Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Ingerenz
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Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Ingerenz »

Hallo zusammen,

kann mir jemand den Unterschied zwischen der "Elfes-Konstruktion" und der Figur der Schutzbereichsverstärkung erklären?

Ich verstehe das aktuell so und freue mich über Klarstellungen:

Elfes-Konstruktion besagt, dass im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeit bei der Grundrechtsprüfung als eigener Punkt die Verletzung von Grundrechten Dritter geprüft wird. Ist umstritten, ob das geht.
Edit: Klarstellung: im Rahmen der Verfassungsbeschwerde

Schutzbereichsverstärkung heißt, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht einschlägige Grundrechte als allgemeine Wertentscheidung berücksichtigt werden. So können Grundrechte Dritter berücksichtigt werden, wenn man die Elfes-Konstruktion ablehnt. Außerdem z.B. wenn es um die Berufsausübung eines Schweizers geht, die dann an Art. 2 Abs. 1 GG gemessen wird. Dann kann bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden, dass wegen Art. 12 Abs. 1 GG die Ausübung von Berufstätigkeit grundsätzlich höher gewichtet ist als die Ausübung irgendeiner anderen Tätigkeit.
Zuletzt geändert von Ingerenz am Sonntag 6. September 2020, 16:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Justitian
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Re: Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Justitian »

Ingerenz hat geschrieben: Sonntag 6. September 2020, 12:22 Elfes-Konstruktion besagt, dass im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeit bei der Grundrechtsprüfung als eigener Punkt die Verletzung von Grundrechten Dritter geprüft wird. Ist umstritten, ob das geht.
Falls du meinst, dass die Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe ihrerseits verfassungskonform sein muss, was sie nicht ist, wenn sie - abstrakt-generell - Grundrechte verletzt: wer vertritt hier das Gegenteil?
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Ingerenz »

Justitian hat geschrieben: Sonntag 6. September 2020, 15:50
Ingerenz hat geschrieben: Sonntag 6. September 2020, 12:22 Elfes-Konstruktion besagt, dass im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeit bei der Grundrechtsprüfung als eigener Punkt die Verletzung von Grundrechten Dritter geprüft wird. Ist umstritten, ob das geht.
Falls du meinst, dass die Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe ihrerseits verfassungskonform sein muss, was sie nicht ist, wenn sie - abstrakt-generell - Grundrechte verletzt: wer vertritt hier das Gegenteil?
Du hast recht, da vertritt wohl niemand das Gegenteil. Umstritten ist aber durchaus, ob bei einer Verfassungsbeschwerde der Verstoß gegen Grundrechte, auf die der Beschwerdeführer sich nicht berufen kann, zur Begründetheit führt. Ich hatte mich gerade mit der Verfassungsbeschwerde beschäftigt, als die Frage auf kam, habe das vergessen in der Fragestellung zu erwähnen.

Mir scheinen jedenfalls beide Figuren sehr ähnlich bzw. zusammenhängend, aber trotzdem werden sie soweit nach ein wenig Recherche ersichtlich nie gemeinsam besprochen oder gegenübergestellt. Das wundert mich, übersehe ich etwas?
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Re: Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Justitian »

Ingerenz hat geschrieben: Sonntag 6. September 2020, 16:10 Umstritten ist aber durchaus, ob bei einer Verfassungsbeschwerde der Verstoß gegen Grundrechte, auf die der Beschwerdeführer sich nicht berufen kann, zur Begründetheit führt. Ich hatte mich gerade mit der Verfassungsbeschwerde beschäftigt, als die Frage auf kam, habe das vergessen in der Fragestellung zu erwähnen.
Das ist aber eine rein prozessuale Frage (Reichweite des Streitgegenstands: Akt öffentlicher Gewalt vs. Verletzung eines konkreten Grundrechts?).

Schutzbereichsverstärkung bedeutet einfach nur, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung lediglich mittelbar tangierte Grundrechte den Eingriff in das im Schwerpunkt betroffene Grundrecht von ihrer Intensität her verstärken.

Aus Elfes folgt hingegen, dass ich einen Anspruch auf rechtmäßiges Staatshandeln habe und einen an sich verhältnismäßigen Eingriff nicht dulden muss, wenn die Rechtsgrundlage verfassungswidrig ist.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Ingerenz »

Danke, das ist hilfreich.

Kann man die Figur der Schutzbereichsverstärkung bei einer Verfassungsbeschwerde nutzen, um Grundrechte Dritter in eine Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen, ohne die "Elfes-Konstruktion" zu bemühen? So scheint es das BVerfG im Schächt-Urteil 2002 gemacht zu haben. Es erwähnt in der Abwägung die Religionsfreiheit der Kunden des Metzgers, der sich nur auf Art. 2 Abs. 1 GG (nicht Art. 12, weil kein Deutscher) berufen kann. Eine eigenständige Prüfung, ob die Regelung des TierSchG mit der Religionsfreiheit der Kunden vereinbar ist, nimmt es aber nicht vor.
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Re: Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Justitian »

Nein sehe ich nicht. Das zitierte Urteil stellt doch so gut wie nicht auf die Einzelfallmaßnahme ab sondern dreht sich um das Gesetz. Oder auf welche Rn. beziehst du dich?
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Ingerenz »

NJW 2002, 663, 664: "Der Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit muslimischer Metzger wiegt allerdings schwer. [...] Das Verbot trifft nicht nur den muslimischen Metzger, sondern auch seine Kunden. Wenn sie Fleisch geschächteter Tiere nachfragen, beruht dies ersichtlich auch auf der Überzeugung von der bindenden Kraft ihres Glaubens, anderes Fleisch nicht essen zu dürfen. Von ihnen zu verlangen, im Wesentlichen dem Verzehr von Fleisch zu entsagen, trüge den Essgewohnheiten in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend Rechnung. Danach ist Fleisch ein weit verbreitetes Nahrungsmittel, auf das unfreiwillig zu verzichten schwerlich als zumutbar angesehen werden kann. Der Verzehr importierten Fleischs macht einen solchen Verzicht zwar entbehrlich, ist jedoch im Hinblick auf das Fehlen des persönlichen Kontakts zum Schlachter und der dadurch geschaffenen Vertrauensbasis mit der Unsicherheit verbunden, ob das verzehrte Fleisch tatsächlich den Geboten des Islam entspricht."

Ja, es geht hier um das Gesetz. Folgt aber dann nicht trotzdem aus Elfes, dass man hier auch sagen könnte, die Verfassungsbeschwerde des Metzgers wäre auch begründet, wenn das Gesetz verfassungswidrig ist, auch wenn es nicht seine Grundrechte sind, gegen die es verstößt?
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Re: Schutzbereichsverstärkung und Elfes

Beitrag von Justitian »

Ingerenz hat geschrieben: Montag 14. September 2020, 19:16
Ja, es geht hier um das Gesetz. Folgt aber dann nicht trotzdem aus Elfes, dass man hier auch sagen könnte, die Verfassungsbeschwerde des Metzgers wäre auch begründet, wenn das Gesetz verfassungswidrig ist, auch wenn es nicht seine Grundrechte sind, gegen die es verstößt?
ja
Ingerenz hat geschrieben: Montag 14. September 2020, 19:16 Kann man die Figur der Schutzbereichsverstärkung bei einer Verfassungsbeschwerde nutzen, um Grundrechte Dritter in eine Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen, ohne die "Elfes-Konstruktion" zu bemühen?
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