Rücktritt vom Vergleich

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Strich
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Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von Strich »

Kläger und Beklagter schließen im Jahr 2018 einen Vergleich, der die Abgeltung eines Anspruchs (K gegen B) enthält.

2023 erklärt K den Rücktritt vom Vergleich und wir unterstellen einmal, dass der Rücktritt wirksam ist.

K will jetzt gegen B den abgegoltenen Anspruch geltend machen. B beruft sich auf Verjährung. Der abgegoltene Anspruch wäre 2019 verjährt gewesen.
Wie ist die Rechtslage?

Ich will mal meine Lösung hier noch nicht aufschreiben, weil ich von unterschiedlichen Personen schon unterschiedliche Denkansätze gehört habe und ich die Diskussion nicht primen will.
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von jona7317 »

Ich hab mir nie Gedanken darüber gemacht, wie ein Vergleich eigentlich rückabgewickelt wird, gerade wenn das Erlöschen einer Forderung Gegenstand ist. Mehr aus Spaß an der Fragestellung als weil ich denke, eine sonderlich brauchbare Lösung zu haben:

Eigentlich bedarf die Verzichtsleistung des K dann keiner Rückabwicklung, denn mit ex nunc Untergang der Einigung über das Erlöschen des Anspruchs gem. § 346 I BGB lebt ja auch der Anspruch wieder auf.
Ich finde der aufgrund des Vergleiches zwischenzeitlich erloschene Anspruch kann nicht verjähren, solange er nichtmal besteht. Die Verjährung des Anspruchs läuft also erst nach seinem Wiederaufleben durch den Rücktritt weiter.
Der Standpunkt des B wäre außerdem eine rechtfertigungsbedürftige generelle Besserstellung des Beklagten bei derartigen Vergleichen. Seine vertragliche Leistung bedarf immer einer Rückabwicklung nach § 346 I BGB, sodass sein Anspruch immer erst mit Rücktritt entsteht und auch erst ab dann verjährt. Der Anspruchsinhaber soll aber selbst während des Vergleichs der Verjährung ausgesetzt sein? Der Gesetzgeber geht von einer Gegenseitigkeit der Rückabwicklungspflichten aus, s. insb. § 348 BGB, das spricht für einen Gleichlauf der Verjährung der Rückabwicklungsansprüche. Eine solche Benachteiligung des Anspruchsinhabers bei der Rückabwicklung läuft diesem System eigentlich zuwider, zumal § 346 III BGB ja den Fall, dass eine Partei bei der Rückabwicklung leer ausgeht, nur als Ausnahme geregelt hat.

Haltet ihr das für eine sinnvolle Argumentation?
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von GetMeOut »

BGH, Urt. v. 4.5.2005, VIII ZR 93/04: Durch einen im Rahmen der gerichtlichen Güteverhandlung geschlossenen Widerrufsvergleich der Parteien wird die Verjährung eines von dem Vergleich erfassten Schadensersatzanspruchs gem. § 203 S. 1 BGB bis zur Erklärung des Widerrufs gehemmt.

Würde ich auf einen außergerichtlichen Vergleich entsprechend anwenden und Hemmung aller vom Vergleich umfassten Ansprüche bis zur Rücktrittserklärung annehmen.
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Strich
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von Strich »

Ok aber ist das vergleichbar? Der Widerrufsvorbehalt ist ja je nach Lesart eine aufschiebende bzw auflösende Bedingung.

Du würdest demnach sagen, die Abgeltungsklausel in Vergleichen begründet lediglich eine rechtshemmende Einwendung, lässt den Anspruch aber bestehen?
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von pHr3d »

Ich würde über § 346 Abs. 2 BGB gehen. Der Anspruch ist durch die Erklärung der Parteien erloschen und kann nicht zurückgewährt werden.
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von Brainiac »

Ich würde eher § 205 BGB (analog) in den Ring werfen. Problematisch ist zwar das TB-Merkmal "vorübergehend". Wenn der Rücktrittsgrund bereits im Vergleich angelegt ist (insbes. unbedingtes vertragliches Rücktrittsrecht), könnte man mE aber schon über eine direkte Anwendung nachdenken. Ansonsten würde ich hier eine Analogie andenken. Denn mit der Rücktrittserklärung wird ein Zustand geschaffen, der dazu führt, dass der zwischenzeitlich vertraglich ausgeschlossene Anspruch wieder auflebt, mithin das Verweigerungsrecht - wenngleich ex post - vorübergehend war.
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von jona7317 »

Brainiac hat geschrieben: Mittwoch 8. März 2023, 16:20 Ich würde eher § 205 BGB (analog) in den Ring werfen. Problematisch ist zwar das TB-Merkmal "vorübergehend". Wenn der Rücktrittsgrund bereits im Vergleich angelegt ist (insbes. unbedingtes vertragliches Rücktrittsrecht), könnte man mE aber schon über eine direkte Anwendung nachdenken. Ansonsten würde ich hier eine Analogie andenken. Denn mit der Rücktrittserklärung wird ein Zustand geschaffen, der dazu führt, dass der zwischenzeitlich vertraglich ausgeschlossene Anspruch wieder auflebt, mithin das Verweigerungsrecht - wenngleich ex post - vorübergehend war.
Ist die Situation des § 205 BGB nicht typischerweise ein einseitiges Entgegenkommen durch den Gläubiger? Das ist doch mit dem Vergleich, der vom beiderseitigen Nachgeben geprägt ist, nicht wirklich vergleichbar.
Direkt anwendbar ist er auch nicht, durch den Vergleich war der Anspruch ja zwischenzeitlich abgegolten/erloschen, das ist schon etwas anderes als ein Leistungsverweigerungsrecht, setzt ja auch schon begrifflich das Bestehen eines Leistungsanspruchs voraus.
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von jona7317 »

pHr3d hat geschrieben: Mittwoch 8. März 2023, 16:09 Ich würde über § 346 Abs. 2 BGB gehen. Der Anspruch ist durch die Erklärung der Parteien erloschen und kann nicht zurückgewährt werden.
Dann ist aber der ganze Rücktritt vom Vergleich völlig sinnbefreit: Als Wertersatz ist grds. gem. § 346 II 2 Hs. 1 der Betrag der Gegenleistung anzusetzen. Nach der Argumentation würde also

1. der Anspruch nicht wieder aufleben
2. der B seine Gegenleistung (idR also einen Geldbetrag) zurückfordern können
3. und der K den exakt gleichen Betrag als Wertersatz fordern können

Realistisch gesehn erklärt also einer den Rücktritt, der andere sofort die Aufrechnung und der ganze Rücktritt hat gar nichts bewirkt.
Zumindest bei vertraglichen Rücktrittsvorbehalten kann das nicht richtig sein, den haben die Parteien ja nicht aus Spaß vereinbart. Wenn sie einen Rücktritt vereinbaren gehen sie ja erkennbar davon aus, dass die Kernleistung des Vertrages sinnvoll rückabwickelbar ist und der Rücktritt wenigstens irgendetwas bewirkt.

Ich finde nach wie vor die o.g. Lösung am sinnvollsten. Wenn der Vergleich konstitutiv das Erlöschen des Anspruchs beinhaltet, dann beseitigt der Rücktritt eben ex nunc auch diese Wirkung des Vergleichs und der Anspruch lebt, genau so wie er bei Vergleichsabschluss bestand, wieder auf. Das kommt mir auch zunächst komisch vor, aber wenn der Vergleich selbst die Gegenleistung ist und nicht beinhaltet bedarf es eben keiner weiteren (manuellen) Rückabwicklung. K hat sich ja im Vergleich nicht zum Verzicht auf den Anspruch verpflichtet, sondern hat im Vergleich konstitutiv das Erlöschen des Anspruchs vereinbart. Dann ist halt auch diese Abrede ex nunc mit Rücktritt unwirksam und der Anspruch lebt wieder auf.

Nachtrag: Vergleichbar hierzu ist finde ich NZA 2013, 62 (66). Dort geht es um den Rücktritt vom Aufhebungsvertrag und Prozessvergleich im Arbeitsrecht. Autor vertritt die Ansicht, das mit Rücktritt vom Aufhebungsvertrag unmittelbar die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt und es wiederauflebt, ohne dass es einer Neubegründung bedürfte. Nicht anders würde ich den Rücktritt vom konstitutiv das Erlöschen der Forderung vereinbarenden Vergleich behandeln.
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von GetMeOut »

Strich hat geschrieben: Mittwoch 8. März 2023, 12:37 Ok aber ist das vergleichbar? Der Widerrufsvorbehalt ist ja je nach Lesart eine aufschiebende bzw auflösende Bedingung.

Du würdest demnach sagen, die Abgeltungsklausel in Vergleichen begründet lediglich eine rechtshemmende Einwendung, lässt den Anspruch aber bestehen?
Ja richtig. Im Falle eines Widerrufsvergleichs oder eines außergerichtlichen Vergleichs mit vertraglichem Rücktrittsrecht sehe ich keinen Grund zur unterschiedlichen Behandlung. In beiden Fällen wissen die Parteien, dass die abgegoltenen Ansprüche wieder aufleben, sobald eine Partei von ihrem gewillkürten Gestaltungsrecht Gebrauch macht. Die abgegoltenen Ansprüche stehen solange in der Schwebe, wie eine Partei einseitig von diesem gewillkürten Recht Gebrauch machen kann. Ob dieses Gestaltungsrecht nun Rücktritt oder Widerruf heißt, darf mE keinen Unterschied machen.
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scndbesthand
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Re: Rücktritt vom Vergleich

Beitrag von scndbesthand »

Durch einen Vergleich kommt es regelmäßig zu einer Novation, d. h. Untergang des „wegverglichenen“ Anspruchs und Ersetzung durch den Anspruch aus dem Vergleich, dies ggf. aufschiebend bedingt durch eine bestimmte Rechtshandlung („Mit vollständiger Zahlung aller Raten gem. Ziffer 1 des Vergleichs ist die Klageforderung erledigt“).

§ 205 BGB kann für die Zeit zwischen Vergleichsabschluss und Bedingungseintritt auf die Ursprungsforderung ggf. direkt angewendet werden, zum Beispiel bei konkludenter Stundung der Ursprungsforderung bei Ratenzahlungsvergleichen.

Wenn schon bei einer (nur) einredebehafteten Forderung die Verjährung nicht weiterläuft, sollte dies erst recht dann gelten, wenn dem Schuldner sogar eine rechtsvernichtende Einwendung gegen die Ursprungsforderung wegen der Novation zusteht. Eine verjährungshemmende Rechtsdurchsetzung aus einer untergegangenen Forderung ist dem Gläubiger ebenso wenig möglich wie bei einer einredebehafteten Forderung. Weiteres Argument: Vor Entstehung des Anspruchs läuft die Verjährungsfrist nicht an. Es erscheint daher naheliegend, nach Erlöschen von einem Ruhen der Fristen auszugehen.

Ich würde es bei der Rückabwicklung des Vergleichs so sehen, dass die Ausgangsforderung mit demjenigen verjährungsrechtlichen Stand wieder entsteht, in dem sie zurzeit der Novation untergegangen ist.
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