417 kmh A2 - Eigenrennen?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Micha79
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417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Micha79 »

Es wird ja jetzt gegen den Bugattifahrer ermittelt. Unterstellen wir, dass er nicht gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung verstoßen hat.
Es wird mitunter das "Eigenrennen" kolportiert.
Die Norm setzt folgendes voraus:

Wer...sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen,...

Die Merkmale "verkehrswidrig", "grob verkehrswidrig" und "rücksichtslos" sind hier problematisch. Schon "verkehrswidrig" würde man wohl nur über die Generalklauseln in § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 hinbekommen. Hier ist schon eine starke Argumentationslinie: Wenn keine Begrenzung besteht und keine besonderen Umstände vorliegen (Nacht, Nebel, Glätte, sonstige Wettereinflüsse), kann die Wertentscheidung der Behörde, hier keine Geschwindigkeitsbegrenzung als Allgemeinverfügung zu erlassen, hier nicht über die Hintertür unterlaufen werden. Allen Versuchen, hier mit "das war aber viel" zu entgegnen, kann man entgegen halten, man möge doch in Ermangelung einer behördlichen Entscheidung ein Limit setzen. Es geht um Strafrecht.

Eine Gefahrensituation in dem Sinne, dass nur durch Zufall eine Kollision ausblieb (Verreißen des Lenkrads, scharfes Bremsen anderer Teilnehmer) ist nach dem Video nicht ersichtlich. Die bloße Behauptung, bei dieser Geschwindigkeit sei immer alles gefährlich, wird sicherlich auch jedenfalls im Strafrecht schwierig.

Erst recht schwierig gestaltet sich, wenn man schon eine Verkehrswidrigkeit annähme, eine grobe Verkehrswidrigkeit. Natürlich hat die Rechtsprechung auf eine besondere Massivität einer Geschwindigkeitsüberschreitung abgestellt, aber in Fällen, in denen ein Limit bestand.

Eine Verteidigung hat hier mE gute Aussichten.
Theopa
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Theopa »

Wenn sich aus der Geschwindigkeit und Masse des Fahrzeugs sowie dem Bremsweg beispielsweise ergibt, dass es dem Fahrer jedenfalls auf Teilen der Strecke rein physikalisch denktnotwendig unmöglich gewesen wäre auf Gefahren zu reagieren und rechtzeitig anzuhalten, hätte man schon einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 4 StVO, der durch die ganz besonders hohe Geschwindigkeit und noch viel mehr durch die besonders hohen Geschindigkeitsunterschiede zum übrigen Verkehr auch grob sein dürfte. Dazu bräuchte man aber eine Bewertung durch einen Sachverständigen, über den Daumen gepeilt würde ich jedenfalls bei über 400 km/h davon ausgehen.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von TedRemptation »

Theopa hat geschrieben: Donnerstag 27. Januar 2022, 10:12 Wenn sich aus der Geschwindigkeit und Masse des Fahrzeugs sowie dem Bremsweg beispielsweise ergibt, dass es dem Fahrer jedenfalls auf Teilen der Strecke rein physikalisch denktnotwendig unmöglich gewesen wäre auf Gefahren zu reagieren und rechtzeitig anzuhalten, hätte man schon einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 4 StVO, der durch die ganz besonders hohe Geschwindigkeit und noch viel mehr durch die besonders hohen Geschindigkeitsunterschiede zum übrigen Verkehr auch grob sein dürfte. Dazu bräuchte man aber eine Bewertung durch einen Sachverständigen, über den Daumen gepeilt würde ich jedenfalls bei über 400 km/h davon ausgehen.
Aus zuverlässiger Quelle (Puffpaff bei TV Total) habe ich gehört, dass der Bremsweg bei dieser Geschwindigkeit einen Kilometer beträgt. Wäre jedenfalls ein Argumentationsansatz.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Sebast1an »

Laut Bugatti hat der Chiron mit 400 km/h einen Bremsweg von 491 m (unbekannt, ob mit oder ohne Reaktionszeit).
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von OJ1988 »

Sebast1an hat geschrieben: Donnerstag 27. Januar 2022, 16:03 Laut Bugatti hat der Chiron mit 400 km/h einen Bremsweg von 491 m (unbekannt, ob mit oder ohne Reaktionszeit).
Wenn das stimmt und der vorliegende Videobeweis ergibt, dass die Sicht auf die hoffentlich vollständig freie linke Spur weiter war, sehe ich auch gute Chancen.
Micha79
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Micha79 »

Hinzu kommt freilich, dass er einwenden kann, der Tacho sei nicht geeicht gewesen...andererseits kann man die Geschwindigkeit anhand der 50-Meter-Baken vermutlich ganz gut schätzen.
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Tibor
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417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Tibor »

Also der überholt schon einige Autos, die vermutlich 130-160 fuhren. Zudem fährt er nicht links/mittig, sondern auf zwei Spuren gleichzeitig.

Bremsweg:

https://www.bugatti.com/de/media/news/2 ... eltrekord/

Ein Rennfahrer hat bei 400kmh die Geschwindigkeit bei 2.621m erreicht und stand bei 3.112m; also Bremsweg 491m. Vermutlich wird ein Laie mehr brauchen. Und die 17-18kmh mehr tun auch was drauf. Vermutlich reden wir über einen Bremsweg von deutlich über 600m. Das wäre ein Abstand von 12 Baken auf der Strecke. Und nein, die kann man nicht ernsthaft überblicken.

Edit: 400kmh sind 111m die Sekunde. Das ist auch sonst Wahnsinn, wenn da einer von der rechten Spur in die Mitte zieht.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von OJ1988 »

Tibor hat geschrieben: Donnerstag 27. Januar 2022, 18:51 Also der überholt schon einige Autos, die vermutlich 130-160 fuhren. Zudem fährt er nicht links/mittig, sondern auf zwei Spuren gleichzeitig.

Bremsweg:

https://www.bugatti.com/de/media/news/2 ... eltrekord/

Ein Rennfahrer hat bei 400kmh die Geschwindigkeit bei 2.621m erreicht und stand bei 3.112m; also Bremsweg 491m. Vermutlich wird ein Laie mehr brauchen. Und die 17-18kmh mehr tun auch was drauf. Vermutlich reden wir über einen Bremsweg von deutlich über 600m. Das wäre ein Abstand von 12 Baken auf der Strecke. Und nein, die kann man nicht ernsthaft überblicken.

Edit: 400kmh sind 111m die Sekunde. Das ist auch sonst Wahnsinn, wenn da einer von der rechten Spur in die Mitte zieht.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von thh »

Tibor hat geschrieben: Donnerstag 27. Januar 2022, 18:51Edit: 400kmh sind 111m die Sekunde. Das ist auch sonst Wahnsinn, wenn da einer von der rechten Spur in die Mitte zieht.
Da letzterer das nur darf, wenn die entsprechende Spur frei ist, ist das kein Problem, nicht wahr?
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Urs Blank »

Jedenfalls nach der Rspr. des BGH dürfte im konkreten Fall eine Strafbarkeit naheliegen. Das Merkmal der unangepassten Geschwindigkeit soll auch Verstöße gegen § 3 Abs. 1 StVO umfassen. Und dass jemand mit über 400 km/h im öffentlichen Verkehrsraum sein Fahrzeug nicht mehr „ständig beherrscht“, dürfte kaum einer näheren Begründung bedürfen. Die grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit kann sich bereits aus Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes ergeben. Die erforderliche Absicht schließlich, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, präsentiert der Fahrer mit seinem Video dem geneigten Tatgericht auf dem Silbertablett. Siehe nur BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 4 StR 225/20.
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famulus
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von famulus »

thh hat geschrieben: Donnerstag 27. Januar 2022, 19:25
Tibor hat geschrieben: Donnerstag 27. Januar 2022, 18:51Edit: 400kmh sind 111m die Sekunde. Das ist auch sonst Wahnsinn, wenn da einer von der rechten Spur in die Mitte zieht.
Da letzterer das nur darf, wenn die entsprechende Spur frei ist, ist das kein Problem, nicht wahr?
In dem Moment, in dem der Spurwechselnde sich (hoffentlich) vergewissert, dass die Spur frei ist - also vor dem Spurwechsel - ist der Bugatti ja noch gar nicht sichtbar.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von OJ1988 »

Urs Blank hat geschrieben: Donnerstag 27. Januar 2022, 20:36 Jedenfalls nach der Rspr. des BGH dürfte im konkreten Fall eine Strafbarkeit naheliegen. Das Merkmal der unangepassten Geschwindigkeit soll auch Verstöße gegen § 3 Abs. 1 StVO umfassen. Und dass jemand mit über 400 km/h im öffentlichen Verkehrsraum sein Fahrzeug nicht mehr „ständig beherrscht“, dürfte kaum einer näheren Begründung bedürfen. Die grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit kann sich bereits aus Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes ergeben. Die erforderliche Absicht schließlich, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, präsentiert der Fahrer mit seinem Video dem geneigten Tatgericht auf dem Silbertablett. Siehe nur BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 4 StR 225/20.
Wie ist denn das "ständig beherrschen" zu verstehen? Ich würde - als Laie, was die StVO angeht - hier erstmal nur vermuten, dass man sein eigenes Fahrzeug weiter ohne Kontrollverlust steuern kann, unabhängig von einer etwaig durch die hohe Geschwindigkeit verursachten (abstrakten) Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Je nach Wagen und Bauweise dürften die Geschwindigkeitsgrenzen hier stark variieren. Einen Sportwagen kann man ggf. - da kenne ich mich nicht aus - auch mit 417 km/h noch "ständig beherrschen", weil er für diese Geschwindigkeiten eben gebaut ist und deswegen kein Ausbrechen o.ä. zu befürchten ist. Ggf. spielt hier auch die Erfahrung des Fahrers mit rein. Das kommt ja auch durch § 3 Abs. 1 S. 2 StVO zum Ausdruck. Wesentlicher dürfte die Frage sein, ob ein Verstoß gegen das Gebot, innerhalb der einsehbaren Strecke halten zu können, vorliegt (§ 3 Abs. 1 S. 4 StVO).
Zuletzt geändert von OJ1988 am Freitag 28. Januar 2022, 12:21, insgesamt 1-mal geändert.
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Tibor
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Tibor »

MüKo § 3 StVO Rn. 3 f.

Nur die Geschwindigkeit, mit der man das Fahrzeug noch sicher beherrscht, ist maximal zulässig. Der Gesetzgeber knüpft an die nicht abschließend aufgezählten zentralen Punkte Umwelt, Mensch und Fahrzeug an. Insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen (Umwelt) sowie den persönlichen Fähigkeiten des Fahrers (Mensch) und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung (Fahrzeug) ist die Geschwindigkeit anzupassen. Der Akteur ist der Fahrzeugführer, der alle drei Punkte, also auch seine eigenen Fähigkeiten, einkalkulieren muss. Das kann im Einzelfall schwierig sein, da jeder Fahrzeugführer eigene Wahrnehmungen empfindet.
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Urs Blank
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Urs Blank »

Bei 417 km/h (115 m pro Sekunde) ist man jenseits von gut und böse. Der Anhalteweg bei einer Gefahrbremsung beträgt über 500 m. Auf unerwartete Hindernisse oder Straßenschäden kann damit nicht mehr adäquat reagiert werden.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Tibor »

Man muss auch einfach sehen, dass die Autobahnen mit "freie Fahrt für freie Bürger" meist nur dort zu finden sind, wo die Fahrbahnen hohe Geschwindigkeiten hergeben. Hierbei dürften aber die Straßenbaubehörden eher eine Geschwindigkeit von höchstens 250kmh im Blick haben, weil dies der langjährigen und überwiegend beibehaltenen freiwilligen Selbstbeschränkung der Hersteller/Importeure entsprach. 250 ist aber weniger als 60% von 417. Umgekehrt wird man annehmen können, dass Autobahnabschnitte auf 130 herabreguliert werden würden, wenn die Strecken zwar Geschwindigkeiten von 200 generell zuließen, aber das Gros der Kfz locker 300 schafft.
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