Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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harry_bong
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von harry_bong »

Einmal zwei Gedanken zu dieser Frage:

1. Das was Prof. Aust ausweislich des links von batman während der SV-Anhörung gesagt hat, hat m.E. Sinn. Der Satz ne bis in idem ist einer "Abwägung" mit kollidierendem Verfassungsrecht (namentlich dem Gebot zur Bestrafung des Straftäters, das ja bereits aus dem Legalitätsprinzip folgt) überhaupt nicht zugänglich. Der Verfassunggeber hat hier das Interesse des rechtskräftig Verurteilten (und - nach allg. Lesart - Freigesprochenen) an Rechtssicherheit mit dem öffentlichen Interesse abgewogen, den staatlichen Strafanspruch in Fällen durchzusetzen, in denen erst nach Rechtskraft des Urteils straferschwerende oder strafbegründende Umstände zutage treten. In diesem Spannungsfeld hat der Verfassunggeber ein Abwägungsergebnis gefunden, dieses lautet: ne bis in idem. Dieses vom GG vorgebene Abwägungsergebnis kann nicht unter Rückgriff auf Interessen wieder aufgelöst werden, die bereits in den Abwägungsprozess eingestellt worden sind (jedenfalls nicht ohne Änderung des GG). Das steht so auch recht deutlich in BVerfGE 56, 22, welche die Gesetzesbegründung aus nicht nachvollziehbaren Gründen auch noch zur Unterstützung der eigenen These zitiert, wonach der Gesetzentwurf mit Art. 103 GG in Einklang stehe!

2. Die beabsichtigte Änderung, das ist hier schon genannt worden, bedeutet für die genannten Delikte keine eng umgrenzte Durchbrechung des Satzes ne bis in idem, sondern nichts anderes als die faktische Abschaffung der materiellen Rechtskraft für diese Delikte. Wenn der wegen Mordes Angeklagte, nunmehr Freigesprochene jederzeit wieder verfolgt werden kann, wenn neue Beweismittel auftauchen, ist die "Rechtskraft" dieses Freispruchs wenig wert.
harry_bong
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von harry_bong »

Noch ein Nachtrag zu 1.:

Dass § 362 StPO auch jetzt schon Ausnahmen vorsieht, ist m.E. kein Grund für die Zulässigkeit der Schaffung neuer Wiederaufnahmetatbestände. Erstens kannte das Prozessrecht bereits vor Inkrafttreten des GG Wiederaufnahmegründe. Dieser Normbestand sollte nach der Rspr des BVerfG durch Art. 103 GG nicht angetastet werden. Mir fehlen aber im Moment Recherchemöglichkeiten zu prüfen, ob § 362 tatsächlich seitdem unverändert geblieben ist.

§ 362 Nr. 1-3 StPO lassen sich dadurch legitimieren, dass das Verfahren von Manipulationen betroffen war, die gerade nicht im typischen Verfahrensrisiko liegen. Daher erfasst Nr. 2 auch nur die strafbaren Fälle der Falschaussage.

§ 362 Nr. 4 StPO lässt sich letztlich dadurch rechtfertigen, dass derjenige, der ein Geständnis der Tat ablegt, auf den Schutz vor Doppelverfolgung verzichtet bzw. sich der (erneuten) Strafverfolgung aus freien Stücken unterwirft. Das ist nach meiner Kenntnis aber nicht der ursprüngliche Grund für die Vorschrift, da ging es meines Wissens eher darum, dass sich niemand nach dem rechtskräftigen Freispruch öffentlich der Tat soll brüsten dürfen.
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Ara
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von Ara »

Blaumann hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 19:19
Ara hat geschrieben: Donnerstag 24. Juni 2021, 18:49 Wie oben aufgeführt ist nach mE überzeugender Ansicht Sinn und Zweck der Strafrechtspflege die formalisierte Konfliktverarbeitung.
Unterstellt, es wäre so, wäre das ein Argument für eine Wiederaufnahmemöglichkeit. Der gesellschaftliche Konflikt ist mit dem Fehlurteil eben nicht beigelegt. Siehe der relativ bekannte Fall, wo der Mörder und Vergewaltiger einer jungen Frau fehlerhaft freigesprochen wurde und die Täterschaft später durch DNA-Spuren zweifelsfrei erwiesen wurde. Der Vater der Geschädigten kämpft seit Jahren dafür, dass der Täter verurteilt wird. Mich überrascht ehrlich gesagt, dass der Vater nicht zur Selbstjustiz geschritten ist, statt hinzunehmen, dass der Mörder seiner Tochter frei herumläuft.

Edit: Sehe gerade, dass das der Fall war, der Anlass zur Gesetzesinitiative gegeben hatte: https://de.wikipedia.org/wiki/Frederike ... 3%B6hlmann
Genau so kann man aber doch sagen, das ist ein gutes Beispiel warum man solche erledigte Konflikte ruhen lassen soll. Was bringt es einem denn? Ich garantiere dir, dem Vater würde es deutlich besser gehen, wenn er mit dem Vorfall abschließen würde. Was bringt denn eine Verurteilung nach über 40 Jahren?
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von Urs Blank »

Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 22:44 Genau so kann man aber doch sagen, das ist ein gutes Beispiel warum man solche erledigte Konflikte ruhen lassen soll. Was bringt es einem denn? Ich garantiere dir, dem Vater würde es deutlich besser gehen, wenn er mit dem Vorfall abschließen würde. Was bringt denn eine Verurteilung nach über 40 Jahren?
Das wird man doch den Angehörigen überlassen müssen, ob sie eine solche Sache "ruhen lassen" oder mit ihr "abschließen" wollen.
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von Ara »

Urs Blank hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:29
Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 22:44 Genau so kann man aber doch sagen, das ist ein gutes Beispiel warum man solche erledigte Konflikte ruhen lassen soll. Was bringt es einem denn? Ich garantiere dir, dem Vater würde es deutlich besser gehen, wenn er mit dem Vorfall abschließen würde. Was bringt denn eine Verurteilung nach über 40 Jahren?
Das wird man doch den Angehörigen überlassen müssen, ob sie eine solche Sache "ruhen lassen" oder mit ihr "abschließen" wollen.
Weil das Strafverfahren den Angehörigen dient oder warum? Der Konflikt der beseitigt werden soll besteht nicht zwischem Geschädigten und Beschuldigten sondern zwischen der Gesellschaft und dem Beschuldigten. Das muss man vielleicht auch noch einmal erwähnen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von OJ1988 »

Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:42
Urs Blank hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:29
Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 22:44 Genau so kann man aber doch sagen, das ist ein gutes Beispiel warum man solche erledigte Konflikte ruhen lassen soll. Was bringt es einem denn? Ich garantiere dir, dem Vater würde es deutlich besser gehen, wenn er mit dem Vorfall abschließen würde. Was bringt denn eine Verurteilung nach über 40 Jahren?
Das wird man doch den Angehörigen überlassen müssen, ob sie eine solche Sache "ruhen lassen" oder mit ihr "abschließen" wollen.
Weil das Strafverfahren den Angehörigen dient oder warum? Der Konflikt der beseitigt werden soll besteht nicht zwischem Geschädigten und Beschuldigten sondern zwischen der Gesellschaft und dem Beschuldigten. Das muss man vielleicht auch noch einmal erwähnen.
Du warst es doch, der zwei Posts weiter oben gefragt hat, was eine Verurteilung dem Vater nach 40 Jahren denn bitteschön "bringe".
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von Ara »

OJ1988 hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 01:19
Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:42
Urs Blank hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:29
Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 22:44 Genau so kann man aber doch sagen, das ist ein gutes Beispiel warum man solche erledigte Konflikte ruhen lassen soll. Was bringt es einem denn? Ich garantiere dir, dem Vater würde es deutlich besser gehen, wenn er mit dem Vorfall abschließen würde. Was bringt denn eine Verurteilung nach über 40 Jahren?
Das wird man doch den Angehörigen überlassen müssen, ob sie eine solche Sache "ruhen lassen" oder mit ihr "abschließen" wollen.
Weil das Strafverfahren den Angehörigen dient oder warum? Der Konflikt der beseitigt werden soll besteht nicht zwischem Geschädigten und Beschuldigten sondern zwischen der Gesellschaft und dem Beschuldigten. Das muss man vielleicht auch noch einmal erwähnen.
Du warst es doch, der zwei Posts weiter oben gefragt hat, was eine Verurteilung dem Vater nach 40 Jahren denn bitteschön "bringe".
Das schließt sich doch nicht aus? Im Interesse der Gesellschaft an der Konfliktbeseitigung steht doch häufig auch eine Versöhnung. Siehe nur den Täter-Opfer-Ausgleich oder den Strafantrag. Das heißt aber doch nicht, dass die Angehörigen entscheiden, ob der Konflikt strafrechtlich abgeschlossen wird oder nicht. Der Strafanspruch steht grundsätzlich der Gesellschaft zu und nicht dem Geschädigten oder seinen Angehörigen. Darum ist die Frage von der Gesellschaft ja schon berechtigt, ob es den Angehörigen etwas bringt nach 40 Jahren den Konflikt wieder neu zu beginnen. Wenn man die Frage verneint, dann braucht man mE gar nicht mehr weiter überlegen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von batman »

Urs Blank hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:29
Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 22:44 Genau so kann man aber doch sagen, das ist ein gutes Beispiel warum man solche erledigte Konflikte ruhen lassen soll. Was bringt es einem denn? Ich garantiere dir, dem Vater würde es deutlich besser gehen, wenn er mit dem Vorfall abschließen würde. Was bringt denn eine Verurteilung nach über 40 Jahren?
Das wird man doch den Angehörigen überlassen müssen, ob sie eine solche Sache "ruhen lassen" oder mit ihr "abschließen" wollen.
Das ja, aber die Angehörigen vertreten nicht den staatlichen Strafverfolgungsanspruch.
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von Strich »

OJ1988 hat geschrieben: Freitag 25. Juni 2021, 20:41
Strich hat geschrieben: Freitag 25. Juni 2021, 12:01
OJ1988 hat geschrieben: Donnerstag 24. Juni 2021, 23:06 Du verkennst, ...
...
...
Doch hast du.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von OJ1988 »

Strich hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 10:05
OJ1988 hat geschrieben: Freitag 25. Juni 2021, 20:41
Strich hat geschrieben: Freitag 25. Juni 2021, 12:01
OJ1988 hat geschrieben: Donnerstag 24. Juni 2021, 23:06 Du verkennst, ...
...
...
Doch hast du.
Immer noch: Nein. Ich wollte Ara lediglich klarmachen, dass sein angeführtes Beispiel nur das Mittel zum Zweck wäre, nicht der Zweck, auf den es im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ankommt. Dass es grundsätzlich eines Gesetzes bedarf, um einen Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich zu rechtfertigen, habe ich weder bestritten noch hielt ich diese banale Tatsache für erwähnungswürdig.
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von OJ1988 »

Ara hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 08:13
OJ1988 hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 01:19
Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:42
Urs Blank hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 23:29
Ara hat geschrieben: Montag 28. Juni 2021, 22:44 Genau so kann man aber doch sagen, das ist ein gutes Beispiel warum man solche erledigte Konflikte ruhen lassen soll. Was bringt es einem denn? Ich garantiere dir, dem Vater würde es deutlich besser gehen, wenn er mit dem Vorfall abschließen würde. Was bringt denn eine Verurteilung nach über 40 Jahren?
Das wird man doch den Angehörigen überlassen müssen, ob sie eine solche Sache "ruhen lassen" oder mit ihr "abschließen" wollen.
Weil das Strafverfahren den Angehörigen dient oder warum? Der Konflikt der beseitigt werden soll besteht nicht zwischem Geschädigten und Beschuldigten sondern zwischen der Gesellschaft und dem Beschuldigten. Das muss man vielleicht auch noch einmal erwähnen.
Du warst es doch, der zwei Posts weiter oben gefragt hat, was eine Verurteilung dem Vater nach 40 Jahren denn bitteschön "bringe".
Das schließt sich doch nicht aus? Im Interesse der Gesellschaft an der Konfliktbeseitigung steht doch häufig auch eine Versöhnung. Siehe nur den Täter-Opfer-Ausgleich oder den Strafantrag. Das heißt aber doch nicht, dass die Angehörigen entscheiden, ob der Konflikt strafrechtlich abgeschlossen wird oder nicht. Der Strafanspruch steht grundsätzlich der Gesellschaft zu und nicht dem Geschädigten oder seinen Angehörigen. Darum ist die Frage von der Gesellschaft ja schon berechtigt, ob es den Angehörigen etwas bringt nach 40 Jahren den Konflikt wieder neu zu beginnen. Wenn man die Frage verneint, dann braucht man mE gar nicht mehr weiter überlegen.
Also erstens entscheiden wir uns nicht in allen Fällen dafür, den Strafanspruch auch gegen den Willen des Geschädigten durchzusetzen (siehe Strafantragserfordernisse) und zweitens halte ich es nicht für gänzlich abwegig, dass ein Vater auch 40 Jahre nach Ermorderung seiner Tochter die Verurteilung des Täters wünscht. Die Vorstellung, der Konflikt sei hier eigentlich ja abgeschlossen und der Vater könne den ihm beim Bäcker morgens winkend entgegenkommenden Täter doch nun aufgrund Zeitablaufs bitteschön lächelnd begrüßen, ist lebensfremd. Im Gegenteil wird der Konflikt aus Sicht des Vaters erst mit der Strafverfolgung aufgelöst/beendet.
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von thh »

Ara hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 08:13Darum ist die Frage von der Gesellschaft ja schon berechtigt, ob es den Angehörigen etwas bringt nach 40 Jahren den Konflikt wieder neu zu beginnen.
Der Konflikt ist noch gar nicht abgeschlossen und die Tat ungesühnt.

Verträte "die Gesellschaft" die Auffassung, nach 40 Jahren solle man alles ruhen lassen, wäre zunächst wieder eine Verjährung für Mord einzuführen.
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von Strich »

Ja das wäre es auch wieder. Das Problem mit "der Gesellschaft" ist nämlich, dass man sie auch nach 40 Jahren beliebig medial aufpeitschen kann und das nicht nur beim Mord.
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von thh »

Strich hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 15:34Ja das wäre es auch wieder. Das Problem mit "der Gesellschaft" ist nämlich, dass man sie auch nach 40 Jahren beliebig medial aufpeitschen kann und das nicht nur beim Mord.
Das muss warten - jetzt nehmen wir lieber den schweren sex. Missbrauch an Kindern (neben Mord, Totschlag und KV mit Todesfolge) in die Liste der Delikte auf, bei denen nach § 112 Abs. 3 StPO Untersuchungshaft auch ohne Haftgrund angeordnet werden kann (ja, ich weiß, verfassungskonform ist diese Vorschrift anders auszulegen, aber das ändert am Ergebnis wenig). Aufgrund der Verweisungskette gilt das auch dann, wenn jemand in den letzten fünf Jahren wegen eines sexuellen Missbrauchs (unabhängig von der Schwere der Tat) verurteilt wurde und nunmehr erneut dringender Tatverdacht eines sexuellen Missbrauchs (unabhängig von der Schwere der Ttat) besteht.
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Re: Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit

Beitrag von Ara »

thh hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 14:19
Ara hat geschrieben: Dienstag 29. Juni 2021, 08:13Darum ist die Frage von der Gesellschaft ja schon berechtigt, ob es den Angehörigen etwas bringt nach 40 Jahren den Konflikt wieder neu zu beginnen.
Der Konflikt ist noch gar nicht abgeschlossen und die Tat ungesühnt.

Verträte "die Gesellschaft" die Auffassung, nach 40 Jahren solle man alles ruhen lassen, wäre zunächst wieder eine Verjährung für Mord einzuführen.
Es geht doch nicht darum, dass jede Tat gesühnt werden muss. Dann dürfte es gar keine Rechtskraft geben. Es ist doch gerade die Idee der Rechtskraft, dass man sagt "Wir haben hier ein Ergebnis, wir wissen nicht ob es richtig ist, aber damit ist nun Schluss. Damit lebt nun bitte alle" Die Feststellungen die ein Urteil trifft sind IMMER falsch, weil es irgendwelche Rekonstruktionen sind von Menschen, die nicht dabei waren. Das ist mal mehr und mal weniger an der Wahrheit. In der Revision geht es sogar soweit, dass man sagt, selbst wenn die Feststellungen nachweislich falsch sind, werden die so hingenommen.

Die Parallele zur Verjährung die du ziehst wirkt nur im ersten Moment tatsächlich schlüssig. Der Unterschied zwischen Rechtskraft und Verjährung ist, dass bei der Rechtskraft ein Abschluss gefunden wurde, bei der Verjährungsfrage es jedoch meist gar keine Konfliktaufarbeitung gab. Das sind also zwei völlig verschiedene paar Schuhe.

Ich glaub der Gedanken ist unbequem, aber das häufig benutzte geflügelte Sprichwort "Am Ende bekommt man keine Gerechtigkeit sondern ein Urteil" hat halt doch nen großen Funken Wahrheit. Die Frage ist halt, wäre das schlimm?
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