Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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JuraPoster666
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Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von JuraPoster666 »

Hallo zusammen,

bin beim durchlesen dieser Unterlagen etwas überrascht gewesen:
https://bit.ly/3GeReqt

Will man also jemanden beliebigen (also eigentlich nur einen) auf dem Nachhauseweg spontan mit dem Auto umfahren oder mit dem Revolver aus dem Fenster erschießen, so gilt folgendes:

Ist im ersten Schuss zufällig keine Patrone im Revolver, hast du ja zwar schon zum Versuch angesetzt, aber der Versuch ist ja noch nicht fehlgeschlagen, also noch nicht beendet. Denn die anderen Kugeln sind ja noch drin (neues bereitstehendes Mittel), und ein paar Meter weiter wartet ja schon der nächste (ohne zeitliche Zäsur einsetzbar). Ein strafbefreiender Rücktritt ist also noch möglich, denn das ganze muss ja als einheitlich zu betrachtender Versuch ("Auf dem Heimweg jemanden umbringen") gesehen werden.
Gleich der zweite ist dann vielleicht schon ein blinder Rollstuhlfahrer. Dir wird in dem Fall klar, wie schlimm dein Verhalten ist, brichst das Gesamtvorhaben hab, bist also zurückgetreten. Keine Strafe.

Ein anderer mit exakt der gleichen mentalen Verfassung hätte aber da nicht so viel Glück gehabt, wenn im ersten Schuss schon eine Kugel drin gewesen wäre. Dann wäre direkt nach dem Ansetzen schon die Tat vollendet gewesen. Mindestens 5 Jahre Haftstrafe.

Ungleiche Bestrafung also für praktisch identische Vorsätze?
Sektnase
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von Sektnase »

JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54 Ein strafbefreiender Rücktritt ist also noch möglich, denn das ganze muss ja als einheitlich zu betrachtender Versuch ("Auf dem Heimweg jemanden umbringen") gesehen werden.
Ist das so?

Die Rücktrittsregeln haben aber immer ein "Geschmäckle". Sie sind eben insoweit systemfremd, als dass keine Strafe erfolgt, trotz rechtswidriger und schuldhafter Tat. Wir lassen hier die Vergeltung eben hinter dem Schutz der potentiellen Opfer zurückstehen. Wenn der Täter weiß, dass er sowieso schon (fast, § 23 II StGB) wie für die Vollendung bestraft wird, wieso sollte er dann nicht noch einen Anlauf unternehmen? Soviel zur Theorie. Ob die Pappenheimer das dann mitten im Geballer noch rechtlich richtig einschätzen, ist ne andere Frage ;)
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von JuraPoster666 »

Sektnase hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 19:07
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54 Ein strafbefreiender Rücktritt ist also noch möglich, denn das ganze muss ja als einheitlich zu betrachtender Versuch ("Auf dem Heimweg jemanden umbringen") gesehen werden.
Ist das so?

Die Rücktrittsregeln haben aber immer ein "Geschmäckle". Sie sind eben insoweit systemfremd, als dass keine Strafe erfolgt, trotz rechtswidriger und schuldhafter Tat. Wir lassen hier die Vergeltung eben hinter dem Schutz der potentiellen Opfer zurückstehen. Wenn der Täter weiß, dass er sowieso schon (fast, § 23 II StGB) wie für die Vollendung bestraft wird, wieso sollte er dann nicht noch einen Anlauf unternehmen? Soviel zur Theorie. Ob die Pappenheimer das dann mitten im Geballer noch rechtlich richtig einschätzen, ist ne andere Frage ;)
Das ist doch gerade der Punkt.
Wieso "Vergeltung hinter dem Schutz der potentiellen Opfer"? Eher andersrum: Die Vergeltung hat ja anscheinened Vorrang, denn man kann ja noch zurücktreten, das potentielle Opfer ist aber theoretisch noch weiter gefärdet, weil die Fähigkeit zur Realisierung des Vorsatzes ja schon maximal bewiesen ist.

Der Täter wird ja bei Rücktritt nicht für ebenden Akt bestraft, der normalerweise schon die Vollendung bedeutet, und den er schon längst durchgeführt hat. Und deswegen - bei anschließend plötzlichem Begreifen der Übelkeit seiner Tat nach Beispiel - lohnt sich für ihn ja trotzdem noch der zu 100% strafbefreiende Rücktritt. Obwohl die normal hinreichende Vollzugshandlung im Falle eines Pistolenschusses ja sinngemäß eigentlich schon erfolgt ist. Ihn unterscheidet aber eigentlich nichts von jemandem, bei dem die Kugel im Revolver war. Außer die fehlende Verantwortlichkeit für einen realen Toten. Im Sinne von "Schuld" ist er aber eigentlich derselbe Mensch. Lediglich der "deterministische Teil" seines Gewissens ("niemand ist durch mich gestorben, ich hatte Glück") bleibt unberührt.

Bei einem Überfahren wäre es ein wenig anders, weil da die normal hinreichende Vollzugshandlung ja sinngemäß erst mit dem wirklichen Überfahren erfolgt ist, nicht schon mit dem "Aufs-Gaspedal-Drücken": Du musst ja noch die ganze Strecke bis zum Opferaufprall selber durchfahren, wohingegen die Kugel sich von selbst unbremsbar aus dem Revolver zum Opfer bewegt, sobald du abgedrückt hast.
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Ara
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von Ara »

Die Zweifel von Sektnase, ob dein Beispiel so passt, teile ich auch (Es wechselt ja das potentielle Tatopfer), aber man kann das Beispiel ja so bilden, dass er einfach noch einmal auf die gleichen Person schießen könnte, dann geltend deine Ausführungen ja auch.
JuraPoster666 hat geschrieben: Donnerstag 9. Dezember 2021, 18:31 Der Täter wird ja bei Rücktritt nicht für ebenden Akt bestraft, der normalerweise schon die Vollendung bedeutet, und den er schon längst durchgeführt hat. Und deswegen - bei anschließend plötzlichem Begreifen der Übelkeit seiner Tat nach Beispiel - lohnt sich für ihn ja trotzdem noch der zu 100% strafbefreiende Rücktritt. Obwohl die normal hinreichende Vollzugshandlung im Falle eines Pistolenschusses ja sinngemäß eigentlich schon erfolgt ist. Ihn unterscheidet aber eigentlich nichts von jemandem, bei dem die Kugel im Revolver war. Außer die fehlende Verantwortlichkeit für einen realen Toten. Im Sinne von "Schuld" ist er aber eigentlich derselbe Mensch. Lediglich der "deterministische Teil" seines Gewissens ("niemand ist durch mich gestorben, ich hatte Glück") bleibt unberührt.
Hier führst du aber generell eine Schwäche der strafrechtlichen Systematik an, die durchgehend zwischen Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht (Bzw. Handlungsunwert und Erfolgsunwert) unterscheidet.

Fährst du mit 200km/h innerorts über eine rote Ampel über eine Kreuzung und hoffst, es wird schon gut gehen, bist du (wir lassen jetzt mal die möglicherweise mittlerweile tatsächlich einschlägigen strafrechtlichen Verkehrsdelikte außenvor) straffrei, wenn du keinen Querverkehr triffst. Triffst du dagegen den Querverkehr und der stirbt, bist du in der fahrlässigen Tötung drin. Das Handlungsunrecht unterscheidet sich hier aber kein Stück, es hängt schlicht vom Zufall ab, ob es sich auch das Erfolgsunrecht realisiert.

Es gibt zwar Erklärungsansätze, warum dieses Ergebnis so in der Praxis sinnvoll ist, wirklich überzeugend sind diese meines Erachtens aber nicht. Das Erfolgsunrecht nimmt im deutschen Strafrecht eine sehr große Rolle ein, obwohl meines Erachtens das Handlungsunrecht der viel entscheidendere Faktor ist.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von thh »

JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54 Will man also jemanden beliebigen (also eigentlich nur einen) auf dem Nachhauseweg spontan mit dem Auto umfahren oder mit dem Revolver aus dem Fenster erschießen, so gilt folgendes:

Ist im ersten Schuss zufällig keine Patrone im Revolver, hast du ja zwar schon zum Versuch angesetzt, aber der Versuch ist ja noch nicht fehlgeschlagen, also noch nicht beendet. Denn die anderen Kugeln sind ja noch drin (neues bereitstehendes Mittel), und ein paar Meter weiter wartet ja schon der nächste (ohne zeitliche Zäsur einsetzbar). Ein strafbefreiender Rücktritt ist also noch möglich, denn das ganze muss ja als einheitlich zu betrachtender Versuch ("Auf dem Heimweg jemanden umbringen") gesehen werden.
Das denke ich nicht. Mit der Auswahl des konkreten Tatopfers hat sich der Tatplan auf dieses konkretisiert; entkommt also das erste ins Auge gefasste Opfer, ist dieser Versuch fehlgeschlagen. Der Schuss auf den nächsten Passanten ist eine weitere - versuchte - oder vollendete - Tat.
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54Gleich der zweite ist dann vielleicht schon ein blinder Rollstuhlfahrer. Dir wird in dem Fall klar, wie schlimm dein Verhalten ist, brichst das Gesamtvorhaben hab, bist also zurückgetreten. Keine Strafe.
Siehe oben. Von dem ersten Versuch kann nicht mehr zurückgetreten werden.
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54Ein anderer mit exakt der gleichen mentalen Verfassung hätte aber da nicht so viel Glück gehabt, wenn im ersten Schuss schon eine Kugel drin gewesen wäre. Dann wäre direkt nach dem Ansetzen schon die Tat vollendet gewesen. Mindestens 5 Jahre Haftstrafe.
Sicher. Da wäre dann ja auch jemand tot gewesen.
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54Ungleiche Bestrafung also für praktisch identische Vorsätze?
Sicher. Die Bestrafung unterscheidet sich - bei identischem Vorsatz - für die vollendete Tat, für die versuchte Tat und für die versuchte Tat, von deren weitere Ausführung strafbefreiend zurückgetreten wurde. Das ist jetzt aber nicht überraschend.
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von Sektnase »

Du kannst dich ja mal über die Strafzwecke (auch im weiteren Sinne) schlau machen. Um beim Autofahrer zu bleiben: Millionen Deutsche fahren täglich zu schnell, aber Haftstrafen wegen fahrlässiger Tötung kriegen nur die, die auch jemanden getötet haben? Warum? Die sind für die Gesellschaft nicht gefährlicher als alle anderen, die müssen auch nicht mehr davon abgehalten werden, weiter zu rasen, als alle anderen Raser. Wir wollen aber nicht nur für die Zukunft weitere Tote verhindern, sondern wollen auch die Schuld an sich bestrafen.

Ähnlich auch beim Rücktritt. Die Schuld ist mit dem Versuchsbeginn gegeben, eigentlich wollen wir also bestrafen. Warum machen wir es nicht? Weil eben der Schutz des konkret vom Versuch betroffenen auch eine Rolle spielt. § 24 StGB schützt das Opfer.

Das System ist gar nicht so doof, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Wenn man das doch glaubt, sollte man immer erstmal nochmal die Subsumtion überprüfen :-w
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von Omnimodofacturus »

JuraPoster666 hat geschrieben: Donnerstag 9. Dezember 2021, 18:31
Sektnase hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 19:07
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54 Ein strafbefreiender Rücktritt ist also noch möglich, denn das ganze muss ja als einheitlich zu betrachtender Versuch ("Auf dem Heimweg jemanden umbringen") gesehen werden.
Ist das so?

Die Rücktrittsregeln haben aber immer ein "Geschmäckle". Sie sind eben insoweit systemfremd, als dass keine Strafe erfolgt, trotz rechtswidriger und schuldhafter Tat. Wir lassen hier die Vergeltung eben hinter dem Schutz der potentiellen Opfer zurückstehen. Wenn der Täter weiß, dass er sowieso schon (fast, § 23 II StGB) wie für die Vollendung bestraft wird, wieso sollte er dann nicht noch einen Anlauf unternehmen? Soviel zur Theorie. Ob die Pappenheimer das dann mitten im Geballer noch rechtlich richtig einschätzen, ist ne andere Frage ;)
Das ist doch gerade der Punkt.
Wieso "Vergeltung hinter dem Schutz der potentiellen Opfer"? Eher andersrum: Die Vergeltung hat ja anscheinened Vorrang, denn man kann ja noch zurücktreten, das potentielle Opfer ist aber theoretisch noch weiter gefärdet, weil die Fähigkeit zur Realisierung des Vorsatzes ja schon maximal bewiesen ist.

Der Täter wird ja bei Rücktritt nicht für ebenden Akt bestraft, der normalerweise schon die Vollendung bedeutet, und den er schon längst durchgeführt hat. Und deswegen - bei anschließend plötzlichem Begreifen der Übelkeit seiner Tat nach Beispiel - lohnt sich für ihn ja trotzdem noch der zu 100% strafbefreiende Rücktritt. Obwohl die normal hinreichende Vollzugshandlung im Falle eines Pistolenschusses ja sinngemäß eigentlich schon erfolgt ist. Ihn unterscheidet aber eigentlich nichts von jemandem, bei dem die Kugel im Revolver war. Außer die fehlende Verantwortlichkeit für einen realen Toten. Im Sinne von "Schuld" ist er aber eigentlich derselbe Mensch. Lediglich der "deterministische Teil" seines Gewissens ("niemand ist durch mich gestorben, ich hatte Glück") bleibt unberührt.

Bei einem Überfahren wäre es ein wenig anders, weil da die normal hinreichende Vollzugshandlung ja sinngemäß erst mit dem wirklichen Überfahren erfolgt ist, nicht schon mit dem "Aufs-Gaspedal-Drücken": Du musst ja noch die ganze Strecke bis zum Opferaufprall selber durchfahren, wohingegen die Kugel sich von selbst unbremsbar aus dem Revolver zum Opfer bewegt, sobald du abgedrückt hast.


Ich würde das ja grundsätzlich anders sehen:

Wir bemühen uns sehr, die Strafbarbkeit besonders präzise zu erfassen und es ist nur für bestimmte genau definierte Lagen strafe vorgeschrieben:

In diesem Falle also etwa "Wer einen Menschen tötet".

Unser Täter hat aber ja gerade keinen Menschen getötet. Dennoch kann er nach den Vorschriften über den Versuch bestraft werden. Das ist aber in gewisser Hinsicht eine Ausdehnung der Strafbarkeit über den ursprünglich erfassten Tatbestand hinaus. Das ist gewissermaßen eine Ausnahme und daher nur bei bestimmten Delikten überhaupt strafbar (vgl. § 23 I StGB).

Dann ist es aber gerade folgerichtig, diese erweiterte Strafbarkeit auch wieder einschränken zu können, was maßgeblich die Vorschriften zum Rücktritt vom Versuch in typisierter Weise leisten.
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von JuraPoster666 »

thh hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 14:19
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54 Will man also jemanden beliebigen (also eigentlich nur einen) auf dem Nachhauseweg spontan mit dem Auto umfahren oder mit dem Revolver aus dem Fenster erschießen, so gilt folgendes:

Ist im ersten Schuss zufällig keine Patrone im Revolver, hast du ja zwar schon zum Versuch angesetzt, aber der Versuch ist ja noch nicht fehlgeschlagen, also noch nicht beendet. Denn die anderen Kugeln sind ja noch drin (neues bereitstehendes Mittel), und ein paar Meter weiter wartet ja schon der nächste (ohne zeitliche Zäsur einsetzbar). Ein strafbefreiender Rücktritt ist also noch möglich, denn das ganze muss ja als einheitlich zu betrachtender Versuch ("Auf dem Heimweg jemanden umbringen") gesehen werden.
Das denke ich nicht. Mit der Auswahl des konkreten Tatopfers hat sich der Tatplan auf dieses konkretisiert; entkommt also das erste ins Auge gefasste Opfer, ist dieser Versuch fehlgeschlagen. Der Schuss auf den nächsten Passanten ist eine weitere - versuchte - oder vollendete - Tat.
Was ist dann mit der Zusammenhangs-Vorschrift? Das ganze soll doch als Gesamtakt gesehen werden. Da das Opfer hier beliebig austauschbar ist und es letztenendes nur darum ging, EINEN zu töten, kann das doch nicht so auseinandergezogen werden? Es hätte ja nie mehrere Tötungen geben können, somit dürfte sich das ganze auch nicht zu mehrfachen Tötungsversuchen aufsummieren. Damit würde man die Sache ja so behandeln, als hätte es insgesamt eine Absicht gegeben, mehrere Personen zu töten.

Oder ist das auch wieder so ein Streitfall, für den es interessante Begriffe gibt, analog zu "Handlungsunrecht" vs. "Erfolgsunrecht"?
thh hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 14:19
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54Gleich der zweite ist dann vielleicht schon ein blinder Rollstuhlfahrer. Dir wird in dem Fall klar, wie schlimm dein Verhalten ist, brichst das Gesamtvorhaben hab, bist also zurückgetreten. Keine Strafe.
Siehe oben. Von dem ersten Versuch kann nicht mehr zurückgetreten werden.
S.o.
Und insbesondere bleibt ja noch die Möglichkeit offen, zurück zu fahren und nochmal zu schießen.
Also wenn man jedes einzelne Opfer als Einzelakt sieht, dann ist doch hier ein Rücktritt vom ersten Versuch beim ersten Opfer erfolgt, so lange man nicht zurück fährt um noch mal auf die selbe Person zu schießen?
thh hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 14:19
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54Ein anderer mit exakt der gleichen mentalen Verfassung hätte aber da nicht so viel Glück gehabt, wenn im ersten Schuss schon eine Kugel drin gewesen wäre. Dann wäre direkt nach dem Ansetzen schon die Tat vollendet gewesen. Mindestens 5 Jahre Haftstrafe.
Sicher. Da wäre dann ja auch jemand tot gewesen.
Okay, aber dann muss man schon sagen, dass nicht die Person im eigentlichen Sinne - sprich der Täter für sein Handeln - bestraft wird, sondern nur der Täter für den durch ihn zufällig verursachten Schaden bei einer solchen Handlung.
thh hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 14:19
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54Ungleiche Bestrafung also für praktisch identische Vorsätze?
Sicher. Die Bestrafung unterscheidet sich - bei identischem Vorsatz - für die vollendete Tat, für die versuchte Tat und für die versuchte Tat, von deren weitere Ausführung strafbefreiend zurückgetreten wurde. Das ist jetzt aber nicht überraschend.
Ich meinte hier natürlich "für die gleiche durchgeführte vorsätzliche Handlung".
Mit der oben von mir ausformulierten Konsequenz für die Bedeutung der Strafe.
Zuletzt geändert von JuraPoster666 am Sonntag 2. Januar 2022, 21:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von JuraPoster666 »

Ara hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 13:01 Die Zweifel von Sektnase, ob dein Beispiel so passt, teile ich auch (Es wechselt ja das potentielle Tatopfer), aber man kann das Beispiel ja so bilden, dass er einfach noch einmal auf die gleichen Person schießen könnte, dann geltend deine Ausführungen ja auch.
JuraPoster666 hat geschrieben: Donnerstag 9. Dezember 2021, 18:31 Der Täter wird ja bei Rücktritt nicht für ebenden Akt bestraft, der normalerweise schon die Vollendung bedeutet, und den er schon längst durchgeführt hat. Und deswegen - bei anschließend plötzlichem Begreifen der Übelkeit seiner Tat nach Beispiel - lohnt sich für ihn ja trotzdem noch der zu 100% strafbefreiende Rücktritt. Obwohl die normal hinreichende Vollzugshandlung im Falle eines Pistolenschusses ja sinngemäß eigentlich schon erfolgt ist. Ihn unterscheidet aber eigentlich nichts von jemandem, bei dem die Kugel im Revolver war. Außer die fehlende Verantwortlichkeit für einen realen Toten. Im Sinne von "Schuld" ist er aber eigentlich derselbe Mensch. Lediglich der "deterministische Teil" seines Gewissens ("niemand ist durch mich gestorben, ich hatte Glück") bleibt unberührt.
Hier führst du aber generell eine Schwäche der strafrechtlichen Systematik an, die durchgehend zwischen Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht (Bzw. Handlungsunwert und Erfolgsunwert) unterscheidet.

Fährst du mit 200km/h innerorts über eine rote Ampel über eine Kreuzung und hoffst, es wird schon gut gehen, bist du (wir lassen jetzt mal die möglicherweise mittlerweile tatsächlich einschlägigen strafrechtlichen Verkehrsdelikte außenvor) straffrei, wenn du keinen Querverkehr triffst. Triffst du dagegen den Querverkehr und der stirbt, bist du in der fahrlässigen Tötung drin. Das Handlungsunrecht unterscheidet sich hier aber kein Stück, es hängt schlicht vom Zufall ab, ob es sich auch das Erfolgsunrecht realisiert.

Es gibt zwar Erklärungsansätze, warum dieses Ergebnis so in der Praxis sinnvoll ist, wirklich überzeugend sind diese meines Erachtens aber nicht. Das Erfolgsunrecht nimmt im deutschen Strafrecht eine sehr große Rolle ein, obwohl meines Erachtens das Handlungsunrecht der viel entscheidendere Faktor ist.
Interessante Begriffe. "Handlungsunrecht" und "Erfolgsunrecht".

Letzteres soll im deutschen Strafrecht eine sehr große Rolle einnehmen? In anderen Strafrechts-Systemen (z.B. dem Amerikanischen) nicht?
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von JuraPoster666 »

Omnimodofacturus hat geschrieben: Montag 13. Dezember 2021, 00:05
JuraPoster666 hat geschrieben: Donnerstag 9. Dezember 2021, 18:31
Sektnase hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 19:07
JuraPoster666 hat geschrieben: Sonntag 5. Dezember 2021, 01:54 Ein strafbefreiender Rücktritt ist also noch möglich, denn das ganze muss ja als einheitlich zu betrachtender Versuch ("Auf dem Heimweg jemanden umbringen") gesehen werden.
Ist das so?

Die Rücktrittsregeln haben aber immer ein "Geschmäckle". Sie sind eben insoweit systemfremd, als dass keine Strafe erfolgt, trotz rechtswidriger und schuldhafter Tat. Wir lassen hier die Vergeltung eben hinter dem Schutz der potentiellen Opfer zurückstehen. Wenn der Täter weiß, dass er sowieso schon (fast, § 23 II StGB) wie für die Vollendung bestraft wird, wieso sollte er dann nicht noch einen Anlauf unternehmen? Soviel zur Theorie. Ob die Pappenheimer das dann mitten im Geballer noch rechtlich richtig einschätzen, ist ne andere Frage ;)
Das ist doch gerade der Punkt.
Wieso "Vergeltung hinter dem Schutz der potentiellen Opfer"? Eher andersrum: Die Vergeltung hat ja anscheinened Vorrang, denn man kann ja noch zurücktreten, das potentielle Opfer ist aber theoretisch noch weiter gefärdet, weil die Fähigkeit zur Realisierung des Vorsatzes ja schon maximal bewiesen ist.

Der Täter wird ja bei Rücktritt nicht für ebenden Akt bestraft, der normalerweise schon die Vollendung bedeutet, und den er schon längst durchgeführt hat. Und deswegen - bei anschließend plötzlichem Begreifen der Übelkeit seiner Tat nach Beispiel - lohnt sich für ihn ja trotzdem noch der zu 100% strafbefreiende Rücktritt. Obwohl die normal hinreichende Vollzugshandlung im Falle eines Pistolenschusses ja sinngemäß eigentlich schon erfolgt ist. Ihn unterscheidet aber eigentlich nichts von jemandem, bei dem die Kugel im Revolver war. Außer die fehlende Verantwortlichkeit für einen realen Toten. Im Sinne von "Schuld" ist er aber eigentlich derselbe Mensch. Lediglich der "deterministische Teil" seines Gewissens ("niemand ist durch mich gestorben, ich hatte Glück") bleibt unberührt.

Bei einem Überfahren wäre es ein wenig anders, weil da die normal hinreichende Vollzugshandlung ja sinngemäß erst mit dem wirklichen Überfahren erfolgt ist, nicht schon mit dem "Aufs-Gaspedal-Drücken": Du musst ja noch die ganze Strecke bis zum Opferaufprall selber durchfahren, wohingegen die Kugel sich von selbst unbremsbar aus dem Revolver zum Opfer bewegt, sobald du abgedrückt hast.


Ich würde das ja grundsätzlich anders sehen:

Wir bemühen uns sehr, die Strafbarbkeit besonders präzise zu erfassen und es ist nur für bestimmte genau definierte Lagen strafe vorgeschrieben:

In diesem Falle also etwa "Wer einen Menschen tötet".

Unser Täter hat aber ja gerade keinen Menschen getötet. Dennoch kann er nach den Vorschriften über den Versuch bestraft werden. Das ist aber in gewisser Hinsicht eine Ausdehnung der Strafbarkeit über den ursprünglich erfassten Tatbestand hinaus. Das ist gewissermaßen eine Ausnahme und daher nur bei bestimmten Delikten überhaupt strafbar (vgl. § 23 I StGB).

Dann ist es aber gerade folgerichtig, diese erweiterte Strafbarkeit auch wieder einschränken zu können, was maßgeblich die Vorschriften zum Rücktritt vom Versuch in typisierter Weise leisten.
Wieso Ausdehnung? Der Versuch ist ja auch schon ein Tatbestand? Und solange man (wie bei einem Pistolenschuss) mit dem maximal durchführbaren "fertig" ist, unterscheidet sich hier das Handlungsunrecht ja nicht von einem Handlungsunrecht mit gleichzeitigem Erfolgsunrecht. Ob's geklappt hat, ist ne andere Frage.

Und es gibt dann ja verschiedene Arten von Rücktrittszenarien:

Solche wo man zurücktreten kann, obwohl man eigentlich "fertig" hätte sein müssen. Wie beim Pistolenschuss mit fehlender Patrone.
Also bei begangenem Handlungsunrecht.

Und solche, wo man zurücktreten kann, weil man tatsächlich noch nicht "fertig" hätte sein können. Wie beim Messer, dass in der Jacke stecken bleibt, bevor man zum Kehleaufschlitzen ausholen konnte, aber wo man dann freiwillig aus Einsicht die Sache abbricht.
Also ohne begangenes Handlungsunrecht (abgesehen vom "unmittelbaren Ansetzen").
Zuletzt geändert von JuraPoster666 am Sonntag 2. Januar 2022, 21:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Quasi Freiversuch beim Mord/Totschlag???

Beitrag von JuraPoster666 »

Sektnase hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 18:13 Du kannst dich ja mal über die Strafzwecke (auch im weiteren Sinne) schlau machen. Um beim Autofahrer zu bleiben: Millionen Deutsche fahren täglich zu schnell, aber Haftstrafen wegen fahrlässiger Tötung kriegen nur die, die auch jemanden getötet haben? Warum? Die sind für die Gesellschaft nicht gefährlicher als alle anderen, die müssen auch nicht mehr davon abgehalten werden, weiter zu rasen, als alle anderen Raser. Wir wollen aber nicht nur für die Zukunft weitere Tote verhindern, sondern wollen auch die Schuld an sich bestrafen.
Genau, und zumindest das Handlungsunrecht bestrafen wir ja damit millionenfach nicht. Meist nur das Erfolgsunrecht.
Ob das gut oder schlecht ist, ist eine andere Frage.
Sektnase hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 18:13 Ähnlich auch beim Rücktritt. Die Schuld ist mit dem Versuchsbeginn gegeben, eigentlich wollen wir also bestrafen. Warum machen wir es nicht? Weil eben der Schutz des konkret vom Versuch betroffenen auch eine Rolle spielt. § 24 StGB schützt das Opfer.
Und wieso ist das ein Grund, es nicht zu bestrafen? Mehr Strafe für den Täter steht dem Schutz des Opfers doch nicht im Wege? Müsste man doch eher sagen, um so mehr schützt man auch weitere potentielle Opfer.

Und eigentlich wollen wir den Versuchsbeginn doch nur bestrafen unter der Annahme, dass hier zweifellos ohne unfreiwillige Verhinderungen auch ein Erfolgsunrecht eingetreten wäre? Bzw. selbst bei solchen Verhinderungen es keinen freiwilligen Rücktritt gegeben hätte?
Einen Versuchsbeginn mit anschließendem freiwilligem Rücktritt wollen wir doch gerade nicht bestrafen, weil der Täter dann ja noch rechtzeitig das Erfolgsunrecht verhindert hat.
Sektnase hat geschrieben: Samstag 11. Dezember 2021, 18:13 Das System ist gar nicht so doof, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Wenn man das doch glaubt, sollte man immer erstmal nochmal die Subsumtion überprüfen :-w
Ob es nun doof ist oder nicht, sei mal so dahingestellt. Mir ging es mehr darum, wie das offiziell begründet wird.
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