Frage nach dem geschützten Rechtsgut

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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OrangensaftEddy
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Frage nach dem geschützten Rechtsgut

Beitrag von OrangensaftEddy »

Guten Tag zusammen,

öfter jetzt schon kam in meinem Examenskurs die Frage auf, welches Rechtsgut mit einer bestimmten Norm geschützt werden soll.
Beispielsweise bei § 142 und § 315c StGB.
Die "richtige" Antwort war dann Individualrechtsgüter wie zmB. Eigentum, Leib und Leben.

§ 142 StGB steht im Abschnitt über Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, § 315c im Abschnitt über Gemeingefährliche Straftaten, bei denen es sich bei meiner Meinung nach, zumindest bei Straftaten gegen die öffentlichen Ordnung, um Normen handelt, die ein kollektives Rechtsgut schützen sollen. (Vertrauen auf die Öffentliche Ordnung, Rechtssicherheit, Rechtsstaatlichkeit)
Wäre es nicht genauer, vor allem in Bezug auf die Überschriftenfunktion des StGB, zu benennen, dass es dann auch um den Schutz dieser zwei Dinge geht?

Andererseits denke ich, dass Individualrechtsgüter wie Eigentum, Leib und Leben die grundlegendsten Rechtsgüter darstellen, die das Strafrecht mit ihren Sanktionen zu schützen und regulieren versucht.
Insofern wären meiner Meinung beide Antworten möglich.

Wie seht ihr das?
Gruß,
Eddy
Miyake
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Re: Frage nach dem geschützten Rechtsgut

Beitrag von Miyake »

§ 142 StGB steht im Abschnitt über Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, § 315c im Abschnitt über Gemeingefährliche Straftaten, bei denen es sich bei meiner Meinung nach, zumindest bei Straftaten gegen die öffentlichen Ordnung, um Normen handelt, die ein kollektives Rechtsgut schützen sollen. (Vertrauen auf die Öffentliche Ordnung, Rechtssicherheit, Rechtsstaatlichkeit)
Bezüglich § 315c StGB gebe ich dir Recht, da wird mMn nach auch die Sicherheit des Straßenverkehrs geschützt. Der § 142 StGB ist ein kleiner Sonderfall, da ist die gesetzgeberische Einordnung in die Systematik des StGB nicht besonders gut gelungen. Hier ist ja primär das Feststellungsinteresse der Unfallbeteiligten (privatrechtliches Aufklärungsinteresse) geschützt. Hier sehe ich weniger ein Interesse für die Allgemeinheit, auch wenn natürlich keiner Lust hat, dass bei einem eigenen Unfall dann keiner wartet. Aber das kann nicht der Maßstab sein, sonst würden ja alle Delikte die Allgemeinheit schützen ("Keiner will verletzt/getötet/bestohlen usw. werden"). Dass ggfs. mittelbar auch die Allgemeinheit geschützt wird, ist genau deshalb nicht von Bedeutung. Du ordnest die Delikte sehr weiten Begriffen zu (Öffentliche Ordnung, Rechtsstaatlichkeit). Hier würde ich aus obigem Grund zu einer näheren Konkretisierung anraten. So schützen die Straßenverkehrsdelikte eben die Sicherheit des Straßenverkehrs, die Amtsdelikte die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege usw.
Wäre es nicht genauer, vor allem in Bezug auf die Überschriftenfunktion des StGB, zu benennen, dass es dann auch um den Schutz dieser zwei Dinge geht?
Auf die Abschnitte kann man natürlich Bezug nehmen. Die Systematik ist aber allein nicht entscheidend, wie eben bei jeder Auslegung. Denn nichts anderes als Auslegung ist die Frage nach den Schutzzweck der Norm. Und hier kann die Systematik allein nicht immer überzeugen, klassisches Beispiel neben § 142 StGB ist § 306 StGB. Die Auslegung kann aber natürlich auch den Schutz mehrerer Güter ergeben (so § 315c StGB oder § 249 StGB).
Andererseits denke ich, dass Individualrechtsgüter wie Eigentum, Leib und Leben die grundlegendsten Rechtsgüter darstellen
Das hat zwar mit der Auslegung wenig zu tun, aber als "nota bene": Zwar würde man das als die Kernfunktion des Strafrechts beschreiben können (ultima ratio). Aber schon rechtshistorisch ergibt sich eine Ausweitung dieses Kernbereichs gerade auch auf die eher allgemeinschützenden Delikte. So gab es in den germanischen leges durchaus Strafen für die Nichteinhaltung eines ausgehandelten Fehdeverbots o.Ä. Auch das diente letztlich dem Schutz der damaligen Sanktions- bzw. Regulierungsmechanismen. Dass Leben/Eigentum etc. als Kernbereich stärker in den Schutzzweck einbezogen werden sollten, überzeugt mich daher nicht.
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Re: Frage nach dem geschützten Rechtsgut

Beitrag von OJ1988 »

Die "Sicherheit des Straßenverkehrs" meint letztlich nichts anderes als die dahinterstehenden Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit, Eigentum aller Straßenverkehrsteilnehmer.
Omnimodofacturus
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Re: Frage nach dem geschützten Rechtsgut

Beitrag von Omnimodofacturus »

OrangensaftEddy hat geschrieben: Montag 12. Juli 2021, 16:17
Wäre es nicht genauer, vor allem in Bezug auf die Überschriftenfunktion des StGB, zu benennen, dass es dann auch um den Schutz dieser zwei Dinge geht?

Das klingt gut, das Problem ist nur: Der Gesetzgeber des StGB ist anerkanntermaßen grauenhaft schlecht darin, die Delikte zu systematisieren. Das trifft schon auf den historischen Gesetzgeber von 1871 zu (Was hat Wilderei mit Glücksspiel zu tun? Und wieso soll diese von Verstößen gegen Verwaltungsrecht geprägten Delikte "strafbarer Eigennutz" kennzeichnen?), aber bei nachträglichen Normen die dem § 142 StGB wird das ganze nicht besser.

Daher können die Überschriften des StGB äußerstenfall grobe Hinweise auf das geschützte Rechtsgut geben.
OrangensaftEddy
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Re: Frage nach dem geschützten Rechtsgut

Beitrag von OrangensaftEddy »

Danke für die Beiträge.
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