Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Urs Blank
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

Julia hat geschrieben: Freitag 14. August 2020, 13:11 Das BMJV dreht mE bei der Geldwäsche endgültig frei: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Geldwaesche_Bekaempfung.pdf;jsessionid=B922338F1565DC21A5649EA377EAA070.1_cid297?__blob=publicationFile&v=1 (Verwaister Link automatisch entfernt)

Mal ganz abgesehen davon, dass diese Änderung dogmatisch völliger Quatsch ist (ich mache mich künftig also wegen Geldwäsche strafbar, wenn ich einen Kaugummi stehle und jemandem schenke?): Das Problem der Geldwäschebekämpfung lag nie in unzureichenden Gesetzen, sondern darin, dass der Straftatbestand seit Jahren faktisch nicht mehr zu händeln ist und es auch an den Umsetzungsvoraussetzungen fehlt.
In der aktuellen NZWist (2020, 417, bei Beck Online) stellen Bussmann/Veljovic die Ergebnisse einer bundesweiten Aktenerhebung von Verfahren wegen Geldwäsche vor. Der Studie lag eine Auswertung von rund 650 zufällig ausgewählten Verfahrensakten zugrunde.

Einige Ergebnisse:
- Häufigste Fallgruppe: Finanz- und Warenagenten (99 %)
- Vortaten daher fast ausschließlich Betrug, Computerbetrug und Urkundsdelikte, nur zu 3,1 % BtM, Diebstahl oder andere Delikte
- Volumen: Jedes 2. Verfahren unter 5.000 Euro, im Durchschnitt rund 40.000 Euro

Ein Fazit:
Grundsätzlich besteht bei der strafrechtlichen Verfolgung der Geldwäsche das maßgebliche Problem allerdings nicht in einem noch zu kurzen Vortatenkatalog, sondern in der schwierigen Beweisbarkeit bereits der Grundzüge einer Vortat. Sofern es keinen Hinweis auf die inkriminierte Herkunft des Geldes gibt, und dies erfolgt zu 99 %, wird das Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche folgenlos eingestellt.
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Der Entwurf zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder unterschlägt vollständig die Kosten für die notwendige Verteidigung: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Bekaempfung_sex_Gewalt_Kinder.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Verwaister Link automatisch entfernt)

Ich weiß ja nicht wer den Entwurf geschrieben hat, aber insbesondere die Kinderpornoverfahren werden doch zu weit über 50% nach § 170 II StPO eingestellt, weil schlicht nicht ermittelt werden kann, wer das fragliche Endgerät zum Zeitpunkt genutzt hat. Durch die Reform des § 141 StPO ist nicht nur unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen, sondern selbst im Falle der Einstellung ist noch über den Antrag zu entscheiden.

Das heißt zukünftig zahlt die eine Hälfte des Verteidigerhonorars die Staatskasse und die andere Hälfte der Mandant. Ich weiß gar nicht wie man den Kostenfaktor übersehen kann.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tibor »

Aber es geht doch um die Kinder ...
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tibor »

PS neulich nen Hinweis auf eine Kommentierung im Müko erhalten:
„Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 184j Rn. 1“ hat geschrieben:
I. Unübliche, aber unvermeidliche Vorbemerkung

Soweit ersichtlich hat der Gesetzgeber mit § 184j etwas Einzigartiges geschafft: einen Straftatbestand, der aufgrund seiner inneren Widersprüchlichkeit unanwendbar ist. Die Erläuterung dieser Vorschrift erfordert daher eigentlich keine Kommentierung, sondern eine Parodie – eine Literaturgattung freilich, deren Stilmittel juristischen Autoren üblicherweise nicht geläufig sind. Insofern wird schon im Vorhinein um Nachsicht gebeten.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Just456 »

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn die Staatsanwaltschaft vor der Verhandlung Mündlich den Antrag auf Verfahrenseinstellung
gemäß § 154 Abs. 2 StPO beantragt, muss der Antrag doch verschriftlich bzw. in Schriftform zu den Akten genommen werde, damit dan der folgende Beschluss erlassen werden kann oder ?
Und wenn es in der Hauptverhandlung passiert ist wo der Angeklagte noch nicht vor Ort war und der Verteidiger, muss es doch in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen werden oder?
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batman
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von batman »

Klassiker: Der schlafende Schöffe :sleepy2:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- ... 47&anz=620

Sowie die unmissverständlichen Segelanweisungen des Senats:
"Das neue Tatgericht wird dabei Gelegenheit haben, das Tatgeschehen konsequent ... ohne rechnerische Mängel und Zählfehler ... darzustellen".
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Urs Blank
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

Der BGH "löst" ein altes AT-Problem, nämlich die Behandlung des "dolus alternativus", und zwar (falls ich es beim ersten Lesen richtig sehe) im Sinne der hM in der Literatur.

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- ... 36&anz=502

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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Windscheid »

https://www.sueddeutsche.de/panorama/ju ... -99-533554

Nun werden Ermittlungen auch gegen Wehrmachts-Soldaten angestrengt.
Ich finde das schwierig. Bei den SS-Leuten war das nachvollziehbar, da sich die meisten dort freiwillig für den Lagerdienst gemeldet hatten. Dementsprechend wurde diesen Leuten auch vorgeworfen, sie hätten dort nicht sein müssen. Inwiefern eine solche Argumentation im Krieg wirklich auch menschlich überzeugen kann, ist eine andere Frage, muss aber hier nicht erörtert werden.
Im Zuge des Unternehmens Barbarossa wurden viele bislang unbehelligt gebliebene alte Jahrgänge eingezogen und für Wachdienste abgestellt. Die Situation ist also anders als bei den SS-Freiwilligen.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von OrangensaftEddy »

2000 Personen wurden identifiziert und gegen sieben wird ermittelt. Mehr sagt der Artikel auch nicht.
Es fehlen Details um darüber zu diskutieren, ob es bei denen "gerechtfertigter" ist als bei den SS-Leuten.
Wer weiss, was diese sieben "unbeheligt gebliebenen alten Jahrgänge" da angestellt haben. Vielleicht habe ich etwas falsch verstanden, dann bitte um Aufklärung.

Abgesehen davon, finde ich es bei dem ganzen Thema schwer eine Grenze zu ziehen. Berücksichtig man die eigentliche Rolle des damaligen Volkes (Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk) fällt es eigentlich schwer, jemanden zu finden der nicht zur Verantwortung gezogen werden sollte oder zumindest gezogen werden könnte - Stichwort Tätergeneration.

Natürlich wird keiner als Straftäter geboren, böse Gene gibt es nicht, das wissen wir. Insofern sind die damaligen Umstände entscheidend gewesen.

Die damalige juristische Gesetzmäßigkeit und Gerechtigkeit kann man dabei getrost vergessen. Die heutige ist da auch kaum in der Lage das zu handeln, wie man sieht. Aus heutiger Sicht aber war der Großteil, meiner Meinung nach, schuldig. Nicht nur im rechtlichen Sinne, sondern auch im religiösen und im moralischen Sinne.
Wir sind natürlich auch im Jahre 2020 alle Mitschuld an dem Großteil was um uns herum passiert, zumindest in dem Sinne, dass wir von vielen Krisen und Leid profitieren. Da kann sich kaum einer freireden. Insofen unterscheidet uns nur die Schwere unserer Taten.
Darum, sollte es ein jüngstes Gericht geben, landet der Großteil sowieso in der Hölle.
Ich selbstverständlich auch.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Sektnase »

OrangensaftEddy hat geschrieben: Sonntag 21. Februar 2021, 22:37 Stichwort Tätergeneration.

Wir sind natürlich auch im Jahre 2020 alle Mitschuld an dem Großteil was um uns herum passiert, zumindest in dem Sinne, dass wir von vielen Krisen und Leid profitieren. Da kann sich kaum einer freireden. Insofen unterscheidet uns nur die Schwere unserer Taten.
Dann ruf ich lieber schon mal beim Strafverteidiger an.

Bist wohl noch nicht ganz wach. Sippenhaft gibt es nicht, Schuld im rechtlichen Sinne knüpft an ein vorwerfbares (tatbestandlich zum Zeitpunkt der Begehung gesetzlich) festgelegtes Unrecht an. Dass "die gesamte Generation" der Wehrmachtssoldaten gemordet hätte, ist mir auch nicht bekannt. Der überragende Großteil der Soldaten wird die ein KZ aus der Nähe gesehen haben. Von der damaligen Rechtslage mal ganz abgesehen.
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von OrangensaftEddy »

Kann man sehen wie man will.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Brainiac »

Tibor hat geschrieben: Freitag 30. Oktober 2020, 21:24 PS neulich nen Hinweis auf eine Kommentierung im Müko erhalten:
„Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 184j Rn. 1“ hat geschrieben:
I. Unübliche, aber unvermeidliche Vorbemerkung

Soweit ersichtlich hat der Gesetzgeber mit § 184j etwas Einzigartiges geschafft: einen Straftatbestand, der aufgrund seiner inneren Widersprüchlichkeit unanwendbar ist. Die Erläuterung dieser Vorschrift erfordert daher eigentlich keine Kommentierung, sondern eine Parodie – eine Literaturgattung freilich, deren Stilmittel juristischen Autoren üblicherweise nicht geläufig sind. Insofern wird schon im Vorhinein um Nachsicht gebeten.
:lmao: Großartig!
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Julia »

Renzi ist der Beste. Ich habe ihn bei einer internen Diskussion zu dieser Norm erleben dürfen; so viel komödiantisches Potenzial haben wenige :D
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Sektnase »

OrangensaftEddy hat geschrieben: Montag 22. Februar 2021, 14:29 Kann man sehen wie man will.
Grundsätzlich schon, in unserem Rechtssystem aber nicht. Moralische Schuld reicht für eine Verurteilung (und auch für eine Anklage) eben nicht aus.
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von OrangensaftEddy »

Sektnase hat geschrieben: Montag 22. Februar 2021, 15:31
OrangensaftEddy hat geschrieben: Montag 22. Februar 2021, 14:29 Kann man sehen wie man will.
Grundsätzlich schon, in unserem Rechtssystem aber nicht. Moralische Schuld reicht für eine Verurteilung (und auch für eine Anklage) eben nicht aus.
Ich steige hier aus, vielen Dank.
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