Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Seb
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Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Beitrag von Seb »

Guten Abend Freunde des Staatsrechts,

irgendwie hackt es gerade wieder mal an meinem Verständnis #-o
Ich wiederhole und vertiefe StaatsOrga gerade mit dem Ipsen und da löst eine gewisse Passage grobes Missverständnis in mir aus.

"Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Die durch Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG vorgesehene Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union lässt die Frage offen, wie bei einer Kollision zwischen nationalem und supranationalem Recht zu entscheiden ist. Der Frage kommt erhebliche praktische Relevanz zu, weil das Unionsrecht von den Behörden der Mitgliedstaaten angewendet wird, die auch an das nationale Recht gebunden sind. Obgleich die Begründungen hierfür variieren, besteht im Ergebnis Einigkeit über den Vorrang des Unionsrechts. Dieser Vorrang erfasst nicht nur einfaches Gesetzes- (und Verordnungs-) Recht, sondern gilt auch gegenüber dem mitgliedstaatlichen Verfassungsrecht.

Die Besonderheit supranationaler Organisationen wie der Europäischen Union liegt darin, dass ihre Rechtsakte keiner Transformation in nationales Recht bedürfen, also auch nicht an den (nationalen) Verfassungsnormen zu messen sind.
Fraglich kann allein sein, ob die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine supranationale Organisation mit der Verfassung vereinbar ist, weil deren Bestimmungen auf diesem Umweg
ausgeschaltet werden könnten. Sofern sich aber die nationale Rechtsordnung dem supranationalen Recht – wie in Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG geschehen – in verfassungsmäßiger Weise geöffnet hat, ist für eine Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Unionsrechts kein Raum mehr. Trotz dieser theoretisch klaren Abgrenzung von nationalem Rech und Unionsrecht und der aus ihr resultierenden Folgen für die richterliche Kontrollkompetenz ist die Abgrenzung der Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts Gegenstand der aktuellen Diskussion.
"


Meine beschaulichen Kenntnisse zum Europarecht verstehen unter Rechtsakte der EU auch die geliebte Richtlinie.
Und eben jene zeichnen sich doch gerade durch einen notwendigen Umsetzungsakt in nationales Recht aus ?
Wie kann und darf man denn die oben hervorgehobene Stelle verstehen? Rechtsakte all jene bis auf Richtlinien?

Schönen Abend!
Seb
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daimos
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Re: Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Beitrag von daimos »

Richtlinie bestimmen aber selbst, das sie von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Und falls die Umsetzungsfrist nicht eingehalten wird, können auch Richtlinien durchaus direkt angewendet werden, sofern sie sog. "self-executing-Normen" enthalten.
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Seb
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Re: Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Beitrag von Seb »

Mei .. da hab ich mal wieder den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen! Danke @daimos ;)

Also ist als Rechtsakt der EU auch originär die Richtlinie, quasi auf "erster Stufe" zu packen und der von mir angesprochene bloße Umsetzungsakt auf "zweiter Stufe" bzgl. der Form und Mittel (RiL als neues oder in ein bestehendes Gesetz integrieren), vorbehaltlich deiner angesprochenen Ausnahme, ist dann nicht mehr als Rechtsakt im Sinne von Ipsens Ausführung und im Rahmen dieser Differenzierung/Vorverlagerung bedarf der Rechtsakt RiL "auf erster Stufe" auch keiner Transformation.
("Ob" : Frage liegt abschließend durch Übertragung der Hoheitsrechte bei der EU;
"Wie" : Frage des Umsetzungsakt, dieser ist als solcher kein Akt der EU )


Mit dieser Logik wird dann auch ein Schuh draus....war wohl überfrachtet und mein Denken hat mit EU Rechtsakte und Transformation sofort auf den Umsetzungsakt geschielt und dabei wohl originär die RiL als solche aus dem Blick verloren.

(Für meinen Geschmack verführt aber auch die Passage in gewisser Weise auch dazu. :twevil )
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scndbesthand
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Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Beitrag von scndbesthand »

Bezüglich einer Richtlinie sollte man sich m. E. noch merken, dass es bei einer Kollision zwischen Richtlinie und nationalem Recht eine sehr differenzierte Rechtsprechung dazu gibt, inwieweit die Kollision über eine richtlinienkonforme Auslegung oder einen Anwendungsvorrang der Richtlinie gelöst wird und wann es - insoweit entgegen der Aussage im zitierten Lehrbuch - trotz eines inhaltlichen Widerspruchs bei einer Anwendung des nationalen Rechts bleibt.
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Seb
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Re: Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Beitrag von Seb »

scndbesthand hat geschrieben: Samstag 8. August 2020, 11:42 Bezüglich einer Richtlinie sollte man sich m. E. noch merken, dass es bei einer Kollision zwischen Richtlinie und nationalem Recht eine sehr differenzierte Rechtsprechung dazu gibt, inwieweit die Kollision über eine richtlinienkonforme Auslegung oder einen Anwendungsvorrang der Richtlinie gelöst wird und wann es - insoweit entgegen der Aussage im zitierten Lehrbuch - trotz eines inhaltlichen Widerspruchs bei einer Anwendung des nationalen Rechts bleibt.
Danke für den Hinweis. @scndbesthand ;)
Da wird mir hoffentlich das Buch von Herrmann für die Feinheiten explizit mehr dazu sagen können.
Aber ja, da steckt der Teufel im Detail. :twevil

Bin aber mehr als beruhigt zu wissen, dass es dieses Forum mit so viel fachkundigem Rat gibt :D (Goldwert)
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daimos
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Re: Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Beitrag von daimos »

Für alle Fälle im Europarecht einfach Art. 288 AEUV merken. Dort sind alle Rechtsakte der EU legaldefiniert:
Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union nehmen die Organe Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen an.
Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.
Beschlüsse sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich.
Die Empfehlungen und Stellungnahmen sind nicht verbindlich.
Ein prominentes Beispiel für einen Beschluss ist z.B. das Datenschutzabkommen "Privacy Shield" mit den USA, das der EuGH letzten Monat für ungültig erklärt hat.
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Seb
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Re: Das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht

Beitrag von Seb »

daimos hat geschrieben: Samstag 8. August 2020, 18:21 Für alle Fälle im Europarecht einfach Art. 288 AEUV merken. Dort sind alle Rechtsakte der EU legaldefiniert:
Herrlich ... für den AUEV und EUV habe ich nur wenige Griffregister aber der 288 AUEV war schon dabei. ](*,)

Privacy Shield Beschluss ist ne spannende Sache. Sicherlich was für die mündliche. Aber ich darf erstmal zuvor noch durch die schriftlichen.
Werde mir trotzdem mal einen Link dazu speichern! ;)
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