Verkehrswesentlichkeit beim Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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ben25
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Verkehrswesentlichkeit beim Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

Beitrag von ben25 »

Hallo,

folgender (gekürzter) Sachverhalt: L kauft im Online-Shop von V einen Controller, den er für seine PS5 verwenden will. Bei Lieferung bemerkt L, dass der Controller nicht mit seiner Konsole kompatibel ist. Die Kompatibilität ist auf der Shop-Seite korrekt angegeben. Jetzt will L sich vom Geschäft lösen.

In den Lösungen, die ich hier vorliegen habe, wird ein zur Anfechtung berechtigender Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB) bejaht und von den Korrektoren auch nicht beanstandet. Ich würde das hier anders beurteilen: Es muss sich um eine verkehrswesentliche Eigenschaft handeln und die Definition der Verkehrswesentlichkeit ist wohl ziemlich umstritten, aber eigentlich alle Ansichten verlangen, dass die Erheblichkeit subjektiv oder objektiv erkennbar ist. Gefordert wird also entweder eine Parteiabrede oder zumindest Mitteilung an den Geschäftspartner, dass die Eigenschaft subjektiv für den Anfechtungsberechtigten wesentlich ist (liegt hier nicht vor, L hat V nicht mitgeteilt, dass er den Controller für seine PS5 braucht) ODER aber, dass sich die Wesentlichkeit der Eigenschaft nach der Verkehrsanschauung aus dem objektiv bestimmbaren wirtschaftlichen Zweck des Vertrags ergibt (m.E. hier auch nicht der Fall, weil die Eigenschaft "kompatibel mit PS5" bei Kaufverträgen über Controller nicht zwingend ist, V kann ja unmöglich wissen, ob L den Controller für den PC, die PS5 oder sonst irgendein Gerät kauft).

Wenn man hier die Anfechtbarkeit bejaht, müsste man sie konsequenterweise auch bejahen, wenn jemand eine normale Pfanne für seinen Induktionsherd gekauft hat oder wenn jemand zu kurze Schrauben für sein Heimwerkerprojekt kauft, was m.M.n. viel zu weit führen würde und auch Motivirrtümer für beachtlich erklären würde.

Kann mir jemand erklären, was ich für einen Denkfehler habe und ob das, was ich geschrieben habe, Quatsch ist? :)

Vielen Dank!
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Strich
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Re: Verkehrswesentlichkeit beim Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

Beitrag von Strich »

ben25 hat geschrieben: Mittwoch 2. Februar 2022, 21:14

Wenn man hier die Anfechtbarkeit bejaht, müsste man sie konsequenterweise auch bejahen, wenn jemand eine normale Pfanne für seinen Induktionsherd gekauft hat oder wenn jemand zu kurze Schrauben für sein Heimwerkerprojekt kauft, ...
Also m.E. sind das alles Fälle des Eigenschaftsirrtums ^^ Das geht wegen § 122 BGB auch nicht zu weit. Der Motivirrtum ist demgegenüber was anderes: Ich kann nicht anfechten, weil ich eine Pfanne gekauft habe um meiner Liebsten eine Freude zu machen, sie mich aber verlässt und ich die Pfanne nun nicht mehr brauche. Jemandem eine Freude machen ist nämlich keine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Pfanne. Bei den Schrauben ist es etwas kniffliger: Wenn ich die Schrauben kaufe, weil ich denke, sie seien 5 cm lang, in Wahrheit sind sie nur 4 cm lang und passen nicht, dann kann ich anfechten, weil ich mich über eine verkehrswesentliche Eigenschaft geirrt habe. Wenn ich denke, die Schrauben seien 5 cm lang und sie sind auch 5 cm lang, zu Hause stelle ich aber fest, dass ich 6 cm gebraucht hätte, kann ich nicht anfechten. Das wäre dann ein Motivirrtum.

Die Eigenschaft des Controlers kompatibel mit der PS5 zu sein ist m.E. ohne weiteres eine verkehrswesentliche Eigenschaft, warum sonst ist das da auf der Packung abgedruckt? Das ist sowohl subjektiv als auch objektiv erkennbar. Würde man eine Parteivereinbarung fordern, wäre man wohl aus dem Irrtum raus, da dann ein Vertrag i.d.R. mit anderem Inhalt zustande kommt.
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Re: Verkehrswesentlichkeit beim Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

Beitrag von ben25 »

Danke, das hat es etwas klarer gemacht! Dann geht es also mehr darum, dass die Eigenschaft, auf die sich der Irrtum bezieht, nach Verkehrsanschauung wesentlich ist (hier allgemein: Kompatibilität mit Geräten ist bei Controllern wesentlich) und nicht darum, ob die konkrete Ausprägung der Eigenschaft als wesentlich vorausgesetzt wird (also nicht: bei jedem Controller ist es wesentlich, dass er mit der PS5 kompatibel ist). Sonst könnte man beim Irrtum über die Länge der Schrauben ja niemals anfechten, weil es ja nicht die pauschale Voraussetzung gibt, dass eine Schraube 5 cm lang sein muss :)

Vielen Dank nochmal, das hat mir sehr weitergeholfen!
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Re: Verkehrswesentlichkeit beim Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

Beitrag von Strich »

Ja genau, so wird ein Schuh draus.

Die Anfechtung löst den Konflikt, den § 133 BGB und § 157 BGB aufmachen: Nach dem Wortlaut von § 133 BGB bedürfte es nämlich fast nie einer Anfechtung, weil es ja nur auf den tatsächlichen Willen des Erklärenden ankommt. Aus § 157 BGB folgt aber, dass § 133 BGB nur für die einseitigen Rechtsgeschäfte gilt. Daher kann das Erklärte und das Gewollte auseinanderfallen. Diesen Konflikt löst die Anfechtung zugunsten von § 133 BGB. Der durch § 157 BGB geschützte Dritte erhält aber nach § 122 BGB sein negatives Interesse ersetzt, außer in den Fällen, in denen er selbst nicht schutzwürdig ist, § 123 BGB.
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Re: Verkehrswesentlichkeit beim Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

Beitrag von OJ1988 »

§ 119 II ist ja grade ein gesetzlich normierter Fall, in dem der sonst unbeachtliche Motivirrtum eben doch beachtlich ist. Eine Art übergesetzlichen Grundsatz "niemals nie Anfechtung bei Motivirrtümern" gibt es nicht.
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