Zukunft der Arbeitswelt

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Liz
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Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Liz »

Eben. So ärgerlich es ist, dass man sich offenbar vom Arbeitsschutz „freikaufen“ kann - juristisch gebildete Akademiker, denen als einziger Nachteil bei einer Kündigung droht, dass sie künftig nicht mehr so schön viel Geld verdienen, sind nicht die klassische Zielgruppe des ArbZG.
Sektnase
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Sektnase »

Tibor hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 08:31 Es wird sich doch hier ein Staatsanwalt finden, der in seinem Bezirk eine GK hat und das mal prüfen kann!!!

Natürlich ist das Gesetz da, wir dürfen aber auch nicht den Telos der Norm vergessen. Der Gesetzgeber hatte sicherlich nicht Bürojobs auf dem Schirm, weder in Kanzleien, noch in Banken, in Vorstandsetagen oder in der Politik. Der Typus des schutzbedürftigen Arbeiters sieht eben ganz anders aus und ihn differenziert vor allem, dass er auf die konkrete Arbeit angewiesen ist, weil er sich weder eine Auszeit nach Eigenkündigung leisten kann noch einen besseren Job finden wird. Die Verfolgungsbehörden (insb. Zoll) haben ganz andere - wichtigere - Aufgriffsfelder, um Arbeitsschutzgesetze wirksam werden zu lassen.

Letztlich sehe ich nicht, dass in einer klassischen GK der Associate nicht nach Hause gelassen wird. Es ist doch eher so, dass die Masse an Arbeit den Associate selbst am Schreibtisch fesselt, weil er eben das entsprechende Salär einstreichen will. Es ist doch schon ein großer Unterschied, ob einem Arbeitnehmer um 21 Uhr noch was auf den Schreibtisch gelegt wird (virtuell, per Email) mit der Erwartungshaltung, es werde bis 23 Uhr erledigt oder ob ein Werksbus einer Baufirma erst um 23 Uhr auf der Baustelle losfährt, wenn denn endlich die Mauer fertig ist.
Kommt drauf an, worauf du raus willst. Dass es schlimmer ist, wenn einer mit der Peitsche gezwungen wird, 14h am Tag Steine zu klopfen? Geschenkt. Oder soll die teleologische Auslegung ergeben, dass das ArbZG gar nicht anwendbar ist? Das dürfte nämlich kaum vertretbar sein. Der Gesundheitsschutz, den das Gesetz bezweckt, ist vom Gehalt unabhängig, wie Theopa schon gesagt hat. Dass - unabhängig vom Gehalt - dieser in Großkanzleien weniger tangiert wird, weil es den Associates leichter fällt, einfach in andere Jobs zu wechseln, mag sein, ist im Einzelfall aber nicht zwingend. Öfters wird dann ja auch eingewendet, Associates seien leitende Angestellte. Da wird's dann schon lächerlich :D
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
Theopa
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Theopa »

Das sieht der Gesetzgeber offenbar anders, anderenfalls hätte das Gesetz diese Ausnahmen.

Gerade in Zeiten, in welchen psychische Erkrankungen endlich einmal langsam als echte Erkrankungen anerkannt werden, die wirtschaftlichen Folgen von Burn-Out etc. bekannt sind und einige der verbreitetsten chronischen Erkrankungen vom vielen Sitzen herrühren finde ich die Argumentation, dass nur der Kumpel oder Bauarbeiter einen Schutz vor zu viel Arbeit benötigen würde etwas verfehlt.

Es ist zudem schon interessant, wie hier regelmäßige Straftaten der GK Partner verteidigt werden, da diese ja angeblich niemandem schaden würden. Ob Anwälte, die derart offen zu erkennen geben, dass Ihnen das geltende Recht mal herzlich egal ist ihre Zulassung behalten sollten ist die andere Frage. Versteht mich nicht falsch, Grauzonen sind der Punkt an welchem das Recht erst richtig spannend wird, hier geht es aber schlichtweg um vorsätzlich und offen rechtswidriges Verhalten.
gola20
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von gola20 »

Wie redet ihr es schön, wenn ein Richter 60h Wochen schiebt?
stilzchenrumpel
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von stilzchenrumpel »

gola20 hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 09:59 Wie redet ihr es schön, wenn ein Richter 60h Wochen schiebt?
Dann soll er es nicht tun. Der Richter unterliegt keiner Arbeitszeit und nicht dem Arbeitszeitgesetz. Dann muss er entweder die eigene Arbeitsweise hinterfragen oder eine Überlastungsanzeige machen. Wer dafür in Hinblick auf die eigene Karriere nicht den Schneid hat, ist vielleicht sowieso nicht der richtige im Amt.

Was Rechtsanwälte angeht: das Modell ist ein freier Beruf. Jeder Associate einer GK ist potentieller späterer Partner, von dem ich entsprechend erwarten darf, sich nicht als reiner AN zu sehen.
Hier gibt es nichts zu sehen, ich trolle nur.
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Seeker »

stilzchenrumpel hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 10:46
gola20 hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 09:59 Wie redet ihr es schön, wenn ein Richter 60h Wochen schiebt?
Dann soll er es nicht tun. Der Richter unterliegt keiner Arbeitszeit und nicht dem Arbeitszeitgesetz. Dann muss er entweder die eigene Arbeitsweise hinterfragen oder eine Überlastungsanzeige machen. Wer dafür in Hinblick auf die eigene Karriere nicht den Schneid hat, ist vielleicht sowieso nicht der richtige im Amt.
Wobei es durchaus Dezernate gibt, deren Bestand sich selbst bei großer Entscheidungsfreude, Kompetenz und Geschwindigkeit kaum einigermaßen seriös in unter 60h bearbeiten lässt. Wenn man etwa eine bestimmte Anzahl an Akten mit einer konkreten Anzahl Seiten hat, ist es nicht möglich, alle davon in <60h auch wirklich zu lesen und sinnvoll zu ordnen.

Natürlich kann man seine Arbeitsweise stets den Verhältnissen anpassen, aber irgendwann leidet eben die Arbeitsqualität deutlich. Optimal ist es sicher nicht, wenn sich manche Richter dann bei riesigen Akten faktisch auf die Lektüre von ein paar jüngeren Schriftsätzen beschränken und sich ungeachtet der Komplexität des Sachstandes auf maximal 3 Seiten Urteil festlegen.

Den Hinweis auf die Überlastungsanzeige finde ich etwas wohlfeil. Das ist - gerade in der Probezeit - etwa so, als würde man den GK-Associate auffordern, sich auf das Arbeitszeitgesetz zu berufen.
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jurabilis
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von jurabilis »

Theopa hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 09:30 Es ist zudem schon interessant, wie hier regelmäßige Straftaten der GK Partner verteidigt werden
Scharfe Worte.
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Tibor
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Tibor »

Seeker hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 10:59 Den Hinweis auf die Überlastungsanzeige finde ich etwas wohlfeil. Das ist - gerade in der Probezeit - etwa so, als würde man den GK-Associate auffordern, sich auf das Arbeitszeitgesetz zu berufen.
Und der Unterschied zum Associate ist nun welcher?
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von gola20 »

Den angestellten Rechtsanwalt muss man also mit dem ArbzG schützen, auch gegen seinen Willen, und der Richter macht das halt freiwillig. Klingt nicht so überzeugend.

Weil ich weiß, dass der Einwand kommen wird: In BW gilt die Arbeitszeitverordnung auch für Richter.
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Theopa »

jurabilis hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 11:14
Theopa hat geschrieben: Dienstag 7. September 2021, 09:30 Es ist zudem schon interessant, wie hier regelmäßige Straftaten der GK Partner verteidigt werden
Scharfe Worte.
Nun ja, gem. § 23 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 22 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG liegen solche Straftaten bereits dann vor, wenn Arbeitnehmer beharrlich über die Arbeitszeitgrenzen von 48 Stunden hinaus beschäftigt werden. Auf wie viele GK-Associates (die keine Teilzeitverträge haben) trifft das zu? 80%? Mehr?

Auch vom Vorsatz kann in sehr vielen Fällen zweifellos ausgegangen werden, da die Billables (zu welchen es rglm. Vorgaben gibt die bei einer 5-Tage Woche schon >7 Billables pro Tag bedeuten würden) vom zuständigen Partner überwacht werden und dieser daraus die tatsächlichen Arbeitszeiten - die er als Arbeitgeber ohnehin verpflichtend überwachen muss - ableiten kann. Diese müssen ganz zwangsläufig deutlich höher sein.

Natürlich kann hier der Partner wieder den typischen Einwand "ich bin zu blöd und unaufmerksam um so etwas zu merken" anbringen, wie realitätsnah das ist kann jeder selbst beurteilen.
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von gola20 »

Es gibt in GKs aber keine Arbeitszeiterfassung. Der Schluss von 2000 Billables auf 2000h Arbeitszeit ist doch auch nicht zwingend? Ob der Associate bei seinen Billables betrügt, weiß die Kanzlei nicht.
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Theopa »

Ob es nun wirklich eine ideale Verteidigungsstrategie wäre darauf hinzuweisen, dass man systematischen Betrug der Mitarbeiter als Prämisse annimmt um von zulässigen Arbeitszeiten auszugehen würde ich einmal bezweifeln.

Abgesehen von natürlich im Einzelfall dokumentierten Spezialfällen in welchen man bestimmte Leistungen auf zwei oder mehr Mandate gleichzeitig abrechnen kann dürfte der Schluss von 2000 Billables auf 2000 Stunden Arbeitszeit plus X daher durchaus zwingend sein.
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von gola20 »

2021 sind es mit Samstagen und 30 Tage Urlaub 275 Arbeitstage in BW. 8 Billables pro Arbeitstag machen 2200 insgesamt. Passt also alles.
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Theopa »

Richtig, wenn vertraglich eine 6-Tage-Woche vereinbart ist und diese auch so gelebt wird, der Partner behauptet, dass seine Associates exakt jede einzelne Sekunde in der sie arbeiten billen und er diesen niemals auch nur eine Minute als "nicht abrechenbar" gestrichen hat.
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Tibor
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Re: Zukunft der Arbeitswelt

Beitrag von Tibor »

Warum sollte man Arbeitzeit nicht abrechnen? Das hab ich noch nie gehört!
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