Abgrenzung 256 I und II ZPO

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Johnny-i30
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Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von Johnny-i30 »

Hi,

wie grenze ich bei 256 ZPO Abs. 1 und Abs. 2 ab? Insbesondere in den Fällen, wo der Beklagte gegen eine Teilklage widerklagend festgestellt haben will, dass der ganze Anspruch nicht besteht.
Liz
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Re: Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von Liz »

§ 256 Abs. 2 ZPO betrifft den Fall, dass abstrakt festgestellt werden soll, dass z. B. ein Mietvertrag ungekündigt fortbesteht oder eine bestimmte Person Eigentümer oder Erbe ist. Hierbei handelt es sich um Rechtsfragen, die das Gericht zwar z. B. bei einer Räumungsklage oder einer Herausgabeklage prüfen muss, ohne dass die Entscheidung insoweit in Rechtskraft erwächst.

In Deinem Fall handelt es sich um eine (negative) Feststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO, weil das Nichtbestehen des gesamten Anspruchs festgestellt werden soll, dessen sich der Kläger berühmt. Ein Fall des § 256 Abs. 2 ZPO wäre es hingegen, wenn der Beklagte nur festgestellt haben wollte, dass der Vertrag, aus dem der Kläger seine Ansprüche herleitet, überhaupt nicht besteht.
Johnny-i30
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Re: Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von Johnny-i30 »

Liz hat geschrieben: Samstag 11. September 2021, 10:30 § 256 Abs. 2 ZPO betrifft den Fall, dass abstrakt festgestellt werden soll, dass z. B. ein Mietvertrag ungekündigt fortbesteht oder eine bestimmte Person Eigentümer oder Erbe ist. Hierbei handelt es sich um Rechtsfragen, die das Gericht zwar z. B. bei einer Räumungsklage oder einer Herausgabeklage prüfen muss, ohne dass die Entscheidung insoweit in Rechtskraft erwächst.

In Deinem Fall handelt es sich um eine (negative) Feststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO, weil das Nichtbestehen des gesamten Anspruchs festgestellt werden soll, dessen sich der Kläger berühmt. Ein Fall des § 256 Abs. 2 ZPO wäre es hingegen, wenn der Beklagte nur festgestellt haben wollte, dass der Vertrag, aus dem der Kläger seine Ansprüche herleitet überhaupt nicht besteht.
Hmm, bei Teilklagen soll es 256 II sein, wenn die gesamte Forderung bestritten wird (Assmann in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 256, rn. 356 (juris)); Huber, Jus 2003, 490).

Daher bin ich verwirrt.
Liz
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Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von Liz »

Das überzeugt mich ehrlich gesagt nicht. Bei Huber lautet das Beispiel für eine angebliche Zwischenfeststellung des Beklagten (der Kläger hat von einer Kaufpreisforderung in Höhe von 6.000 € nur 2.000 € eingeklagt): „Es wird festgestellt, dass dem Kl. aus dem angeblichen Kaufvertrag vom … über … auch kein über die Klageforderung hinausgehender Kaufpreisanspruch i.H. von weiteren 4000 Euro zusteht.”

Das ist die Formulierung einer negativen Feststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Es handelt sich bei der Frage, ob der Kläger aus dem (angeblichen) Kaufvertrag mehr als 2.000 € verlangen kann, auch um keine vorgreifliche Frage. Das Gericht prüft bei der Entscheidung über die Klage nur "1. Kaufvertrag; 2. Kaufpreisanspruch in Höhe von min. 2.000 €". Mit der Frage, ob ggf. ein höherer Kaufpreisanspruch besteht, beschäftigt sich das Gericht überhaupt nicht (denkbar: Es ist zwischen den Parteien unstrittig, dass ein Kaufvertrag über 2.000 € zustandegekommen ist; der Kläger klagt auch zunächst nur diesen Betrag ein, meint aber in Wahrheit sei ein höherer Kaufpreis vereinbart worden, dessen Geltendmachung er sich noch vorbehält). Möglicher Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage wäre m. E. hingegen die folgende Feststellung: "Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien kein Kaufvertrag über (...) besteht." Das Bestehen des Kaufvertrags muss das Gericht auch bei der Teilklage prüfen und wenn der Beklagte mit dieser Zwischenfeststellungswiderklage obsiegt, steht für alle künftigen Klagen des Klägers bereits fest, dass der Kaufvertrag gar nicht besteht.

BeckOK ZPO/Bacher, 41. Ed. 1.7.2021, ZPO § 256 Rn. 44.1 sieht es übrigens unter Verweis auf Stein/Jonas/Roth, Rn. 11 genauso.
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batman
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Re: Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von batman »

Die Frage ist auch, ob ein praktischer Unterschied besteht. Wenn es sich um eine offene Teilklage handelt, dann "berühmt" sich der Kläger einer höheren Forderung und man wird ein Feststellungsinteresse wohl nicht verneinen können, wenn man eine solche negative Feststellungswiderklage unter § 256 I ZPO verorten will.
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Re: Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von Liz »

Aus Praktikersicht ist das natürlich richtig. Aber im Rahmen der Ausbildung würde ich doch eine genauere Differenzierung als "nach § 256 ZPO zulässig" erwarten.
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batman
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Re: Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von batman »

Sicher, ein Absatz darf es schon sein. Und dazu ein Zitat aus dem jeweils passenden Kommentar.
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Torquemada
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Re: Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von Torquemada »

batman hat geschrieben: Samstag 11. September 2021, 17:55 Die Frage ist auch, ob ein praktischer Unterschied besteht.
Womöglich hinsichtlich des Streitwerts?
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Re: Abgrenzung 256 I und II ZPO

Beitrag von Liz »

Auch bei einer Zwischenfeststellungsklage ist zu prüfen, inwieweit ihr neben dem Hauptantrag eine selbstständige Bedeutung zukommt (vgl. BGH, NJW-RR 1992, 698). Huber geht etwa auch davon aus, dass der Gebührenstreitwert in seinem Beispielsfall bei 6.000 € liegt.
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