Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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thh
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von thh »

Jodler112 hat geschrieben: Dienstag 1. März 2022, 23:47Ich habe aber keinen Nachteil, wenn ich den Einspruch nachträglich auf die Tagessatzhöhe einschränke oder?
Nein. Nach Aufruf der Sache, also nach Beginn der Hauptverhandlung, bedarf das allerdings der Zustimmung der Staatsanwaltschaft.
Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 01:1650 Tagessätze ist das Strafmaß.
Dann werden nach Hauptverhandlung üblicherweise 60-70 Tagessätze herauskommen, wenn sich die Beurteilung ansonsten nicht ändert, weil die Akzeptanz eines Strafbefehls einer geständigen Einlassung vergleichbar ist und daher die Tagessatzhöhe üblicherweise unter Annahme eines Geständnisses kalkuliert ist. Es können aber auch mal aus 60 TS 100 TS werden; alles ist möglich, theoretisch natürlich auch in die andere Richtung.
Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 01:16Die Tagessatzhöhe des Strafbefehls liegt bei 30 Euro.
Wenn der Angeklagte tatsächlich ALG II bezieht, wird das auf üblicherweise 10 EUR abzusenken sein. Das geht aber auch im Beschlussweg, ohne Hauptverhandlung.
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von Jodler112 »

thh hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 07:57 Wenn der Angeklagte tatsächlich ALG II bezieht, wird das auf üblicherweise 10 EUR abzusenken sein. Das geht aber auch im Beschlussweg, ohne Hauptverhandlung.
Ich habe jetzt den zuvorgelegten Einspruch gegen den Strafbefehl nachträglich eingeschränkt auf die Tagessatzhöhe, den ALG2-Bescheid angehängt, gleichzeitig Zustimmung zu einem etwaigen Beschluss erteilt und Ratenzahlung beantragt. Damit dürfte sich die Geldstrafe von 1500 Euro auf 500-750 Euro reduzieren ohen dass es zu einer Hauptverhandlung kommt. Insbesondere werden dadurch die weiteren 70 Euro Verfahrenskosten eingespart, was ungefähr 7 Tagessätzen entspricht. Der Angeklagte war damit einverstanden.

So richtig zufrieden damit bin ich nicht. Die Hauptverhandlung ist schon Montag, ich habe erst vorgestern Akteneinsicht nehmen können. Dabei wollte der Richter mir erst die Einsicht in das Sonderheft mit den Bildaufnahmen verwehren, verwies dann auch auf den Opferschutz. Fand das merkwürdig, und fragte nach, ob es an der Laienverteidigung läge, was er verneinte und auf den Opferschutz verwies.

Jedenfalls hätte ich ne Einlassung des Angeklagten machen sollen, die sich nicht direkt auf die Strafbarkeit jedoch auf den Strafrahmen hätte auswirken können. Das hätte die einseitige Darstellung in den Akten etwas entkräftigt. Anschließend Antrag auf § 152a StPO stellen sollen. Dann bei Ablehnung rechtzeitig den Einspruch auf Tagessatzhöhe beschränken. Dafür hatte ich aber nicht genug Zeit und der Angeklagte wird in den Akten übelst zerrissen, die StA hat sogar das besondere öffentliche Interesse der Verfolgung in dem einen Fall bejaht, obwohl der Strafantrag verfristet war.

Was das Straflbefehlverfahren angeht, kann ich nur strafbefehl-info empfehlen. Es handelt sich um ein 7 Euro teures Ebook zum Strafbefehlsverfahren. In den meisten Fällen lohnt sich ein Anwalt wohl nicht, einfach weil die Geldstrafe zu hoch ist. Das Ebook vermittelt quasi einen "do-it-yourself"-Ansatz, wie man Kosten spart.

Ich bedanke mich bei allen Beteiligten. Ich habe jetzt schon ordentlich dazugelernt. Die Praxis ist keine völlig andere Materie, sie wird nur durch eine völlig andere Brille betrachtet.
Zuletzt geändert von Jodler112 am Mittwoch 2. März 2022, 20:09, insgesamt 1-mal geändert.
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thh
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von thh »

Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 12:06Jedenfalls hätte ich ne Einlassung des Angeklagten machen sollen, die sich nicht direkt auf die Strafbarkeit jedoch auf den Strafrahmen hätte auswirken können. Das hätte die einseitige Darstellung in den Akten etwas entkräftigt.
Ob das erfolgreich war, weiß man erst nach der Beweisaufnahme - bzw. dem Urteil.
Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 12:06Anschließend Antrag auf § 152a StPO stellen sollen.
Ich biete "+1", und zum anderen: wenn die Staatsanwaltschaft das gewollt hätte, hätte sie es getan. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass - jedenfalls ohne Beweisaufnahme - nunmehr eine andere Ansicht dazu besteht, nur weil der Angeklagte sich (teilweise) bestreitend einlässt.
Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 12:06Dann bei Ablehnung rechtzeitig den Einspruch auf Tagessatzhöhe beschränken.
Was nur dann noch etwas bringt, wenn die Staatsanwaltschaft der Beschränkung - also einer Teilrücknahme des Einspruchs - zustimmt. Je nachdem, wie weit ggf. die Beweisaufnahme fortgeschritten ist, wird sie das nicht tun.
Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 12:06Dafür hatte ich aber nicht genug Zeit und der Angeklagte wird in den Akten übelst zerrissen,
Der Beschuldigte hat jederzeit das Recht, der Darstellung der Anzeigeerstatter, Geschädigten oder Zeugen eine eigene Darstellung entgegenzusetzen - oder das eben nicht zu tun.
Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 12:06die StA hat sogar das besondere öffentliche Interesse der Verfolgung in dem einen Fall bejaht, obwohl der Strafantrag verfristet war.
Das ist nun nicht gerade etwas Besonderes.
Jodler112 hat geschrieben: Mittwoch 2. März 2022, 12:06Was das Straflbefehlverfahren angeht, kann ich nur strafbefehl-info empfehlen. Es handelt sich um ein 7 Euro teures Ebook zum Strafbefehlsverfahren.
Na dann.
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Ara
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von Ara »

Ich finde das faszinierend, dass thh offenbar tatsächlich verstanden hat was Jodler da eigentlich vor hat... Mir hat sich das häufig erst in den nachfolgenden Nachrichten erschlossen.

Mir scheint unterm Strich die Lösung über die Absenkung der Tagessatzhöhe im Beschlusswege tatsächlich hier die wirtschaftlich sinnvollste Lösung zu sein. § 153a StPO würde man hier vermutlich nur durch erheblichen Ressourcenaufwand in der HV ggfs. in der Berufungshauptverhandlung erreichen.

Was ebenfalls von Vorteil im Beschlusswege ist, dass verhindert wird, dass sowas hier passiert: "Hatte jetzt vor eine Einlassung vorzubereiten bei dem der Angeklagte plausibel erklären kann, dass das Foto befugt erstellt worden ist." Das ist immer der beste Weg um doch noch die 90 TS zu reißen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von Jodler112 »

Ja aber es gibt ja noch mehr Verteidigungsmöglichkeiten als § 153a und § 153 StPO. Man kann ja auch versuchen die Tagessatzzahl zu verringern, also vor allem eine Verteidigung, die sich auf eine Reduktion des Strafmaßes abzielt.
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von gola20 »

Die besten Chancen hattest du noch im Ermittlungsverfahren. Jetzt werden alle genervt sei, dass da ein Einspruch kam und damit zusätzliche Arbeit.
Jetzt solltest du wohl nur noch die Tagessatzhöhe senken. Bin da bei thh. Bei unbeschränktem Einspruch kriegt er am Ende 60-90 TS.
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von thh »

Jodler112 hat geschrieben: Samstag 5. März 2022, 11:14Man kann ja auch versuchen die Tagessatzzahl zu verringern, also vor allem eine Verteidigung, die sich auf eine Reduktion des Strafmaßes abzielt.
Das ist aus verschiedenen Gründen in der Regel wenig erfolgversprechend und birgt vor allem das Risiko, dass sich die Tagessatzzahl erhöht. Hinzu treten ja ohnehin die Gerichtsgebühren für die Hauptverhandlung, aber vor allem auch die Auslagen der Zeugen (oder, noch schlimmer, Sachverständigen).
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von Ara »

Jodler112 hat geschrieben: Samstag 5. März 2022, 11:14 Ja aber es gibt ja noch mehr Verteidigungsmöglichkeiten als § 153a und § 153 StPO. Man kann ja auch versuchen die Tagessatzzahl zu verringern, also vor allem eine Verteidigung, die sich auf eine Reduktion des Strafmaßes abzielt.
Der Anwendungsbereich bei dem bei nem Strafbefehl, der nicht mehr als 90 TS hat, ein § 153a StPO nicht möglich ist, aber eine Reduktion der Tagessatzanzahl, ist sehr gering. Man müsste dann ja Gründe haben, welche die Schuld verringern, aber nicht ausreichen § 153a StPO zu machen. Das erscheint ja realistisch tatsächlich nur dann der Fall zu sein, wenn das Gericht den Sachverhalt nach der HV anders würdigt als die Staatsanwaltschaft.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von Strich »

gola20 hat geschrieben: Samstag 5. März 2022, 11:23 Die besten Chancen hattest du noch im Ermittlungsverfahren. Jetzt werden alle genervt sei, dass da ein Einspruch kam und damit zusätzliche Arbeit.
Jetzt solltest du wohl nur noch die Tagessatzhöhe senken. Bin da bei thh. Bei unbeschränktem Einspruch kriegt er am Ende 60-90 TS.
Der Einspruch macht doch aus nem SB erst ne Ziffer ^^
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von gola20 »

Ich kenn Pepsi nicht. Zu meiner Ref Zeit bei der Sta war jeder genervt bei einem "sinnlosen" Einspruch und es gab immer 30-50% oben drauf bei der Strafe.
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batman
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von batman »

gola20 hat geschrieben: Montag 7. März 2022, 22:36 Ich kenn Pepsi nicht.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Pepsi
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Re: Erster Strafprozess als Verteidiger. Hilfe!

Beitrag von Zippocat »

batman hat geschrieben: Dienstag 8. März 2022, 06:54
gola20 hat geschrieben: Montag 7. März 2022, 22:36 Ich kenn Pepsi nicht.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Pepsi
Es ist übrigens nur ein Gerücht, dass die Bundesländer, in denen die Personalbedarfsberechnung statt mit Pepsi mit Coca-Cola vorgenommen wird, den betteren Taste hätten.
"If we should deal out justice only, in this world, who would escape?"
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