Befangenheit aus Zeugensicht

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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doohan
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Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von doohan »

Hallo,

mal folgendes fiktives Szenario: ein überlasteter Richter R vernimmt in der Hauptverhandlung den Zeugen Z. R schlägt über alle Stränge bei der Vernehmung, nennt Z einen Hurensohn, der endlich mit der Sprache rausrücken solle, weil er ihn sonst im Gefängnis verschimmeln läßt.

Klar ist, dass sowohl Verteidiger als auch Staatsanwalt damit die Möglichkeit haben, gemäß § 24 StPO einen Befangenheitsantrag zu stellen (sofern Z den R nicht provoziert und zur Weißglut getrieben hat). Was aber kann Z ggf. gegen einen austickenden R machen?

§ 24 Abs. 3 StPO eröffnet dem Zeugen gerade kein Ablehnungsrecht. § 19 Abs. 4 GG eröffnet nur den Rechtsschutz durch den Richter, aber nicht gegen den Richter.

Das einzige, was mir einfällt, ist gefühlt schon eine wacklige Konstruktion: eine Beschwerde nach 304 StPO mit der Begründung, in seinen Persönlichkeitsrechten (Ehrschutz) verletzt zu sein sowie der möglichen Strafbarkeit des Richters (339 - 343 StGB).

Abgesehen von der Frage, ob dabei überhaupt was raus kommt, kann sich Z dem austickenden Richter R selbst nicht entziehen. Ist dem wirklich so oder übersehe ich hier was? Das ist ja so, als wenn man in der Nacht überfallen wird und das Gesetz von einem verlangen würde, dass man sich auch brav weiter prügeln läßt, bis dem Verbrecher die Kraft ausgeht --> logisch widersinnig.

Einen ähnlichen Fall (allerdings zwischen Verteidiger und Richter) hat es schon mal gegeben; hier kann man aber mit Fug und Recht wohl von einem provokanten Verhalten des Verteidigers reden:

https://www.focus.de/politik/deutschlan ... 94900.html
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Ara
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von Ara »

Der Verteidiger hat kein Recht einen Befangenheitsantrag zu stellen. § 24 Abs. 3 S. 1 StPO zählt den Verteidiger nicht auf.

Aber zur Frage: Warum sollte der Zeuge das jucken? Kann dem Zeugen doch völlig wumpe sein, ob der Richter nun irgendeine Voreingenommenheit hat (zumindest genau soviel wie jedem anderen Zuschauer). Er wird doch nicht verurteilt und ist auch nicht Nebenkläger. Es gibt daher gar kein Bedarf.

Für deinen Hurensohn-Fall kann der Zeuge vermutlich zivilrechtlich ein Unterlassen durchsetzen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Strich
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von Strich »

Es ist auch eine Beleidigung.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von thh »

Strich hat geschrieben:Es ist auch eine Beleidigung.
Die der Vorsitzende dann als Straftat in der Sitzung protokollieren muss. Bild

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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von doohan »

thh hat geschrieben: Mittwoch 1. Februar 2023, 12:36
Strich hat geschrieben:Es ist auch eine Beleidigung.
Die der Vorsitzende dann als Straftat in der Sitzung protokollieren muss. Bild

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Die Protokollierung kann der Zeuge erzwingen. Wenn er gemäß § 304 StPO eine Beschwerde stellt, dass nach § 69 Abs. 3 StPO i. V. m. § 136a StPO der Richter seine Willensbetätigung mit der Aussage "- Zitat der Aussage - " beeinträchtigt, so hat er einen Antrag gestellt. Ob der Antrag durchgeht, ist egal - nach § 273 Abs. 1 StPO muß der Antrag in das Protokoll.

Damit steht zumindest die Aussage aus Zeugensicht mal drin. Nachdem das Gericht bzw. der Richter zu dem Antrag auch Stellung nehmen muss, kommt er dem Punkt nicht mehr aus.

Das ganze hilft nur bei meiner ursprünglichen Frage nicht weiter: klar kann der Zeuge im Nachgang zur Hauptverhandlung vor das Beschwerdegericht ziehen. Das ändert aber erst mal nichts daran, dass er den Richter weiter auf ihn einhacken lassen muss....
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von doohan »

Ara hat geschrieben: Dienstag 31. Januar 2023, 22:32 Der Verteidiger hat kein Recht einen Befangenheitsantrag zu stellen. § 24 Abs. 3 S. 1 StPO zählt den Verteidiger nicht auf.
okay, sorry, dann der Beschuldigte ;)
Ara hat geschrieben: Dienstag 31. Januar 2023, 22:32 Aber zur Frage: Warum sollte der Zeuge das jucken? Kann dem Zeugen doch völlig wumpe sein, ob der Richter nun irgendeine Voreingenommenheit hat (zumindest genau soviel wie jedem anderen Zuschauer). Er wird doch nicht verurteilt und ist auch nicht Nebenkläger. Es gibt daher gar kein Bedarf.
Der Richter droht ihm im Beispiel an, ihm im Gefängnis verschimmeln zu lassen. Wegen der verhandelten Straftat hat er nichts zu befürchten, wohl aber wegen § 70 StPO. Je nach Themenbereich hat er auch allen Grund, nicht aussagen zu wollen (z. B. eigenes Sexualleben mit dem Angeklagten; ich hab das Beispiel hier schon öfters gebracht).
Ara hat geschrieben: Dienstag 31. Januar 2023, 22:32 Für deinen Hurensohn-Fall kann der Zeuge vermutlich zivilrechtlich ein Unterlassen durchsetzen.
Wie soll er bitte gegen eine richterliche Handlung zivilrechtlich vorgehen? :crazy: Der richterlichen Unabhängigkeit mit einer Unterlassungsklage zu begegnen und die durchgreifend auch zu begründen... ich wüßte nicht wie.
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Ara
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von Ara »

Aber was soll dem Zeugen der Befangenheitsantrag bringen?

Man stelle sich vor der Zeuge Minimilian Schmitz, Betreiber von der Drogenplattform GlowingFlakes, wird samt 10.000 seiner Kunden hochgenommen. Minimilian wird nun in 10.000 Verfahren als Zeuge gegen seine Kunden geladen und vernommen. Der Richter am Amtsgericht Gemein hat 10 dieser Verfahren.

Im ersten Verfahren gegen den Beschuldigten Conrad Kokain erklärter der Richter am Amtsgericht Gerhard Gemein in der Zeugenvernehmung von Minimilian, dass er ja mit den Käufern mitleid habe und das die waren Verbrecher "solche Hurensöhne wie Minimilian" seien. Man müsse solche Leute wie Minimilian seiner Meinung nach am Galgen baumeln lassen, die Drogenabhängigen Käufer seien dagegen auch eigentlich nur Opfer des Zeugen.

Minimilian stellt nun einen "Befangenheitsantrag" weil er sich sowas nicht gefallen müsse. Was soll die Konsequenz denn nun sein, wenn der Befangenheitsantrag erfolg hat? Das Verfahren gegen Conrad Kokain wird ausgesetzt und er bekommt einen neuen Richter, obwohl Conrad Kokain sich schon gefreut hat, weil der Richter ja erklärt hat, er hat Mitleid mit ihm? Nun kriegt er vielleicht die Richterin am Amtsgericht Susi Schreckschraube die meint sie müsse immer 4 Jahre geben, egal was ihr vor die Flinte kommt.

Und was hat Minimilian davon? Seine Vernehmung ist ja eh durch, in den 9 weiteren Verfahren trifft er aber wieder auf Amtsrichter Gemein. Stellt er da nun auch weitere Befangenheitsanträge?

Das ergibt ja systematisch alles gar kein Sinn.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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thh
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von thh »

doohan hat geschrieben: Freitag 3. Februar 2023, 21:27 Die Protokollierung kann der Zeuge erzwingen. Wenn er gemäß § 304 StPO eine Beschwerde stellt, dass nach § 69 Abs. 3 StPO i. V. m. § 136a StPO der Richter seine Willensbetätigung mit der Aussage "- Zitat der Aussage - " beeinträchtigt, so hat er einen Antrag gestellt. Ob der Antrag durchgeht, ist egal - nach § 273 Abs. 1 StPO muß der Antrag in das Protokoll.
Zu protokollieren sind Anträge von Verfahrensbeteiligten, nicht von Zeugen oder Zuschauern.
doohan hat geschrieben: Freitag 3. Februar 2023, 21:27 Damit steht zumindest die Aussage aus Zeugensicht mal drin. Nachdem das Gericht bzw. der Richter zu dem Antrag auch Stellung nehmen muss, kommt er dem Punkt nicht mehr aus.
Selbstverständlich muss das Gericht zu "Anträgen" nicht antragsberechtigter Personen auch keine Stellung nehmen.
doohan hat geschrieben: Freitag 3. Februar 2023, 21:37 Wegen der verhandelten Straftat hat er nichts zu befürchten, wohl aber wegen § 70 StPO. Je nach Themenbereich hat er auch allen Grund, nicht aussagen zu wollen (z. B. eigenes Sexualleben mit dem Angeklagten; ich hab das Beispiel hier schon öfters gebracht).
Es gibt viele Gründe, Dinge zu wollen oder nicht zu wollen. Solche Gründe ändern nichts an den Zeugenpflichten und den Folgen von Pflichtverstößen.

Es gibt auch keinen Anlass, dem Zeugen entsprechende Antragsrechte zuzubilligen. Neben dem Gericht nimmt zwingend auch die Staatsanwaltschaft an jeder Hauptverhandlung teil und wacht über die ordnungsgemäße und rechtsfrömliche Verfahrensdurchführung.
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von doohan »

thh hat geschrieben: Samstag 4. Februar 2023, 13:04 Zu protokollieren sind Anträge von Verfahrensbeteiligten, nicht von Zeugen oder Zuschauern.
Hierzu Meyer-Gossner zu § 273 StPO, Rn. 10: Die im Verlauf der Verhandlung gestellten Anträge (Antragsteller, Antragsinhalt) müssen im Protokoll beurkundet werden, auch die Hilfsanträge (...) und die unzulässigen Anträge, nicht aber die Begründung der Anträge.
thh hat geschrieben: Samstag 4. Februar 2023, 13:04 Selbstverständlich muss das Gericht zu "Anträgen" nicht antragsberechtigter Personen auch keine Stellung nehmen.
Zur Antragsberechtigung siehe § 304 Abs. 2 StPO: Auch ZEUGEN, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

Knackig ist allerdings die Frage, ob in dem Beispiel eine Verfügung vorliegt. Da der Richter im Beispiel damit droht, ist ansich damit eher nicht zu rechnen. Das ist aber angesichts oben gesagtem zu § 273 StPO auch irrelevant.
thh hat geschrieben: Samstag 4. Februar 2023, 13:04 Es gibt viele Gründe, Dinge zu wollen oder nicht zu wollen. Solche Gründe ändern nichts an den Zeugenpflichten und den Folgen von Pflichtverstößen.
Absolut unbestritten. Allerdings nehmen es Gerichte und Staatsanwaltschaften mit den Zeugeninteressen bisweilen auch nicht so genau. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht gerade erst wieder in 1 BvR 1345/21 klargestellt, was Ermittlungsbehörden in Bezug auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung dürfen und was nicht.

Ich nehme das beiden ja noch nicht mal krumm, denn wenn man sich im Detail mit der Thematik beschäftigt, dann werden schon einzelne Fragen verfassungsrechtlich echt knackig. Jetzt kriegt das noch nicht mal der Gesetzgeber hin - wie soll das dann bitte ein einzelner Richter oder Staatsanwalt in allen Fällen adhoc hinbekommen?
thh hat geschrieben: Samstag 4. Februar 2023, 13:04 Es gibt auch keinen Anlass, dem Zeugen entsprechende Antragsrechte zuzubilligen.
Das sieht - wie oben dargestellt - der Gesetzgeber glücklicherweise anders. Ein Zeuge ist halt - auch wenn das dem einen oder anderen Staatsanwalt absolut nicht gefällt - nicht nur Beweismittel, sondern Grundrechtsträger, vulgo Mensch.
thh hat geschrieben: Samstag 4. Februar 2023, 13:04 Neben dem Gericht nimmt zwingend auch die Staatsanwaltschaft an jeder Hauptverhandlung teil und wacht über die ordnungsgemäße und rechtsfrömliche Verfahrensdurchführung.
Rechtsfrömlich? Amen :drinking:

Spaß beiseite: ich weiß nicht mehr, ob du oder jemand anderes das mal hier im Forum geschrieben hat, dass Staatsanwälte teilweise nur mit dem Vorwurf und ohne Aktenkenntnis in eine Hauptverhandlung reingehen. Wie will ein Staatsanwalt ohne Kenntnis der Ermittlungsvorgeschichte z. B. kernbereichsrelevante Verstöße, welche sich aus dem Kontext der polizeilichen Ermittlungen und der Hauptverhandlung(ssitzungen) theoretisch ergeben können, ordnungsgemäß und rechtsförmlich überwachen?

Genau: gar nicht.
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Re: Befangenheit aus Zeugensicht

Beitrag von doohan »

Ara hat geschrieben: Samstag 4. Februar 2023, 12:56 Und was hat Minimilian davon? Seine Vernehmung ist ja eh durch, in den 9 weiteren Verfahren trifft er aber wieder auf Amtsrichter Gemein. Stellt er da nun auch weitere Befangenheitsanträge?
Nun mal langsam: es geht in der Ausgangsfrage darum, wie man sich einem völlig austickenden Richter zur Tatzeit entziehen kann (wobei du dir unter Austicken jede gesetzeswidrige Verhaltensweise vorstellen darfst, die mit gesundem Menschenverstand betrachtet eine derartige Vernehmung aus Sicht einer dritten, neutralen Person unzumutbar macht).

Es geht nicht darum, sich der Zeugenaussage zu entziehen, weil whatever. Die Zeugenaussage hat zu erfolgen, aber eben im rechtsförmigen Rahmen. Logischerweise muss dieses Austicken dann noch gerichtlich geprüft werden.

Wenn das prüfende Gericht zum Schluss kommt "alles bestens", dann hat Minimilian Pech gehabt. Und zwar nicht 9x, sondern 10x - denn dann geht es mit Amtsrichter Gemein weiter. Und der ist dann halt - nachvollziehbar - sauer.
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