integritätsinteresse

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

Moderator: Verwaltung

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Waschbär
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integritätsinteresse

Beitrag von Waschbär »

Moin,
ich habe eine Frage zur einer Aufgabe bzw dem Integritätsinteresse.
Sachverhalt: ein Grundstück mit Haus hat einen Wert von 100T. Das Haus hat auch einen Wert von 100T. Ohne Haus wäre das Grundstück 150T wert.
-> Das Haus explodiert und es besteht Anspruch auf Schadensersatz.
-->Liegt der Anspruch bei 100T?

Einerseits sollte dem Geschädigten wieder ein Ersatz des Hauses zustehen und somit eine Zahlung von 100T. (§249)
Andererseits muss der Geschädigte ja kein Haus bauen und hätte mit dem gestiegenen Grundstückswert dann 250T und wäre besser gestellt als vor der Explosion.

Kann man hier so argumentieren, dass der Geschädigte Anspruch auf 50T hat und sofern ein Haus gebaut wird, dann nochmal 50T gefordert werden können.
FelixFelicis
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von FelixFelicis »

Ich löse den Fall unter der Annahme, dass das Haus einen Wert von 100.000€ vor der Explosion hat:

Ungeachtet der Kontroverse, ob hier eine Naturalrestitution möglich ist oder sich der Anspruch nach § 251 richtet, ist bereits fraglich, ob ein Schaden vorliegt.
Zum Teil wird dies im Wege einer Gesamtbetrachtung verneint, da das Grundstück einen Wertzuwachs verzeichnete und es mit dem Haus als wesentlicher Bestandteil eine Sache im Rechtssinne bildet.

Diese Ansicht hätte jedoch zur Folge, dass die Zerstörung besonders schützenswerter Häuser zivilrechtlich meist folgenlos bliebe, sodass die Annahme eines Schadens überzeugender erscheint.

Allerdings bedarf es bei der Frage der Höhe des Schadensersatzanspruchs einer Debatte, ob der Wertzuwachs des Grundstücks als Vorteil angerechnet werden soll.
Dies bestimmt sich nach Wertungsgesichtspunkten, sodass es einer Klärung bedarf, ob eine Anrechnung hier zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen würde.
Meiner Meinung nach ist das hier der Fall, da sich jene Wertsteigerung nur durch einen Verkauf realisieren ließe, sodass der Geschädigte nicht nur sein Eigenheim verliert, sondern darüber hinaus auch noch die Möglichkeit einbüßt, auf dem früheren Grundstück zu wohnen, da meist das Kapital zum Neuaufbau nicht vorhanden ist, sodass der Schadensersatzanspruch in voller Höhe besteht.

Die Aufteilung von 50.000€ jetzt und 50.0000€ sofern ein Wiederaufbau erfolgt, ist meiner Ansicht nach nicht überzeugend.
Das Hausgrundstück hatte zuvor einen Wert von 100.000€ - Jetzt hat das Grundstück einen Wert von 150.000€.
Du kannst mit guten Argumenten das Vorliegen eines Schadens ablehnen, aber wenn der Schadensersatzanspruch wie von mir vertreten in jener Höhe besteht, ergibt sich aus dem § 249 II 2 (und Naturalrestitution denkbar ist) eindeutig, dass es der Disposition des Geschädigten unterliegt, ob er den Betrag in Höhe der Herstellungskosten zur tatsächliche Restitution einsetzt oder eben nicht.
Zuletzt geändert von FelixFelicis am Donnerstag 18. August 2022, 19:22, insgesamt 1-mal geändert.
Waschbär
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von Waschbär »

100T ist richtig zwecks Bodenwert.
Also geht man zur Wiederherstellung des Zustands vor dem Schaden davon aus, dass der ehemalige Hausbesitzer auch wieder ein Haus haben möchte und lässt den Wertzuwachs des Grundstücks außer Acht. Kurz gesagt
FelixFelicis
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von FelixFelicis »

Ausgangspunkt der Schadensberechnung ist die Differenzhypothese. Die Höhe des Schadens bestimmt sich nach einem Vergleich der Vermögenslage nach Eintritt des haftungsbegründenden Ereignisses mit der Lage, die bestünde, sofern jenes Ereignis nicht eingetreten wäre.

Ohne das Schadensereignis - der Explosion - hätte unser Anspruchsteller ein Haus im Wert von 100.000€. Das ist jetzt aber Geschichte, sodass in jener Höhe isoliert betrachtet ein Schaden besteht. Für die Schadensberechnung (bei einer Sache) ist es nicht von Belang, ob der Hausbesitzer „wieder ein Haus haben möchte" oder den Geldbetrag im Casino verspielen möchte - Wir betrachten lediglich die eingetretene Vermögensminderung.

Den Wertzuwachs des Grundstücks lassen meine Wenigkeit und Teile der Literatur außer Betracht, da es zu einer unbilligen Besserstellung des Anspruchgegners führen würde. Diese Lösung ist jedoch nicht zwingend!
Waschbär
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von Waschbär »

Okidoki,
herzlichen Dank für die Erklärung.
Also bleibt ein Konjunktiv in der Lösung, aber ich weiß jetzt, wie ich argumentativ rangehe. Schönen Abend noch :)
FelixFelicis
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von FelixFelicis »

Nichts zu danken und jederzeit gerne.

Noch ein abschließender Tipp: In einem rechtswissenschaftlichen Gutachten verbleibt in der Regel kein Konjunktiv. Du eröffnest das strittige Feld und entscheidest dich für die von dir präferierte Ansicht, wobei einige Argumente von mir zB. bereits dargelegt wurden.

Darf ich fragen, in welchem Kontext du mit diesem Thema konfrontiert wurdest?
Theopa
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von Theopa »

Ich habe ein Störgefühl dabei, wenn durch die Anwendung von "Werkzeugen" wie der Differenzhypothese Ergebnisse zustande kommen, die dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes absolut zuwider laufen. Die §§ 249 ff. BGB sind ja auch bei Schädigungen gem. § 826 BGB anwendbar und werden dort mE auch nicht modifiziert, sofern man nicht mit § 242 BGb um sich werfen möchte.

In diesem Fall könnte also jemand das Haus vorsätzlich und mit Schädigungsabsicht zerstören (im Sinne des StGB bestenfalls nicht durch Feuer, Sprengstoff oder Kernwaffen) und den Eigentümer dann auslachen, da dieser eben auf der Straße sitzt und von den 150.000 € Grundstückswert auch nichts hat, wenn er nicht neu bauen kann.

Es ist mE daher doch überzeugender klassisch bei § 249 Abs. 1 BGB zu bleiben, mein Uralt-Nochnichtgrüneberg führt da bei § 249 RN 2 aus: "Bei Zerstörung eines Hauses(=Beschädigung des Grundstücks) ist auch ein Neubau Naturalrestitution, wenn trotz einer Wertsteigerung ein wirtschaftlich-funktional gleichwertiger Zustand hergestellt wird". Dabei wird auf BGH, 08.12.1987 - VI ZR 53/8, NJW 1988, 1835 verwiesen, vielleicht hilft das Urteil weiter.
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von FelixFelicis »

Theopa hat geschrieben: Donnerstag 18. August 2022, 21:41 Ich habe ein Störgefühl dabei, wenn durch die Anwendung von "Werkzeugen" wie der Differenzhypothese Ergebnisse zustande kommen, die dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes absolut zuwider laufen. Die §§ 249 ff. BGB sind ja auch bei Schädigungen gem. § 826 BGB anwendbar und werden dort mE auch nicht modifiziert, sofern man nicht mit § 242 BGb um sich werfen möchte.

In diesem Fall könnte also jemand das Haus vorsätzlich und mit Schädigungsabsicht zerstören (im Sinne des StGB bestenfalls nicht durch Feuer, Sprengstoff oder Kernwaffen) und den Eigentümer dann auslachen, da dieser eben auf der Straße sitzt und von den 150.000 € Grundstückswert auch nichts hat, wenn er nicht neu bauen kann.

Es ist mE daher doch überzeugender klassisch bei § 249 Abs. 1 BGB zu bleiben, mein Uralt-Nochnichtgrüneberg führt da bei § 249 RN 2 aus: "Bei Zerstörung eines Hauses(=Beschädigung des Grundstücks) ist auch ein Neubau Naturalrestitution, wenn trotz einer Wertsteigerung ein wirtschaftlich-funktional gleichwertiger Zustand hergestellt wird". Dabei wird auf BGH, 08.12.1987 - VI ZR 53/8, NJW 1988, 1835 verwiesen, vielleicht hilft das Urteil weiter.
Dieses Szenario führt in der Tat zu unbefriedigenden Ergebnissen, sodass ich eine Ansicht entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewählt habe.

Ich habe gezielt die Problematik der Naturalrestitution bisher außen vor gelassen, da hier meiner Einschätzung nach nur eine Kompensation nach § 251 I in Frage kommt.
Wie du bereits zitiert hast ist Naturalrestitution nur denkbar, wenn ein wirtschaftlich-funktional gleichwertiger Zustand hergestellt wird. Das ist prinzipiell auch bei sehr alten Häusern denkbar, jedoch liegt dem von Herrn Waschbär präsentierten Sachverhalt eine andere Konfliktsituation zu Grunde. Der Fall ist BGH, 26.02.1988 - V ZR 234/86 nachgebildet und dreht sich um das Phänomen der Belastung eines Hauses durch den Denkmalschutz.
In einem solchen Fall ist der Wiederaufbau ein ganz erhebliches Aliud zum vorherigen Gebäude und eine Wiederherstellung eines weitgehend gleichwertigen Zustands undenkbar.

In der weiteren Entscheidung wurde der Schadensersatzanspruch übrigens aufgrund der Wertsteigerung des Grundstücks abgelehnt, was von Seiten der Literatur umfassend begrüßt wurde bzw. wird.
Waschbär
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Re: integritätsinteresse

Beitrag von Waschbär »

Ich habe zwar nichts von Denkmalschutz geschrieben, aber dieser Umstand trifft vollends zu.
Es geht um Prüfung eines Anspruchs nach 831BGB als Hausaufgabe. Letztlich ist das Schema durchaus logisch nur scheint das hier wirklich ein strittiges Thema zu sein. Die beschriebenen BGH Entscheidungen habe ich vergebens gesucht, aber das ist wirklich aufschlussreich 🙂 Herzlichen Dank
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