Die Betreffzeile zum Thema sagt es im Grunde genommen schon, aber hier für Interessierte nochmal die ausführliche Version:
Nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 2.7.1969 - VIII ZR 172/68, NJW 1969, 1903) ist auf Energielieferungsverträge ganz normal Kaufrecht anzuwenden, und zwar nicht über § 453 BGB (sonstiger Gegenstand) sondern tatsächlich direkt über § 433 BGB; mit anderen Worten: elektrischer Strom ist ein körperlicher Gegenstand und somit eine Sache iSd §§ 433 und 90 BGB.
Alles schön und gut. Ich sehe das übrigens genauso. Elektrischer Strom ist schließlich nichts anderes als der Fluss von Elektronen und Elektronen sind, wenn auch sehr winzig, körperliche Gegenstände.
Allerdings - und deswegen habe ich Bauchschmerzen - sieht das der historische Gesetzgeber anscheinend ganz anders und hat daher vor über 100 Jahren, im Jahre 1900 um genau zu sein, mit § 248c StGB den Straftatbestand der "Entziehung elektrischer Energie" geschaffen, um die Strafbarkeitslücke zu schließen, die dadurch entsteht, dass elektrische Energie -aus Sicht des hist. Gesetzgebers- keine Sache ist und daher der "Diebstahl" von elektrischer Energie -folgerichtig- nicht nach § 242 StGB bestraft werden kann (jedenfalls nicht ohne Verletzung des strafrechtlichen Analogieverbots).
Doch anscheinend hätte er sich die Mühe sparen können. Denn wenn dessen ungeachtet knapp 70 Jahre später der BGH einfach hingeht und sagt, elektrische Energie ist sehr wohl eine Sache iSd § 433 BGB, dann ließe sich die unbefugte Entziehung derselben doch auch problemlos - und vor allen Dingen ohne Verletzung des strafrechtlichen Analogieverbots - unter den Diebstahlsparagrafen, § 242 StGB, subsumieren. Denn wir haben - wenn man dem BGH folgt - bei Strom nun also doch eine fremde bewegliche Sache (bzw. ganz ganz viele, sehr sehr kleine bewegliche Sachen - die süßen, kleinen Elektrönchen

Als Jurist muss ich jetzt aber - strikt normativ und entgegen meiner persönlichen Überzeugung - mit dem historischen Gesetzgeber die Sacheigenschaft von Strom verneinen und mich der Mindermeinung anschließen, die elekrtische Energie als sonstigen Gegenstand unter § 453 BGB subsumiert.
Denn die gegenteilige Auffassung, die auch der BGH vertritt, ist nach meiner bescheidenen -juristischen- Meinung schlicht falsch! Und warum? Darum: Der Wille des Gesetzgebers hat Vorrang. Gerichtsentscheidungen, selbst höchstrichterliche, sind grds. keine Rechtsquellen. Dh. der BGH kann erzählen, was er will, wenn der Tag lang ist. Sein Urteil von 1969 ist jedenfalls contra legem; die darin vertretene Auffassung (Strom=Sache) mag naturwissenschaftlich (auch nach meinem Dafürhalten) zwar richtig sein, juristisch und rechtsdogmatisch ist sie aber schlicht und ergreifend falsch und nicht vertretbar. Denn mit § 248c StGB hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass Strom eben kein körperlicher Gegenstand, also keine Sache ist (vgl. auch Fischer-StGB § 248c Rn. 1: "fehlende Sacheigenschaft elektrischer Energie"). Im Zweifel hat das Gesetz Vorrang vor irgendwelchen Gerichtsentscheidungen. Nicht einmal der BGH ist über das Gesetz erhaben. Auch die höchstrichterliche Rechtsfortbildung findet ihre Grenzen spätestens dort, wo sie dem Willen des Gesetzgebers eindeutig zuwiderliefe (Gewaltenteilung!). Hier hat der BGH ganz klar die gesetzgeberische Wertung und die Einheit der Rechtsordnung verletzt. Nochmal: Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung des § 248c StGB klipp und klar gesagt: Nope! Elektrischer Strom ist KEINE Sache! Basta! Was macht aber der BGH? Der BGH pfeift natürlich einfach drauf, und das mal wieder -wie so oft- ohne jegliche Begründung; er deklariert Strom einfach apodiktisch als (Kauf-)Sache. Die BGH-Richter am Zivilsenat haben das Strafrecht, das sie an der Uni und für die Examina lernen mussten, anscheinend schon wieder komplett vergessen.
Ich möchte diesen Thread am Ende noch nutzen, um ein bisschen Dampf und Frust abzulassen. Das oben beschriebene Problem ist eins von vielen und wieder mal typisch. Und ich finde keine Antworten. Und noch dazu scheint es auch keinen, insbes. nicht den allmächtigen BGH, zu interessieren! Dogmatische Richtigkeit, Konsistenz, Schlüssigkeit, Widerspruchsfreiheit, all das lässt die Juristerei vermissen. Ja, ich bereue es, Jura studiert zu haben. Denn das oben Beschriebene zeigt mal wieder, dass das überhaupt gar keine Wissenschaft ist! Es ist einfach nur Rumgelabere.
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Hätte ich doch lieber was Richtiges studiert. Ich war damals eigentlich schon für BWL eingeschrieben und bin im letzten Augenblick vor Studienbeginn noch schnell zu Jura rübergewechselt. Ja, selbst BWL wäre noch besser als Jura gewesen! Physik hätte ich sehr interessant gefunden, hatte dann aber doch Angst davor, wegen Mathe...
Wie dem auch sei, das sind die Momente, wo ich es wirklich bereue, diesen Blödsinn studiert zu haben... Meine besten Jahre habe ich verschwendet...

Und bitte: Ja, ich weiß, dass sich das o.g. Problem nicht auf das Ergebnis auswirkt. Kaufrecht ist auf Energielieferverträge so oder so auf jeden Fall anwendbar. Aber mich nerven diese Widersprüchlichkeiten und Logikfehler einfach tierisch! Es tut richtig weh!
Ach ja, meine Frage: Kennt jemand vielleicht einen Aufsatz zu dem Thema oder hat sich damit mal beschäftigt? Ich bin dankbar für jede Antwort/Anregung/Meinung/Idee, etc.
Viele Grüße! Und sorry für meinen kleinen Anti-Jura-"Rant"!
