Was kann der Anwalt abrechnen

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Jura_Freiburg
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Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Jura_Freiburg »

Hallo zusammen,

vorweg vielleicht mal folgendes: Das hier soll keine Diskussion werden, wie gut ein Anwalt verdient oder sonst etwas!

Ich durfte bei einem Anwalt im Rahmen meines Jurastudiums ein Praktikum absolvieren. Mir wurde dann auch ein bisschen die Arbeit außerhalb Juras erklärt, also wie eine Kanzlei funktioniert und darunter auch, wie der Anwalt eigentlich sein Geld verdient. Irgendwie scheine ich das aber nicht so ganz verstanden zu haben. Der liebe Herr meinte nämlich dann, dass Anwälte im Familien- und Erbrecht z. B. für einen Hungerslohn arbeiten müssen und man lieber Gesellschaftsrecht o. Ä. machen soll.

Diese Aussage hat mich dann schon etwas zweifeln lassen, ob ich das mit der Abrechnung richtig verstanden habe. Ist es nicht so, dass Anwälte nach einer RVG-Tabelle (?) abrechnen und sich das nach dem Gegenstandswert richtet? Ich durfte solch eine Tabelle dann auch mal sehen und habe irgendwie nicht so ganz den Unterschied verstanden. Der Streitwert bemisst sich doch immer nach dem, was "auf dem Spiel steht" oder nicht? Also gerade im Erb- und Familienrecht sind das doch häufig hohe Summen. Ich denke da vor allem an Immobiliengeschichten die schnell mal mehrere 100.000 € erreichen. Aber im Gesellschaftsrecht gibt es doch häufig auch bloß Beratungen, die sicherlich nicht solch einen hohen Wert erreichen.

Deswegen meine Frage, wie bemisst sich denn dann - unter der Voraussetzung das mit der Tabelle oben stimmt - in solchen Gebieten wie das Gesellschaftsrecht der Streitwert und wieso sollte der so viel höher sein? Oder umfasst das Gesellschaftsrecht beim Anwalt auch z. B. Käufe von Unternehmen die dann schnell mal relativ hohe Werte erreichen?
Theopa
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Theopa »

Der Streitwert berechnet sich in der Tat zumeist aus dem wirtschaftlichen Interesse, in Angelegenheiten ohne konkreten Zahlenbezug gibt es Rechtsprechung oder notfalls den Auffangstreitwert von 5.000 €.

Die Frage ist immer, wie das Verhältnis vom Arbeitsaufwand und Gebühren ist.

Wenn man mal die simpelste Variante der Scheidung nimmt (beide kein Vermögen, keine Kinder etc.) kommt man bei zwei jungen GK-Anwälten mit jeweils 5000€ netto wohl (Google, bin kein Familienrechtler) auf einen Streitwert von 30.000 € (2 x 5000 x 3). Das sind dann außergerichtlich bei einem 1,3er Steigerungssatz 1.241,50 € netto. Nimmt man nun ein Einkommen nahe am Mindestwert (einmal Mindestlohn, einmal Hausfrau/-mann) und überschlägt das mit 5.000 € landet man bei 434,20 € netto. Nimmt man die Scheidung eines Multimillionärspaars und setzt mal 5 Millionen an landet man dagegen bei 23.905,70 € netto.

Wie der konkrete Arbeitsaufwand bei Scheidungen im außergerichtlichen Bereich ist kann ich nicht sagen. Es dürfte wohl offensichtlich sein, dass man im letzten Beispiel selbst dann meistens kostendeckend arbeiten kann, wenn es ein sehr komplizierter Fall ist. Im zweiten Beispiel wird das nun aber schon sehr eng. Je nach Kostenquote (Miete, Gehaltskosten, Bürokosten, etc.) müsste man den außergerichtlichen Teil in 2-3 Stunden erledigen um wirtschaftlich zu arbeiten, und zwar komplett. Geht man hoch auf den 2,5-fachen Satz (835€ netto) hat man etwas mehr Zeit, dafür müsste man dann aber auch eine konkrete Einzelfallbegründung liefern, die fehlen würde wenn man bei Scheidungen automatisch immer 5-6 Stunden Arbeit hätte.

Also: Derjenige der die Mandate aus dem Golfclub betreut kann als Famileinrechtler auch sehr gut verdienen, derjenige der nur die Laufkundschaft aus dem Brennpunkt bekommt macht eventuell sogar Verlust. Wie der jeweilige Anteil an den verfügbaren Mandanten ist dürfte auch klar sein.

Ähnlich ist es dann im Erbrecht. Wenn Oma Erna zur Miete gewohnt und nur ihre alte Gold-Uhr (Wert 6.000 €) besessen hat und man sich dafür mit vier zerstrittenen Miterben über ein paar Jahre und zwei Instanzen kloppen darf (insgesamt ein Umsatz von vielleicht 2.500 € netto für alles) wird dieses Mandat am Ende im Ergebnis tiefrote Zahlen bedeuten, bzw. wenn man naiv genug war keine Vorschüsse zu nehmen vielleicht sogar einen teilweisen Ausfall oder jahrelange Ratenzahlungen.Wenn man einen Streit über das Erbe eines Inhabers einiger hundert Mietobjekte betreut kann das zwar im Regelfall noch viel mehr Arbeit bedeuten, dann hat man aber eben fünf - bis sechsstellige gesetzliche Gebühren.

Das Grundproblem ist: Der Gesetzgeber fingiert, dass ein durchschnittlicher Anwalt Oma Erna und die Multimillionäre betreut und nun querfinanziert. Das ist eben in der Realität einfach nicht der Fall.


Edit:
Im Gesellschaftsrecht arbeitet man oftmals rein beratend, womit die Gebührentabellen keine Rolle spielen. Für Beratung ohne Vertretung nach Außen schließt man Gebührenvereinbarungen ab, was auch das Gesetz so vorsieht. Wenn man nun 300 € aufwärts (bzw. wenn es um GK-Partnertarife o.ä. geht auch mal 500 - 600 € und mehr) pro Stunde abrechnen kann, enstehen da schnell ganz andere Umsätze.
Jura_Freiburg
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Jura_Freiburg »

Das ist ja interessant! Vielen Dank für die ausführliche Darstellung. Haben die Anwälte denn Grenzen bei den Gebührenvereinbarungen oder gilt da der freie Markt und es wird sich schon jemand finden der die gewünschten Beträge zahlt? Weil das klingt für mich schon eigenartig, wenn der Anwalt für eine Abrechnung von z. B. 2,5 eine Begründung ablegen muss, während der Anwalt seinen Stundensatz rein theoretisch festlegen kann wie er Lust hat.
Theopa
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Theopa »

Bei der Erstberatung gibt es noch eine feste Höchstgrenze (max. 190€ netto), darüber hinaus kommt man nur in die üblichen Grenzen im Sinne von § 138 BGB bzw. des Berufsrechts.

Natürlich kann man dem Azubi dessen Arbeitszeugnis man prüft nicht 800€ pro Stunde abknöpfen und dazu noch 4 Stunden dafür aufwenden, in welchen man das Zeugnis mit der bundesweiten arbeitsrechtlichen Rechtsprechung abgleicht.

Ansonsten ist es tatsächlich weitgehend Verhandlungssache bzw. der freie Markt, da im Gegensatz zu formellen Verfahren (für die das RVG jedenfalls weitgehend bindend ist) eben der Kern des Zugangs zum Recht nicht betroffen ist.
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von gola20 »

gerade im Erb- und Familienrecht ist das RVG noch recht lukrativ. Viele andere Bereiche sind nach RVG wirtschaftlich nicht bearbeitbar. Es ist halt der "Mindestlohn" des Anwalts.
Theopa
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Theopa »

Im Einzelfall kann es aber auch anders aussehen.

Eine Google-Bewertung bekommt man z.B. meistens mit 10-20 Minuten Aufwand gemeldet und gelöscht, nach RVG würde man dafür je nach Laune einer eventuellen Rechtsschutz 5.000 - 15.000 (wurde mal in München angesetzt) als Streitwert nehmen und damit bei 1,3 schon 434 € - 933 € abrechnen.

Bei der Erstellung eines Arbeitsvertrags würde ich auch immer RVG wählen wenn es ums Geld geht: Bei 50.000 € brutto Jahresgehalt sind das 150k Streitwert und damit bei 1,3 schon 2.518 € Geschäftsgebühr. Selbst mit 500 € Stundensatz kommt man da nicht wirklich auf mehr, sofern es nicht gerade der erste Vertrag ist den man erstellt. Und naja, wer noch nie einen Arbeitsvertrag erstellt hat wird wohl kein entsprechendes Mandat mit 500 € Stundensatz bekommen ;)
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Urs Blank »

Theopa hat geschrieben: Samstag 22. Januar 2022, 09:15 Bei der Erstellung eines Arbeitsvertrags würde ich auch immer RVG wählen wenn es ums Geld geht: Bei 50.000 € brutto Jahresgehalt sind das 150k Streitwert und damit bei 1,3 schon 2.518 € Geschäftsgebühr. Selbst mit 500 € Stundensatz kommt man da nicht wirklich auf mehr, sofern es nicht gerade der erste Vertrag ist den man erstellt.
Du warst das also:

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/pr ... Cnchen%20I.
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Liz »

gola20 hat geschrieben:gerade im Erb- und Familienrecht ist das RVG noch recht lukrativ. Viele andere Bereiche sind nach RVG wirtschaftlich nicht bearbeitbar. Es ist halt der "Mindestlohn" des Anwalts.
Der hohe Gegenstandswert bringt aber auch wenig, wenn die Mandanten mit dem Rechtsstreit ihre ganzen Emotionen verarbeiten wollen und einen entsprechend hohen Gesprächs- und Betreuungsbedarf haben.
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von gola20 »

Die Emotionsarbeit machen bei uns oft die Refas :drinking:
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Sektnase »

Liz hat geschrieben: Sonntag 23. Januar 2022, 13:33
gola20 hat geschrieben:gerade im Erb- und Familienrecht ist das RVG noch recht lukrativ. Viele andere Bereiche sind nach RVG wirtschaftlich nicht bearbeitbar. Es ist halt der "Mindestlohn" des Anwalts.
Der hohe Gegenstandswert bringt aber auch wenig, wenn die Mandanten mit dem Rechtsstreit ihre ganzen Emotionen verarbeiten wollen und einen entsprechend hohen Gesprächs- und Betreuungsbedarf haben.
Bei niedrigem Gegenstandswert macht die Betreuung aber noch weniger Spaß..
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
Liz
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Re: Was kann der Anwalt abrechnen

Beitrag von Liz »

Das ist auch wieder wahr. Bei manchen heiß umkämpften Berufungssachen habe ich durchaus Mitleid mit den Anwälten.
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