Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Gelöschter Nutzer

Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Eine etwas komische Frage, aber erfasst das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot im Ausland begründete Rechtspositionen?

Beispiel:

1. Im Jahr 2019 erwirbt A als Amerikaner von einem Amerikaner in den USA nach amerikanischem Recht wirksam Eigentum an einem Ring. Allerdings handelt es sich bei dem Ring um eine von den Nazis gestohlene Wertsache. In diesem Zeitpunkt hat A nach Art. 43 I EGBGB auch aus Sicht des deutschen IPR wirksam Eigentum erworben (maßgeblich ist das Recht des Belegenheitsortes). [unterstellt, es greifen im Übrigen keine besonderen Vorschriften nach deutschem oder sonstigem Recht]

2. Im Jahr 2020 ändert der deutsche Gesetzgeber Art. 43 EGBGB und fügt (den fiktiven) Abs. 4 n.F. ein. Hiernach ist der Erwerb von Eigentum unwirksam, wenn es sich um NS-Raubgut handelt und es nicht von dem legitimen ursprünglichen Eigentümer oder dessen legitimen Rechtsnachfolgern veräußert wurde. Diese Regelung gilt unabhängig von dem nach Art. 43 I EGBGB anwendbaren Recht und mit zeitlicher Rückwirkung vor Inkrafttreten des Gesetzes.

3. Im Jahr 2021 kommt A nach Deutschland mit dem Ring und möchte wissen, ob er Eigentümer desselben ist.


Frage:

Ist Art. 43 Abs. 4 EGBGB n.F. hinsichtlich A/Personen wie A an dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot zu messen? Natürlich ist die Regelung ggf. mit Art. 14 GG oder dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar. Sie ist auch bedenklich hinsichtlich betroffener in Deutschland begründeter Rechtspositionen.

Was ich mich aber frage, ist, ob die Rechtsposition speziell des A - also sein in den USA begründetes Eigentum an dem Ring - unter das Rückwirkungsverbot fällt. Entscheidend dagegen spricht für mich folgendes:

- das Rückwirkungsverbot ist Ausprägung des Vertrauensgrundsatzes
- dieser erfasst aber nur das Vertrauen in Rechtspositionen, die der deutsche Gesetzgeber geschaffen hat (meine ich), im Sinne eines Gebots "berechenbaren" oder "widerspruchsfreien" Handelns.
- dagegen schützt das GG meines Wissens nicht das Vertrauen in irgendeine ausländische Rechtsposition

Was meint ihr?
Omnimodofacturus
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Re: Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Omnimodofacturus »

Ich verstehe dein Problem noch nicht so ganz:

Wenn der Eigentümer unter Berücksichtigung der maßgeblichen IPR-Vorschriften vom deutschen Recht als Eigentümer angesehen wird, dann ist er auch Eigentümer mit allen Befugnissen. Er ist ja nicht Eigentümer minderen Rechts deswegen, weil der maßgebliche Eigentumserwerbsvorgang ganz oder im Ausland stattgefunden hat. Daher stellt sich sein auch verfassungsrechtlicher Schutz genauso wie derjenige, bei dem alle Elemente des Erwerbsvorgangs im Inland stattgefunden haben.
Du musst hier m. E. klarer zwischen Eigentumserwerb und dem Eigentum als solchem trennen.

Dass natürlich im internationalen Kontext möglicherweise eine hinkende Rechtsposition geschaffen wurde (er also in den USA ohnehin noch als Eigentümer des Rings betrachtet würde), weil manche Staaten ausländischer Legalenteignungen auch dann nicht anerkennen, wenn sie sonst der lex rei sitae-Theorie folgen, steht auf einem anderen Blatt.
Gelöschter Nutzer

Re: Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Danke dir.

Aber besteht wirklich ein Vertrauen in den Fortbestand einer deutschen IPR-Regelung, wenn diese den betreffenden Fall faktisch gar nicht erfassen konnte? Denn der Anwendungsbereich des deutschen IPR ist ja beschränkt auf deutsches Territorium (deutsches IPR wird nur von deutschen Gerichten angewendet).

Schützt das Rückwirkungsverbot wirklich das Vertrauen in eine zB mongolische Rechtsposition eines Mongolen, nur weil theoretisch über deutsches IPR mongolisches Sachrecht anwendbar ist, selbst wenn der Rechtsinhaber zu keinem Zeitpunkt in Deutschland war?

Natürlich wird in derartigen Fällen meist schon kein rückwirkendes Gesetz vorliegen, welches die Rechtsposition überhaupt betrifft, aber theoretisch ist das ja schon denkbar.

Es geht mir gerade um den Fall, dass im Zeitpunkt t0 ein Recht ausschließlich im Ausland begründet wird (nach dem ausländischen Recht, auf welches theoretisch deutsches IPR verweisen würde), im Zeitpunkt t1 wird die deutsche IPR Norm so geändert, dass das Rechtsgut rückwirkend nicht mehr anerkannt wird, im Zeitpunkt t2 kommt der "Inhaber" erstmals mit Deutschland in Berührung und reist ein.

Ist er nun durch das Rückwirkungsverbot geschützt?
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Re: Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Omnimodofacturus »

Die Betrachtung kann sich doch nur auf die Wirkungen beziehen, die das beschriebene enteignende Gesetz nach dem Zeitpunkt t2 auf das zum Zeitpunkt t2 sicher bestehende Eigentum hat. Alles was vor t2 passiert ist, ist irrelevant, wenn wir davon ausgehen, dass im Zeitpunkt t2 Eigentum bestand.

Wie gesagt: Für die Erwägungen muss die Frage des Bestands des Eigentums von der des Erwerbs getrennt werden, was du aber auch im letzten Post nicht getan hast.
Das ist schon deswegen nötig, weil es ja Arten des Eigentumserwerbs gibt, bei denen Vertrauen des Erwerbers in irgendetwas von vornherein keine Rolle spielt (klassisches Beispiel: durch Erbgang).
Gelöschter Nutzer

Re: Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Omnimodofacturus hat geschrieben: Mittwoch 24. Juni 2020, 01:04 Die Betrachtung kann sich doch nur auf die Wirkungen beziehen, die das beschriebene enteignende Gesetz nach dem Zeitpunkt t2 auf das zum Zeitpunkt t2 sicher bestehende Eigentum hat. Alles was vor t2 passiert ist, ist irrelevant, wenn wir davon ausgehen, dass im Zeitpunkt t2 Eigentum bestand.

Wie gesagt: Für die Erwägungen muss die Frage des Bestands des Eigentums von der des Erwerbs getrennt werden, was du aber auch im letzten Post nicht getan hast.
Das ist schon deswegen nötig, weil es ja Arten des Eigentumserwerbs gibt, bei denen Vertrauen des Erwerbers in irgendetwas von vornherein keine Rolle spielt (klassisches Beispiel: durch Erbgang).
Das verstehe ich leider nicht wirklich, kannst du das noch einmal einfacher erklären?

Und warum muss das Eigentum im Zeitpunkt t2 bestanden haben? Willst du damit sagen, dass das Rückwirkungsverbot nur Rechtspositionen schützt, die vor Inkrafttreten des rückwirkenden Gesetzes nach Deutschland gelangt sind? Und falls ja, warum?

Das Beispiel mit dem Eigentum war nur beliebig gewählt. Man kann auch ein anderes wählen. Eine fiktive deutsche Kollisionsnorm (K alt) sagt etwa:

"Die Abstammung richtet sich nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes der Mutter im Zeitpunkt der Geburt."

1. Ein Kind X wird nun im Jahr 2015 in Uruguay geboren. Die Mutter ist Amerikanerin, hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt aber in Uruguay. Nach dem Recht von Uruguay ist A der Vater des X. Nach dem amerikanischen Recht wäre es dagegen B (z.B., weil das eine Recht nur an eine bestehende Ehe der Mutter anknüpft oder so).

2. Im Jahr 2016 wird die deutsche Kollisionsnorm (K alt) geändert in K neu:

"Die Abstammung richtet sich nach dem Recht der Staatsangehörigkeit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt." Diese Norm soll rückwirkend alle Sachverhalte erfassen, auch solche vor Inkraftreten des Gesetzes im Jahr 2016.

3. Im Jahr 2017 gelangt Kind X erstmalig nach Deutschland und begründet dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Kann sich X nun darauf berufen, dass das Rückwirkungsverbot (Art. 20 III GG) ihm gegenüber der Neuregelung der Kollisionsnorm K alt entgegensteht, weil es (also das Kind X) im Jahr 2015 eine Rechtsposition (Vertrauenstatbestand in Gestalt der alten Kollisionsnorm K alt) erlangt hat, die ihm im Jahr 2016 rückwirkend aberkannt wurde? Oder wird ein solches Vertrauen nur geschützt, wenn es auch irgendeinen Bezug zu Deutschland hätte?

(dazu der alternative Fall: Geburt 2015 in Uruguay, Umzug nach Deutschland 2016, erst 2017 Änderung des deutschen Kollisionsrechtes mit Rückwirkung)?
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Re: Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Omnimodofacturus »

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass du etwas ganz Bestimmtes hören möchtest und alle andere Antworten daher verwirfst.

Vereinfacht würde ich sagen: In dem Moment, in dem das deutsche Recht erstmals auf ein Rechtsverhältnis Anwendung findet, ist der Nullpunkt. Alles, was davor im deutschen Recht geschehen ist, ist für die Frage, ob Vertrauensschutz bestehen kann, irrelevant. Das ist aber keine besondere dogmatische Reduktion, sondern ist im Prinzip darauf zurückzuführen, dass zum Zeitpunkt des Entstehens eines Rechtsverhältnisses außer Kraft getretene Normen keine Vorwirkung mehr bringen.
Gelöschter Nutzer

Re: Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Omnimodofacturus hat geschrieben: Mittwoch 24. Juni 2020, 19:35 Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass du etwas ganz Bestimmtes hören möchtest und alle andere Antworten daher verwirfst.

Vereinfacht würde ich sagen: In dem Moment, in dem das deutsche Recht erstmals auf ein Rechtsverhältnis Anwendung findet, ist der Nullpunkt. Alles, was davor im deutschen Recht geschehen ist, ist für die Frage, ob Vertrauensschutz bestehen kann, irrelevant. Das ist aber keine besondere dogmatische Reduktion, sondern ist im Prinzip darauf zurückzuführen, dass zum Zeitpunkt des Entstehens eines Rechtsverhältnisses außer Kraft getretene Normen keine Vorwirkung mehr bringen.
Danke dir für diese Ausführungen, das erläutert, was ich meine.

Meine Frage ist (u.a.), WANN deutsches Recht "erstmals auf ein RV Anwendung findet". Ist das,

1. bereits bei einer theoretischen Subsumtion unter deutsches IPR (wohl kaum).
2. bei einer ersten Einreise nach Deutschland (im Beispiel der Sache: unter deren Mitführung?)?
3. bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland?
4. bei einer behördlichen Entscheidung mit Bezug zu dem Rechtsverhältnis?

usw.
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Re: Rückwirkungsverbot und ausländische Rechtspositionen?

Beitrag von Omnimodofacturus »

Suchender_ hat geschrieben: Mittwoch 24. Juni 2020, 19:56
Omnimodofacturus hat geschrieben: Mittwoch 24. Juni 2020, 19:35 Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass du etwas ganz Bestimmtes hören möchtest und alle andere Antworten daher verwirfst.

Vereinfacht würde ich sagen: In dem Moment, in dem das deutsche Recht erstmals auf ein Rechtsverhältnis Anwendung findet, ist der Nullpunkt. Alles, was davor im deutschen Recht geschehen ist, ist für die Frage, ob Vertrauensschutz bestehen kann, irrelevant. Das ist aber keine besondere dogmatische Reduktion, sondern ist im Prinzip darauf zurückzuführen, dass zum Zeitpunkt des Entstehens eines Rechtsverhältnisses außer Kraft getretene Normen keine Vorwirkung mehr bringen.
Danke dir für diese Ausführungen, das erläutert, was ich meine.

Meine Frage ist (u.a.), WANN deutsches Recht "erstmals auf ein RV Anwendung findet". Ist das,

1. bereits bei einer theoretischen Subsumtion unter deutsches IPR (wohl kaum).
2. bei einer ersten Einreise nach Deutschland (im Beispiel der Sache: unter deren Mitführung?)?
3. bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland?
4. bei einer behördlichen Entscheidung mit Bezug zu dem Rechtsverhältnis?

usw.

Das ist ja schon fast eine philosophische Frage, da natürlich jeder auf der Welt denkbare Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt deutschen Rechts (ggf. einschließlich IPR bzw. Internationalen Strafrechts) angedacht werden kann.

Jedenfalls wenn sich ein deutsches Gericht oder eine deutsche Behörde mit dem Sachverhalt befassen oder jemand seine rechtliche Lage vom Standpunkt des in Deutschland Durchsetzbaren durchdenkt oder durchdenken lässt, wird ja deutsches Recht, zumindest in Form des Kollisionsrechts, auf den Sachverhalt angewendet.
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