Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

Liz
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 3246
Registriert: Sonntag 22. Oktober 2017, 17:03
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Liz »

@Sektnase: Das war doch, wenn ich es richtig verstanden habe, im Ausgangspunkt lediglich ein Beispiel dafür, dass ggf auch ein einzelner Richter am Telefon weitreichende, höchst grundrechtsrelevante Entscheidungen treffen muss. Und das ist die logische Konsequenz, wenn man in diesen Situationen eine richterliche Entscheidung verlangt (was m. E. richtig ist), anstatt die Polizei alleine entscheiden zu lassen.
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2271
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Strich »

Liz hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 14:41 Natürlich kann man im luftleeren Raum diskutieren, was wünschenswert wäre. Diese Erkenntnisse bringen einem aber für die Praxis und / oder die Beurteilung, ob bestimmte Entscheidungen - so wie sie von der Politik getroffen werden - tatsächlich gut sind, relativ wenig.
Naturalistischer Fehlschluss, nicht zum ersten mal. Aber gut, wir sind wieder beim Seminar "Logik für Juristen" angekommen ^^
Da bemerke ich doch lieber gleich, dass einige Gerichte es beispielsweise nicht lange mitmachen, wenn Stellen ewig unbesetzt bleiben. Da wird dann irgendwann der Aussetzungsbeschluss rausgeholt und damit begründet, dass der Senat/Kammer nicht (mehr) ordnungsgemäß besetzt ist, weil die Vertretungszeit zu lange andauerte. Bei deinen Ansichten frage ich mich immer, wieviel eigentlich passieren muss, bis bei dir aus dem Sein kein Sollen mehr folgt ^^
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Liz
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 3246
Registriert: Sonntag 22. Oktober 2017, 17:03
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Liz »

@Strich: Immer wieder erstaunlich, wie viel Energie Du darauf verwendest, andere misszuverstehen, um ihnen am Ende irgendwelche angeblichen Logikfehler unterstellen zu können.
Theopa
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1328
Registriert: Mittwoch 9. Juli 2014, 18:09
Ausbildungslevel: RA

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Theopa »

Liz hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 14:41 Natürlich kann man im luftleeren Raum diskutieren, was wünschenswert wäre. Diese Erkenntnisse bringen einem aber für die Praxis und / oder die Beurteilung, ob bestimmte Entscheidungen - so wie sie von der Politik getroffen werden - tatsächlich gut sind, relativ wenig.
Es gibt auch Kompromisslösungen.

Natürlich macht es keinen Sinn zu diskutieren ob man mit 12 Richtern pro Kammer vielleicht bessere Urteile hätte, da das selbst in optimistischsten Idealfällen nie passieren wird. Allerdings ist es ebenso sinnfrei die aktuelle Realität als unumstößliche Grenze zu nehmen.

Da wären wir wieder beim Richter, der deshalb "rügenswert langsam" sein soll, da er nicht so schnell wie seine Kollegen ist. Heute hatte ich auch wieder so einen Schleicher vor mir, der im 60er Bereich in dem hier gewohnheitsrechtlich 70-80 gilt tatsächlich 60 gefahren ist: Hätte ich hupen sollen, da er (war wirklich so) alle aufhält?
Liz
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 3246
Registriert: Sonntag 22. Oktober 2017, 17:03
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Liz »

Theopa hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 18:43 Allerdings ist es ebenso sinnfrei die aktuelle Realität als unumstößliche Grenze zu nehmen.
Was ich indes nicht tue und auch im hiesigen Thread nicht getan habe. Ich habe lediglich angemerkt, dass ich es für problematisch halte, wenn der Bundesgesetzgeber viele tolle Ideen für neue Spezialkammern hat, es dann aber den Ländern überlässt, woher sie die Richter nehmen, die die Verfahren dann tatsächlich auch als Kammersache bearbeiten können.
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2271
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Strich »

Liz hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 17:23 @Strich: Immer wieder erstaunlich, wie viel Energie Du darauf verwendest, andere misszuverstehen, um ihnen am Ende irgendwelche angeblichen Logikfehler unterstellen zu können.
Einem Vierzeiler attestierst du jetzt schon "viel Energie". Jetzt weiß ich, woher deine Haltung zur richterlichen Arbeit und den ganzen Lowperformern kommt :D
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5291
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von thh »

Sektnase hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 10:23Und worauf wollt ihr dann hinaus? Dass das BVerfG will, dass nur noch schnell und fernmündlich entschieden wird?
So ist es.
Sektnase hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 10:23Die Urteile des BVerfG zielen darauf ab, die Praxis, überhaupt keine (!) richterliche Entscheidung zu haben, abzuschaffen und wenigstens irgendeine Form der richterlichen Entscheidungen bei eiligen Ermittlungsmaßnahmen zu haben.
Und dieser Weg ist falsch, denn eine richterliche Entscheidung, die mündlich am Telefon aufgrund der mündlichen Schilderung des Staatsanwalts auf Basis der mündlichen Schilderung des Polizeibeamten ergeht, ist zur verlässlichen Rechtsschutzgewährung wenig geeignet. Es bleibt auch unerfindlich, warum für eine Durchsuchungsmaßnahme zwingend mitten in der Nacht mit dem Ermittlungsrichter telefoniert werden muss, wenn eine Freiheitsentziehung durch vorläufige Festnahme wegen Gefahr im Verzug problemlos bis zum Ablauf des folgenden Tages aufrechterhalten werden kann.

Da hat sich die Rechtsprechung schlicht vergallopiert.
Swann
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 6456
Registriert: Donnerstag 28. Dezember 2006, 09:04

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Swann »

thh hat geschrieben: Freitag 12. Juni 2020, 15:55... wenn eine Freiheitsentziehung durch vorläufige Festnahme wegen Gefahr im Verzug problemlos bis zum Ablauf des folgenden Tages aufrechterhalten werden kann.
Das ist nicht "problemlos", sondern in vielen Fällen schlicht Freiheitsberaubung. Wird jemand wegen Gefahr im Verzug vorläufig festgenommen, ist die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Die Frist bis zum Ablauf des nächsten Tages ist eine Höchstfrist, deren Ausschöpfung nur dann gerechtfertigt ist, wenn zwingende Gründe dies erfordern (BVerfGE 105, 239, 249).
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5291
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von thh »

doohan hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 06:21Hier wird die Möglichkeit rein mündlicher Anordnung auf "einfache Fälle" beschränkt. Wiederholt wird der Ausnahmecharakter. Von einer Verkettung von fernmündlichen Berichten lese ich auch hier nichts.
Insbesondere außerhalb der üblichen Dienstzeiten, aber auch sonst pflegt die Polizei diejenige Behörde zu sein, die mit Straftaten konfrontiert wird, bei denen zeitnahe Ermittlungsverfahren erforderlich sind. Dort wird also ein Sachverhalt bekannt, der eine Durchsuchungsmaßnahme erforderlich macht. Dafür ist eine richterliche Anordnung einzuholen oder dies jedenfalls zu versuchen, ggf. auch fernmündlich. Der Bereich der Gefahr im Verzug ist damit auf solche Fälle beschränkt, bei denen bereits der Versuch, die Anordnung einzuholen, zu einer Verzögerung führt, die den Verlust von Beweismitteln besorgen lässt; das sind seltene Ausnahmefälle.

Zuständig für die Einholung richterlicher Anordnungen im Bereich der Strafverfolgung ist aber nicht die Polizei, sondern die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens. Diese - konkret dann deren Bereitschaftsdienst - ist also fernmündlich über den bislang noch nicht verschrifteten Sachverhalt in Kenntnis zu setzen. Daraufhin trifft die Staatsanwaltschaft die Entscheidung, ob eine Durchsuchung beantragt werden soll oder nicht; bejahendenfalls versucht sie den Bereitschaftsrichter den Sachverhalt telefonisch zu unterbreiten, der ihr zuvor telefonisch unterbreitet wurde. Daher wird in diesen Fällen immer eine Verkettung telefonischer Berichte vorliegen.

Das bietet keinen relevanten Rechtsschutzgewinn, weil die richterliche Entscheidung nicht schriftlich aufgrund vorliegender Akten ergehen kann, und es schränkt zudem die gesetzlich geregelte Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden so weit ein, dass dafür praktisch kein Anwendungsbereich mehr verbleibt. Nichts davon ist sinnvoll.
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5291
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von thh »

Swann hat geschrieben: Freitag 12. Juni 2020, 16:04Das ist nicht "problemlos", sondern in vielen Fällen schlicht Freiheitsberaubung. Wird jemand wegen Gefahr im Verzug vorläufig festgenommen, ist die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Die Frist bis zum Ablauf des nächsten Tages ist eine Höchstfrist, deren Ausschöpfung nur dann gerechtfertigt ist, wenn zwingende Gründe dies erfordern (BVerfGE 105, 239, 249).
Das ist richtig. "Unverzüglich" bedeutet aber "ohne schuldhafte Verzögerung". Es bedeutet nicht, dass die Gerichte auch in der Nacht Vorführungen vornehmen müssten oder auf Grundlage eines (fern-)mündlichen Berichts zu entscheiden hätten. Vielmehr ist eine Entscheidung auch dann noch "unverzüglich", wenn sie erst nach Herstellung einer Akte durch Verschriftung der wesentlichen Ermittlungsschritte, ggf. der weiteren Aufklärung des Sachverhalts und/oder erst am folgenden Morgen erfolgt.
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2271
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Strich »

Alles was thh hier schreibt, trifft in der Sache zu. Ich fand es damals schon unglaublich lächerlich, dass es eines richterlichen Beschlusses bedurfte, um eine Blutprobe zu erhalten. Komischerweise läuft unsere rechtsstaatlich geschulte Polizei seit der Abschaffung (also der weit überwiegenden Abschaffung, man beachte halt § 81a StPO) nicht mit Spritzen Amok und zapft den Jungfrauen in Vollmondnächten literweise Blut zum Eigenverzehr ab.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Swann
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 6456
Registriert: Donnerstag 28. Dezember 2006, 09:04

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Swann »

Möglicherweise ist es weise, der Polizei eine Allzuständigkeit für sämtliche Ermittlungsmaßnahmen zu geben. Dieses Modell liegt aber nicht unserer Verfassung zugrunde. Die von euch favorisierte Auslegung hätte jedenfalls eine weitgehende Aufgabe des Richtervorbehalts in der Praxis zur Folge.
Liz
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 3246
Registriert: Sonntag 22. Oktober 2017, 17:03
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Liz »

Swann hat geschrieben: Samstag 13. Juni 2020, 15:19 Möglicherweise ist es weise, der Polizei eine Allzuständigkeit für sämtliche Ermittlungsmaßnahmen zu geben. Dieses Modell liegt aber nicht unserer Verfassung zugrunde. Die von euch favorisierte Auslegung hätte jedenfalls eine weitgehende Aufgabe des Richtervorbehalts in der Praxis zur Folge.
Ich denke, man muss klar sehen, dass in vielen Fällen der Richtervorbehalt der Disziplinierung der Polizei- und Ordnungsbehörden dient. Die wesentliche richterliche Aufgabe in diesem Bereich ist es die 2-10 % der Anträge rauszufischen, die man nicht einfach "blind" unterschreiben kann, sondern bei denen man doch genauer prüfen muss, ob man das wirklich so anordnen kann. Wenn man darauf verzichtet, muss man dann eben damit leben, dass dann in Tatort-Manier PM Meyer augenzwinkernd zu PM Müller vor der Wohnungstür sagt: "Riechst Du auch das Gas?"
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5291
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von thh »

Swann hat geschrieben: Samstag 13. Juni 2020, 15:19Möglicherweise ist es weise, der Polizei eine Allzuständigkeit für sämtliche Ermittlungsmaßnahmen zu geben.
Das wäre es keineswegs; dafür fehlt es sowohl - in der Breite - an der ausreichenden Rechtskenntnis [1] als auch an der notwendigen Neutralität.
Swann hat geschrieben: Samstag 13. Juni 2020, 15:19Die von euch favorisierte Auslegung hätte jedenfalls eine weitgehende Aufgabe des Richtervorbehalts in der Praxis zur Folge.
Zum einen entspricht das nicht meiner Einschätzung, zum anderen ist ein Richtervorbehalt in dieser Form kein Rechtsschutzgewinn. Die Auffassung, eine richterliche Entscheidung sei (v.a. bei Durchsuchungsmaßnahmen und Blutentnahme, soweit der einfach-gesetzliche Richtervorbehalt insoweit nicht entfallen ist) nötigenfalls immer auch telefonisch herbeizuführen, unterscheidet sich im Übrigen auch von gesetzlichen Regelungen für andere strafprozessuale Zwangsmaßnahmen.

1. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle besteht ausreichende Gelegenheit, auf Grundlage vorliegender Akten eine schriftliche richterliche Entscheidung herbeizuführen, ggf. unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (meistens noch Telefax, grundsätzlich aber auch E-Mail, zukünftig über die E-Akte). Die Anzahl der "Dringlichkeitsfälle", bei denen die Verschriftlichung des Sachverhalts und der Entscheidung und die damit verbundenen Kommunikationswege bereits zu der Gefahr eines Beweismittelverlusts führen, ist überschaubar. Auch die Anzahl der Fälle, bei denen richterliche Entscheidungen außerhalb der Geschäftszeiten ergehen müssen, ist zahlenmäßig überschaubar, nicht zuletzt, weil Fachdezernate und Ermittlungsdienst der Polizei ebenfalls normale Arbeitszeiten haben. Der Vorrang der grundsätzlich richterlichen Entscheidung wird nicht beeinträchtigt, wenn absolute Eilentscheidungen und Entscheidung nachts (und am Wochenende) aufgrund von Gefahr im Verzug durch Polizei oder (vorrangig) Staatsanwaltschaft ergehen. [Einschub: Am Wochenende müsste das im Übrigen nicht der Fall sein. Wo Vorführungen für den Haftrichter erfolgen können, können genauso gut auch schriftliche richterliche Entscheidungen über schriftliche Anträge ergehen. Das scheitert eher an der organisatorischen Umsetzung bei Gericht oder durch die Richterschaft. Wenn man will, kann man bspw. auch von zuhause aus über ein VPN Akten abrufen und Entscheidungen verfassen, wenn schon eine "Sitzbereitschaft" nachvollziehbarerweise nicht erwünscht ist.] Entscheidend ist vielmehr, dass die Antragstellung nicht so lange herausgeschoben werden darf, bis eine (schriftliche) richterliche Entscheidung (auf Basis der Akten) nicht mehr zu erlangen ist.

2. Der "fernmündliche" Richtervorbehalt läuft als Rechtsschutz vor allem in der Praxis, aber auch in der Theorie weitgehend leer. Dem Gericht fehlt für seine Entscheidung eine schriftlich gesicherte Tatsachengrundlage, die gerichtliche Entscheidung wird - vorsichtig gesagt - nicht immer schriftlich fixiert und kann dem Betroffenen auch nicht ausgehändigt werden. Es ist im Nachhinein kaum zuverlässig feststellbar, was wer dem Gericht inhaltlich vorgetragen hat, was genau das Gericht inhaltlich entschieden hat, und es ist auch für den Betroffenen (oder einen Rechtsbeistand) während der Maßnahme nicht prüfbar. Selbst wenn wir einmal davon als Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass keine bewusste Täuschung versucht wird, lassen sich Ungenauigkeiten und Missverständnisse bei einer mündlichen Kommunikationskette Polizei -> Staatsanwaltschaft -> Gericht -> Staatsanwaltschaft -> Polizei kaum vermeiden. Und selbst wenn jeder der Beteiligten die fernmündliche Kommunikation für sich dokumentiert, würden Divergenzen - die oft kaum aufklärbar sein würden - im Zweifelsfall nicht zu einem Verwertungsverbot führen. In der (hiesigen) Praxis erfolgt im Übrigen die schriftliche Dokumentation (des durch die Polizei der Staatsanwaltschaft und durch diese dem Gericht vorgetragenen Sachverhalts und der gerichtlichen Entscheidung) - nur - durch die Staatsanwaltschaft. Selbst bei Gutwilligkeit der Beteiligten erscheint mir der Rechtsschutzgewinn daher - vorsichtig gesagt - sehr überschaubar.

3. Wie bereits angesprochen sieht das Gesetz für die Freiheitsentziehung keine fernmündliche Befassung des Gerichts vor, sondern nur die unverzügliche Vorführung. Auch der Rechtsprechung - auch des Verfassungsgerichts - kann ich nicht entnehmen, dass sich daraus die zwingende Notwendigkeit einer Vorführung des nachts oder auch nur um 6 Uhr oder um 18 Uhr ergibt. Es ist vielmehr regelmäßige - und, soweit ich sehe, unbeanstandete - Praxis, dass Vorführungen werktags im Rahmen der üblichen Geschäftszeiten und am Wochenende oder an Feiertagen während eines bestimmten Zeitfensters erfolgen. Es ist außerdem aus Rechtsgründen unbedenklich, wenn mit der Vorführung zugewartet wird, bis zunächst die notwendigen Aktenteile verschriftet sind und ggf. eine weitere Sachverhaltsaufklärung - wie bspw. durch die Vernehmung des Beschuldigten - erfolgt ist, wenn dies schnellstmöglich erfolgt. Ähnlich sieht es im Bereich der Eingriffsmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation aus: sowohl die Erhebung von Verkehrsdaten (einschließlich Standortdaten) als auch die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung kann zunächst durch die Staatsanwaltschaft erfolgen und muss erst binnen drei Tagen durch das Gericht bestätigt werden. In allen diesen Fällen ist eine schriftliche - gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche - Entscheidung erforderlich; bis diese - durch das Gericht - ergehen kann, besteht aber eine Eilkompetenz. Warum das nicht entsprechend auch für die Anordnung einer Durchsuchung - oder einer Blutentnahme - gelten sollte, erschließt sich mir nicht.
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5291
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von thh »

Liz hat geschrieben: Samstag 13. Juni 2020, 16:25Wenn man darauf verzichtet, muss man dann eben damit leben, dass dann in Tatort-Manier PM Meyer augenzwinkernd zu PM Müller vor der Wohnungstür sagt: "Riechst Du auch das Gas?"
Ein sehr schönes Beispiel. Jetzt zwinkert also PM Müller zurück und ruft dann den Staatsanwalt an, dem er den Gasgeruch schildert. Danach ruft der Staatsanwalt den Richter an und schildert diesem den Gasgeruch. Und der Richter ordnet dann aufgrund des Gasgeruchs die Durchsuchung an. (Praktischerweise müsste man wohl "Gas" durch "Cannabis" ersetzte. ;)) Was haben wir denn dadurch gewonnen?
Antworten