen.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
Rudelfuchs
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Re: Welche Grundrechte muss man prüfen?

Beitrag von Rudelfuchs »

OJ1988 hat geschrieben: Dienstag 21. April 2020, 09:51 Die Frage der Limitierung der Prüfung auf die geltend gemachten Grundrechte stellt sich in einer Examensklausur nicht, in der nach Sachverhalt noch gar kein Rechtsbehelf eingelegt wurde, sondern zunächst einmal die Erfolgsaussichten eines solchen geprüft werden sollen.
Das stimmt. Mein Fehler. Danke!
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