Urs Blank hat geschrieben: ↑Dienstag 31. Oktober 2023, 13:19
Mit Sondervotum Langenfeld/Müller, das ich für überzeugender halte. Vor allem mit die Blick auf die Beispiele zum Vergleich von § 362 Nr. 1 - 4 StPO einerseits, Nr. 5 andererseits. Sie decken Inkonsistenzen der Mehrheitsmeinung auf. Insgesamt eine Entscheidung, in der abstrakte Prinzipien mehr zählen, als eine pragmatische - an realistischerweise zu erwartenden Fallgestaltungen orientierte - Sichtweise.
Das Sondervotum zeigt vor allem Eindrucksvoll wie man das Inhaltsleere "effektive Strafrechtspflege" ein weiteres mal heranziehen kann, ohne es auch nur im Ansatz greifbar zu machen. Es ist wohl das austauschbarste Argument, in der strafrechtlichen Rechtsprechung,
Man muss sich den Satz aus dem Sondervotum mal auf der Zunge zergehen lassen: "wenn das Gewicht der Wiederaufnahmegründe und das dahinterstehende Anliegen einer materiell schuldangemessenen Sanktionierung als Ausdruck einer effektiven Strafrechtspflege den grundsätzlichen Bestand rechtskräftiger Entscheidungen ausnahmsweise überwieg."
"Anliegen eines materiellen schuldangemessenen Sanktionierung als Ausdruck einer effektiven Strafrechtspflege". Das heißt, dass eine "effektive Strafrechtspflege" eine "schuldangemessene Sanktionierung" voraussetzen soll. Bitte was? Die Strafrechts!PFLEGE! soll eine Sanktion "voraussetzen"?
Die Sanktion ist ein MITTEL der ("effektiven") strafrechtspflege und sicherlich nicht deren Voraussetzung. Eine Strafrechtspflege könnte theoretisch ganz ohne Sanktion auskommen (und tut sie in vielen Belangen ja auch). Daher ist Sinn und Zweck des Strafrechtspflege, wie schon zum Beginn des Threads aufgeführt, einzig und allein die formalisierte Konfliktverarbeitung. Das heißt die "effektive Strafrechtspflege" ist nichts anderes als das "Untermaß" an Strafverfolgung. Die "effektive Strafrechtspflege" ist also eigentlich nur das Untermaßverbot des staatlichen Schutzauftrages.
Hassemer hat es mal ganz gut zusammenfasst: Es ist keine Gesellschaft bekannt, welche an der Funktionsuntüchtigkeit durch alltägliche Kriminalität zerbrochen ist. Es gibt aber viele Gesellschaften und Strafrechtsordnungen, welche sich durch ein Zuviel an Effektivität gegen Abweichler zu einem terroristischen Unrechtsstaat entwickelt haben.
Daher kann die "effektive Strafrechtspflege" auch nie eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen. Ziel der Strafrechtspflege ist Konfliktverarbeitung und damit Rechtsfrieden. Eine Strafrechtspflege die eine Wiederaufnahme ermöglicht, verliert immer an Effektivität, weil es den Rechtsfrieden im Einzelfall stört.
Wenn man also wie Langenfeld und Müller meint, dass Art. 103 Abs. 3 GG nicht abwägungsfest ist, dann ist aber ganz sicher nicht die "effektive Strafrechtspflege" das wogegen abgewogen wird, denn der Punkt streitet ganz klar für die Abwägungsfestigkeit. Wenn man Abwägen möchte, dann müsste es gegen andere Rechtsgüter erfolgen. jedes Wiederaufnahmeverfahren stört nämlich die "Effektivität".
Ich vermute aber, dass sich beim Abfassen des Sondervotums über diese Frage gar keine Gedanken gemacht wurden. Offenbar wurde "effektive Strafrechtspflege" (mal wieder) einfach genommen um zu sagen "sonst ist es ungerecht".
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11