Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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erudite
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Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von erudite »

Guten Tag liebe Mitglieder,
ich stehe gerade vor einem kleinen Zivilrechts Fall aus einem Rep-Buch und komme einfach nicht weiter.

Verkäufer und Käufer einigen sich über den Verkauf einer Sache aus einer Gattung. Dem Käufer ist egal welche Sache aus der Gattung er bekommen soll. Vereinbart wird eine Holschuld zu einem bestimmten Datum und Uhrzeit.
Verkäufer konkretisiert die Sache indem er sie aussondert, bereitstellt und kennzeichnet. Käufer taucht zum vereinbarten Termin nicht auf. Verkäufer wartet über eine Stunde länger als geplant und entschließt sich dann, die gerade ausgesonderte Sache für sich zu verwenden. Auf dem Weg nach Hause geht die Sache, oh Wunder, zufällig ohne Verschulden des Verkäufers unter. Im SV sind keine Angaben über ein Untergehen der Gattung, weshalb davon auszugehen ist, dass diese weiterhin besteht.
Gefragt ist nach dem Anspruch Verkäufer -> Käufer aus § 433 II BGB.

Ein Vertragsschluss ist unproblematisch, weshalb ich den möglichen Untergang des Zahlungsanspruchs gem. § 326 I BGB prüfe. Dort habe ich dann festgestellt, dass eine Entkonkretisierung vorliegt, welche nach hM dann möglich ist, wenn der Käufer an der konkretisierten Sache kein Interesse hat. Etwas anderes erscheint mir hier nicht vertretbar, da der Sachverhalt das fehlende Interesse an der ausgesonderten Sache recht deutlich klar macht.
Ich weiß nun nicht, wie ich den Annahmeverzug in meine Falllösung einbringe. Theoretisch wäre eine Lösung über § 326 II BGB denkbar, doch müsste ich dafür eine Entkonkretisierung ablehnen. Auch erschließt sich mir nicht ganz, wie das Verhältnis zwischen Entkonkretisierung und Annahmeverzug beschaffen ist. Müsste der Annahmeverzug nicht mit Entkonkretisierung aufgehoben werden?
Wer trägt dann das Risiko des zufälligen Untergangs?

Ich bin für Input sehr dankbar und wünsche ein schönes Wochenende!

LG
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Muirne
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Re: Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von Muirne »

Nach 326 I "zunächst" Untergang des Anspruchs wg Untergangs der Sache prüfen und feststellen (allgemein halten)
326 II prüfen und bejahen, Zwischenergebnis.
Dann:
Etwas anderes könnte sich womöglich noch daraus ergeben, dass die Sache bei Untergang schon nicht mehr konkretisiert war... (dann die Schubladen nach oben hin wieder zu machen und den Anspruch aus 433 II bejahen, letztlich bleibt das Ergebnis das 326 II vorgibt zwar, aber V muss nochmal liefern. Ich kenne den Fall übrigens so, dass die Sache dann ein zweites Mal untergeht, dann ist das alles etwas hübscher)

Das halte ich für eine im Gutachten gut vertretbare Vorgehensweise, da es sich bei der Entkonkretisierung um einen Sonderfall handelt.

Ich verstehe das Problem und dass es letztlich ja gar nicht zum Untergang der konkretisierten Sache kommt, also schon 326 I nicht vorliegt, aber der Annahmeverzug lag vor Entkonkretisierung vor und soll ersichtlich geprüft werden. Ihn gar nicht unterzubringen halte ich deshalb für schwierig. Wegen des Ausnahmecharakters der Entkonkretisierung deshalb mein Vorschlag wie oben.
»Natürlich ist das herablassend. Torquemada ist mir gegenüber herablassend, ich bin esprit gegenüber herablassend. So ist die Nahrungskette in diesem Forum nunmal.« - Swann
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erudite
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Re: Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von erudite »

Vielen Dank für die Antwort. So hätte ich es im Ernstfall auch aufgebaut. So scheint es wohl auch die Lösungsskizze vorzusehen.
Meine Verständnisprobleme sind aber noch nicht ganz aufgehoben. Betrachten wir § 300 II BGB und dessen Wirkung, so wird diese auch als "Konkretisierung neben § 243 BGB" bezeichnet. Wie verhalten sich diese Konkretisierungen neben einander?

Ist eine Entkonkretisierung auch bei § 300 II BGB möglich? Tendenziell würde ich sagen ja. Die Argumente der Entkonkretisierung bei § 243 BGB sind ja vergleichbar.

Was mich wundert ist, dass § 300 II BGB in der Lösung nicht erwähnt ist.

Dankeschön!
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Muirne
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Re: Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von Muirne »

300 II ist nicht einschlägig, wenn schon Konkretisierung nach 243 II eingetreten ist, wie eben hier. Eigenständige Bedeutung erlangt der nach hM nur, wenn es nach 243 II nicht klappt.
Ich hätte Abs. 2 hier deshalb ebenfalls mit keinem Wort erwähnt. Sage nicht, dass es falsch ist das anzusprechen, aber das ist dann eher dogmatischer Natur, vllt für ne Hausarbeit. Der Kommentar mag bei tieferem Interesse Aufschluss geben, ggfs. auch zu mir nicht bekannten Mindermeinungen.
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Muirne
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Re: Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von Muirne »

Achso, ja. Und solange bestimmt ist, auf welches Stück sich 300 II bezieht, gilt für 300 II nichts anderes als für 243 II.
Es ist an sich aber einfach ein seltenerer Fall des eh schon seltenen Problems.
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Re: Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von jona7317 »

Ich hab den Thread beim Kopfzerbrechen über die Entkonkretisierung gefunden, vielleicht kann mir hier ja jemand auf die Sprünge helfen.
Für meine Karteikarten hatte ich mir einen Fall gebildet und das Ergebnis, wenn man sich gegen die Möglichkeit der Entkonkretisierung entscheidet, scheint mir nicht so recht zu passen.

Mein Fall ist:
V verkauft K einen PC der Marke Y. Beim vereinbarten Liefertermin trifft V den K nicht an und entscheidet sich, den PC stattdessen zum in der Nähe wohnenden Kunden X zu bringen, der eine identische Bestellung getätigt hatte.
Unterwegs zu X gerät V leicht fahrlässig in einen Autounfall, der PC geht unter.
Prüfe die gegenseitigen Ansprüche.

Meine Prüfung aller gegenseitigen Ansprüche verliefe, wenn ich die Möglichkeit der Entkonkretisierung ablehne, wie folgt:

Ansprüche des K:

A. § 433 I 1 BGB
Entsteht, geht aber wegen § 275 I BGB unter, daher (-).

B. §§ 280 I, III, 283 BGB
Schuldverhältnis(+), Pflichtverletzung durch Herbeiführen der Unmöglichkeit (+).
Nach Ablehnen der Entkonkretisierung fehlt aber das Vertretenmüssen. Nach Konkretisierung endet das gem. § 276 I BGB verschuldensunabhängig zu vertretende Beschaffungsrisiko, wegen des Annahmeverzugs des K muss V gem. § 300 I BGB auch seine leichte Fahrlässigkeit nicht vertreten.
Anspruch (-)


Ansprüche des V:

A. § 433 II BGB
Entsteht, könnte aber gem. § 326 I 1 BGB untergegangen sein, Unmöglichkeit der Leistung gem. § 275 I BGB (+).
Ausnahme nach § 326 II 1 Alt. 2 BGB greift aber: Annahmeverzug des K (+), V hat seine leichte Fahrlässigkeit wegen § 300 I BGB nicht zu vertreten.
Anspruch (+).


Mein Problem damit: Das Argument gegen eine Entkonkretisierung ist doch, dass § 243 II BGB zumindest auch den Gläubiger davor schützen soll, dass der Schuldner über den durch die Konkretisierung einmal "für ihn bestimmten Gegenstand" anderweitig verfügt.
Das Ergebnis dieser Ansicht wäre aber, dass der Gläubiger keine Ansprüche hat, selbst aber den vollen Kaufpreis zahlen muss; Das wäre doch so ziemlich das Gegenteil des Gläubigerschutzes...
Übersehe ich einen Anspruch des K gegen V?
Oder ist die Ansicht einfach unsinnig und nicht zuende gedacht?
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Re: Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von Brainiac »

Naja, 243 II ist ja im Kern nach zutreffender Ansicht auch Schuldnerschutznorm. Der Gläubiger wird durch die Konkretisierung nur insoweit geschützt als der Schuldner den Gegenstand nicht mehr ohne Weiteres austauschen darf. Dass den Gläubiger diese Wirkung der Konkretisierung kneifen kann, ist dann letztlich nur logische Folge von 243 II.

Die anderslautende Rechtsprechung, die Entkonkretisierung verneint, sagt ja auch beständig, dass unbillige Ergebnisse über 242 zu lösen seien. So dürfte dem V dann auch hier die Berufung auf seine Konkretisierung i.R.d. Unmöglichket des Anspruchs des K aus 433 I mangels eigener Vertragstreue verwehrt sein. Denn er wollte die Konkretisierung gerade selbst aufheben sowie die konkretisierte Sache vertragswidrig an einen Dritten veräußern.
"In a real sense, we are what we quote." - Geoffrey O'Brien
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Re: Annahmeverzug und Entkonkretisierung

Beitrag von jona7317 »

Okay, dann macht das für mich Sinn.
Das § 243 II eine Gläubigerschutznorm sei finde ich selber total absurd, wollte es aber zumindest mal durchgespielt haben ums zu verstehen. Ich kannte die Korrektur über § 242 BGB nur in der Ausprägung, dass es dem Gläubiger als treuwidrig versperrt ist, die Annahme einer gleichwertigen Sache zu verweigern und SE statt der Leistung zu verlangen.
Was du geschrieben hast ergibt natürlich vollkommen Sinn, jetzt verstehe ich das Ausmaß der 242er Korrektur erst richtig und weiss immerhin, wie die Gegenansicht sinnvoll praktizierbar ist.
Schön, Danke!
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