Strafprozess Steuerhinterziehung SteuerCD-Verteidigungsmöglichkeiten?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Micha79
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Strafprozess Steuerhinterziehung SteuerCD-Verteidigungsmöglichkeiten?

Beitrag von Micha79 »

Ich frage mich, ob sich in bestimmten Konstellationen nicht der Angeklagte gut verteidigen kann.
Die Rechtsprechung habe ich bei Beck-Online gelesen: Auch rechtswidriger Erwerb führt nicht zu Beweisverwertungsverbot.
Aber wie ist es bei der Beweiswürdigung?
Wenn der Fall so ist, dass jemand auch eine von deutschen Banken aus Überweisungen getätigt hat, hat man wohl einen hinreichenden Paper Trail.
Wenn aber jemand schon seit langem Einkünfte im Ausland hat (die der deutschen Besteuerung eigentlich unterlägen wegen unbeschränkter Steuerpflicht), aber sonst keine Beweismittel vorliegen (deutsche Kontoauszüge unergiebig; Ausland kooperiert nicht), dann wird man doch in einem Strafprozess wohl ernstlich einwenden können,
dass jeder eine pdf-Datei erstellen und auf CD-Rom brennen kann;
dass das kriminelle Handeln des Informanten bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden muss.
Wieso kann der Beschuldigte hier eigentlich nicht verlangen, dass der Informant geladen wird? Wenn dann die Behörde sagt „Wir haben eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit ihm getroffen“, warum trägt dann nicht der Einwand „Aber Sie wollen mich hier verurteilen, ohne die Umstände der Beweismittelbeschaffung offen zu legen“.
Gibt es hierzu Gesetze/Rspr? Habe lange keine StPO mehr gemacht, müsste ja eine Ausnahme von StPStPO sein (es sei denn man stützt sich nur auf den CD-Inhalt als mittelbarem Beweis, aber geht das)? Es gibt ja Ausnahmen bei bestimmten Straftaten/V-Leuten, aber das geht es doch häufig um Minderjährige/Terrorismus und es gibt gesetzliche Grundlagen. Ich befürworte rechtspolitisch übrigens den Ankauf; aber würde gern wissen, wie es in solchen Fällen (Fehlen weiterer legal erlangter Indizienbeweise) liegt.
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Ara
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Re: Strafprozess Steuerhinterziehung SteuerCD-Verteidigungsmöglichkeiten?

Beitrag von Ara »

Die Idee ist richtig und gibt es vergleichbar Gedanken auch bei jeglicher technischen Überwachung: Wenn der Staat einen Staatstrojaner oder einen Trojaner für die Quellen-TKÜ überspielen könnte, dann muss ja eine Sicherheitslücke im System ausgenutzt werden, die grundsätzlich auch ermöglicht, dass jemand Drittes dort Daten manipulier haben kann.

In der Praxis ist es aber sowohl dort, als auch bei den SteuerCDs jedoch so, dass schlicht gefragt wird "Warum sollte das jemand tun?" und damit bestehen keine ernstlichen Zweifel mehr. Im Zweifel kriegst du dann vom GBA noch zu hören "Das Tatgericht hat nicht jeder denkbaren Möglichkeit nachzugehen. Hier waren keine Anhaltspunkte zu erkennen, dass die Daten manipuliert waren". Meist wird noch darauf abgezielt, dass auf der gleichen SteuerCD ja auch Informationen vorhanden waren, die zwischenzeitlich (durch andere Beweismittel) als echt verifiziert wurden.

Wenn das Gericht clever ist handhaben die es aber wie in den EncroChat-Verfahren aktuell: Die verwerten fleißig nur die nachfolgende Beweismittelkette und erklären, dass es offen bleiben kann, ob die Beweismittel aus EncroChat/SteuerCD unmittelbar verwendet werden können, es besteht zumindest kein Fernwirkungsverbot.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Micha79
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Re: Strafprozess Steuerhinterziehung SteuerCD-Verteidigungsmöglichkeiten?

Beitrag von Micha79 »

Danke für die interessanten Antworten.
Die Frage "Warum sollte jemand so etwas tun?" kann ja bei den CD-Verkäufern mit "Aus Gewinnsucht" beantwortet werden - anders als bei den EncroChat-Leuten oder sonstigen verdeckten Ermittlern. Das könnte doch prinzipiell ein Kriterium sein?
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Ara
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Re: Strafprozess Steuerhinterziehung SteuerCD-Verteidigungsmöglichkeiten?

Beitrag von Ara »

Micha79 hat geschrieben: Montag 19. Juli 2021, 19:03 Danke für die interessanten Antworten.
Die Frage "Warum sollte jemand so etwas tun?" kann ja bei den CD-Verkäufern mit "Aus Gewinnsucht" beantwortet werden - anders als bei den EncroChat-Leuten oder sonstigen verdeckten Ermittlern. Das könnte doch prinzipiell ein Kriterium sein?
Das mag ein Argument sein, wenn die SteuerCD eine Totalfälschung ist. Wenn aber die SteuerCD aber mehrere hundert verifizierte Datensätze hat, die tatsächlich real sind, stellt sich die Frage, warum der Verkäufer ein paar gefälschte Datensätze (die aber so gut sein müssen, dass sie plausibel sind) reingestreut haben sollte. Wenn jemand versuchen würde seine realen Daten aufzubauschen, würde er sich einfach n paar Personen ausdenken. Reale Personen sich aber auszudenken und die reinzustreuen, erscheint halt eher unwahrscheinlich.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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