Verständnisfrage zu § 114 S. 2 VwGO

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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jona7317
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Verständnisfrage zu § 114 S. 2 VwGO

Beitrag von jona7317 »

Hey,
Ich habe eine wahrscheinlich sehr einfach zu beantwortende Frage zum Nachschieben von Gründen nach § 114 S.2 VwGO bzw. möchte wissen, ob ich das jetzt richtig verstehe:

Der Bund hat (größtenteils) keine Gesetzgebungskompetenz für das materielle Verwaltungsrecht, also kann § 114 S. 2 VwGO nur die prozessuale Möglichkeit des Vorbringens dieser Gründe vor Gericht regeln. Darüber, ob diese Gründe dann materiell die Rechtmäßigkeit des VA noch beeinflussen, kann die Norm daher keine Aussage treffen.
Diese Entscheidung muss man also unabhängig von § 114 S. 2 VwGO treffen: Es wäre sinnlos, das für gänzlich unzulässig zu halten. Dann würde der Kläger zwar regelmäßig vor Gericht gewinnen, die Behörde aber sofort einen neuen, anders begründeten VA erlassen und ihm wäre nicht geholfen. Daher muss man das grundsätzlich zulassen, aber eben in Maßen, d.h. nur, wenn bereits bestehende Ermessenserwägungen ergänzt werden. Der VA kann also, wenn ausreichende Erwägungen nachgereicht werden, dadurch rechtmäßig werden.
Nur der völlige Austausch oder die erstmalige Anstellung von Ermessenserwägungen ist unzulässig.

Stimmt das so weit? Ich hab das nochmal nachgelesen und mich damit irgendwie selbst nur verwirrt, die Erklärungen, die ich gefunden habe, haben mich nur verunsichert.
Herr Schraeg
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Re: Verständnisfrage zu § 114 S. 2 VwGO

Beitrag von Herr Schraeg »

Im wesentlichen liegst Du richtig, wobei es so einfach nicht zu sein scheint, denn Referendare, Anwälte und Richter machen es häufig nicht ganz richtig:

§ 114 Satz 1 VwGO bestimmt, dass das Gericht auch Ermessensentscheidungen der Behörde auf bestimmte Fehler überprüft. § 114 Satz 2 VwGO ergänzt diese Regelung dahin, dass die Behörde im gerichtlichen Verfahren ihre Ermessenserwägungen noch ergänzen darf (aus dem "ergänzen" folgen die Grenzen dieses Nachschiebens von Gründen im Prozess, nämlich wie von Dir angeführt, kein Nachschieben bei Ausfall des Ermessens oder bei völligem Austausch).

Aber aus systematischen und kompetenzrechtlichen Gründen regelt § 114 Satz 2 VwGO nicht die materiellrechtliche und verwaltungsverfahrensrechtliche Zulässigkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen, sondern nur ihre prozessuale Geltendmachung. Der Normzweck ist die Klarstellung, dass ein "materiellrechtlich und verwaltungsverfahrensrechtlich zulässiges Nachholen von Ermessenserwägungen nicht an prozessualen Hindernissen scheitert" (BVerwG NVwZ 2014, 151 ff).

Die verwaltungsverfahensrechtlichen und die prozessualen Anforderungen werden in der Praxis häufig durcheinander geschmissen, weil die verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen an ein Nachschieben von Gründen ähnlich sind: Die neuen Gründe müssen schon bei Erlass des VA vorgelegen haben, der VA darf nicht in seinem Wesen verändert werden, das Nachschieben muss hinreichend bestimmt sein und der Betroffene darf in seinem Rechtsschutz nicht beeinträchtigt werden (BVerwG a.a.O - die Entscheidung ist für die von Dir aufgeworfene Frage sehr instruktiv).
jona7317
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Re: Verständnisfrage zu § 114 S. 2 VwGO

Beitrag von jona7317 »

Okay, vielen Dank für die schnelle Antwort!
Die Entscheidung werd ich mir bei Gelegenheit mal ansehen, Danke auch dafür :)
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