Gutachten und Ausforschungsbeweis

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Blue125
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Gutachten und Ausforschungsbeweis

Beitrag von Blue125 »

Hallo zusammen,

mich würde interessieren, wie Ihr folgendes Problem beurteilt, welches sich meines Erachtens häufig bei Verkehrsunfällen stellt. Zum Beispiel:

Der Kläger trägt in seinen Schriftsätzen Tatsachen zum Unfallhergang vor, aus denen sich die Schuld des Beklagten ergeben soll. Die Beklagtenseite bestreitet diese Tatsachen. Etwaige Zeugenvernehmungen sind unergiebig.

Das Gericht holt nun ein Sachverständigengutsachten ein zu der Beweisfrage, wie sich der Unfall zugetragen haben soll. Das Gutachten widerlegt die klägerischen Tatsachenbehauptungen als unzutreffend. Der Unfall hat sich also nicht so zugetragen wie von Klägerseite behauptet. Trotzdem führt das Gutachten aus, wie beide Seiten den Unfall hätten vermeiden können.

Ich stelle mir folgende Fragen:

1) Ist es nicht bereits ein Ausforschungsbeweis, wenn das Gericht pauschal die Beweisfrage stellt, wie sich der Unfall zugetragen hat?
Müsste es nicht vielmehr um die konkreten Tatsachenbehauptungen gehen.

2) Und was ist, wenn das Gutachten eindeutig zu dem Ergebnis kommt, dass der klägerische Sachvortrag so nicht stimmen kann. Kann dann quasi einfach ein anderer Unfallhergang herangezogen werden, den der Gutachter für plausibel hält. Das hätte für mich zur Folge, dass ich als Kläger relativ risikolos einen Unfallhergang ins Blaue hinein behaupten könnte, in der Hoffnung, dass der Sachverständige es schon gerade biegen wird. Meines Erachtens beißt sich das mit dem Beibringungsgrundsatz.

Wäre nicht vielmehr die Klage bereits deshalb abzuweisen, weil die beweisbedürftigen Tatsachen sich eben als falsch herausgestellt haben?
Liz
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Re: Gutachten und Ausforschungsbeweis

Beitrag von Liz »

Richtigerweise sollte man konkrete Beweisfragen formulieren, allerdings ändert das nichts daran, dass der Sachverständige im Rahmen der Begründung, weshalb sich der Unfall nicht so zugetragen haben kann, wie Kläger und Beklagter jeweils behaupten (die aber jeweils hinsichtlich des Verhaltens / Fahrzeugs des anderen nur begrenzt vortragen können), auch Ausführungen tätigen wird, aus denen sich ergibt, wie sich der Unfall tatsächlich ereignet hat.

Die Parteien machen sich in der Regel jeweils die ihnen günstigen Feststellungen des Sachverständigen zu eigen, so dass dann dem Urteil im Ergebnis richtigerweise der vom Sachverständigen erst „ermittelte“ Sachverhalt zugrunde gelegt wird.

Das findet natürlich immer die Partei, zu deren Lasten die Beweisaufnahme ausgeht, ganz furchtbar unfair - umgekehrt liegt die Entscheidung dann näher an der materiellen Wahrheit.
Joshua
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Re: Gutachten und Ausforschungsbeweis

Beitrag von Joshua »

1. Eine Beweisfrage "Wie ist es zu dem Unfall gekommen?" wäre mE unzulässig.

Man kann aber, da relevant für § 17 Abs. 3 iVm Abs. 2 StVG, beide Versionen der Beteiligten zu Beweisfragen ausgestalten:

a. Hat sich der Unfall so ereignet, wie von dem Kläger behauptet, nämlich dergestalt, dass ... ?
b. Oder hat sich der Unfalls so ereignet, wie von dem Beklagten behauptet, nämlich dergestalt, dass ... ?

Zusätzlich ist mE erlaubt, dem Sachverständigen aufzugeben:
c. Es soll eine zeitliche sowie räumliche unfallanalytische Vermeidbarkeitsbetrachtung für beide Unfallbeteiligten erfolgen.

2. Wie zuvor geschrieben: Den "dritten Sachverhalt" macht sich die Partei konkludent zu eigen, für welche er günstig ist (st. Rspr. des BGH).

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Egon Bahr 2013
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