Manches muss einfach gemeldet werden

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Tibor
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tibor »

Zwei juristische Examen und eine Robe bedeuten nicht, dass man von regelmäßiger Selbstreflexion absehen sollte.
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Theopa
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Theopa »

thh hat geschrieben: Donnerstag 25. November 2021, 20:55 Nein, die Prämisse ist, dass man das, was alle anderen schaffen, auch selbst zumindest teilweise schaffen kann.

Wäre das nicht so, wäre das ausgesprochen überraschend.

Natürlich kann es sein, dass alle anderen schlicht Schlamper sind und nur man selbst wenigstens einigermaßen ordentlich arbeitet. Wahrscheinlich ist das hingegen nicht. Insbesondere nicht, wenn nichts für eine durchgehend schlechte Arbeit aller anderen spricht.
Das war auch Teil der Frage: Geht es nun um "alle" Richter (z.B. sämtliche RiLG im Bundesland X), nur ähnliche Richter (z.B. alle Amtsrichter des Bundeslands mit einem Dezernat aus 1/3 Verkehrsunfälle, 1/3 Miete und 1/3 Buntes) oder nur die Kollegen am AG Ganzweitweg? Den ersten Fall schließe ich mal aus, da das schon aufgrund der sehr unterschiedlichen Zuschnitte der Dezernate keinen Sinn ergibt. Der zweite Fall wäre wenigstens noch irgendwie nachvollziehbar, der Dritte inakzeptabel, da völlig zufallsabhängig.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Theopa »

OJ1988 hat geschrieben: Donnerstag 25. November 2021, 19:54 Welche alternative Vergleichsgruppe schlägst du vor?
Ich schlage ein anderes Modell vor, bei dem der Durchschnitt nur ein Aspekt ist. Dazu müsste man in solchen Einzelfällen aber eben auch einmal in der Sache prüfen:

- ob der Ablauf für einen vollen Einsatz spricht: Sieht man an den Akten, dass er wirklich viel gemacht, also z.B. penibel sämtliche Beweismittel augeschöpft hat, wenn diese auch nicht absolut zwingend notwendig sondern "nur" möglicherweise hilfreich waren?
- ob die Ergebnisse besser sind: Gab es nur sehr wenige Aufhebungen aus tatsächlichen Gründen bzw. wegen Verfahrensfehlern im Vergleich zu den Kollegen, womit die sorgfältige Arbeitsweise belegt ist?
- Werden die Verfahren auch jeweils betrieben und liegen nicht völlig grundlos sechs Monate in der Gegend herum, obwohl man etwas machen könnte?
- Sind die Urteile besonders gut und vorbildlich begründet, ohne sinnlosen Müll zu enthalten?

Die Nachweispflicht sollte dabei nicht beim betroffenen Richter liegen. Ich kenne den Fall Schulte-Kellinghaus nicht gut genug um zu sagen, ob er wirklich am Ende nur bei jeder Akte 8 Stunden zusätzlich denkend am Tisch saß, ohne dass das seine Ergebnisse auch nur irgendwie verändert hätte. Wäre das der Fall, wäre dem Ergebnis zuzustimmen.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Liz »

Der naheliegende Vergleich ist zunächst mal innerhalb des eigenen Gerichts, weil hier die Verhältnisse doch in aller Regel vergleichbar sind und die Verwaltung ihre Pappenheimer durchaus kennt, also einschätzen kann, ob der Vergleichskollege die Verfahren einfach alle mit knapper Begründung in die zweite Instanz befördert, damit die Kollegen dort die Arbeit machen, oder schlichtweg außergewöhnlich fleißig und schnell ist.

Mir scheint die Forderung „nicht dauerhaft weniger als die Hälfte der Kammerkollegen bzw der am gleichen Gericht beschäftigten Richter“ jedenfalls einen sehr weiten Spielraum für individuelle Herangehensweisen zu belassen, insbesondere wenn das Dezernat nicht nur aus gleichartigen Verfahren besteht, sondern - wie üblich - einen Mix an Verfahren unterschiedlichen Umfangs und Schwierigkeitsgrads beinhaltet.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Liz »

Theopa hat geschrieben:
OJ1988 hat geschrieben: Donnerstag 25. November 2021, 19:54 Welche alternative Vergleichsgruppe schlägst du vor?
Ich schlage ein anderes Modell vor, bei dem der Durchschnitt nur ein Aspekt ist. Dazu müsste man in solchen Einzelfällen aber eben auch einmal in der Sache prüfen:

- ob der Ablauf für einen vollen Einsatz spricht: Sieht man an den Akten, dass er wirklich viel gemacht, also z.B. penibel sämtliche Beweismittel augeschöpft hat, wenn diese auch nicht absolut zwingend notwendig sondern "nur" möglicherweise hilfreich waren?
- ob die Ergebnisse besser sind: Gab es nur sehr wenige Aufhebungen aus tatsächlichen Gründen bzw. wegen Verfahrensfehlern im Vergleich zu den Kollegen, womit die sorgfältige Arbeitsweise belegt ist?
- Werden die Verfahren auch jeweils betrieben und liegen nicht völlig grundlos sechs Monate in der Gegend herum, obwohl man etwas machen könnte?
- Sind die Urteile besonders gut und vorbildlich begründet, ohne sinnlosen Müll zu enthalten?

Die Nachweispflicht sollte dabei nicht beim betroffenen Richter liegen. Ich kenne den Fall Schulte-Kellinghaus nicht gut genug um zu sagen, ob er wirklich am Ende nur bei jeder Akte 8 Stunden zusätzlich denkend am Tisch saß, ohne dass das seine Ergebnisse auch nur irgendwie verändert hätte. Wäre das der Fall, wäre dem Ergebnis zuzustimmen.

Das sind aber dann schon alles mindestens genauso heikle inhaltliche Kriterien (wenn ich zwei Wochen lang an einem langen Urteil schreibe, kann ich in der Zeit andere Verfahren nur bedingt fördern). Und bei S-K war es mWn durchaus ein Problem, dass Verfahren liegen blieben und er wiederholt entlastet werden musste, bevor die Akten noch mehr Staub ansetzen. Nicht immer ist ein gründliches Urteil auch ein gutes Urteil für die Parteien.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Liz »

Strich hat geschrieben: Donnerstag 25. November 2021, 18:25 Du befürwortest also, dass einem Kollegen aufgrund seiner Rechtsauffassung andere Verfahren zugeteilt werden sollten?
Ich weise schlichtweg auf eine dem Präsidium selbstverständlich zustehende Möglichkeit hin. Es steht nirgends, dass einem Richter, der sich bei der Bearbeitung eines bestimmten Dezernats im Ergebnis zulasten der Rechtssuchenden und der Kollegen über alle Maßen verkünstelt, nicht die Gelegenheit gegeben werden darf, ein anderes Dezernat vielleicht doch etwas zügiger zu bearbeiten.
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Strich
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Strich »

thh hat geschrieben: Donnerstag 25. November 2021, 18:56
Strich hat geschrieben: Donnerstag 25. November 2021, 11:03Ok kann mir das einer noch etwas genauer erklären.
Angenommen ich stehe auf dem Rechtsstandpunkt, in einem Verfahren müsse ein Zeuge vernommen werden. Mein Kollege am AG Hintertupflingen sieht das anders und begnügt sich mit der Verlesung eines Protokolls über die Aussage des Zeugen. Unterstellen wir, alle meine Verfahren hängen von dem einen Zeugen ab, der ein halbes Jahr lang aus irgendwelchen entschuldigenden Gründen als Zeuge ausfällt.
Manche Verfahren erledigen sich zwar, aber ein signifikanter Teil "bleibt liegen".
Es erscheint mir ausgesprochen unwahrscheinlich, dass Du über viele Jahre Verfahren führst, die alle von einem Zeugen abhängen, so dass über viele Jahre sehr viel weniger Verfahren erledigen kannst als alle Deine Kollegen, die am selben Gericht im selben Rechtsgebiet tätig sind.
Doch genau so ist es in OWi-Verfahren, wenn man der Meinung anhängt, es käme auf den jeweiligen Messbeamten an. Es spielt mathematisch auch gar keine Rolle, ob der jetzt mal verhindert ist oder nicht. Allein der Umstand, dass mein Termin mit dem Zeugen 30 Minuten dauert, der mit dem Kollegen nur 10 Min wird zu einem auseinanderdriften der Dezernatszahlen und zu einem Anwachsen meines Dezernats führen, weil Pebb§y dazu führt, dass sein Durchschnitt für die Zuteilung der Eingangsbelastung schon dann maßgeblich ist, wenn seine Ansicht von einem überwiegenden Teil der Richterschaft, die für Pebb§y herangezogen wird, geteilt wird. Ihr redet euch einfach aus dem Problem heraus, weil eure Meinung über "langsame" Kollegen feststeht. Ihr unterliegt schlicht dem Survivorship Bias. Zumindest kommt der Tonfall eurer Argumentation so an. Auch der ganze Rest deines Postes thh liest sich in der Form. Was bringen mir Fortbildungen, wenn ich auch dort gesagt bekomme, dass ich rechtlich meine Fälle so handhaben könne? Was soll mir dann Selbstreflektion der Arbeitsweise bringen? Ich bin ja ganz bei dir, dass die Selbstreflektion, der Fortbildungswille etc von dem Richter selbst kommen müssen. Ihr vermittelt hier aber den Eindruck, dass der Kollege, der das alles macht und engagiert ist und trotzdem (weil es mathematisch einfach nachvollziehbar ist, s.o.) weniger erledigt, dann eben an seine kognitiven Leistungsgrenzen gelangt ist und nicht mehr aus sich herausholen könne. Das möglicherweise in diesem Fall etwas mit dem System nicht stimmen könnte wird nicht in Betracht gezogen. Stattdessen zieht man sich auf das Gefühl zurück, dass ja schon alles stimme, weils bei den Kollegen ja auch passt.

Ich finde es auch einigermaßen vermessen, in hier hypothetisch zu diskutierenden Fällen, bzw. orientiert an dem Fall S-K, sich auf die schlichte Position zurückzuziehen, das müsse halt am Richter liegen, was genau, können und müssen wir nicht sagen. HIER könnte man das aber mal explizieren. Wenn man sich so sicher ist, dass es ja an dem Richter liegt, sollte es doch kein Problem sein?
Tibor hat geschrieben: Donnerstag 25. November 2021, 20:54 ...

In dem Fall, dass du sagst beide Vorgehensweisen sind vertretbar, ist es auch vertretbar, dass das Präsidium (Wahl durch die Richter!) die Zuständigkeiten so anpasst, dass der komplizierte Richter dieser schwierigen Handhabung entbunden wird und zugleich damit andere Richter nicht mehr faktisch seine Fälle miterledigen müssen. Die Lebenszeitstelle an einem Gericht bedeutet nicht, das man lebenslang sich eine Nische aussucht und behält.
...
Uhh jetzt wirds spannend.

In den Dieselfällen gegen Audi hatte man mit einer Klageabweisung viel weniger Arbeit, als wenn man Beweis darüber erhoben hat, welcher Vorstand was wusste. Volkswagen/Audi dürfte deine Ansicht deshalb wirklich gut finden: OLG Entscheidungen vermeiden und an den Landgerichten schön die Leute, die Zusprechen wollen mit ellenlangen Beweisaufnahmen quälen, bis nur noch die Richter geschäftsverteilungsplanmäßig dran sind, die § 826 BGB ohne Rücksicht auf die Kenntnis ablehnen. So verfährt man an den Gerichten aber zurecht nicht.

Ich bin ja sofort dabei, dass die Faulen und Langsamen irgendwie herausgefiltert werden müssen. Ich bestreite auch überhaupt nicht, dass die Erledigungszahl von S-K erklärungsbedürftig ist und es in einem ersten Aufschlag an ihm ist darzulegen, warum das so ist. Andere Kriterien lassen sich aus Sicht der Justizverwaltung ja kaum finden. Wogegen ich mich aber wehement wehre, ist, dass die Erledigungszahl zur unwiderleglichen Vermutung wird, wozu sie das BVerfG faktisch gemacht hat.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tibor »

Strich hat geschrieben: Freitag 26. November 2021, 11:18 [Wogegen ich mich aber wehement wehre, ist, dass die Erledigungszahl zur unwiderleglichen Vermutung wird, wozu sie das BVerfG faktisch gemacht hat.
Es kommt doch immer auf den Betrachtungszeitraum an. Natürlich wird man keine Durchschnittserledigungszahl nur der letzten 3, 6 oder 12 Monate heranziehen können. Ich weiß nicht, wo der Maßstab im Streitfall lag, aber in the long run (3-5 Jahre) wirst du verlässliche Werte haben. Wenn dann wieder über einen ähnlich langen Zeitraum die Erledigung des Einen erheblich vom Durchschnitt abweicht (im Streitfall < 50%), dann ist das schon eine erhebliche Weniger-Leistung, wo man die Erklärungsbedürftigkeit schon von der Verwaltung auf den Richter verlagern kann. Man muss eben auch berücksichtigen, dass entsprechende Minderleister auf dem Rücken einer Unabhängigkeit sich teilweise einen Lenz machen; das ist weder den Kollegen zu erklären, die in einer Bandbreite von +/- 40% des Durchschnitts schaffen, noch dem Steuerzahler, der solche Leute alimentiert.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Strich »

Tibor hat geschrieben: Freitag 26. November 2021, 12:32 ...dann ist das schon eine erhebliche Weniger-Leistung, wo man die Erklärungsbedürftigkeit schon von der Verwaltung auf den Richter verlagern kann.
Ja auf jeden Fall, darüber streite ich auch nicht.
Tibor hat geschrieben: Freitag 26. November 2021, 12:32Man muss eben auch berücksichtigen, dass entsprechende Minderleister auf dem Rücken einer Unabhängigkeit sich teilweise einen Lenz machen; das ist weder den Kollegen zu erklären, die in einer Bandbreite von +/- 40% des Durchschnitts schaffen, noch dem Steuerzahler, der solche Leute alimentiert.
Absolut. Aber:
Die Leute, die sich auf dem Rücken der Unabhängigkeit einen Lenz machen sind nicht der Maßstab, weder nach unten noch nach oben. Gerade im "High Performer" Bereich scheinen mir diese Leute häufiger zu sein als umgekehrt. Derjenige, der um 10 kommt und um 2 geht, ist häufig auch der Richter, dessen Zivilurteile 2 Seiten haben und mit eckigen Klammern in den Schriftsätzen von der Gesch zusammengeschnippselt werden. Mit denen hat irgendwie niemand ein Problem, weil sie ja ihre Fälle schaffen. Das ist auch zu einem großen Teil richtig, weil diese Arbeit nicht auf die Kollegen, sondern auf die Instanz und die Parteien verlagert wird. Deswegen kümmert sich auch die Justizverwaltung nicht um diese Kollegen (muss sie auch nicht). Gut finden muss ich das ganze System deswegen trotzdem nicht.
Es kommt aber auf die Leute an, die ihre Unabhängigkeit wahrnehmen wollen und deswegen mehr Arbeit haben als der Durchschnitt. Bei dem Elan, den die durchschnittliche Justizverwaltung an den Tag legt, hege ich starke Zweifel daran, dass man bei solchen Kollegen angesichts der BVerfG Entscheidung noch genau hinsehen wird.
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Beitrag von Liz »

Strich hat geschrieben:Wogegen ich mich aber wehement wehre, ist, dass die Erledigungszahl zur unwiderleglichen Vermutung wird, wozu sie das BVerfG faktisch gemacht hat.
Hier verlierst Du m. E. bei der Interpretation der Entscheidung des BVerfG die relevanten Besonderheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts aus dem Blick:

Es war unstreitig, dass die Erledigungszahlen seit Jahren deutlich unterdurchschnittlich waren (weniger als 50 %) und die Vergleichskollegen ihre Erledigungen nicht unsachgemäß erreichen (mit anderen Worten: der Vergleichsmaßstab „fair“ war). Gleichzeitig war unstreitig, dass das Problem vor allem in dem besonders gründlichen, langsamen Vorgehen des Kollegen besteht und nicht darin, dass das Dezernat strukturell ungewöhnliche Schwierigkeiten (besonders viele und / oder besonders schwierige Verfahren) aufweist oder der Kollege besonders viele Beweisaufnahmen durchführen muss, weil er eine Rechtsfrage vertretbarerweise anders (arbeitsträchtiger) beantwortet als viele andere Kollegen. Dh im konkreten Fall bleibt wenig mehr als zu sagen: das war schon alles so, dass man dem Kollegen vorhalten durfte, dass er wirklich über alle Maßen langsam arbeitet. Daraus würde ich aber nicht den Schluss ziehen wollen, dass die geringe Erledigungszahl per se eine unwiderlegliche Vermutung darstellt. Die Verwaltung wird lediglich längerfristig deutlich unterdurchschnittliche Erledigungszahlen zum Anlass nehmen dürfen, mal nachzufragen, was der Grund dafür ist. Ob die Verwaltung die Antwort dann als unbefriedigend erachten und zum Anlass für Sanktionen nehmen darf, ist eine andere Frage.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Strich »

Ja da gehe ich mit. Irgendwann muss man entscheiden und wenn man das nicht tut, weil man lieber noch in den 10. Kommentar schauen muss, kann man das m.E. rügen. Ich finde auch, dass du das gut auf den Punkt gebracht hast mit den strukturellen Unterschieden im Vergleich zur Arbeitsweise an sich.

Ich bin zwar nicht so optimistisch wie du, dass die Entscheidung seitens der Justizverwaltung auch so verstanden wird. Aber man wird sie wohl genau so verstehen müssen.

M.E. ist damit der zentrale Punkt der Diskussion abgeräumt. Ich hätte da eigentlich nur noch Nebenkriegsschauplätze, bei denen ich nach wie vor nicht deiner Ansicht bin:

Die Sachgerechtigkeit schafft nicht gleichzeitig einen fairen Maßstab. Wenn ich mein Ergebnis sachgerecht in der doppelten Zeit erreiche wie der Kollege, könnte es auch schlicht so sein, dass der Kollege sich doppelt so viel Zeit lassen kann, weil ich ja auch sachgerecht arbeite.

Auch bleibt weiterhin das Problem, dass das Durchschnittspensum sich gleichwohl an denjenigen orientiert, die auch aufgrund ihrer Rechtsauffassung einfach schneller erledigen können.
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Beitrag von Liz »

@Strich: Die Sachgerechtigkeit schneller(er) Entscheidungen schwebt aber auch nicht im gänzlich luftleeren Raum, sondern dient der Gewährung eines Rechtsschutzes (möglichst richtig, aber auch zeitgerecht) bei gegebener Limitierung der Ressourcen der Justiz. Jetzt mag man auf Pebb§y & Co. schimpfen (das Problem sehe ich durchaus), aber das ändert wenig daran, dass wir nicht aus jeder Entscheidung eine wissenschaftliche Qualifikationsschrift machen können und uns dementsprechend nicht am langsamsten Richter orientieren können.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Sektnase »

Wer sagt, was sachgerecht ist? Etwa der Durchschnitt? Das wäre ja ein Zirkelschluss.
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
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Beitrag von Liz »

Tja, einen besseren Maßstab ohne wesentlich problematischere inhaltliche Kriterien wird man kaum finden.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von gola20 »

Wie sieht es aus bei Krankheit? Zwei gleiche Richter. Einer super gesund und 0 Tage im Jahr krank. Der andere fehlt immer pro Jahr 6 Wochen krankheitsbedingt.
Muss der kränkliche Richter die 15% weniger Arbeitszeit (=15% weniger Erledigungen) nacharbeiten?
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