Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

Dikastes
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Dikastes »

Omnimodofacturus hat geschrieben: Donnerstag 4. Juni 2020, 23:26 Im Übrigen sehe ich schon die Vorteile einer Kammerbesetzung gegenüber einer Einzelrichterentscheidung. ... In ähnlicher Weise gilt das für die ab 2021 ja wiederum erweiterten Zivilkammern und Zivilsenate mit gesetzlichen Sonderzuständigkeiten; das sind ja auch immer originäre Kammersachen.
Letztlich haben sich da auch die Spar- und Effizienzphantasien der Bundesländer, die letztlich dahinter steckten, nie ganz materialisiert.
Interessanter Hinweis! (Ich muss zugeben, mit Zivilverfahren befasse ich mich nur am Rande.)

Hast du dafür einen Nachweis / eine Fundstelle?
stilzchenrumpel
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von stilzchenrumpel »

Ich bin bereits jetzt in einer Kammer mit so einem sondergebiet. Neu gebildet werden müssen künftig meiner Erinnerung nach Erbrecht und Insolvenzrecht.

Die bisherigen Sondergebiete sind in § 72a GVG geregelt. Zuständigkeit (zunächst) der Kammer folgt aus § 348 Abs 1 Satz 2 ZPO.
Hier gibt es nichts zu sehen, ich trolle nur.
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Omnimodofacturus »

stilzchenrumpel hat geschrieben: Samstag 6. Juni 2020, 22:43 Ich bin bereits jetzt in einer Kammer mit so einem sondergebiet. Neu gebildet werden müssen künftig meiner Erinnerung nach Erbrecht und Insolvenzrecht.

Die bisherigen Sondergebiete sind in § 72a GVG geregelt. Zuständigkeit (zunächst) der Kammer folgt aus § 348 Abs 1 Satz 2 ZPO.
Und für Streitigkeiten für Veröffentlichungen (Pressesachen) muss ab 01.01.2021 auch eine Kammer gebildet werden.

Genau auf diese Regelung von § 72a GVG wollte ich aber hinaus.
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thh
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von thh »

doohan hat geschrieben: Freitag 5. Juni 2020, 23:50
thh hat geschrieben: Freitag 5. Juni 2020, 19:28 Abgesehen davon: es ist ausdrücklicher Wunsch des Verfassungsgerichts, dass im Strafrecht über gravierende Eingriffsmaßnahmen außerhalb der üblichen Geschäftszeiten aufgrund eines kurzen fernmündlichen Berichts, der auf einem anderen kurzen fernmündlichen Bericht beruht, entschieden wird ...
Die Entscheidung würde ich gerne sehen. Hast du ein Aktenzeichen?
2 BvR 1444/00, Rn. 48
2 BvR 1114/05, Rn. 13
2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11, Rn. 71
u.a.
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Strich
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Strich »

thh hat geschrieben: Freitag 5. Juni 2020, 19:28 ...
Strich hat geschrieben: Freitag 5. Juni 2020, 15:23Das du (und Liz) dich hier wieder mit der Sicht "Richter haben schnell alles wegzuerledigen" hervortust, wundert nicht :-P.
Mir persönlich ist das gar nicht so wichtig, ob ein Angeklagter ein paar Jahre länger in U-Haft sitzt, weil das Revisionsverfahren länger dauert, aber dem Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen entspräche das wohl nicht so ganz.

...
Nur hierzu (der Rest scheint mir eher erläuternden Charakter zu haben, dem ich nicht widerspreche):
Du sitzt halt immernoch dem Trugschluss auf, dass jeder, der fordert, Richter müssten sich ausreichend Zeit für eine Akte nehmen können, sagt, diese könnten die Akte auch 10 Jahre und sonst nichts bearbeiten. Richtig ist: Akten müssen "gefördert" werden. Der Richter darf aber eben nicht so viele Akte bekommen, dass die Zahl der Akten Einfluss seine Rechtsanwendung im Einzelfall bestimmt. Warum daraus jetzt folgen soll, dass Haftsachen alle ewig dauern, verstehe ich nach wie vor nicht.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

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Tibor
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Tibor »

Strich hat geschrieben: Montag 8. Juni 2020, 15:56 ... Der Richter darf aber eben nicht so viele Akte bekommen, dass die Zahl der Akten Einfluss seine Rechtsanwendung im Einzelfall bestimmt. Warum daraus jetzt folgen soll, dass Haftsachen alle ewig dauern, verstehe ich nach wie vor nicht.
Weil die anderen Diskussionsteilnehmer ihren Beiträgen zumindest in Hinsicht auf eine ganz bestimmte Variable die Veränderungswahrscheinlichkeit als so gering ansehen, dass sie diese Variable gedanklich als Konstante sehen. Ich meine: Personalaufstockung. Man kann immer gern viel aus "rechtsstaatlichen Gründen" fordern und Missstände anprangern. Man muss aber auch - um nicht als professoraler Elfenbeinturm-Claqueur zu enden - den Tatsachen ins Auge blicken und erkennen, welche Veränderungen weder kurz- noch langfristig erfolgversprechend sind. Und ja, umfangreiche Personalaufstockungen im Bereich R1/R2 sind auf Länderebene in den nächsten 2 Jahrzehnten ganz bestimmt nicht wahrscheinlich.
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Dikastes
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Dikastes »

Tibor hat geschrieben: Montag 8. Juni 2020, 16:27 Weil die anderen Diskussionsteilnehmer [in] ihren Beiträgen zumindest in Hinsicht auf eine ganz bestimmte Variable die Veränderungswahrscheinlichkeit als so gering ansehen, dass sie diese Variable gedanklich als Konstante sehen. ... umfangreiche Personalaufstockungen im Bereich R1/R2 sind auf Länderebene in den nächsten 2 Jahrzehnten ganz bestimmt nicht wahrscheinlich.
Ich muss zugeben, beim Starten dieses Threads ging es mir weniger um die Berücksichtigung von tatsächlichen oder vermeintlichen Sparzwängen, sondern eher "ums Prinzip". So gesehen könnte man fragen:
  • Sind die vorhandenen Stellen aktuell richtig verteilt?
  • Wenn etwas mehr Geld für Personal da wäre: Wo sollte man am dringendsten das Personal aufstocken?
Sektnase
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Sektnase »

Das scheint mir aber doch eine sehr ernüchterte Sicht. "War schon immer so.." ist auch kein tolles Argument. Geld ist im Prinzip unendlich da, bei den Anforderungen wären ggf. Abstriche zu machen, aber (auch massive) Neueinstellungen wären ja nicht schlechthin unmöglich. Es fehlt halt der politischer Wille, aber der lässt sich (theoretisch) ja doch beeinflussen.

Einfacher wären m.E. andere, auch praktisch realistischere Wege: BtMG "verschlanken", Canabis (Teil-)legalisieren etc. Im Zivilrecht hat man es ja z.B. durch das Mahnverfahren geschafft, massig Fälle einzusparen. Bringt halt nur vom Workload her nichts, weil die Verfahren, die es noch gibt, komplizierter (dicker) geworden sind. Mit E-Akte und immer komplexeren wirtschaftlichen und technischen Vorgängen wird es immer mehr Verfahren geben, die viel Zeit brauchen. Gegensteuern könnte z.B. der BGH bei der Darstellung der Urteile (Zschäpe Urteil: 3000 SeiteN!?) oder der Gesetzgeber im Verfahren. Früher waren ja immerhin Kopierkosten ein Ding, heute kann ja jeder Anwalt 2000 Seiten PDF einreichen und dann mal schauen, was der Richter so findet. Da könnte man auch noch strikter sein. Für eben die komplexeren Verfahren werden ja auch mehr Spezialzuständigkeiten geschaffen - was ja insoweit auch die Effizienz steigert, als nicht jeder Richter sich erst ewig einarbeiten muss und am Ende trotzdem ein höheren Anreiz für eine Revision besteht.
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von thh »


Strich hat geschrieben:Der Richter darf aber eben nicht so viele Akte bekommen, dass die Zahl der Akten Einfluss seine Rechtsanwendung im Einzelfall bestimmt.
Die Verfahren sind da, mehr Richter nicht. Insofern bekommt jeder Richter so viele Akten, wie er bekommt. Nimmt er sich mehr Zeit, dauert es länger. Das ist jetzt keine Raketenwissenschaft.
Sektnase hat geschrieben:Für eben die komplexeren Verfahren werden ja auch mehr Spezialzuständigkeiten geschaffen - was ja insoweit auch die Effizienz steigert, als nicht jeder Richter sich erst ewig einarbeiten muss und am Ende trotzdem ein höheren Anreiz für eine Revision besteht.
Du scheinst vorauszusetzen, dass aus einer Spezialzuständigkeit auch folgt, dass die betreffenden Richter / Kammermitglieder sich langjährig in diese Materie einarbeiten. Das wäre natürlich wünschenswert und ist auch der zugrundeliegende Gedanke, ist aber natürlich nicht gesichert. Genauso gut kann es aber sein, dass durch Personalfluktuation (Beförderungen, Stellenwechsel, Elternzeit usw.) die personelle Besetzung sich so schnell ändert, dass sich wirkliche Fachkompetenz gar nicht erst bilden kann.
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Liz »

Es schadet sicherlich nichts, wenn es beim Landgericht Spezialkammern mit Richtern gibt, die dann im Laufe der Zeit ausreichend fachkundig sind und die Verfahren dann auch besser erledigen können, als wenn sie nur einmal im Jahr mit dem Rechtsgebiet zu tun haben. Wenn man nun aber möchte, dass am Landgericht Zivilsachen in großem Umfang als Kammersache verhandelt werden, dann muss man eben das Landgericht auch personell so ausstatten, dass sich tatsächlich drei und nicht nur ein Richter mit der Sache beschäftigen können. Hier sieht es aber etwa so aus, dass ich noch Einzelrichtertage in diesem Jahr frei habe, bei den Kammersachen aber das Jahr 2021 schon bald voll ist und dabei übertragen wir schon ziemlich viele Verfahren auf den Einzelrichter. Wenn wir alles als Kammer machen würden, wären wir terminlich wahrscheinlich sehr schnell im Jahr 2024. Effektiver Rechtsschutz sieht m. E. anders aus.
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von doohan »

thh hat geschrieben: Sonntag 7. Juni 2020, 02:08 2 BvR 1444/00, Rn. 48
Bundesverfassungsgericht hat geschrieben: Zwar hat Art. 13 Abs. 2 GG den Regelungsgehalt von § 105 der Strafprozessordnung von 1877 aufgegriffen, und das Reichsgericht hat - bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung nach § 113 StGB - die Auffassung vertreten, "Gefahr im Verzug" falle nicht in den Bereich richterlicher Prüfung (RGSt 23, 334). Den Materialien zu Art. 13 GG ist aber nicht zu entnehmen, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes diese reichsgerichtliche Rechtsprechung übernehmen wollten oder dass sie die richterliche Überprüfbarkeit von "Gefahr im Verzug" überhaupt als Problem gesehen und erörtert hätten (vgl. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR N. F., Bd. 1, 1951, S. 138 ff.; s. auch BVerfGE 88, 40 <56 f.> zu Art. 7 Abs. 5 GG).
Das kann ich mit deiner Aussage in keinen echten Zusammenhang bringen....
thh hat geschrieben: Sonntag 7. Juni 2020, 02:08 2 BvR 1114/05, Rn. 13
Bundesverfassungsgericht hat geschrieben: Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Der persönlich und sachlich unabhängige, strikt dem Gesetz unterworfene Richter kann die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren (vgl. BVerfGE 103, 142 <151>). Deshalb muss die Anordnung durch die Staatsanwaltschaft oder deren Hilfsbeamte bei Gefahr im Verzuge (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO), durch die ein schnelles, situationsgerechtes Handeln der Ermittlungsbehörden ermöglicht werden soll, nach Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG die Ausnahme neben der Regel richterlicher Anordnung bleiben (vgl. BVerfGE 103, 142 <153, 158>). Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine Anordnung des Ermittlungsrichters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (vgl. BVerfGE 103, 142 <155 f.>).
Hier sehe ich nur, daß _ausnahmsweise_ auf die gerichtliche Anordnung bei Gefahr im Verzug verzichtet werden kann. Von wegen kurzer fernmündlicher Bericht auf Basis eines fernmündlichen Berichts sehe ich hier nichts.
thh hat geschrieben: Sonntag 7. Juni 2020, 02:08 2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11, Rn. 71
Bundesverfassungsgericht hat geschrieben: Stattdessen sind bei der Beurteilung der Frage, ob der Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, unterbleiben darf, weil bereits die damit verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles in Rechnung zu stellen. Die Ermittlungsbehörden haben insbesondere die Komplexität der im Rahmen der Durchsuchungsanordnung zu prüfenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen und den insoweit erforderlichen Zeitaufwand zu berücksichtigen. Daneben haben sie aber auch in ihre Überlegungen einzubeziehen, dass die Vorlage schriftlicher Unterlagen zur Herbeiführung einer richterlichen Eilentscheidung zumindest nicht ausnahmslos erforderlich ist. Jedenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen allein aufgrund der mündlichen Darstellung des Sachverhalts eine sachangemessene Entscheidung möglich ist, würde ein solches Erfordernis weder der gesetzlichen Intention noch der Bedeutung des Richtervorbehalts für den Grundrechtsschutz des Einzelnen gerecht (vgl. insoweit zur Anordnung einer Blutentnahme gemäß § 81a StPO: BVerfGK 17, 340 <346 f.>). Es bestehen daher in solchen Fällen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der zuständige Richter allein aufgrund mündlich übermittelter Informationen entscheidet und die Durchsuchung auch mündlich anordnet, sofern er diese Anordnung zeitnah schriftlich dokumentiert und damit den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Erfordernissen Rechnung trägt.
Hier wird die Möglichkeit rein mündlicher Anordnung auf "einfache Fälle" beschränkt. Wiederholt wird der Ausnahmecharakter. Von einer Verkettung von fernmündlichen Berichten lese ich auch hier nichts.

Mag sein, daß das in der Praxis anders gelebt wird. Aber per se eine Absegnung dieser Praxis durch das Bundesverfassungsgericht sehe ich nicht.
Liz
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Liz »

Ist doch ganz simpel: Das BVerfG meint „Gefahr in Verzug“ gibt es für die Polizei/ StA nicht, wenn man vorher - notfalls per Telefon - versuchen kann, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, wobei gleichzeitig bei einem entsprechenden Bedarf auch ein richterlicher Bereitschaftsdienst rund um die Uhr gefordert wird. Das heißt dann in der Praxis, dass der Polizist, der vor einer verdächtigen Wohnung steht, beim Bereitschaftsstaatsanwalt anruft, ihm den Fall schildert und dieser wiederum - nach eigener Prüfung - den (Bereitschafts)Ermittlungsrichter anruft und ihm den Fall schildert und der Richter dann auf dieser Grundlage entscheidet, ob das SEK die Wohnung stürmen darf. Das BVerfG hält insoweit eine richterliche Entscheidung auf unsicherer Tatsachengrundlage offenbar für besser als gar keine richterliche Entscheidung.
Sektnase
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Sektnase »

Und worauf wollt ihr dann hinaus? Dass das BVerfG will, dass nur noch schnell und fernmündlich entschieden wird?

Die Urteile des BVerfG zielen darauf ab, die Praxis, überhaupt keine (!) richterliche Entscheidung zu haben, abzuschaffen und wenigstens irgendeine Form der richterlichen Entscheidungen bei eiligen Ermittlungsmaßnahmen zu haben. Mit der Frage wie groß eine Kammer sein soll, hat das ja nicht mehr wirklich was zu tun. Der Thread hat sich ja eher zu der Frage weiter entwickelt, wie viel Zeit einem Richter bleiben sollte (TE, lies doch dazu mal die Diskussion zum "langsamen" Richter, startet ca. hier und ging einige Seiten Manches muss einfach gemeldet werden). Aus der Forderung des BVerfG "mehr" richterliche Entscheidungsgewalt zu haben, lese ich jetzt nicht raus, dass Entscheidungen generell irgendwie schnell gefällt werden sollen.
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Dikastes »

Sektnase, danke für den Hinweis!
Ich verfolge Schulte-Kellinghaus seit Jahren, aber die aktuellen Entwicklungen sind irgendwie an mir vorbeigegangen.
Sektnase hat geschrieben: Dienstag 9. Juni 2020, 10:23 Mit der Frage wie groß eine Kammer sein soll, hat das ja nicht mehr wirklich was zu tun.
Vielleicht müsste man einfach die Frage, was wünschenswert wäre, deutlicher von der Frage trennen, was bei der derzeitigen Personalsituation akzeptiert werden muss. Tatsächlich ging es mir darum, was wünschenswert ist.
Leider beschleicht mich nicht zum ersten Mal hier im Forum der Eindruck, dass manche Leute sich recht schnell der normativen Kraft des Faktischen beugen.
Liz
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Re: Wenige Richter – und weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Beitrag von Liz »

Natürlich kann man im luftleeren Raum diskutieren, was wünschenswert wäre. Diese Erkenntnisse bringen einem aber für die Praxis und / oder die Beurteilung, ob bestimmte Entscheidungen - so wie sie von der Politik getroffen werden - tatsächlich gut sind, relativ wenig.
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