417 kmh A2 - Eigenrennen?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Micha79
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Micha79 »

Eine Schwierigkeit ist indes auch, dass bei Fehlen eines Tempolimits der Verstoß gegen die allgemeinen StVO-Klauseln nachgewiesen sein muss, und dazu noch besonders schwer sein muss. 315c verwendet auch grob und rücksichtslos, aber enumeriert die möglichen Verstöße und ermöglicht dort immer den Vergleich mit dem "nur harmlosen" Verstoß.
Außerdem wird die Rechtsprechung de facto aus der konkreten Gefahr in geeigneten Fällen auf die Grobheit schließen.
Diese Erleichterungen hat man beim Eigenrennen nicht.

315c hat also noch andere Elemente der Normstruktur, die die Feststellung der Grobheit über den allgemeinen Verstoß hinaus ermöglichen (Todsünden).
Ich finde die Fragen aber spannend.
Liz
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

Strich hat geschrieben:@Liz: ja so kann man das sehen und begründen. Ich halte das eben nicht für überzeugend. Ich habe aber auch große verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Eigenrennen in § 315d StGB. Der Tatbestand ist da auch erfüllt, wenn ich mit meinem 45 km/h Roller rase um gerade diese 45 km/h zu erreichen.
Wobei 45 km/h weder unangemessen noch grob verkehrswidrig noch rücksichtslos sein dürften, wenn Du Dein Eigenrennen nicht gerade in einer Fußgängerzone veranstaltest.

Je höher und verkehrsunangepasster die gefahrene Geschwindigkeit ist, desto mehr Merkmale des § 315d Abs. 1 StGB sind erfüllt und ab einer gewissen Geschwindigkeit halte ich es für relativ unproblematisch, alle drei Merkmale zu bejahen, selbst wenn sich die in der Fahrweise liegende abstrakte Gefahr nicht verwirklicht hat.
Sektnase
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Sektnase »

Schönes Beispiel, wie Jura funktioniert. Wir haben ein Ergebnis, empören uns darüber, dass DAS aber nicht legal sein darf und überlegen, wie wir das über völlig nichtssagende Tatbestände subsumieren.
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
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Strich
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

Liz hat geschrieben: Mittwoch 2. Februar 2022, 14:12 ...

Wobei 45 km/h weder unangemessen noch grob verkehrswidrig noch rücksichtslos sein dürften, wenn Du Dein Eigenrennen nicht gerade in einer Fußgängerzone veranstaltest.

Je höher und verkehrsunangepasster die gefahrene Geschwindigkeit ist, desto mehr Merkmale des § 315d Abs. 1 StGB sind erfüllt und ab einer gewissen Geschwindigkeit halte ich es für relativ unproblematisch, alle drei Merkmale zu bejahen, selbst wenn sich die in der Fahrweise liegende abstrakte Gefahr nicht verwirklicht hat.
Das Gesetz sagt "nicht angepasst" und nicht "unagemessen". Da stellt sich die Frage woran das ausgerichtet sein soll. Einziges greifbares Kriterium ist die Anpassung an die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Den Schritt wollen hier aber einige nicht gehen, weil sonst das Ausgangsverhalten nicht strafbar ist, weil auf der Autobahn keine Höchstgeschwindigkeit gilt. Stattdessen will man sich lieber in wachsweichen Beliebigkeitskriterien verlieren, bei denen man nach Gusto den Kollegen des Threadtitels verurteilen kann, andere (den 45 km/h Typen) aber außen vorlässt.
Mit Art 103 Abs. 2 GG hat das und gerade der "gesunde Menschenverstand" wenig zu tun.
Die Gesetzeshistorie spricht auch gegen eine Auslegung des Merkmals "nicht angepasst" so wie hier teilweise vorgenommen, weil das Gesetz in Reaktion des Berliner Rasers zustande kam und dort nunmal eine zulässige Höchstgeschwindigkeit galt.
Die Systematik des Gesetzes und der im OWi Bereich ergangenen Rechtsprechung sprechen ebenfalls gegen euch. § 24 StVG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 StVO zählt ein paar Merkmale für die Anpassung der Geschwindigkeit auf: Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen.
Die fahrlässige Verkennung dieser Anpassung führt aber gerade nicht zur Strafbarkeit, denn wenn man sich § 315d Abs. 4 StGB anschaut, sieht man, dass eben nur das konkrete Gefährdungsdelikt auch fahrlässig begangen werden kann. Es ist also keinesfalls so, wie Liz hier behauptet.
Mir ist klar, dass ihr irgendwie eine billigende Inkaufnahme der Nichtanpassung herbeireden wollt. Das dürfte aber angesichts der in § 3 Abs. 1 S. 2 StVO aufgezählten Merkmale zirkulär sein. Der Täter wird nämlich in der Regel davon ausgehen, dass die Geschwindigeit auf der Autobahn den Straßen-, Verkehrs-, Sicht und Wetterverhältnissen noch entsprach. Gerade deswegen fährt er ja auf die nicht geschwindigkeitsbegrenzte Autobahn! Der Fall läge freilich auf der Landstraße oder innerorts (hinsichtlich des Vorsatzes der nicht angepassten Geschwindigkeit) anders.
Die Systematik (mir ist klar, dass ich Verordnungen zur Auslegung von Gesetzen heranziehe, gerade im Straßenverkehrsrecht ist das aber nicht unüblich, da die Konkretisierung des gesamten Straßenverkehrs gerade einer Verodnung überlassen wurde) spricht auch noch in einem anderen Punkt gegen eine "nicht angepasste" Geschwindigkeit: Nr. 8 der Anlage der BKatV sieht Bußgelder überhaupt nur bei konkreten Gefährdungen (8.2) oder bei Gefahrenlagen (8.1) vor. Alle übrigen Bußgeldtatbestände erstrecken sich auf das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Man sollte auch nicht vergessen, dass das zu langsame Befahren der Autobahn eine größere Gefahr darstellt, als das zu schnelle Fahren auf der Autobahn. Bußgeldbewehrt ist es sogar, wenn man die Autobahn mit einem Fahrzeug befährt, dessen bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit 60 km/h nicht überschreitet. Die meisten Verkehrsunfälle auf der Autobahn geschehen im Zusammenhang mit Lkw, die bekanntlich keine 100 km/h fahren.

Gegen all diese Argumente setzt ihr euer "Gefühl" oder bestenfalls die durch nichts unterlegte Behauptung der Fahrer habe das Fahrzeug nicht ständig unter Kontrolle gehabt.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

@Strich: Die reine Physik widerspricht bereits der Annahme, dass man ein Fahrzeug noch bei 417 km/h jederzeit vollständig im Griff hat, wenn man sich im öffentlichen Straßenverkehr bewegt, wo es immer Situationen geben kann, in denen ein Bremsweg von 400-500m nicht ausreichend ist, selbst wenn man eine übermenschliche Reaktionszeit hat und die Sichtverhältnisse ideal sind.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

Ja das Argument habe ich schon verstanden. Du wiederholst dich und versucht dich auf Allgemeinplätze zurückzuziehen. Damit will ich nicht mal sagen, dass das Argument irrelevant ist. Wenn dir aber weiter nichts einfällt, als irgendwie mit einem Gefühl (und mehr ist es angesichts deiner wissenschaftlichen Qualifikation nicht, correct me if I am wrong) zu argumentieren, ist das gemessen an der Historie und der Systematik ... unterkomplex. Ich halte dein Argument darüber hinaus erstens für eine bloße Behauptung, weil wir hier wohl alle keine Sachverständige sind, die man dafür aber benötigt. Und zweitens kennt das Gesetz die Begriffe "jederzeit vollständig im Griff" nicht. Du versucht auf § 3 Abs. 1 S. 1 StVO abzustellen, der von "ständig beherrschen" spricht. Der Maßstab für "ständig beherrschen" ist aber ganz sicher nicht "wo es immer Situationen geben kann, in denen ein Bremsweg von 400-500m nicht ausreichend ist," Auch bei einer Fahrt mit 50 km/h durch die Ortschaft kann es immer Situationen geben, in denen ich nicht rechtzeitig bremsen kann, womit wir wieder bei thh's 30 wären. Gegen deine Annahme spricht weiterhin, dass die StVO dieses "ständig beherrschen" in § 3 Abs. 1 S. 2 StVO näher umschreibt.

Oder halt hier:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... faehrdung/
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417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

In der Tat macht es wenig Sinn zu diskutieren, wenn Du hier offenbar detaillierte physikalische Berechnungen haben möchtest, bevor Du von der gefühlten Behauptung abrückst „aber es ist doch gut gegangen, also hatte er offenbar sein Fahrzeug im Griff bzw. hat es ständig beherrscht“, wenn bereits die bloße Berechnung der zurückgelegten m/s und des Bremswegs offenbaren, dass das jenseits von gut und böse ist. Ich habe jetzt auch noch kein gutes Argument dafür gelesen, warum es nicht rücksichtslos und grob verkehrswidrig sein sollte, wenn man mit mehr als dreifacher Richtgeschwindigkeit über die Autobahn fährt. Warum dann nicht 500 km/h oder gleich Überschallgeschwindigkeit, solange man dabei keinen Beinaheunfall baut?
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

Liz hat geschrieben: Mittwoch 2. Februar 2022, 16:27 In der Tat macht es wenig Sinn zu diskutieren, wenn Du hier offenbar detaillierte physikalische Berechnungen haben möchtest, bevor Du von der gefühlten Behauptung abrückst „aber es ist doch gut gegangen, also hatte er offenbar sein Fahrzeug im Griff bzw. hat es ständig beherrscht“, wenn bereits die bloße Berechnung der zurückgelegten m/s und des Bremsweges offenbaren, dass das jenseits von gut und böse ist. Ich habe jetzt auch noch kein gutes Argument dafür gelesen, warum es nicht rücksichtslos und grob verkehrswidrig sein sollte, wenn man mit mehr als dreifacher Richtgeschwindigkeit über die Autobahn fährt. Warum dann nicht 500 km/h oder gleich Überschallgeschwindigkeit, solange man dabei keinen Beinaheunfall baut?
Nein ich habe kein Problem mit der Bremswegberechnung. Die kriege ich auch selbst noch hin, wobei ich laienhaft darauf hinweise, dass bei solchen Geschwindigkeiten die Bremswirkung durch den quadratisch zunehmenden Luftwiderstand nicht unterschätzt werden sollte.
Das was ich (derzeit, muss ich sagen) nicht für überzeugend halte, ist die Argumentation, dass dieser Bremsweg "jenseits von gut und böse ist" Das ist der Punkt, wo ich dir gefühlsmäßige Argumentation vorwerfe.

Folgende kleine Anekdote: Ich hatte eine OWi zu entscheiden, bei der es um nicht gesicherte Ladung ging. Auf dem offenen Anhänger waren irgendwelche Rüben geladen, die einen Schüttkegel in der Mitte der Ladefläche bildeten der so hoch wie die Bordwände der Ladefläche war. Zu den Seiten hin ist das ganze etwas abgefallen, die Ladeflächenwände waren aber nicht doppelt so hoch, wie die aufgeschüttete Ladung und auch auf den Bildern sah das alles so aus, als könne da "ohne weiteres" irgendetwas herunter fallen. So teilte ich das dann auch in der Sitzung mit. Der Verteidiger bestand auf einem Gutachten und da Ladung nach den anerkannten Regeln der Technik zu sichern ist, wollte ich das jetzt nicht unbedingt ohne Gutachter übers Knie brechen. Der Gutachter kam jedenfalls am Ende zu dem Ergebnis, dass es praktisch ausgeschlossen ist, dass bei dieser Konfiguration Ladung herabfällt (alles andere hätte den OWi-Tatbestand erfüllt). Man sollte mit seiner physikalischen Einschätzung sehr vorsichtig sein. Gerade wenn mir Leute sagen wollen, etwas sei "offensichtlich", "dränge sich auf", "sei jenseits von gut und böse" (ich weiß, du machst das hier, weil es ein Internetforum ist und keine bierernste Auseinandersetzung, ich mache das ja auch ^^), steckt dahinter meist das nicht sein kann was nicht sein darf. Ich halte den Bremsweg für noch unproblematisch und nicht jenseits von gut und böse.

Und Liz mein Argument war beileibe nicht nur "ist ja nix passiert". Wenn ich die Diskussion zusammenfasse, habe ich auf deiner Seite die vermeintliche Physik des Beherrschen könnens und ... das wars. Auf meiner Seite habe ich nicht nur die Systematik, Historie und den Sinn und Zweck des Gesetzes sondern auch (ebenfalls) die Physik des Beherrschen könnens (die ich laienhaft halt anders bewerte, im Zweifel aber einen Fachmann fragen müsste) UND den Umstand, dass nichts passiert ist und solche Autos nicht so lange so schnell fahren können.

Willst du es vielleicht nochmal versuchen ;-)
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

Ich denke, ich habe hinreichend dargelegt, weshalb ich - wie etliche andere hier im Thread - im diskutierten Fall wenig Probleme bei der Subsumtion unter den Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sehe - auch unter Berücksichtigung der Systematik des § 315d StGB und der historischen Motivation des Gesetzgebers. Warum ich aufgrund meiner laienhaften Expertise davon ausgehe, dass das der Beschuldigte das Fahrzeug auch ohne Unfall nicht mehr "ständig beherrscht" hat, habe ich gleichfalls dargelegt - dass das vorbehaltlich einer abweichenden sachverständigen Begutachtung gilt, halte ich unter Juristen nicht für besonders erwähnenswert. Auf Deiner Seite bleiben - vom BGH in der oben bereits von Urs Blank erwähnten Leitentscheidung indes nicht geteilte - Bedenken gegen die Bestimmtheit der Norm, das unbestimmte Bauchgefühl, dass der Beschuldigte das Fahrzeug vielleicht doch noch im Sinne des § 3 Abs. 1 StVO "ständig beherrscht" hat (nochmals: er selbst hat vorher und nachher gebetet!) und irgendwie ein Unbehagen, dass etwas strafrechtlich verboten sein soll, obwohl in der StVO nirgends explizit steht, dass man nicht mit 417 km/h über die (nicht geschwindigkeitsbeschränkte) Autobahn brettern darf, sondern unter § 3 Abs. 1 StVO subsumieren werden muss. Einigen wir uns doch einfach darauf, dass wir uns nicht einig sind.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von doohan »

Ohne jetzt eine eigene vollständige Subsumtion vom Zaun zu brechen: wenn ich es richtig sehe, gilt doch noch diese Verordnung bzgl. der Richtgeschwindigkeit von 130, oder?:

https://www.gesetze-im-internet.de/babr ... 40978.html

Dort sind 130 km/h "empfohlen". Insofern dürfte die Verordnung doch als Maßstab für Angepasstheit & Co. herhalten können? 417 km/h sind ja mal eben locker mehr als das dreifache, insofern kann sich keiner mehr auf eine angepaßte Geschwindigkeit berufen; allein das Maß der Überschreitung dürfte die Argumentation der Rücksichtslosigkeit stark vereinfachen. Ob sich die grobe Verkehrswidrigkeit damit auch erschlagen läßt, kann ich nicht beurteilen...

Nachtrag: wenn sich andere an die Vorschrift halten, dann muss eine eminente Abweichung nach oben ja auch strafbar sein. Ansonsten würde ja derjenige, der rechtskonform "nur" 130 fährt, sich womöglich plötzlich des (aus natürlichem Rechtsverständnis abwegigen) Vorwurfs nach § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB ausgesetzt sehen....

(für etwaigen Schwachsinn in meinen Postings übernehme ich wegen aktueller Corona-Infektion keine Verantwortung... :drinking:)
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Micha79 »

Es geht hier um einen Strafbarkeitsvorwurf, und da müssen alle vernünftigen Zweifel bei der Normauslegung mE zugunsten des Angeklagten ausgelegt werden. Die Richtgeschwindigkeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie nur empfohlen wird. Was ist mit doppelter Überschreitung (260) oder 70prozentiger Überschreitung? Das kann ich natürlich auch skandalisierend framen und als "jenseits von Gut und Böse" beschreiben.
Auf die strukturellen Unterschiede bei 315c hatte ich ja schon hingewiesen.

Die "pi mal Daumen"-Methode ist nachvollziehbar, öffnet aber Tor und Tür:
Der Tesla-Fahrer, der von 0 auf 100 in 1,9 Sekunden beschleunigt, verhält sich höchst unangepasst, und bei diesem Geschwindigkeitsanstieg kann doch wohl niemand mehr sein Fahrzeug kontrollieren....etc (und das ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen - starke Beschleunigung beeinflusst unsere Reaktionsfähigkeit sicherlich).

Gibt es Owi-Fälle, wo jemand bei Überschreitung der Richtgeschwindigkeit wegen Verstoßes gegen 3 StVO belangt wurde? Wohl nicht, weil die Polizei sich nicht die Mühe macht, es zu blitzen. Und bei Verfolgungsjagden werden schon diverse andere Verstöße nachweisbar sein (315b-Waffe; 315c).
Dass die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit bei der zivilrechtlichen Haftung relevant ist, ist unkritisch, aber für den strafrechtlichen Kontext mE wenig hilfreich.

Und folgende Fragen müssen mE von den Strafverfolgern beantwortet werden:

Ab wann ist in der konkreten Situation die Geschwindigkeit nicht angemessen? Ab wann nicht angemessen plus grob?
Ich habe Zweifel, ob ein Sachverständiger einen Schwellenwert festlegen kann, ab welchem "niemand" ein Fahrzeug gemäß § 3 Abs. 1 StVO beherrscht.
Das kann relevant sein, wenn man zB nur wegen eines Verstoßes gegen § 3 belangen möchte/kann.

Ergänzung: Rechtspolitisch befürworte ich ein Tempolimit und gern auch eine eindeutige Strafbarkeit solcher Verhaltensweisen.
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417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Liz »

@Micha79: Es ist doch zunächst auch bei anderen Straftatbeständen so, dass es keine Owi-Norm gibt, die das Verhalten des Beschuldigten zweifelsfrei als „verboten“ kennzeichnet ( im Sinne von „max Tempo 250 auf der Autobahn“), sondern es kommt vielfach auch auf technische oder medizinische Wertungen an, ob das Verhalten in Bezug auf den eingetretenen Erfolg fahrlässig oder gar vorsätzlich war. Ich denke da etwa an den Loveparade-Fall, wo es um komplizierte planerische Fragen ging, oder an Verfahren gegen Ärzte wegen Behandlungsfehlern, wo es auch nur darum gehen kann, ob gegen den medizinischen Standard verstoßen worden ist und falls ja, wie „grob“ (nämlich so, dass es möglicherweise als fahrlässig oder vielleicht sogar als vorsätzlich bezeichnet werden muss).

Dementsprechend erschließt sich mir nicht so ganz, warum Du ein Problem dabei siehst, spätestens mithilfe eines Sachverständigen festzustellen, ob der Beschuldigte im diskutierten Verfahren sein Fahrzeug ständig beherrschen konnte. Ein einfaches Kriterium ist aus meiner Sicht (s. o.), ob er bei einer verkehrsüblichen Gefahrensituation (ein anderes Fahrzeug wechselt auf die linke Spur) von dem anderen Fahrer noch rechtzeitig gesehen werden kann (mE nein - auch weil niemand damit rechnet, dass ein anderer so schnell unterwegs ist) und selbst hierauf noch reagieren kann (mE schwer vorstellbar). Und auch bei einer ausdrückliche Geschwindigkeitsbeschränkung, gegen die verstoßen wurde, wird man im Einzelfall schauen müssen, ob es nur einfach verkehrswidrig war oder nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar ist. Und da sich bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB das „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“ auf den Geschwindigkeitsverstoß beziehen, hat man zwangsläufig die Situation, dass mit zunehmender Geschwindigkeitsüberschreitung auch die weiteren Tatbestandsmerkmale zu bejahen sein werden.
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Beitrag von Liz »

P.S.: die höchste jemals in der Formel 1 gefahrene Geschwindigkeit liegt laut Internet bei ca 370 km/h - es ist jetzt also nicht so, dass 417 km/h eine Geschwindigkeit ist, die außerhalb menschenleerer Teststrecken regelmäßig gefahren wird.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

Liz hat geschrieben: Mittwoch 2. Februar 2022, 17:33 Ich denke, ich habe hinreichend dargelegt, weshalb ich - wie etliche andere hier im Thread - im diskutierten Fall wenig Probleme bei der Subsumtion unter den Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sehe - auch unter Berücksichtigung der Systematik des § 315d StGB und der historischen Motivation des Gesetzgebers. Warum ich aufgrund meiner laienhaften Expertise davon ausgehe, dass das der Beschuldigte das Fahrzeug auch ohne Unfall nicht mehr "ständig beherrscht" hat, habe ich gleichfalls dargelegt - dass das vorbehaltlich einer abweichenden sachverständigen Begutachtung gilt, halte ich unter Juristen nicht für besonders erwähnenswert. Auf Deiner Seite bleiben - vom BGH in der oben bereits von Urs Blank erwähnten Leitentscheidung indes nicht geteilte - Bedenken gegen die Bestimmtheit der Norm, das unbestimmte Bauchgefühl, dass der Beschuldigte das Fahrzeug vielleicht doch noch im Sinne des § 3 Abs. 1 StVO "ständig beherrscht" hat (nochmals: er selbst hat vorher und nachher gebetet!) und irgendwie ein Unbehagen, dass etwas strafrechtlich verboten sein soll, obwohl in der StVO nirgends explizit steht, dass man nicht mit 417 km/h über die (nicht geschwindigkeitsbeschränkte) Autobahn brettern darf, sondern unter § 3 Abs. 1 StVO subsumieren werden muss. Einigen wir uns doch einfach darauf, dass wir uns nicht einig sind.
in dubio pro reo. Mithin kann ich mich ganz entspannt zurücklehnen und behaupten, er habe das Fahrzeug ständig beherrscht. Davon muss ich nämlich erst einml ausgehen.

Und hättest du deinen Standpunkt hinreichend dargelegt, hätte es wohl keine Erwiderung gegeben, die insbesondere darauf abzielte darzustellen, warum die Betrachtung Geschwindigkeit = Strafbarkeit unterkomplex ist. Diesen Satz, man habe etwas hinreichend dargestellt, hört man meist von Leuten, die weniger die Sache diskutieren, denn entscheiden wollen, bzw. es innerlich schon längst getan haben.

Ich habe es (um mal zum versöhnlichen Teil zu kommen) bei der Art der Vehemenz, mit der du auf dem einen Argument bestehst im Übrigen nicht für selbstverständlich gehalten, dass du hier sachverständige Hilfe für erforderlich hältst. Lese ich deine Beiträge vor diesem Hintergrund sehe ich eigentlich überhaupt keinen Grund mehr zu streiten. Wir haben beide eine unterschiedliche Auffassung von "nicht angepasst". Ich halte das nur dann überhaupt verfassungsrechtlich für machbar, wenn man das klar umreist, bspw. mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Hat man diesen Maßstab nicht und hält "nicht angepasst" für irgendwas beliebig Auffüllbares, dann kommt man m.E. nicht um § 3 Abs. 1 StVO herum und braucht im Ergebnis ein Sachverständigengutachten zur Frage der Beherrschbarkeit. Und erst dann kann man sich sinnvoll die Frage nach dem Vorsatz stellen (fahrlässige Verkennung der Beherrschbarkeit (mithin der Merkmale des § 3 Abs. 1 S. 2 StVO) reicht mangels konkreter Gefährdung nicht für eine Strafbarkeit). Egal wie man es dreht und wendet: Er ist 417 km/h gefahren, daher ist § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt ist einfach zu kurz. Von mir aus mag man für die Zählkarte Ermittlungen einleiten.
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Re: 417 kmh A2 - Eigenrennen?

Beitrag von Strich »

Liz hat geschrieben: Donnerstag 3. Februar 2022, 08:50 @Micha79: Es ist doch zunächst auch bei anderen Straftatbeständen so, dass es keine Owi-Norm gibt, die das Verhalten des Beschuldigten zweifelsfrei als „verboten“ kennzeichnet ( im Sinne von „max Tempo 250 auf der Autobahn“), sondern es kommt vielfach auch auf technische oder medizinische Wertungen an, ob das Verhalten in Bezug auf den eingetretenen Erfolg fahrlässig oder gar vorsätzlich war. Ich denke da etwa an den Loveparade-Fall, wo es um komplizierte planerische Fragen ging, oder an Verfahren gegen Ärzte wegen Behandlungsfehlern, wo es auch nur darum gehen kann, ob gegen den medizinischen Standard verstoßen worden ist und falls ja, wie „grob“ (nämlich so, dass es möglicherweise als fahrlässig oder vielleicht sogar als vorsätzlich bezeichnet werden muss).

Dementsprechend erschließt sich mir nicht so ganz, warum Du ein Problem dabei siehst, spätestens mithilfe eines Sachverständigen festzustellen, ob der Beschuldigte im diskutierten Verfahren sein Fahrzeug ständig beherrschen konnte. Ein einfaches Kriterium ist aus meiner Sicht (s. o.), ob er bei einer verkehrsüblichen Gefahrensituation (ein anderes Fahrzeug wechselt auf die linke Spur) von dem anderen Fahrer noch rechtzeitig gesehen werden kann (mE nein - auch weil niemand damit rechnet, dass ein anderer so schnell unterwegs ist) und selbst hierauf noch reagieren kann (mE schwer vorstellbar). Und auch bei einer ausdrückliche Geschwindigkeitsbeschränkung, gegen die verstoßen wurde, wird man im Einzelfall schauen müssen, ob es nur einfach verkehrswidrig war oder nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar ist. Und da sich bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB das „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“ auf den Geschwindigkeitsverstoß beziehen, hat man zwangsläufig die Situation, dass mit zunehmender Geschwindigkeitsüberschreitung auch die weiteren Tatbestandsmerkmale zu bejahen sein werden.
@Micha79: ich stimme Liz zu. Ich wiederhole jetzt nicht in anderen Worten, was da geschrieben wurde, merke nur an, dass ich die darin enthaltenen Wertungen "(mE schwer vorstellbar)" nicht teile. Ansonsten ist das aber der Weg den es zu gehen gälte.
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