Merkantiler Minderwert/Unfallschaden noch nicht verstanden

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Torf
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Merkantiler Minderwert/Unfallschaden noch nicht verstanden

Beitrag von Torf »

Hallo zusammen,

Ich mache in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder ein paar Grundlagen durch und bin beim Schaden eines Kfz nach Unfall wieder auf den merkantiler Minderwert und die Berechnung gestoßen und habe gemerkt dass ich es wohl noch nicht ganz kapiert habe.

Problem ist meist dass viele Kommentare und Lehrbücher immer dieselben Beispiele bringen. Nämlich dass der Schaden den Wert des Kfz übersteigt.

Aber wie wird überhaupt der Schaden bestimmt bei nem nicht so tragischen Fall? Also bspw. ein Lackschaden an einem Auto dass auf dem Markt noch ca. 12.000 Euro erzielen würde. Laut Kostenvoranschlag der Werkstatt würde die Reparatur mit Lackierung 1.000 Euro zzgl MwSt kosten.

Frage 1: Wenn nun auf Naturalrestitution, also Reparatur geklagt wird, hätte ich einfach angenommen dass der einklagbare Schaden die 1000 Euro zzgl MwSt sind. Stimmt das?

Frage 2: Wie hoch wäre der Schaden wenn der Eigentümer nur das Geld möchte und das Auto nicht reparieren will? Die 1000 Euro ohne MwSt oder müssten da noch andere Posten von der Rechnung gestrichen werden? Also zb. die Arbeitskosten?
FelixFelicis
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Re: Merkantiler Minderwert/Unfallschaden noch nicht verstanden

Beitrag von FelixFelicis »

Guten Tag,

im Grunde genommen besitzt das Geschehen rund um Kfz-Schäden eine recht einheitliche und auch logische Struktur.

Nähern wir uns den Grundlagen:

Wenn ein Kraftfahrzeug beschädigt wurde, ergeben sich zwei Möglichkeiten der Naturalrestitution - Die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs und die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Da beide Optionen unterschiedliche Kosten hervorrufen, besteht in spezifischen Fällen ein Spannungsfeld, das wir näher untersuchen werden.

Des Weiteren genießen wir als Geschädigte eine gewisse Dispositionsfreiheit, sodass wir selbst entscheiden können, in welchem Umfang und ob überhaupt wir unser Fahrzeug reparieren lassen. Naturalrestitution wird als Wiederherstellung des früheren Vermögensstandes verstanden, sodass wir den angefallenen Schaden auch fiktiv berechnen können, um das Geld anschließend im Casino zu verspielen - Wir haben die Vermögenseinbuße und somit den „Salat" so oder so: Einmal ein Kraftfahrzeug, das wir für die Summe X haben reparieren lassen und einmal ein Kraftfahrzeug, das wir für jene Summe reparieren lassen müssten, um wieder zu unserer früheren Vermögenslage zu gelangen.

Zu beachten sind jedoch gewisse Grundsätze des Schadensrechts, die uns als Geschädigte einschränken und an die wir denken müssen.
a) Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, sodass wir den ökonomisch sinnvollsten Weg nutzen müssen.
b) Das Bereicherungsverbot, sodass wir nicht in überkompensiert werden dürfen.

Für ein optimales Verständnis müssen wir auch zwei Begriffe geklärt wissen.
Der Wiederbeschaffungswert ist der Preis, den ein Geschädigter aufwenden muss, um einen dem Unfallwagen entsprechenden Ersatzwagen zu erwerben.
Der Wiederbeschaffungsaufwand ist die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert des Unfallwagens in unbeschädigtem Zustand und dem Restwert des beschädigten Fahrzeugs.


Betrachten wir zunächst den leichtesten Fall:
Unser Auto wurde geringfügig beschädigt und wir lassen es reparieren. Die Reparaturkosten sind niedriger als der Wiederbeschaffungsaufwand eines Alternativfahrzeugs.
Lösung:
Wir können die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten inklusive der angefallenen Umsatzsteuer nach § 249 II 2 ansetzen, denn sie ist ja tatsächlich angefallen! Würden wir sie nicht ersetzt bekommen, müssten wir mehr aufwenden, damit unser Auto wieder heile ist und wären demzufolge traurig. Hinsichtlich der Höhe der Reparaturkosten gibt es kein Problem, da eine Ersatzbeschaffung nicht günstiger ist, sodass wir den wirtschaftlich sinnvollsten Weg gewählt haben.
Alternativ können wir die fiktiven Kosten auf Basis der Schätzung eines Sachverständigen ansetzen. Diesmal allerdings nur ohne Umsatzsteuer, da sie nicht angefallen ist.

Auf zum nächsten Fall:
Unser Auto wurde beschädigt und der Reparaturaufwand liegt zwischen dem Wiederbeschaffungsaufwand und dem Wiederbeschaffungswert
Zur Verdeutlichung -> Reparaturkosten 13.000, Wiederbeschaffungswert 15.000, Restwert unseres beschädigten Fahrzeugs 3.000 somit Wiederbeschaffungsaufwand 12.000
Lösung:
Wir können das Fahrzeug reparieren lassen und vollen Ersatz der Reparaturkosten verlangen. Die Reparaturkosten sind niedriger als der Wiederbeschaffungswert (Preis für Ersatzfahrzeug), sodass wir dem Wirtschaftlichkeitsgebot Rechnung tragen.
Wenn wir das Fahrzeug nicht reparieren lassen, können wir fiktiv nur bis zur Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands (Preis des Ersatzfahrzeugs - Restwert unserer Schrottkarre -> hier 12.000) abgerechnet werden.
Doch Vorsicht:
Wenn wir das Fahrzeug nachweislich wieder in einen verkehrssicheren Zustand versetzen und das Fahrzeug mindestens sechs Monate in der Regel weiter nutzen, können wir die gesamten fiktiven Reparaturkosten (13.000) ansetzen.
Geben wir unseren Willen zur Weiternutzung grundlos auf, hat unser Schädiger ein Rückforderungsrecht.

Unser Auto wurde beschädigt und die Reparaturkosten betragen mehr als 130% des Wiederbeschaffungswerts (Preis des Ersatzfahrzeugs)
Lösung:
Wir können mit spezifischen Einschränkungen trotzdem unser Auto reparieren lassen und die tatsächlich angefallenen Kosten ansetzen. Zwar wäre die Ersatzbeschaffung der günstigere Weg und dient damit eher dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, allerdings haben wir als Geschädigte ein Integritätsinteresse am Erhalt unseres vertrauten Kraftfahrzeugs - Allerdings nur, wenn wir das Fahrzeug in der Regel mindestens sechs Monate weiternutzen.
Alternativ hierzu könnten wir eine fiktive Berechnung der Kosten vornehmen und unser Kraftfahrzeug nicht reparieren lassen. Einigkeit besteht jedoch, dass wir dann nicht in den Genuss des Integritätszuschlags kommen. Damit wäre unser Schaden nur in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands ersatzfähig - Schade!

Folgerichtig das nächste Beispiel:
Unser Auto ist erheblich beschädigt. Die voraussichtlich anfallenden Kosten liegen über 130% des Wiederbeschaffungswerts (Preis für Ersatzfahrzeug).
Lösung:
Die Reparatur des Fahrzeugs ist wirtschaftlich unvernünftig. Wenn wir unser Auto reparieren lassen, können wir nur den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen. Eine Aufspaltung in einen wirtschaftlich vernünftigen Teil i.H.v. 130% des Wiederbeschaffungswertes und einen von uns selbst zu tragenden Teil scheidet überzeugenderweise aus.


Eine Besonderheit stellt der merkantile Minderwert dar. Jener beschreibt das Phänomen bei Kraftfahrzeugen, dass zwar eine vollständige Wiederherstellung des Kfz erfolgt ist bzw. erfolgen könnte, wir jedoch trotzdem eine empfindliche Wertminderung des Fahrzeugs verzeichnen, da es in einen Unfall verwickelt war. Dieser Schaden ist nicht beseitigungsfähig und daher nach § 251 I Alt. 1 zu ersetzen.

Beste Grüße :-({|=
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