Urteilstatbestand - streitiges Vorbringen

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Rudelfuchs
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Urteilstatbestand - streitiges Vorbringen

Beitrag von Rudelfuchs »

Hallo,

ich habe vor 2 Wochen mit dem Ref angefangen und schreibe gerade das erste Mal ein Urteil.

Ich habe in juristischer Literatur folgende Aussagen gelesen, die ich nicht ganz begreife:

"Zuordnung einer behaupteten Tatsache zu einer Partei: Die Frage, ob eine streitige Tatsache beim Kläger- oder Beklagtenvortrag wiederzugeben ist, hängt von der Darlegungslast ab. Eine Tatsache ist immer bei dessen Vorbringen wiederzugeben, dem die Darlegungslast obliegt"
Quelle: http://archiv.jura.uni-saarland.de/Methodik/tb_norm.htm

"Sodann folgt (nach einem Absatz) das streitige Klägervorbringen („Streitstand“), das zwingend im Konjunktiv I (indirekte Rede) wiederzugeben ist. Eingeleitet wird dies mit „Der Kläger behauptet, …“. Aufzunehmen sind streitige Tatsachen, die vom Kläger vorgebracht sowie vom Beklagten bestritten wurden und für die der Kläger die Darlegungslast trägt (anspruchsbegründende und anspruchserhaltende Tatsachen)....
Für das nun folgende streitige Beklagtenvorbringen („Streitstand“) gelten im Ausgangspunkt dieselben Regeln wie für das streitige Klägervorbringen (Verwendung des Konjunktiv I, Unterscheidung zwischen „behauptet“ und „meint“). Aufgenommen wird das Vorbringen des Beklagten, das vom Kläger bestritten wird und für das der Beklagte die Darlegungslast trägt. Hier geht es also um anspruchshindernde, anspruchsvernichtende und anspruchshemmende Tatsachen."
Quelle: https://jura-online.de/blog/2020/07/22/ ... il-teil-6/


Aufgrund dieser Aussage bin ich mir unsicher, wie ich streitige Tatsachen im Tatbestand darstelle. Meines Erachtens sind 3 Möglichkeiten denkbar (von der sicherlich nur eine richtig ist):

1. Es kommt in Betracht, dass man eine zwischen den Parteien streitige Tatsache im Urteilstatbestand 2 mal behandeln muss, nämlich unter dem streitigen Vorbringen des Klägers und dann nochmals unter dem streitigen Vorbringen des Beklagten.
Bsp: Kläger behauptet, der Beklagte hätte bei einem Fußballspiel dem Kläger in das rechte Bein gegrätscht. Der Beklagte meint, er habe mit seiner Grätsche nur den Ball getroffen. Schreibe ich hier unter dem streitigen Klägervortrag: "Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn während eines Fußballspiels in das rechte Bein gegrätscht" und muss ich dann unter dem streitigen Beklagtenvortrag schreiben "Der Beklagte behauptet, er habe mit seiner Grätsche den Ball getroffen und nicht das rechte Bein des Kläger.
Hier wurde also ein Geschehen an zwei völlig unterschiedlichen Stellen des Tatbestandes behandelt.
Diese Vorgehensweise widerspricht meines Erachtens den Aussagen oben, dass eine streitige Tatsache bei der Partei wiederzugeben ist, die die Darlegungslast trägt.

2. Oder behandelt man 1 streitige Tatsache im Urteilstatbestand nur 1 mal, nämlich unter dem streitigen Vorbringen der Partei, die die Darlegungslast für diese Tatsache trägt?
Bei dem Bsp von oben würde ich also nur beim streitigen Klägervortrag schreiben: "Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn während eines Fußballspiels in das rechte Bein gegrätscht" und die Tatsachenbehauptung des Beklagten würde direkt anschließend im nächsten Satz erwähnen. Merkwürdig ist bei dieser Vorgehensweise, dass ich streitiges Vorbringen des Beklagten unter dem Abschnitt des streitigen Vorbringens des Klägers erwähne.

3. Schließlich kommt noch folgende Vorgehensweise in Betracht: Man erwähnt 1 streitige Tatsache nur unter dem streitigen Vorbringen der Partei, die die Darlegungslast für diese Tatsache trägt und das streitige Vorbringen der Gegenseite erwähnt man im Tatbestand überhaupt nicht.
Im Bsp oben würde man also nur beim streitigen Klägervortrag schreiben: "Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn während eines Fußballspiels in das rechte Bein gegrätscht" und die Tatsachenbehauptung des Beklagten würde man gar nicht mehr erwähnen (also auch nicht beim streitigen Beklagtenvortrag).
Dieses Vorgehen überzeugt mich nicht, weil dann in den Entscheidungsgründen eine Tatsachenbehauptung genannt wird, die im Urteilstatbestand nicht steht.

Welche Vorgehensweise ist also nach den obigen Aussagen aus der Literatur richtig?
Seeker
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Re: Urteilstatbestand - streitiges Vorbringen

Beitrag von Seeker »

Es kommt darauf an, ob die nicht darlegungspflichtige Partei den Vortrag des Gegners einfach oder qualifiziert bestreitet. Einfaches Bestreiten (etwa "das stimmt nicht" oder "wird bestritten" oder "so war es nicht") wird nicht ausdrücklich dargestellt, qualifiziertes (eigene inhaltliche, abweichende Ausführungen) schon.

Beispiel:

M1: Kläger behauptet, der Beklagte hätte ihm bei einem Fußballspiel in das rechte Bein gegrätscht. Der Beklagte behauptet, das stimme nicht.

--> Einfaches Bestreiten, d.h. nur beim darlegungspflichtigen Kläger aufführen. Tatbestand: "Der Kläger behauptet, der Beklagte hätte ihm bei einem Fußballspiel in das rechte Bein gegrätscht." In der Beklagtenstation des Tatbestandes steht dazu dann überhaupt nichts.


M2: Kläger behauptet, der Beklagte hätte ihm bei einem Fußballspiel in das rechte Bein gegrätscht. Der Beklagte behauptet, er habe mit seiner Grätsche nur den Ball getroffen.

--> Qualifiziertes Bestreiten, d.h. bei beiden erwähnen. Tatbestand: "Der Kläger behauptet, der Beklagte hätte ihm bei einem Fußballspiel in das rechte Bein gegrätscht." Später, d.h. in der Beklagtenstation nach den Anträgen usw., steht dann im Tatbestand: "Der Beklagte behauptet, er habe mit seiner Grätsche nur den Ball getroffen."
Sektnase
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Re: Urteilstatbestand - streitiges Vorbringen

Beitrag von Sektnase »

Richtig sind also - je nach Art des Bestreitens - Nummer 1 oder 3. Nummer 2 wird teilweise dann angenommen, wenn der Text ansonsten völlig unverständlich wäre, also dann, wenn der weitere Klägervortrag auf ein bestimmtes, qualifiziertes Bestreiten des Beklagten aufbaut. Ist aber ein Ausnahmefall, mit dem ich eher vorsichtig wäre.
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
Liz
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Urteilstatbestand - streitiges Vorbringen

Beitrag von Liz »

Nr. 2 scheint mir sehr unüblich zu sein. Wenn der Tatbestand sonst ganz unverständlich wird, bietet es sich eher an, schon im unstreitigen Tatbestand mitzuteilen, dass Umstand X oder „die näheren Einzelheiten“ zwischen den Parteien strittig ist/sind.
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