417 kmh A2 - Eigenrennen?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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gola20
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von gola20 »

Urs Blank hat geschrieben: Freitag 28. Januar 2022, 14:33 Bei 417 km/h (115 m pro Sekunde) ist man jenseits von gut und böse. Der Anhalteweg bei einer Gefahrbremsung beträgt über 500 m. Auf unerwartete Hindernisse oder Straßenschäden kann damit nicht mehr adäquat reagiert werden.
Auf die kannst du aber auch mit 200km/h nicht mehr reagieren.
Wieso sind 417km/h zu viel und 250km/h nicht? In beiden Situationen bist du tot, wenn plötzlich ein Hindernis erscheint.
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Tibor
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Tibor »

Ein Unfall mit 250 auf der beplankten Autobahn muss nicht zwingend mit dem Tod enden. Also wenn man mit einem ordentlich großen Auto mit gutem Schwerpunkt unterwegs ist und nicht in einem Polo GTI.
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famulus
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von famulus »

gola20 hat geschrieben: Freitag 28. Januar 2022, 15:21Auf die kannst du aber auch mit 200km/h nicht mehr reagieren.
Wieso sind 417km/h zu viel und 250km/h nicht? In beiden Situationen bist du tot, wenn plötzlich ein Hindernis erscheint.
Dann sind 200km/h eben auch unangemessen - wo ist das Problem?
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von thh »

famulus hat geschrieben: Freitag 28. Januar 2022, 16:18
gola20 hat geschrieben: Freitag 28. Januar 2022, 15:21Auf die kannst du aber auch mit 200km/h nicht mehr reagieren.
Wieso sind 417km/h zu viel und 250km/h nicht? In beiden Situationen bist du tot, wenn plötzlich ein Hindernis erscheint.
Dann sind 200km/h eben auch unangemessen - wo ist das Problem?
Tempo 30 wäre deutlich sicherer.
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417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

gola20 hat geschrieben:
Urs Blank hat geschrieben: Freitag 28. Januar 2022, 14:33 Bei 417 km/h (115 m pro Sekunde) ist man jenseits von gut und böse. Der Anhalteweg bei einer Gefahrbremsung beträgt über 500 m. Auf unerwartete Hindernisse oder Straßenschäden kann damit nicht mehr adäquat reagiert werden.
Auf die kannst du aber auch mit 200km/h nicht mehr reagieren.
Wieso sind 417km/h zu viel und 250km/h nicht? In beiden Situationen bist du tot, wenn plötzlich ein Hindernis erscheint.
Mit 200 km/h oder 250 km/h ist der Bremsweg deutlich kürzer und gleichzeitig der Geschwindigkeitsunterschied zu den anderen Fahrzeugen deutlich geringer. Wenn 500 m vor einem jemand mit 130 km/h auf die vermeintlich freie linke Spur zieht (von anderen Hindernissen mal ganz zu schweigen), hat man mit 400 km/h höchstwahrscheinlich ein echtes Problem - zumal man nicht darauf setzen kann, dass der andere rechtzeitig die Gefahrensituation realisiert und die Spur wieder freimacht, weil eben niemand damit rechnet, urplötzlich einen Bugatti mit über 400 km/h hinter sich zu haben.

Und: wer vorher und nachher betet, kann m. E. nicht ernsthaft behaupten, er habe geglaubt, die Situation jederzeit völlig unter Kontrolle zu haben.
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Strich
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

Sehe im Ausgangsfall keine Probleme: Die ganzen StVO Erwägungen sind schön, aber zu unbestimmt, um daran eine Strafbarkeit zu knüpfen. Die Autobahn verzichtet sogar auf das Sichtfahrgebot, warum sollten dann Erwägungen zu Bremswegen denselben Anforderungen unterliegen, wie auf Nichtautobahnen?
Für eine "ständige Kontrolle" des Fahrzeugs spricht jedenfalls, das nichts passiert ist. Ich sehe auf dem Video auch keinen Beinaheunfall oder ähnliches. Hinzu kommt, dass die Geschwindigkeit technisch bedint ohnehin kaum länger als ein paar Minuten aufrecht erhalten werden kann, weil das entweder die Reifen oder der Tank nicht ehrgeben. Etwas, dass man i.d.R. weiß, wenn man solche Fahrzeuge fährt.

Schließe mich daher thh an: 30 wäre viel sicherer.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

Nur weil etwas rein tatsächlich gut gegangen ist, heißt es noch lange nicht, dass der Fahrer die Situation tatsächlich die ganze Zeit vollständig unter Kontrolle hatte.
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Strich
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

Stimmt. Das war aber auch gar nicht der Punkt.
Um deutlich zu machen warum das nicht er Punkt war: Nur weil jemand 417 km/h fährt heißt das nicht, dass er sein Fahrzeug nicht ständig unter Kontrolle hat.

Der reine Hinweis auf das eine oder andere hilft hier schlicht nicht weiter, sondern ist allenfalls ein Argument in einer Gesamtabwägung.

Dein Argument ist schließlich auch deswegen schwierig, weil du mit einem selbst gezeichneten hypothetischen Verlauf der Dinge (Oh gott was hätte alles passieren können!) versuchst reales Handeln platt zu machen. Daher war thhs sarkastisch gemeinter Kommentar - 30 wäre viel sicherer - in der Überspitzung zutreffend.
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417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

@Strich: Umgekehrt wird mE ein Schuh draus: das Argument „ist ja gut gegangen“ geht daran vorbei, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB - anders als Abs. 2 - keine konkrete Gefährdung voraussetzt, sondern allein den Umstand, dass man im öffentlichen Straßenverkehr die Grenzen des Möglichen austestet, für die Strafbarkeit genügen lässt, weil man eben Leute, die ein Eigenrennen fahren, nicht erst dann aus dem Verkehr ziehen möchte, wenn tatsächlich jemand (fast) zu Schaden kommt.

Und wenn ich unter „wer im Straßenverkehr sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ subsumiere, halte ich Geschwindigkeiten von über 250/300 km/h bis über 400 km/h auch ohne Geschwindigkeitsbeschränkung auf einer nicht ganz leeren Autobahn für „nicht angepasst“, „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“, weil das persönliche Interesse am Geschwindigkeitsrausch über das berechtigte Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer gestellt wird, nicht unfreiwillig und nichtsahnend Versuchsteilnehmer bzw. -opfer zu werden. Da hilft es mE auch nicht, dass der Täter sein Fahrzeug auch bei 417 km/h noch vermeintlich „sicher“ führen kann - denn die Kontrolle endet dort, wo der Täter einzelne Parameter bzw. Situationen eben nicht mehr sicher beherrschen kann. Beispiel der Berliner Raserfall: wenn der Ku’damm gesperrt ist, kann man an der damaligen Unfallstelle gewiss mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit „sicher“ fahren. Sobald sich dort andere Verkehrsteilnehmer bewegen, wird es hingegen zum Glücksspiel.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von JuraPunk »

Auf dem Video ist zu sehen, dass in den Bereichen, die hügelig oder kurvig und demzufolge nicht voll einsehbar sind, die Geschwindigkeit noch moderat ist. Gas wird erst auf gerader Strecke mit ausreichend Weitsicht gegeben. Grobe Verkehrswidrigkeit oder gar Rücksichtslosigkeit vermag ich nicht zu erkennen. Ob man allerdings mit 417 über die Bahn heizen muss, ist freilich eine andere Frage. Wollte der Gesetzgeber dies nicht, stünde es ihm frei, die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf z.B. 250 km/h zu begrenzen (was immer noch verdammt schnell ist).
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Micha79 »

Das Problem ist meines Erachtens auch, dass die Tatbestandsmerkmale „nicht angepasst“, „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“ eigenständige Bedeutung haben müssen und man mE nicht einfach sagen kann „ab einer bestimmten Geschwindigkeit ist halt alles gegeben“.

Ein Verteidiger würde darauf aufmerksam machen können,
warum denn jetzt dieser Fall nicht bloß nicht angepasst, aber nicht zugleich grob verkehrswidrig und rücksichtslos ist;
oder warum denn dieser Fall möglicherweise nicht angepasst und grob verkehrswidrig, aber nicht rücksichtslos ist.

Diejenigen, die 315d hier bejahen, müssen mE Fälle zur Abgrenzung bilden können, in denen ein Verhalten (bei Fehlen einer Geschwindigkeitsbegrenzung, guter Sicht, gutem Wetter und wenig Verkehr)
lediglich nicht angepasst, aber nicht grob verkehrswidrig ist;
sodann womöglich grob verkehrswidrig ist, aber noch nicht rücksichtslos ist;

um rechtfertigen zu können, warum jedes dieser eigenständigen Tatbestandsmerkmale gerade hier verwirklicht ist und welche Elemente gerade das Tatbestandsmerkmale erfüllen und keines der anderen.
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Tibor
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Tibor »

Warum soll ein Lebenssachverhalt („rasen“) nicht mehrere Tatbestandsmerkmale zugleich erfüllen?
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Micha79
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Micha79 »

Kann er ja, aber jedes Wort muss seine eigenständige Bedeutung als Tatbestandsmerkmal haben. Es muss also Fälle geben, die den von mir beschriebenen Dreiklang erfüllen (nur 1 aber nicht 2 und 3; nur 1 und 2, aber nicht 3).
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Strich
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

@Liz: ja so kann man das sehen und begründen. Ich halte das eben nicht für überzeugend. Ich habe aber auch große verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Eigenrennen in § 315d StGB. Der Tatbestand ist da auch erfüllt, wenn ich mit meinem 45 km/h Roller rase um gerade diese 45 km/h zu erreichen.

@Tibor: Genau das was Micha79 sagt ist der Punkt: Wie sieht ein Fall aus, der weder grob verkehrswidrig noch rücksichtslos ist, aber das Merkmal nicht angepasste Geschwindigkeit erfüllt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Unterstellung des Vorsatzes aus äußeren Umständen immer nur das ist: eine Unterstellung.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Theopa »

Micha79 hat geschrieben: Mittwoch 2. Februar 2022, 10:01 Diejenigen, die 315d hier bejahen, müssen mE Fälle zur Abgrenzung bilden können, in denen ein Verhalten (bei Fehlen einer Geschwindigkeitsbegrenzung, guter Sicht, gutem Wetter und wenig Verkehr)
lediglich nicht angepasst, aber nicht grob verkehrswidrig ist;
sodann womöglich grob verkehrswidrig ist, aber noch nicht rücksichtslos ist;
Bei den Begriffen grob verkehrswidrig und rücksichtslos kann man die Definitionen in § 315c StGB heranziehen: Grob verkehrswidrig meint die besonders schweren Verstöße gegen Verkehrsvorschriften, rücksichtslos das subjektive Element dazu (eigensüchtige Gründe, etc.), wobei diese als übliches Begriffspaar wohl auch bei § 315c StGB fast immer gleichzeitig erfüllt oder nicht erfüllt sein werden.

Das Gute Wetter, die Verkehrslage, der Ausbauzustand der Straße etc. sind mE die eher weichen und situationsbedingten Faktoren, auf die sich das "angepasst" bezieht. Ich würde das primär als Verweis auf die allgemeinen Verhaltensregeln bzw. Generalklauseln sehen. Bei Tempolimit 50 können 30 bereits nicht angepasst sein, wenn die Straße spiegelglatt gefroren ist, müssen damit aber keinesfalls grob verkehrswidrig oder rücksichtslos sein.

Man könnte also durchaus Beispiele bilden, in welchen beim Zu-Schnell-Fahrer ohne Tempolimit nicht alle Merkmale erfüllt sind, z.B. eine sehr nasse aber komplett verkehrsfreie Autobahn nachts ohne Tempolimit mit 160: Das ist nicht angepasst aber weder grob verkehrswidrig noch rücksichtslos.
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