Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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Gelöschter Nutzer

Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Eine eher rechtspolitische Frage, aber warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Konkret geht es mir darum, dass im Baurecht regelmäßig nur der Gebietserhaltungsanspruch bezüglich der Art der Nutzung, das RSNG und ein paar bauordnungsrechtliche Normen drittschützend sind. Allerdings wird diese strikte Linie in letzter Zeit etwas aufgeweicht.

Wie erklärt sich dieser sehr eingeschränkte Rechtsschutz für Nachbarn usw? Natürlich findet er seine Grundlage insbesondere in den §§ 42 I, 113 I 1 VwGO, aber diese Normen setzen nur ein subjektives Recht voraus und geben nicht vor, wann es vorliegt. Bekanntlich (RSNG) hat die Rspr insoweit viel Spielraum. Auch das Argument drr Vermeidung von Popularklagen zieht nicht wirklich, da in der Regel nur mehr oder weniger faktisch Betroffene klagen werden und man dies jedenfalls auch durch andere, großzügigere Hürden gewährleisten könnte.

Pointiert gesagt geht es mir um die folgende Konstellation: der unmittelbare Nachbar baut ein evident rechtswidriges Haus, überschreitet etwa die Geschosszahl und sämtliche Vorgaben für die äußere Gestaltung des Hauses. Allerdings sind keine klassisch drittschützenden Normen betroffen. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten:

Entweder die Behörde handelt ohnehin selbst (erteilt keine Baugenehmigung, schreitet ein usw). In diesem Fall ist es egal, ob drittschützende Normen verletzt sind. Oder die Behörde handelt, warum auch immer, nicht. Warum sollten nun im letztgenannten Fall die Nachbarn gegen diesen evident rechtswidrigen Bau nicht vorgehen dürfen? Welches rechtspolitische Interesse steht hinter dieser Wertentscheidung?

Nun kann man auch nicht zirkulär argumentieren, sie könnten nicht einschreiten, weil ihre subjektiven Rechte nicht betroffen sind, weil die Frage ja gerade ist, warum subjektive Rechteso eng ausgelegt werden. Außerdem ist nicht ersichtlich, warum etwa die Art des Baugebietes von jedem Planbetroffenen geltend gemacht werden kann, alleine weil er sich selbst daran hält (Austauschverhältnis), aber nicht das gleiche für andere Festsetzungen gilt (im Grundsatz, die neuere Rechtssprechung ist mir bekannt). Ist es "schlimmer" wenn ein kleiner Handwerksbetrieb im reinen Wohngebiet als wenn ein Hochhaus im Einfamilienhausviertel gebaut wird?

Ob die Behörde in diesem oder jenem Fall ohnehin einschreiten würde, hat übrigens nichts mit der dogmatischen Frage zu tun.
Sektnase
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Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Sektnase »

Vermutlich einfach die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten!? Und zwar solcher, an denen die Behörde kein Interesse hat. Der Drittschutz gibt da zerstrittenen Nachbarn schon nochmal Pulver für ihren Kleinkrieg. Warum aber z.B. die Geschosszahl insoweit weniger schlimm sein sollte als das Nichteinhalten von 10 cm Abstand bei der Hecke, was zu einer begründeten Klage führen könnte? Gute Frage..
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
Herr Schraeg
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Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Herr Schraeg »

Warum sollte ich rechtlich und faktisch betroffen sein, wenn mein Nachbar irgendwelche Gestaltungsvorgaben nicht einhält? Klagebefugnis, weil mir das Nachbarbauvorhaben ästhetisch nicht gefällt? Wenn die Rechtswidrigkeit des Nachbarbauvorhabens zu konkreten nachteiligen Auswirkungen auf mein Grundstück führt (z.B. Verschattungseffekte infolge überhöhter Geschosszahl), dann ja, ansonsten nicht.

Das ist ja auch der Grund für den drittschützenden Charakter des Gebietserhaltungsanspruchs: wenn mein Wohngebiet in ein Mischgebiet umkippt, beeinträchtigt mich das. Also kann ich die Einhaltung auch geltend machen. Die unzulässige Dachfarbe beeinträchtigt mich nicht.
Gelöschter Nutzer

Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Herr Schraeg: du begründest das Ergebnis nicht, sondern setzt es voraus.

Dass irgendein einzelner Handwerksbetrieb am anderen Ende des Baugebietes mich faktisch mehr beeinträchtigt als das Hochhaus next door, das Schatten spendet (was übrigens gegenwärtig nicht ausreicht), mir die Sicht verbaut und noch dazu aufgrund seiner mit dem Verunstaltungsgebot unvereinbaren Gestaltung den Grundstückswert erheblich verringert, bestreite ich ausdrücklich.

Mir ist bewusst, dass diese Erwägungen klassisch nicht geeignet sind, Drittschutz zu begründen. Gleichwohl sind es sehr wohl Verstöße gegen das materielle Recht. Deshalb ist gerade meine Frage, warum diese trotz bestehender faktischer Beeinträchtigung kein subjektives Recht des Nachbarn begründen, andere Rechtsverstöße dagegen schon, selbst wenn hiermit eine faktische geringere Beeinträchtigung einher geht.
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Strich
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Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Strich »

Der Bürger hat keinen Anspruch darauf, dass ein anderer Bürger das (objektive) Recht einhält. Er hat es nur gegenüber dem Staat (der ermessensfehlerfrei über seinen Antrag auf Einschreiten entscheiden müsste).
Hiergegen wirst du einwenden, dass das wiederum nur das Argument der Popularklage sei. Es ist aber mehr: der Drittschutz ist die begründungsbedürftige Ausnahme in unserem Rechtssystem und deshalb bis an die Grenzen der Rechte Dritter zurückdrängbar (falls das ein Wort ist ^^)
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

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Herr Schraeg
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Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Herr Schraeg »

Suchender_ hat geschrieben: Mittwoch 20. Mai 2020, 11:36 Herr Schraeg: du begründest das Ergebnis nicht, sondern setzt es voraus.
Pfft [-X war meine erste Reaktion. Bei einigem Nachdenken befüchte ich aber, dass Du mit Deiner Bemerkung recht hattest. Deshalb ein zweiter Versuch einer Antwort:

Ausgangspunkt ist für mich § 113 I 1 VwGO, der zur Vermeidung der Popularklage neben der Rechtswidrigkeit des VA die Verletzung eigener Rechte voraussetzt. Diese subjektiven öffentlichen Rechte lassen sich im Sinne einer tatsächlichen Betroffenheit oder einer besonderen Rechtsbetroffenheit verstehen. Aus der historischen Entwicklung heraus wird in Deutschland schon immer die letztgenannte Meinung in Gestalt der Schutznormtheorie vertreten. Die verletzten Rechte müssen sich aus einer Norm ergeben, die auch den Schutz des Klagenden bezweckt.

Solche Normen gibt es im Nachbarbaurecht an sich kaum (im wesentlichen nur die Regelungen zu den Abstandsflächen), was in der Praxis zu einer Vielzahl von rechtswidrigen Baugenehmigungen und Rechtsschutzlücken führen würde. Also steuerten Rechtsprechung und Literatur durch die Konstruktion nachbarschützender Instrumente gegen: Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungsanspruch, Rücksichtnahmegebot oder eben jüngst das nachbarschaftliche Austauschverhältnis der Wannsee-Entscheidung. Die Extremfälle - Dein Beispiel des Hochhauses im Wohngebiet - lassen sich damit ohne weiteres in den Griff kriegen.

In Deinem Sinne liessen sich bestimmt weitere Instrumente zum Nachbarschutz der Bestimmungen über das Mass der baulichen Nutzung konstruieren; insbesondere das nachbarschaftliche Austauschverhältnis bietet da viel Raum für Phantasie. Aber jede weitere Ausnahmekonstruktion stellt die Berechtigung der Aufrechterhaltung der Schutznormtheorie, die ohnehin schon aus europarechtlicher Sicht fragwürdig ist, noch mehr in Frage. Von dieser liebgewonnenen Prämisse der Schutznormtheorie will sich aber derzeit die h.M. nicht verabschieden.

Selbst wenn die Schutznormtheorie irgendwann fällt und die Verletzung eigener Rechte im Sinne einer tatsächlichen Betroffenheit verstanden werden wird (so wie Du das im Ergebnis forderst), erledigen sich Abgrenzungs- und Rechtsschutzprobleme nicht, sondern stellen sich neu, nur eben von der anderen Seite (wie begrenze ich das Zuviel an Rechtsschutz im Nachbarbaurecht?). Bin ich von Deinem verunstalteten Haus betroffen und damit klagebefugt, wenn ich täglich daran vorbeilaufe und mein ästhetisches Empfinden gestört wird? Wie ist das, wenn ich 200 Meter entfernt wohne und das Haus vom Garten aus sehe? Wirkt sich das hässliche Haus auf dem Nachbargrundstück tatsächlich auf den Immobilienwert meines Grundstücks aus und wie wird das festgestellt? Bietet eine aus diesen Fragen entwickelte Formel mehr Rechtssicherheit als "Schwere und Unerträglichkeit" des heutige Rücksichtnahmegebots?
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Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von gola20 »

Weil Häuser teuer sind. Du vernichtest Existenzen, wenn du ein Haus vom Nachbarn (teil)abreißen lässt, weil das Haus 10 cm zu breit ist.
Liz
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Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Liz »

gola20 hat geschrieben:Weil Häuser teuer sind. Du vernichtest Existenzen, wenn du ein Haus vom Nachbarn (teil)abreißen lässt, weil das Haus 10 cm zu breit ist.
Und weil man eher querulatorischem Vorbringen keinen Vorschub leisten möchte. Ich habe einen Nachbarschaftsstreit, in dem die eine Seite etwas daraus herleiten möchte, dass das Regenfallrohr des gegnerischen Hauses um ca. 3 cm in den Grenzabstand hineinragt. Selbst wenn dem so sein sollte, tut es keinem weh, wenn es da bleibt.

gola20
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Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von gola20 »

Es leidet ja auch der Falsche. Die Familie ist ihr Eigenheim los und im Zweifel hat der Architekt alles geplant und ausgeführt.
Gelöschter Nutzer

Re: Warum wird Drittschutz im Baurecht so zögerlich gewährt?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Wobei das ja auch vom Einzelfall abhängt. Es ist ja durchaus denkbar, dass Vorgaben bewusst ignoriert oder überschritten werden, wohl wissend, dass kein Drittschutz besteht und dir Behörde sehr zurückhaltend ist.
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