Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

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Rudelfuchs
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Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Rudelfuchs »

Mein Einzelausbilder streicht es mir als falsch an, wenn ich eine Definition im Urteilsstil abstrakt angebe.

Bsp:
B hat einen Angriff im Sinne des § 32 II StGB getätigt. Ein Angriff ist eine Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten. ....

Den unterstrichenen Teil würde der Einzelausbilder bemängeln. Ich solle vielmehr schreiben:
B hat einen Angriff im Sinne des § 32 II StGB getätigt. B hat ein rechtlich geschütztes Interesse durch menschliches Verhalten bedroht. ....

Was ist nun richtig? Im Kaiser-Skript werden im Kapitel zum Urteilsstil die Definitionen abstrakt wiedergegeben.
Brainiac
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Brainiac »

Kaiser und Urteilsstil ist ein ganz schwieriges Thema. Hafte nicht zu sehr an den Skripten, da ist in dieser Hinsicht einiges im Argen.
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Strich
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Strich »

Ich halte das, was du schreibst für richtig. Ganz vollständig wäre der Urteilstil in deinem Beispiel übrigens:
OS: B hat einen Angriff im Sinne des § 32 II StGB getätigt.
Def: Ein Angriff ist eine Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten
Sub: B war dabei die körperliche Integrität des A zu bedrohen indem er mit der Faust ins Gesicht des A zu schlagen ansetzte

Ich glaube, dein Ausbilder "vermischt" ein bisschen Definition und Subsumtion.

Der BGH favorisiert im Übrigen auch deine Variante.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Rudelfuchs »

Strich hat geschrieben: Montag 19. September 2022, 14:57 Ich halte das, was du schreibst für richtig. Ganz vollständig wäre der Urteilstil in deinem Beispiel übrigens:
OS: B hat einen Angriff im Sinne des § 32 II StGB getätigt.
Def: Ein Angriff ist eine Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten
Sub: B war dabei die körperliche Integrität des A zu bedrohen indem er mit der Faust ins Gesicht des A zu schlagen ansetzte

Ich glaube, dein Ausbilder "vermischt" ein bisschen Definition und Subsumtion.

Der BGH favorisiert im Übrigen auch deine Variante.
Danke!
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von stilzchenrumpel »

Rudelfuchs hat geschrieben: Mittwoch 21. September 2022, 21:50
Strich hat geschrieben: Montag 19. September 2022, 14:57 Ich halte das, was du schreibst für richtig. Ganz vollständig wäre der Urteilstil in deinem Beispiel übrigens:
OS: B hat einen Angriff im Sinne des § 32 II StGB getätigt.
Def: Ein Angriff ist eine Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten
Sub: B war dabei die körperliche Integrität des A zu bedrohen indem er mit der Faust ins Gesicht des A zu schlagen ansetzte

Ich glaube, dein Ausbilder "vermischt" ein bisschen Definition und Subsumtion.

Der BGH favorisiert im Übrigen auch deine Variante.
Danke!
Zustimmung und ein Tipp: um ein Gefühl zu bekommen, nutze juris! Du kannst dir den Stil von echten Urteilen abschauen, dafür braucht man kein Skript (insbesondere für die praktischen Arbeiten in der Station). Es bietet sich jedoch an, möglichst LG Urteile aus dem eigenen Bundesland zu nehmen. Ich kenne mich nicht im Strafrecht aus, aber es gibt manchmal Unterschiede im Stil zwischen den Ländern und Regionen.
Hier gibt es nichts zu sehen, ich trolle nur.
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von strafrechtler »

Ergänzung: Genau wie beim Gutachtenstil hat man beim Urteilsstil immer die Wahl, Definition und Subsumtion zu trennen oder sie zu integrieren. Letzteres ist nur dann sachgerecht, wenn man für die Lesenden die Definition deutlich machen will, es aber evident ist, dass die Merkmale erfüllt sind. Meine Merkregel: Wenn die Subsumtion nur in einem Satz besteht, der keine "echte" Begründung enthält, dann sollte man sich entscheiden zwischen dem verkürzten (integrierenden) Urteilsstil und einer bloßen Feststellung (Letztere wird in der Praxis regelmäßig Mittel der Wahl sein). Die Aufteilung von Definition und Subsumtion in mehrere Sätze ist sachgerecht, wenn die Subsumtion aufwändig oder mehrschrittig ist.

Tatsächlich ist das, was der Ausbilder vorschlägt, aber nicht der verkürzte Urteilsstil, sondern eine kreative Eigenentwicklung.
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Rudelfuchs »

Von mir abstrakt wiedergegebene Definitionen wurden nun mehrfach in Übungsklausuren als falsch angestrichen mit dem Hinweis: "Gutachtenstil!" Daher bitte ich euch, nochmals zu diesem Thema Stellung zu nehmen.

Ich habe etwa in einer Übungsklausur geschrieben:
"Die Drohung war nicht widerrechtlich, § 123 I Alt. 2 BGB. Eine Drohung ist widerrechtlich, wenn das Mittel, der Zweck oder eine Zweck-Mittel-Relation rechtswidrig ist."

Der Korrektor hat das "wenn" unterstrichen und daneben "Gutachtenstil" geschrieben.

Meine Vermutung ist: Man darf zwar Definition abstrakt in Urteilen wiedergeben. Jedoch darf nicht das Wort "wenn" verwendet werden, weil dies eine Frage aufwirft und dies entspricht dem Gutachtenstil. Hier ist die durch das "wenn" aufgeworfene Frage, ob das Mittel, der Zweck oder eine Zweck-Mittel-Relation rechtswidrig ist. Die Definition wäre daher richtig im Urteil wiedergegeben worden, wenn ich geschrieben hätte: "Die Widerrechtlichkeit einer Drohung folgt aus dem Mittel, dem Zweck oder einer Zweck-Mittel-Relation."

Ist meine Vermutung richtig? Oder seid ihr der Meinung, dass auch dies wieder eine falsche Korrekturanmerkung ist (wie die Anmerkung meines Einzelausbilders oben)?

Da das 2. Examen bei mir nicht mehr so lange hin ist, würde ich mich über zeitnahe Antworten freuen.
Liz
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Liz »

Das scheint mir eine Fehlkonditionierung auf das Wort „wenn“ zu sein. Natürlich darf das Wort „wenn“ in der abstrakten Definition vorkommen.
Rudelfuchs
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Rudelfuchs »

Ich habe mittlerweile in 3 Klausuren diese (falsche) Korrekturanmerkung erhalten. Den (falschen) Vorwurf, ich würde den Urteilsstil nicht beherrschen und teilweise den Gutachtenstil verwenden, möchte ich im 2. Examen nicht erhalten. Habt ihr eine Idee, wie ich es jedem Korrektor diesbezüglich recht machen kann?
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von scndbesthand »

Dass der Urteilsstil Konditionalsätze verbietet, wäre mir neu. Das Missverständnis liegt m. E. hier beim Korrektor.

Du kannst den „Anstreichreiz“ beim Korrektor vielleicht vermeiden, wenn Du auf das Wort „wenn“ verzichtest.


Statt:

Eine Drohung ist widerrechtlich, wenn…

—>

Die von X ausgesprochene Drohung mit … ist nicht widerrechtlich. Eine widerrechtliche Drohung setzt voraus, dass … . Hieran fehlt es, weil …
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Rudelfuchs »

scndbesthand hat geschrieben: Dienstag 13. Februar 2024, 14:50 Dass der Urteilsstil Konditionalsätze verbietet, wäre mir neu. Das Missverständnis liegt m. E. hier beim Korrektor.

Du kannst den „Anstreichreiz“ beim Korrektor vielleicht vermeiden, wenn Du auf das Wort „wenn“ verzichtest.


Statt:

Eine Drohung ist widerrechtlich, wenn…

—>

Die von X ausgesprochene Drohung mit … ist nicht widerrechtlich. Eine widerrechtliche Drohung setzt voraus, dass … . Hieran fehlt es, weil …
Vielen Dank!
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Strich »

Das was scndbesthand sagt. Ansonsten ist an der von dir gewählten Formulierung nichts auszusetzen, schreibe ich regelmäßig in Urteilen so. Wird man auch beim BGH so finden.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Urteilsstil: Definition abstrakt oder konkret wiedergeben?

Beitrag von Torsten Kaiser »

Was man dir da anstreicht ist falsch, dh deine Formulierung ist iO. "Wenn" hat mir Gutachtenstil überhaupts nichts zu tun. Es kommt immer darauf an, wie man WENN benutzt. Auch dazu habe ich etwas in der Neuauflage meines Lehrbuches zur Zwangsvollstreckungsrecht geschrieben mit Nachweisen aus der Rspr.

Die Formulierungsvorschläge in unseren Skripten kommen fast alle von den Examenskorrektoren oder aus der Praxis, nicht von uns. Die kann man nehmen. Dass einige AG-Leiter/Innen hier eine anderen Meinung haben, kann man nicht ändern.

Viele Grüße aus Lübeck!
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