Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Gregory
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Gregory »

HRP hat geschrieben:Doch, es ist mir durchaus klar, dass ich nicht notwendigerweise eine strafbewährte Rechtsposition benötige - daher ja auch der kurze Schlenker zum Nichtraucherschutzgesetz -, nur bin ich zugegeben nicht auf den Gedanken gekommen, § 223 StGB dahinstehen zu lassen, weil es daneben schließlich auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit gibt. Ich frage mich dann nur, ob ich einen Eingriff in dieses annehmen und zugleich § 223 StGB ablehnen kann.
Mir will sich nach wie vor nicht erschließen, warum du eine Körperverletzung durch den Angreifer überhaupt erörtern möchtest. Denn wie Swann bereits richtig herausgestellt hat, ist die Verwirklichung dieses Tatbestandes für die Frage, ob eine Notwehrlage gegeben ist, nicht von Bedeutung: Ein Angriff liegt vor, wenn die körperliche Unversehrtheit des Opfers bedroht oder bereits beeinträchtigt ist. Gegenwärtig ist dieser Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht oder noch andauert. Und rechtswidrig ist er schließlich dann, wenn er in Widerspruch zur Rechtsordnung steht, wobei insoweit nicht erforderlich ist, dass der Angreifer eine Straftat, eine Ordnungswidrigkeit oder sonst eine Verbotsgesetzverletzung begeht. Die Rechtswidrigkeit seines Handelns folgt bereits daraus, dass er in die Rechtssphäre des Notwehrübenden eindringt. Sofern der Angreifer hierzu nicht berechtigt ist, vermittelt § 32 StGB dem Notwehrübenden das Recht, sich des Angriffs in den Grenzen der Erforderlichkeit oder Gebotenheit zu erwehren. Denn einen rechtsgrundlosen Eingriff in die eigen Sphäre muss der Notwehrübende sich nicht gefallen lassen.
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famulus
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von famulus »

Gregory hat geschrieben:Mir will sich nach wie vor nicht erschließen, warum du eine Körperverletzung durch den Angreifer überhaupt erörtern möchtest.
Diese altkluge Überheblichkeit wirkt angesichts deines ersten Beitrags in diesem Thread ein wenig putzig:
Gregory hat geschrieben:
Zippocat hat geschrieben:Auch § 223 StGB halte ich für problematisch.


Das war auch mein erster Gedanke. Ob das Blasen von Zigarettenqualm in das Gesicht des Opfers bereits eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder des körperlichen Wohlbefindens darstellt, ist jedenfalls zweifelhaft.

Doch selbst dann, wenn man den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB äußerlich und innerlich als erfüllt ansieht, ist unter dem Gesichtspunkt einer Rechtfertigung durch Notwehr fraglich, ob die Verteidigung des Opfers nicht die Grenzen der Erforderlichkeit oder der Gebotenheit überschreitet. Im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt möchte ich einen Vergleich mit folgenden Fall anstrengen: http://www.sueddeutsche.de/panorama/pfl ... -1.1742317.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von HRP »

Gregory hat geschrieben:Mir will sich nach wie vor nicht erschließen, warum du eine Körperverletzung durch den Angreifer überhaupt erörtern möchtest.
Aus dem Grund, der auf die von dir zitierte Passage folgt. Ich sage dort explizit, dass sich der Richter nicht dazu äußern braucht, aber man muss einmal darüber nachdenken, was die Konsequenz ist. Ich sage bewusst "nachdenken" und nicht "im Urteil erörtern". Legt man das allgemeine Recht auf körperliche Unversehrtheit und das durch § 223 StGB strafbewährte Recht, nicht am Körper verletzt zu werden, nämlich gleich aus, hätte der Geschädigte den TB von § 223 StGB erfüllt. Ich - und anscheinend auch einige Vorredner - hätten dabei wohl ein paar Bauchschmerzen.

Mglw. kann man aber auch in die körperliche Integrität eines anderen eingreifen, ohne den TB von § 223 StGB zu erfüllen. An welchem Merkmal § 223 StGB dann scheitern sollte, wäre jedoch meine Frage. Vielleicht scheitert § 223 StGB in diesem Fall schlicht daran, dass keine Behandlung vorliegt, die dazu geeignet ist, das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen und daran, dass eine konkrete Gesundheitsschädigung letztlich gar nicht nachweisbar ist!?
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Gregory »

HRP hat geschrieben:Mglw. kann man aber auch in die körperliche Integrität eines anderen eingreifen, ohne den TB von § 223 StGB zu erfüllen.
Das ist meine Rechtsauffassung.
An welchem Merkmal § 223 StGB dann scheitern sollte, wäre jedoch meine Frage. Vielleicht scheitert § 223 StGB in diesem Fall schlicht daran, dass keine Behandlung vorliegt, die dazu geeignet ist, das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen und daran, dass eine konkrete Gesundheitsschädigung letztlich gar nicht nachweisbar ist!?
Ein einfaches Beispiel wäre eine körperliche Misshandlung oder eine Schädigung an der Gesundheit, die die § 223 StGB immanente Erheblichkeitsschwelle nicht überschreitet. Strafbewehrt ist ein solches Verhalten nicht; es beeinträchtigt die körperliche Unversehrtheit des Opfers aber dennoch. Fehlt es an einer Berechtigung des Angreifers zur Vornahme dieser Beeinträchtigung, so muss das Opfer diese auch nicht erdulden, sondern darf es sich des Angriffs - hier besonders zu beachten: - im Rahmen der Erforderlichkeit und Gebotenheit erwehren.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Swann »

HRP hat geschrieben:
Gregory hat geschrieben:Mir will sich nach wie vor nicht erschließen, warum du eine Körperverletzung durch den Angreifer überhaupt erörtern möchtest.
Aus dem Grund, der auf die von dir zitierte Passage folgt. Ich sage dort explizit, dass sich der Richter nicht dazu äußern braucht, aber man muss einmal darüber nachdenken, was die Konsequenz ist. Ich sage bewusst "nachdenken" und nicht "im Urteil erörtern". Legt man das allgemeine Recht auf körperliche Unversehrtheit und das durch § 223 StGB strafbewährte Recht, nicht am Körper verletzt zu werden, nämlich gleich aus, hätte der Geschädigte den TB von § 223 StGB erfüllt. Ich - und anscheinend auch einige Vorredner - hätten dabei wohl ein paar Bauchschmerzen.
Warum sollte man das gleich auslegen? Es ist doch anerkannt, dass § 223 StGB eine Erheblichkeitsschwelle hat. Das ist auch vernünftig, denn es wäre Quatsch - wie in manchen Staaten der USA - bereits das unerwünschte Anfassen als Battery/Assault zu bestrafen. Das heißt jedoch nicht, dass sich der einzelne solcher Übergriffe nicht erwehren darf. Ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht, ist für die Frage des Angriffs erst einmal gleichgültig.
Mglw. kann man aber auch in die körperliche Integrität eines anderen eingreifen, ohne den TB von § 223 StGB zu erfüllen. An welchem Merkmal § 223 StGB dann scheitern sollte, wäre jedoch meine Frage. Vielleicht scheitert § 223 StGB in diesem Fall schlicht daran, dass keine Behandlung vorliegt, die dazu geeignet ist, das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen und daran, dass eine konkrete Gesundheitsschädigung letztlich gar nicht nachweisbar ist!?
Exakt so ist es. Die Erheblichkeitsschwelle wäre beim Anpusten zu verneinen. Je nach den Umständen kommt aber eine Beleidigung in Betracht.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Zippocat »

BGH, 4 StR 311/13

M. E. aus folgenden Gründen interessant:

1. Nahezu lehrbuchartig erläutert der BGH die Voraussetzungen des § 63 StGB.

2. Der Einsatz von Pfefferspray gegen die Augen einer anderen Person ist (jedenfalls auch) eine gef. KV gem. § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Gift/ges.gef. Stoff). Das ist zwar naheliegend, häufig genug wird aber der Einsatz nur als gefährliches Werkzeug nach Nr. 2 bestraft.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von recht_selten »

http://www.sueddeutsche.de/panorama/ree ... -1.1801166

Wurde das im Forum schon diskutiert?
Der Beitrag ist auf einen flüchtigen Blick juristisch sogar mal einigermaßen nachvollziehbar. Interessant v.a. der Gedanke einer "Überwachung" zur Gefahrenabwehr (Schutz privater Rechte). Insofern Schnittstelle zum ÖR.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von schlemil »

Das klingt ja auch ein wenig nach einem Fall gerade wie geschaffen für Matula etc., welchen zu bezahlen, man dem anscheinend vermögenden Opfer eigentlich auch zutrauen kann.
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famulus
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von famulus »

In der aktuellen NJW (2013, 3216) rechnet Kudlich m. E. lesenswert mit der Nichtigkeitsentscheidung des OLG München (NJW 2013, 2371) ab.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Zippocat »

Ich rieche schon jetzt einen Klassiker für die mündliche Prüfung: BGH, 2 StR 324/13 - Der Lebensmüde mit dem Druckluftnagler
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von recht_selten »

Zippocat hat geschrieben:Ich rieche schon jetzt einen Klassiker für die mündliche Prüfung: BGH, 2 StR 324/13 - Der Lebensmüde mit dem Druckluftnagler
:-k Interessanter Sachverhalt jedenfalls. Insbesondere klingt das nach einem besonnenen Polizeieinsatz. Wenn man so an manche Medienberichte der letzten Jahre denkt, wurde die Schusswaffe da bei weniger gefährlichen Situationen eingesetzt.

Sollte ein Rücktritt (von beiden Delikten) bejaht werden, bin ich mal gespannt, was er sich beim nächsten Mal einfallen lässt ;) § 20 scheint ja nicht diskutiert worden sein..
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

Ich verstehe nicht ganz, warum hier ein RT angenommen wird, wenn der Polizist nach den ersten Schüssen in Deckung geht. Das dürfte doch eher ein Fehlschlag sein, unabhängig davon, wieviel Munition noch vorhanden ist. Dass der Polizist sich später wieder in die Schusslinie begibt ändert doch am vorherigen Fehlschlag nichts, es sei denn, der Täter hätte dieses Geschehen so abgesehen bzw. eingeplant?
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von schlemil »

Der Fall hätte vielleicht auch Gelegenheit bieten können, sich näher mit der wohl nach wie vor recht umstrittenen Figur einer "eigenverantwortlichen Fremdgefährdung" o.ä. auseinanderzusetzen.
(Eine etwaige polizeiliche Pflicht, einem Lebensmüden beizustehen, dürfte nämlich wohlmöglich jedenfalls dort enden, wo eine Gefährdung des eigenen Lebens beginnt?)
:-k
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von recht_selten »

[enigma] hat geschrieben:Ich verstehe nicht ganz, warum hier ein RT angenommen wird, wenn der Polizist nach den ersten Schüssen in Deckung geht. Das dürfte doch eher ein Fehlschlag sein, unabhängig davon, wieviel Munition noch vorhanden ist. Dass der Polizist sich später wieder in die Schusslinie begibt ändert doch am vorherigen Fehlschlag nichts, es sei denn, der Täter hätte dieses Geschehen so abgesehen bzw. eingeplant?
Dürfte der Gesamtbetrachtungslehre/Lehre von der Korrektur des Rücktrittshorizontes schon noch entsprechen, sofern keine zeitliche Zäsur.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Swann »

Nun liegen die schriftlichen Urteilsgründe des Amtsgerichts Erfurt vor und es erweist sich das, was man schon vorher vermuten konnte: die aufgeregten Presseberichte waren durch nichts gerechtfertigt, es handelt sich um ein schludriges Amtsrichterurteil, das gewisse Lücken in der Kenntnis des Allgemeinen Teils des Strafrechts offenbar werden lässt - mehr aber auch nicht.

Wenden wir uns aber nun dem Urteil genauer zu.

Das AG Erfurt eröffnet die Prüfung der Rechtswidrigkeit mit einer recht kruden - in der Sache gleichwohl noch richtigen - Benennung des Prüfungsmaßstabs:
Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden, § 32 Abs. 2 StGB. Ist die zur Aburteilung anstehende Tat durch Notwehr geboten so ist sie nicht rechtswidrig im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB.
AG Erfurt, Urteil vom 18.09.2013 - 910 Js 1195/13 48 Ds, BeckRS 2013, 16490.

Sodann wendet es sich der Frage zu, ob ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegt:
Das provozierende Anrauchen mit zuvor bereits inhaliertem und damit mit Atemluft und Speichelnebel vermengten Zigarettenrauch gegen das Gesicht der Angeklagten stellte einen rechtswidrigen Angriff nicht nur gegen die Ehre sondern auch gegen die körperliche Unversehrtheit der Angeklagten dar. Das Anblasen mit Zigarettenrauch und Spuckeanteilen gegen das Gesicht ist über die Grenze hinzunehmender Bagatellen hinaus geeignet das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Gesundheitsbeeinträchtigung resultiert dabei sowohl aus den karzinogenen Anteilen des Zigarettenrauches als auch aus den potentiellen Viren und Bakterien der Körperflüssigkeit „Spucke“ (siehe zum Ganzen auch Landgericht Bonn, Urteil vom 09.12.2011 - 25 Ns 555 Js 131/09 - 148/11).
AG Erfurt, a.a.O.

Dem wird man wohl noch beitreten können, denn wie von mir bereits dargelegt ist es tatsächlich naheliegend, eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversertheit beim Anpusten mit Zigarettenrauch anzunehmen. Unklar bleibt freilich, was das Amtsgericht mit der "Grenze hinzunehmender Bagatellen" meint - soweit es sich dabei auf die Kategorie der Sozialadäquanz bezieht, wird man dem Amtsgericht zustimmen können. Sofern es hingegen auf die Erheblichkeitsgrenze des § 223 Abs. 1 StGB abhebt, dürfte eine relevante Gesundheitsbeschädigung durch das Anpusten nicht vorliegen (die Frage ist allerdings wie von mir gezeigt unerheblich für die Frage der Rechtfertigung).
Die soeben geäußerte Befürchtung, das AG Erfurt verkenne, dass ein Angriff keinen Straftatbestand erfüllen muss, wird im nächsten Satz des Urteils leider bestätigt:
Das Anblasen aus nächster Nähe mit Zigarettenrauch stellte somit eine Körperverletzung dar.
AG Erfurt, a.a.O.

Nun ist all das zwar rechtlich angreifbar, stellt aber keinen Rechtsfehler dar, der sich im Ergebnis auswirkt, denn dass eine Notwehrlage vorliegt, kann man ohne Weiteres mit dem Angriff auf das Rechtsgut Ehre begründen.
Entscheidend für die Rechtfertigungsprüfung ist vielmehr, ob auch die rechtlichen Anforderungen an die Notwehrhandlung erfüllt sind. Hierbei beginnt das AG Erfurt recht unorthodox, indem es in der gebotenen Kürze den Verteidigungswillen feststellt:
Die Angeklagte besaß auch den erforderlichen Verteidigungswillen. Der Glaswurf diente einzig und allein dazu ein weiteres Anpusten mit Rauch und sonstige Angriffe endgültig zu unterbinden.
AG Erfurt, a.a.O.

Sodann stellt es zunächst die Erfoderlichkeit im Urteilsstil fest:
Der Wurf des Glases war in der konkreten Situation zur erfolgreichen und dauerhaften Abwehr des vorliegenden Angriffes mit Zigarettenrauch tatsächlich erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB.
AG Erfurt, a.a.O.

um unmittelbar im Anschluss weitschweifige Ausführungen zur - so gut wie immer unproblematischen - Geeignetheit zu machen:
Er war geeignete Gegenmaßnahme. Geeignet ist eine Abwehrhandlung immer dann, wenn mit ihr der Angriff sofort beendet und die durch den Angriff entstandene Gefahr endgültig abgewendet werden konnte. Der Wurf des Glases an den Kopf des Zeugen damit dieser die Angeklagte nicht weiter mit Rauch anblasen konnte beendete das Anpusten des Zeugen sofort und unmittelbar und beseitigte damit die körperliche Beeinträchtigung der Angeklagten endgültig. Der Zeuge war danach nicht mehr in der Lage weitere Körperverletzungshandlungen durch Anpusten zu begehen
AG Erfurt, a.a.O.

Die Verwirrung steigert sich jedoch, denn das AG Erfurt verbindet im nächsten Schritt in recht eigenwilliger Manier das Merkmal der Erforderlichkeit und das der Gebotenheit:
Es war in rechtlicher Hinsicht auch geboten. Geboten ist eine Rettungshandlung dann wenn sie - bei einer objektiven Ex-ante-Beurteilung - das relativ mildeste Mittel darstellt, d. h. es dürfen objektiv keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden haben welche genauso effektiv und ebenso wirksam den Angriff hätten beenden und die Gefahr beseitigen können (Fischer, StGB, 59. Auflage, § 32 RZ 30 m. w. N.).
AG Erfurt, a.a.O.

Es folgt ein belangloser Exkurs:
Dabei findet jedoch eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich nicht statt (vgl. Fischer, a. a. O. RZ 31 m. w. N.), was vorliegend aber der Annahme eines Notwehrrechts sowieso nicht entgegenstehen würde, da hier das angegriffene Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit der Angeklagten dem gleichen Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Zeugen gegenübersteht.
AG Erfurt, a.a.O.

Auf das hier nicht unproblematische Merkmal der Erforderlichkeit kommt das AG Erfurt dann nur noch kurz und inhaltsleer zurück:
Ein in diesem Sinne milderes, aber gleich effektives Mittel stand der Angeklagten in der konkreten Situation nicht zur Verfügung.
AG Erfurt, a.a.O.
Die eigentliche Gebotenheitsprüfung, bei der hier die Fallgruppe des krassen Missverhältnis zumindest erörterungswürdig wäre, fehlt - offenbar auch deshalb, weil dem AG Erfurt der Unterschied zwischen Erforderlichkeit und Gebotenheit im Notwehrrecht nicht klar ist.

Tröstlich an diesem Urteil ist allein, dass die Rechtsfehler durchweg zugunsten der Angeklagten erfolgten.
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