Nichtimpfung Verschulden iSd 616 BGB

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KlausKommBett
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Nichtimpfung Verschulden iSd 616 BGB

Beitrag von KlausKommBett »

Da ja ab November Ungeimpfte keinen Anspruch mehr auf Entschädigung nach 56 Infektionsschutzgesetz haben, frage ich mich ob das auch gleichzeitig als Verschulden iSd 616 BGB gilt?

Demzufolge hätten ungeimpfte Arbeitnehmer keinerlei finanziellen Anspruch mehr, sofern sie in Quarantäne geschickt werden, dessen Grundlage eine Rückverfolgung von positiv getesteten Menschen ist.

Auch wenn sich mir die Logik dahinter nicht erschließt geimpfte und ungeimpfte Menschen zu unterscheiden.

Was umso bezeichnender wirkt ist die aktuelle Stellungnahme der Bundesregierung/Bundesgesundheitsministeriums zum 56 Infektionsschutzgesetz.

Ich zitiere hier mal Seite 5: „Dabei ist zu beachten, dass auch geimpfte Personen nach wie vor Adressat einer Absonderung werden können (z.B. bei Auftritt typischer Symptome, Reinfektion oder in be- sonders gelagerten Einzelfällen). Erfolgt die Absonderung wegen einer nachgewiesenen SARS-CoV-2-Infektion, kann nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht angenommen werden, dass eine Impfung die Infektion verhindert hätte.“

Bedeutet, der bloße Fakt der Impfung entscheidet nun über die finanzielle Existenz, obwohl die Wirkung auf die Personen mit und ohne Impfung die gleichen sind. Infektionsrisiko, Erkrankungsrisiko, Verbreitungsrisiko existiert unabhängig vom Impfstatus. Interessant wird der Fakt, wenn ein positiver Geimpfter einen anderen Geimpften trifft, der einen Ungeimpften trifft. Der Ungeimpfte ohne Symptome oder positiven Test verliert dann für 2 Wochen jeglichen finanziellen Anspruch.

Hier zum nachlesen https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/FAQs_zu_56_IfSG_BMG.pdf (Verwaister Link automatisch entfernt)
Theopa
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Re: Nichtimpfung Verschulden iSd 616 BGB

Beitrag von Theopa »

Ich bin mir an dieser Stelle auch unsicher, ob die Differenzierung zwischen Geimpften und Ungeimpften zulässig sein kann, wenn - das dürfte der Punkt sein - auch Geimpfte weiterhin in Quarantäne geschickt werden können.Wäre es so, dass diese durch eine entsprechende Anpassung ausschließlich bei Ungeimpften in Betracht kommt, gäbe es wohl keine relevante Ungleichbehandlung i.S.d. Art 3 Abs. 1 GG mehr .

So entsteht aber die Situation, dass jeweils Personen unfreiwillig durch einen staatlichen Eingriff an der Arbeit gehindert werden, um eine Ansteckung Dritter zu verhindern und eine Kontaktnachverfolgung zu erleichtern/ermöglichen (wesentlich Gleiches), wobei aber die Ungeimpften plötzlich keinerlei Entschädigung dafür erhalten sollen (Ungleichbehandlung). Die einzige Begründung dieser Ungleichbehandlung soll offenbar ein Erziehungszweck (?) sein, was zur Rechtfertigung aber nicht ausreichen dürfte.

Eine im Ergebnis vernünftige Idee, die aber durch ihre Umsetzung mE so nicht halten sollte.

§ 616 S.1 BGb erfordert mE ein ganz erhebliches Verschulden im Sinne einer Leichtfertigkeit bzw. wenigstens groben Fahrlässigkeit (so auch der greifbare Uralt-Palandt bei § 616 Rn. 10), womit die Voraussetzungen wohl realistisch gesehen nicht erfüllt werden können: Das Verschulden müsste sich ja gerade auch auf "das Infiziertwerden" beziehen, womit man bei einem ganz normalen Tagesablauf und der verschwindend geringen Wahrscheinlichkeit wohl nicht mal von leichter Fahrlässigkeit sprechen kann.
Liz
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Nichtimpfung Verschulden iSd 616 BGB

Beitrag von Liz »

Ich denke, man muss zwei Fallkonstellationen unterscheiden:

1) Kontakt zu einem positiv Getesteten-> (vorsorgliche) Quarantäne derzeit nur für Ungeimpfte, dann aber vermeidbar/vorwerfbar. Warum sollte die Allgemeinheit / der Arbeitgeber dafür zahlen, dass der (freiwillig) Ungeimpfte zwei Wochen zu Hause netflixt? Wer diese finanziellen Folgen nicht vergegenwärtigen möchte, könnte sich ja impfen lassen.

2) Positiver PCR-Test -> Quarantäne, egal ob geimpft / ungeimpft -> fraglich, ob bereits fehlende Impfung und das dadurch erhöhte Infektionsrisiko zur Vorwerfbarkeit führt.
Liz
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Re: Nichtimpfung Verschulden iSd 616 BGB

Beitrag von Liz »

Theopa hat geschrieben:IDas Verschulden müsste sich ja gerade auch auf "das Infiziertwerden" beziehen, womit man bei einem ganz normalen Tagesablauf und der verschwindend geringen Wahrscheinlichkeit wohl nicht mal von leichter Fahrlässigkeit sprechen kann.
Sehe ich anders. Das Infektionsrisiko ist ja gerade auch bei alltäglichen Begegnungen gegeben, wenn man nicht damit rechnet, und effektiv vor allem durch eine Impfung und die Einhaltung der Schutzmaßnahmen minimierbar. Je zuverlässiger die Impfung vor einer Infektion schützt, desto eher kann man wohl einem Ungeimpften seine Infektion vorwerfen.
Theopa
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Re: Nichtimpfung Verschulden iSd 616 BGB

Beitrag von Theopa »

Liz hat geschrieben: Samstag 25. September 2021, 12:33 Sehe ich anders. Das Infektionsrisiko ist ja gerade auch bei alltäglichen Begegnungen gegeben, wenn man nicht damit rechnet, und effektiv vor allem durch eine Impfung und die Einhaltung der Schutzmaßnahmen minimierbar. Je zuverlässiger die Impfung vor einer Infektion schützt, desto eher kann man wohl einem Ungeimpften seine Infektion vorwerfen.
Auf den für § 616 S. 1 BGB notwendigen Verschuldensgrad wird man damit nicht kommen, die Fallbeispiele im Palandt bei welchen Verschulden abgelehnt wurde (z.B. Alkoholimus und sonstiger Drogenmissbrauch, Sportunfälle abseits von Extremsport) sprechen da doch eine recht deutliche Sprache. Es muss schon ein besonders gefährliches Verhalten (z.B. Extremsport, grob verkehrswidrige Unfälle) vorliegen. Wer da nicht gerade an einer "Wir sind ungeimpft!"-Orgie mit 200 Personen teilnimmt kann sich eben wie in den anderen Fällen darauf berufen, dass er sich ganz normal verhalten hat und die Erkrankung ein übliches Lebensrisiko war.

Anders wäre es möglicherweise, wenn eine Impfpflicht existieren würde. Die Tatsache, dass ein potentieller Schutz aber nur existiert und man ihn wählen kann ist nach der Konzeption der Norm bzw. der bisherigen Rechtsprechung aber mE irrelevant. Anderenfalls müsste man z.B. auch diskutieren, ob ein Motorrollerfahrer der keine Lederkombi trägt (keine Pflicht) nach einem Unfall überhaupt Lohnfortzahlung erhält. Er hätte sich ja besser schützen können und nun muss der Arbeitgeber/die Allgemeinheit den fehlenden Schutz bezahlen. Auch hier wird nur bei Gesetzesverstößen (Gurtpflicht) so weit gegangen.

Vielleicht kann hier ein Arbeitsrechtler mehr als Palandt beitragen?
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