Schadensersatz statt und neben der Leistung

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Jura_Freiburg
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Schadensersatz statt und neben der Leistung

Beitrag von Jura_Freiburg »

Hallo zusammen,
ich hätte da mal eine Frage zu dem wirklich nervigen Thema der Abgrenzung zwischen SE neben und statt der Leistung. Ich dachte bisher, dass ich ganz gut durchkomme, wenn ich die Frage stelle:
"Entfällt der Schaden, wenn der Schuldner eine logische Sekunde vorher nacherfüllt?"
Wenn ja, haben wir SE statt der Leistung, wenn nein, SE neben der Leistung. Jetzt muss ich aber doch nochmal nachfragen. Folgendes fiktives
Beispiel: K kauft von V eine Waschmaschine, die am Montag geliefert wird. Diese ist defekt und K muss daher am Montag nochmal in den Waschsalon und zahlt dafür 2,50 €. Jetzt verlangt er von V Schadensersatz in Höhe der 2,50 €.
Mein Ansatz: Ich frage jetzt, ob, wenn V eine Sekunde bevor K den SE erklärt hat, nachliefert, der Schaden entfällt. Meine Frage ist jetzt, ob damit gemeint ist, ob der Schaden entfällt, wenn K nichts macht? Also hier dann: Hätte V kurz vor der Erklärung geliefert, wäre der Schaden dennoch vorhanden --> SE neben der Leistung. ODER muss ich fragen: Hätte K bis zur Erklärung nichts gemacht, und V hätte dann eine Sekunde vorher geliefert, wäre er nicht zum Salon gefahren und der Schaden wäre nicht entstanden. Der Schaden wäre somit vermeidbar gewesen und ist ein SE statt der Leistung?

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen! Möchte dieses doofe Thema endlich abschließen ::evil:
Hubertus
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Re: Schadensersatz statt und neben der Leistung

Beitrag von Hubertus »

Der relevante Zeitpunkt bei der zeitlichen Abgrenzung ist der des gedachten Leistungsverlangens.

"Entfällt der Schaden, wenn K jetzt noch (also nach dem Montag) Leistung verlangt (und geleistet wird)"?
Seeker
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Re: Schadensersatz statt und neben der Leistung

Beitrag von Seeker »

Dieses Thema ist unsäglich und m.E. ist die o.g. Formel überhaupt nicht gut geeignet, um das Problem zu verstehen und in der Klausur sinnvoll zu lösen.

Eigentlich ist es nicht kompliziert. Man muss sich nur Folgendes überlegen: was will der Gläubiger/Käufer (in der Klausur sollte man sich freilich eine etwas gefälligere Formulierung überlegen)?

- Will er quasi einen dauerhaften Ersatz für die Sache, soll also der von ihm verlangte Schadensersatz an die Stelle der Sache treten? --> dann SE statt der Leistung
- Will er nur etwas Zusätzliches zu der Sache? --> dann SE neben der Leistung

Daneben kann man sich ein paar spezielle Konstellationen gesondert anschauen. Diese Literaturformel mit der "Sekunde" ist dagegen unsäglich, verwirrt und ist kaum praktisch handhabbar.

Im konkreten Fall hier ist das Schlagwort "Nutzungsausfallschaden", ein SE neben der Leistung (K will einen Schaden ersetzt bekommen, der die ganze Lieferung der Waschmaschine nicht überflüssig machen soll, sondern quasi dazu kommt). §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB (hM, str.).
Brainiac
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Re: Schadensersatz statt und neben der Leistung

Beitrag von Brainiac »

Hubertus hat geschrieben: Freitag 16. Juli 2021, 16:33 Der relevante Zeitpunkt bei der zeitlichen Abgrenzung ist der des gedachten Leistungsverlangens.
Das stelle ich mal streitig. Die hM dürfte das wohl nicht sein. Vertreten wird doch als "letztmöglicher Leistungszeitpunkt" (<-- das wirst du, Jura_Freiburg, wohl mit "eine Sekunde vorher" gemeint haben) v.a.:
1) der Zeitpunkt eines mit jenem (gedachten) Leistungsverlangen (hypothetisch) bestimmten Fristablaufs bzw.
2) der Moment, in dem der Übergang zum Schadensersatz erklärt wird (also nicht das Leistungs-, sondern das Schadensersatzverlangen - vielleicht habe ich dich, Hubertus, aber auch insofern nur falsch verstanden und du meintest diesen Zeitpunkt?).

My two cents: 1) dürfte trotz § 281 IV BGB aus teleologischen Gründen (insbes. mit Blick auf den Gedanken rechtmäßigen Alternativverhaltens) vorzugswürdig sein; abzustellen ist dann auf die Kenntnis/Kennenmüssen des Gläubigers vom Nacherfüllungsanspruch und den Ablauf einer angemessenen (gedachten) Frist (die man ja ohnehin nach der Rspr. zu zu kurzen Fristen hin und wieder bestimmen muss). Grund: Der Schuldner kann nicht dadurch belastet werden, dass der Gläubiger die Nachforderung so lange hinauszögert, dass eine etwaige Leistung des Schuldners den Schaden nicht mehr verhindern/beseitigen kann; das Fristsetzungserfordernis dient dem Schuldnerschutz (sog. "Recht" zur 2. Andienung). Der Gläubiger kann deshalb nur Schäden ohne die weiteren Voraussetzungen der §§ 281 ff. liquidieren, soweit selbst eine angemessene Fristsetzung nicht dazu geführt hätte, dass der Schuldner den Schaden hätte verhindern können, insbes. also bei sofortigem oder zeitnahen Schadenseintritt (z.B. Nutzungsausfall [für die Zeit bis zu der eine gedachte Nacherfüllung den Nutzungsausfall beseitigen würde]).

I.Ü.: Wie Seeker sagte: In vielen Fällen fährt man mit einer - auch von der Rspr. ja nach wie vor gerne bemühten - typologischen Abgrenzung ganz gut, die zwischen Äquivalenz- und Integritätsinteresse differenziert. Dann muss man nur in Ausnahmefällen eben auf der haftungsausfüllenden Seite ggf. korrigieren, z.B. wenn auch Jahre nach (Bekanntwerden) der Pflichtverletzung immer noch ein Nutzungsausfallschaden begehrt wird.
"In a real sense, we are what we quote." - Geoffrey O'Brien
Jura_Freiburg
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Re: Schadensersatz statt und neben der Leistung

Beitrag von Jura_Freiburg »

Vielen Dank für die ganzen hilfreichen Nachrichten! Also kann ich eigentlich einfach fragen, ob der Geschädigte noch Interesse an der Leistung hat und daneben einen weiteren Schadensposten verlangt (SE neben der Leistung) oder ob er die ursprünglich geschuldete Leistung nicht mehr möchte und stattdessen den Schaden will (SE statt der Leistung)?
Hubertus
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Re: Schadensersatz statt und neben der Leistung

Beitrag von Hubertus »

Brainiac hat geschrieben: Freitag 16. Juli 2021, 17:57
Hubertus hat geschrieben: Freitag 16. Juli 2021, 16:33 Der relevante Zeitpunkt bei der zeitlichen Abgrenzung ist der des gedachten Leistungsverlangens.
Das stelle ich mal streitig. Die hM dürfte das wohl nicht sein. Vertreten wird doch als "letztmöglicher Leistungszeitpunkt" (<-- das wirst du, Jura_Freiburg, wohl mit "eine Sekunde vorher" gemeint haben) v.a.:
1) der Zeitpunkt eines mit jenem (gedachten) Leistungsverlangen (hypothetisch) bestimmten Fristablaufs bzw.
2) der Moment, in dem der Übergang zum Schadensersatz erklärt wird (also nicht das Leistungs-, sondern das Schadensersatzverlangen - vielleicht habe ich dich, Hubertus, aber auch insofern nur falsch verstanden und du meintest diesen Zeitpunkt?).

My two cents: 1) dürfte trotz § 281 IV BGB aus teleologischen Gründen (insbes. mit Blick auf den Gedanken rechtmäßigen Alternativverhaltens) vorzugswürdig sein; abzustellen ist dann auf die Kenntnis/Kennenmüssen des Gläubigers vom Nacherfüllungsanspruch und den Ablauf einer angemessenen (gedachten) Frist (die man ja ohnehin nach der Rspr. zu zu kurzen Fristen hin und wieder bestimmen muss). Grund: Der Schuldner kann nicht dadurch belastet werden, dass der Gläubiger die Nachforderung so lange hinauszögert, dass eine etwaige Leistung des Schuldners den Schaden nicht mehr verhindern/beseitigen kann; das Fristsetzungserfordernis dient dem Schuldnerschutz (sog. "Recht" zur 2. Andienung). Der Gläubiger kann deshalb nur Schäden ohne die weiteren Voraussetzungen der §§ 281 ff. liquidieren, soweit selbst eine angemessene Fristsetzung nicht dazu geführt hätte, dass der Schuldner den Schaden hätte verhindern können, insbes. also bei sofortigem oder zeitnahen Schadenseintritt (z.B. Nutzungsausfall [für die Zeit bis zu der eine gedachte Nacherfüllung den Nutzungsausfall beseitigen würde]).

I.Ü.: Wie Seeker sagte: In vielen Fällen fährt man mit einer - auch von der Rspr. ja nach wie vor gerne bemühten - typologischen Abgrenzung ganz gut, die zwischen Äquivalenz- und Integritätsinteresse differenziert. Dann muss man nur in Ausnahmefällen eben auf der haftungsausfüllenden Seite ggf. korrigieren, z.B. wenn auch Jahre nach (Bekanntwerden) der Pflichtverletzung immer noch ein Nutzungsausfallschaden begehrt wird.
Ja sorry, genau die zweite Variante war gemeint.
Keine Ahnung wo mein Kopf war, alles andere außer ein Schadensersatzverlangen ergibt in dieser Konstellation keinen Sinn. :D
Jura_Freiburg hat geschrieben: Freitag 16. Juli 2021, 18:04 Vielen Dank für die ganzen hilfreichen Nachrichten! Also kann ich eigentlich einfach fragen, ob der Geschädigte noch Interesse an der Leistung hat und daneben einen weiteren Schadensposten verlangt (SE neben der Leistung) oder ob er die ursprünglich geschuldete Leistung nicht mehr möchte und stattdessen den Schaden will (SE statt der Leistung)?
Der Wille des Gläubigers ist bei dieser interessenbezogenen Abgrenzung nicht der entscheidende Gesichtspunkt, sondern die Frage, ob der Schadensersatz an die Stelle des Erfüllungsinteresses zu treten hat, bzw. dieses befriedigt. (Nach der, wenn ich es richtig im Kopf habe, für diese Konstellation hM; bitte korrigieren, wenn falsch)
Im klassischen Fall des verfrühten Deckungskaufes hatte der Gläubiger sehr wohl Interesse an der Leistung, denn nach dem Deckungskauf wurde der konkrete Leistungsgegenstand teurer, also wäre ein SE neben der Leistung für den Gläubiger interessanter gewesen.
Erschien dem BGH aber zu recht als unbillig, also gab es hier den SE statt der Leistung. (Wegen der gewollten Rechtsfolge des § 281 IV BGB)

Die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Schadensersatzarten ist seit der Schuldrechtsreform immer noch umstritten, lege dich da nicht nur auf die eine Lösung/Meinung fest, zumal die "Zauberformel" hier und da an ihre Grenzen stößt.
Vielmehr kann man je nach Konstellation auf die schadentypologische oder zeitliche Abgrenzung zurückgreifen.
(Wobei letztere auch nichts anderes ist, als eine zeit- anstatt interessenbezogene schadentypologische Abgrenzung)

Zum besseren Verständnis empfiehlt sich aber, nochmal den Looschelders, als auch den Lorenz im Schuldrecht AT heranzuziehen.
Seeker
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Re: Schadensersatz statt und neben der Leistung

Beitrag von Seeker »

Jura_Freiburg hat geschrieben: Freitag 16. Juli 2021, 18:04 Vielen Dank für die ganzen hilfreichen Nachrichten! Also kann ich eigentlich einfach fragen, ob der Geschädigte noch Interesse an der Leistung hat und daneben einen weiteren Schadensposten verlangt (SE neben der Leistung) oder ob er die ursprünglich geschuldete Leistung nicht mehr möchte und stattdessen den Schaden will (SE statt der Leistung)?
Ja, ich würde sagen, dass man damit die allermeisten Fälle gut gelöst bekommt. Etwas präziser könnte man auch fragen, "ob der Gläubiger den Schadensersatz sinnvoll und redlich neben der (Haupt-)Leistung verlangen kann" (dann: SE neben der Leistung). Offensichtlich geht es nicht darum, einem "gierigen" oder unredlichen Geschädigten Vorteile zuzugestehen.

Man kann sich also, anders ausgedrückt, fragen: Ergibt es Sinn, dass der Geschädigte hier sowohl Schadensersatz als auch die Leistung bekommt? Falls ja -> SE neben der Leistung. Damit bekommt man, wie gesagt, fast alles gut gelöst:

- klassischer "Mangelfolgeschaden": SE neben der Leistung, sofern es um den Schaden an den anderen Gegenständen geht) - die Sache hat andere Gegenstände beschädigt, es ist plausibel, dass der Geschädigte dafür SE bekommt, während er regulär die Sache behält
- Mangel/-schaden an der Sache selbst: SE statt der Leistung, denn der Geschädigte will den Schadensersatz (ggf. teilweise) anstelle der geschuldeten Hauptleistung
- Deckungskauf: SE statt der Leistung, weil der Geschädigte ja einen (dauerhaften) Ersatz besorgt, der die Rolle der Hauptsache faktisch einnimmt
- Nutzungsausfallschaden: SE neben der Leistung, weil der G die Sache behalten will und nur SE für die kleine zusätzliche "Überbrückung" will

So löst es faktisch fast immer die Rspr. Dass sich irgendwelche Professoren auf den Kopf stellen und sagen, das müsse man aber ganz, ganz anders denken, sollte man einfach ignorieren. Es gibt kaum ein Thema, zu dem so viel Unsinn geschrieben wird, wie zu diesem.
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