Manches muss einfach gemeldet werden

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Liz
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Liz »

Die §§ 331, 332 FamFG und die dazugehörige BGH-Rechtsprechung sind an Klarheit kaum zu überbieten. Die Annahme von Gefahr in Verzug iSv § 332 FamFG, weil der Richter keine Zeit oder Lust hat, den Betroffenen vorher anzuhören, scheint bereits grenzwertig. Aber selbst wenn man da eine großzügigere Meinung im eigenen Interesse vertritt, ist § 332 S. 2 FamFG eindeutig: Die unterlassene Anhörung ist „unverzüglich“ nachzuholen. Was „unverzüglich“ heißt, ist Erstsemesterwissen. Der BGH fordert eine Anhörung spätestens am Folgetag und nicht erst beim nächsten geplanten Besuch in der Psychiatrie. Davon ist eine Anhörung nach 20 oder 50 Tagen doch sehr weit entfernt. Man stelle sich vor, die Anhörung hätte tatsächlich mal ergeben, dass der Betroffene entgegen der Einschätzung der beteiligten Ärzte gar nicht unterzubringen war.

Die Aussage gegenüber der Kollegin, sie vertrete eben eine andere Rechtsauffassung, würde ich als Schutzbehauptung werten. Wer würde schon einräumen, dass er ganz genau weiß, dass sich die eigene Praxis jenseits des noch vertretbaren bewegt?
Joshua
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Joshua »

Liz hat geschrieben: Donnerstag 9. März 2023, 21:27 Die §§ 331, 332 FamFG und die dazugehörige BGH-Rechtsprechung sind an Klarheit kaum zu überbieten. Die Annahme von Gefahr in Verzug iSv § 332 FamFG, weil der Richter keine Zeit oder Lust hat, den Betroffenen vorher anzuhören, scheint bereits grenzwertig. Aber selbst wenn man da eine großzügigere Meinung im eigenen Interesse vertritt, ist § 332 S. 2 FamFG eindeutig: Die unterlassene Anhörung ist „unverzüglich“ nachzuholen. Was „unverzüglich“ heißt, ist Erstsemesterwissen. Der BGH fordert eine Anhörung spätestens am Folgetag und nicht erst beim nächsten geplanten Besuch in der Psychiatrie. Davon ist eine Anhörung nach 20 oder 50 Tagen doch sehr weit entfernt. Man stelle sich vor, die Anhörung hätte tatsächlich mal ergeben, dass der Betroffene entgegen der Einschätzung der beteiligten Ärzte gar nicht unterzubringen war.

Die Aussage gegenüber der Kollegin, sie vertrete eben eine andere Rechtsauffassung, würde ich als Schutzbehauptung werten. Wer würde schon einräumen, dass er ganz genau weiß, dass sich die eigene Praxis jenseits des noch vertretbaren bewegt?
ME sollte man allerdings erst mal zurückhaltend in der Bewertung bleiben und im Besonderen zur Kenntnis nehmen, dass sich das LG gegen die Auffassung von Verteidigung UND Staatsanwaltschaft entschieden hat. Da ich unterstelle, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren aufmerksam verfolgt und selbst sauber unter den Rechtsbeugungstatbestand in der Konkretisierung der objektiven und subjektiven Anforderungen durch den BGH subsumiert hat, dürften hier zugleich gewichtige Erkenntnisse vorliegen, die zumindest an § 339 StGB haben zweifeln lassen.

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thh
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von thh »

Joshua hat geschrieben: Sonntag 12. März 2023, 17:41ME sollte man allerdings erst mal zurückhaltend in der Bewertung bleiben und im Besonderen zur Kenntnis nehmen, dass sich das LG gegen die Auffassung von Verteidigung UND Staatsanwaltschaft entschieden hat.
Jein - gegen den Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft.
Joshua hat geschrieben: Sonntag 12. März 2023, 17:41Da ich unterstelle, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren aufmerksam verfolgt und selbst sauber unter den Rechtsbeugungstatbestand in der Konkretisierung der objektiven und subjektiven Anforderungen durch den BGH subsumiert hat, dürften hier zugleich gewichtige Erkenntnisse vorliegen, die zumindest an § 339 StGB haben zweifeln lassen.
Man darf davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft bei der Abfassung der Anklageschrift entsprechend aufwendig und sorgfältig vorgegangen ist, nachdem es sich offenkundig um einen Berichtsfall handeln wird, so dass die Abschlussverfügung üblicherweise vorab gebilligt werden muss (sie also von 3-6 Dienstvorgesetzen gesehen wird).

Alles andere kann man von außen schlecht beurteilen; das fängt schon mit der Frage an, ob der Sachbearbeiter/Anklageverfasser auch die Sitzungsvertretung wahrgenommen hat. Letztlich ist das Kaffeesatzleserei.
Joshua
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Joshua »

In solchen Fällen ist der Anklageverfasser idR der Sitzungsvertreter. Zumindest bespricht der Sitzungsvertreter seinen Antrag aber im Haus, um sich Rückendeckung zu holen...

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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Liz »

Joshua hat geschrieben:
Liz hat geschrieben: Donnerstag 9. März 2023, 21:27 Die §§ 331, 332 FamFG und die dazugehörige BGH-Rechtsprechung sind an Klarheit kaum zu überbieten. Die Annahme von Gefahr in Verzug iSv § 332 FamFG, weil der Richter keine Zeit oder Lust hat, den Betroffenen vorher anzuhören, scheint bereits grenzwertig. Aber selbst wenn man da eine großzügigere Meinung im eigenen Interesse vertritt, ist § 332 S. 2 FamFG ?eindeutig: Die unterlassene Anhörung ist „unverzüglich“ nachzuholen. Was „unverzüglich“ heißt, ist Erstsemesterwissen. Der BGH fordert eine Anhörung spätestens am Folgetag und nicht erst beim nächsten geplanten Besuch in der Psychiatrie. Davon ist eine Anhörung nach 20 oder 50 Tagen doch sehr weit entfernt. Man stelle sich vor, die Anhörung hätte tatsächlich mal ergeben, dass der Betroffene entgegen der Einschätzung der beteiligten Ärzte gar nicht unterzubringen war.

Die Aussage gegenüber der Kollegin, sie vertrete eben eine andere Rechtsauffassung, würde ich als Schutzbehauptung werten. Wer würde schon einräumen, dass er ganz genau weiß, dass sich die eigene Praxis jenseits des noch vertretbaren bewegt?
ME sollte man allerdings erst mal zurückhaltend in der Bewertung bleiben und im Besonderen zur Kenntnis nehmen, dass sich das LG gegen die Auffassung von Verteidigung UND Staatsanwaltschaft entschieden hat. Da ich unterstelle, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren aufmerksam verfolgt und selbst sauber unter den Rechtsbeugungstatbestand in der Konkretisierung der objektiven und subjektiven Anforderungen durch den BGH subsumiert hat, dürften hier zugleich gewichtige Erkenntnisse vorliegen, die zumindest an § 339 StGB haben zweifeln lassen.
Und was ist jetzt Dein Argument in der Sache? Dass die mit dem Fall befasste StA was anderes beantragt hat (warum auch immer), ändert doch nichts an der von mir wiedergegebenen BGH-Rechtsprechung und der Würdigung des diskutierten Falls anhand des bekannten Sachverhalts. Und immerhin hat sich die Große Strafkammer, die sicherlich auch sehr sorgfältig gearbeitet hat, dagegen entschieden, der rechtlichen Würdigung der StA zu folgen.
Joshua
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Joshua »

Mein Argument ist doch ganz einfach: Ohne Kenntnis der Einzelheiten/Akten sollte man sich als Jurist, der geschult ist gerade im Umgang mit Sachverhaltsdetails, mit eindeutigen (verurteilenden) Stellungnahmen zurückhalten.

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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von thh »

Joshua hat geschrieben: Sonntag 12. März 2023, 21:57In solchen Fällen ist der Anklageverfasser idR der Sitzungsvertreter.
Kann sein, muss aber nicht sein.
Joshua hat geschrieben: Sonntag 12. März 2023, 21:57Zumindest bespricht der Sitzungsvertreter seinen Antrag aber im Haus, um sich Rückendeckung zu holen...
Kann sein, muss aber nicht sein.
Joshua
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Joshua »

Dann war ich wohl anderthalb Jahre in einer ganz komischen Ausnahmestaatsanwaltschaft tätig...

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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Liz »

Joshua hat geschrieben:Mein Argument ist doch ganz einfach: Ohne Kenntnis der Einzelheiten/Akten sollte man sich als Jurist, der geschult ist gerade im Umgang mit Sachverhaltsdetails, mit eindeutigen (verurteilenden) Stellungnahmen zurückhalten.
Wenn Du in der Sache keine Argumente hast, dann spare Dir bitte solche Kommentare. Es versteht sich unter Jurist*innen von selbst, dass Diskussionen hier grds nur auf Grundlage der öffentlich zugänglichen Informationen erfolgen (können). Und auf dieser Grundlage ist meine rechtliche Einschätzung zu der Frage, ob es ernsthaft zwei Meinungen zum Erfordernis einer Anhörung in Unterbringungssachen geben kann, leider sehr eindeutig - echte Gegenargumente habe ich hier noch nicht gelesen, auch nicht von Dir. Du spekulierst dagegen völlig freischwebend, es könne vielleicht doch nicht so eindeutig gewesen sein, weil die StA keine Verurteilung wegen Rechtsbeugung beantragt habe. Vielleicht hatte der Sitzungsvertreter auch einfach einen schlechten Tag? Wer weiß das schon. Das bringt doch diese Diskussion keinen Millimeter weiter.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von thh »

Joshua hat geschrieben: Montag 13. März 2023, 21:47Dann war ich wohl anderthalb Jahre in einer ganz komischen Ausnahmestaatsanwaltschaft tätig...
Auch in der Ausnahmestaatsanwaltschaft werden Dezernenten versetzt werden, in Elternzeit gehen, erkranken, Urlaub nehmen oder konkurrierende (Sitzungs-)Termine wahrzunehmen haben, die eine Sitzungsvertretung durch den Sachbearbeiter ausschließen.

Und auch in Ausnahmestaatsanwaltschaften wird es Dezernenten geben, die ihre - aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu treffende - Entscheidung über den Inhalt ihres Schlussvortrags und Antrags auch in Verfahren besonderer Bedeutung nur mit sich oder wenigen Kollegen abmachen.

Ich räume aber gerne ein, dass man während anderthalb Jahren mehr Regel- als Ausnahmefälle erlebt.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tibor »

thh hat geschrieben: Ich räume aber gerne ein, dass man während anderthalb Jahren mehr Regel- als Ausnahmefälle erlebt.
Aber in 15 Jahren dürfte man schon mehr Ausnahmefälle sehen, oder?
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Tibor
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tibor »

Liz hat geschrieben:
Joshua hat geschrieben:Mein Argument ist doch ganz einfach: Ohne Kenntnis der Einzelheiten/Akten sollte man sich als Jurist, der geschult ist gerade im Umgang mit Sachverhaltsdetails, mit eindeutigen (verurteilenden) Stellungnahmen zurückhalten.
Wenn Du in der Sache keine Argumente hast, dann spare Dir bitte solche Kommentare. Es versteht sich unter Jurist*innen von selbst, dass Diskussionen hier grds nur auf Grundlage der öffentlich zugänglichen Informationen erfolgen (können). Und auf dieser Grundlage ist meine rechtliche Einschätzung zu der Frage, ob es ernsthaft zwei Meinungen zum Erfordernis einer Anhörung in Unterbringungssachen geben kann, leider sehr eindeutig - echte Gegenargumente habe ich hier noch nicht gelesen, auch nicht von Dir. Du spekulierst dagegen völlig freischwebend, es könne vielleicht doch nicht so eindeutig gewesen sein, weil die StA keine Verurteilung wegen Rechtsbeugung beantragt habe. Vielleicht hatte der Sitzungsvertreter auch einfach einen schlechten Tag? Wer weiß das schon. Das bringt doch diese Diskussion keinen Millimeter weiter.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Strich »

thh hat geschrieben: Donnerstag 9. März 2023, 21:07 ...

Bei der Unvertretbarkeit - und bei der Frage, ob man der Angeklagten abnimmt, dass sie tatsächlich eine solch ungewöhnliche Rechtsauffassung hatte, die ihr zufällig viel Arbeit ersparte....
Du ersetzt ein Wort durch ein anderes. Was ist denn unvertretbar?

Woher weiß ich, dass ich NOCH eine Mindermeinung vertrete und GERADE NOCH nichts Unvertretbares mache.

Was mach ich denn jetzt mit meinen Vollstreckungshaftbefehlen? Die Akten sollte ich lieber nicht mehr anfassen. Ich setze mich ja permanent dem Risiko aus, dass irgendjemand kommt und sagt: Naja hier hättest du aber auch noch Voraussetzung x prüfen müssen, was du in 1000 Fällen nicht gemacht hast.
thh hat geschrieben: Donnerstag 9. März 2023, 21:07 ...
Nein, hier war es so, dass sie Richterin - subjektiv oder objektiv - überlastet war und dann ganz zufällig zu der Rechtsauffassung kam, dass eine Anhörung gar nicht oder erst nach Wochen und Monaten erforderlich sei.
...
Ich habe die Urteilsgründe noch nicht, deswegen weiß ich nicht wie der Fall liegt. Dass er so liegt wie du behauptest, scheint mir eher unwahrscheinlich zu sein. Die geltend gemachte Arbeitsüberlastung wird sie für die Strafzumessung ins Felde geführt haben. Kein vernünftiger Verteidiger bringt doch vor, dass man berechtigterweise wegen der Arbeitsüberlastung von der Anhörung abgesehen habe. Das ist ja allgM.
Um in meinem Beispiel zu bleiben: Würde mir irgendjemand mitteilen, dass ich bei den Vollstreckungshaftbefehlen auch nen Anhörungstermin durchführen müsste, würde ich auch sagen, dass das gemessen an der Zahl der Akten sofort zur Überlastung führt ...
thh hat geschrieben: Donnerstag 9. März 2023, 21:07 ...
Aus dem Gesetz ergibt sich jedenfalls nichts dafür, wie man auf den Gedanken kommen könnte, dass die Anhörung nicht erfolgen müsse oder viele Wochen aufgeschoben werden könnte.
Naja das stimmt halt auch nicht. Sowhol § 332 FamFG als auch § 34 FamFG gestatten das Absehen prinzipiell.
Liz hat geschrieben: Donnerstag 9. März 2023, 21:27 Die §§ 331, 332 FamFG und die dazugehörige BGH-Rechtsprechung sind an Klarheit kaum zu überbieten. Die Annahme von Gefahr in Verzug iSv § 332 FamFG, weil der Richter keine Zeit oder Lust hat, den Betroffenen vorher anzuhören, scheint bereits grenzwertig. Aber selbst wenn man da eine großzügigere Meinung im eigenen Interesse vertritt, ist § 332 S. 2 FamFG eindeutig: Die unterlassene Anhörung ist „unverzüglich“ nachzuholen. Was „unverzüglich“ heißt, ist Erstsemesterwissen. Der BGH fordert eine Anhörung spätestens am Folgetag und nicht erst beim nächsten geplanten Besuch in der Psychiatrie. Davon ist eine Anhörung nach 20 oder 50 Tagen doch sehr weit entfernt. Man stelle sich vor, die Anhörung hätte tatsächlich mal ergeben, dass der Betroffene entgegen der Einschätzung der beteiligten Ärzte gar nicht unterzubringen war.

Die Aussage gegenüber der Kollegin, sie vertrete eben eine andere Rechtsauffassung, würde ich als Schutzbehauptung werten. Wer würde schon einräumen, dass er ganz genau weiß, dass sich die eigene Praxis jenseits des noch vertretbaren bewegt?
m.E. genügt ein Blick in die maßgebliche BVerfG-Entscheidung (BVerfG, Urteil vom 24.7.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16). Ich frage mich nur, was das in der Sache helfen soll? Willst du sagen, dass jede Abweichung von der obergerichtlichen Rechtsprechung Rechtsbeugung begründet oder zumindest indiziert?

oder anders: Deine Argumentation rennt halt offene Türen ein. Schätze ich das Verhalten der Angeklagten als falsch ein? Ja. Ist es unvertretbar? Keine Ahnung, ich weiß ja nicht was das vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes bedeuten soll! Bisher ging ich davon aus, dass man dem Angeklagten Rechtskenntnis nachweisen müsse: Er weiß positiv, dass es anders richtig ist und handelt tortzdem gegen seine Rechtskenntnis.

Das Problem deutet sich doch schon bei dir und Joshua an und ist im System angelegt. Bei der Rechtsbeugung wird es dann halt mal virulent:
Wer bestimmt denn was "Recht" ist. Hierfür haben wir Gerichte bzw. den Richter installiert. Dessen Rechtserkenntnis entscheidet den Fall. Wieso ist jetzt konkret die Rechtserkenntnis eines Landgerichts schlechter als die eines Oberlandesgerichts. Warum ist die Rechtserkenntnis des Landgerichts besser als die des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft oder - Gott bewahre - des Verteidigers? Die letzte Frage kann man zumindest institutionell beantworten aber m.E. kaum in der Sache. Deswegen habe ich auch ein so großes Problem mit der Grenzziehung der Rechtsbeugung. Die darf halt nicht zur Bestrafung von Fehlurteilen führen.

Wäre es deiner Ansicht nach (auch wenn es nicht strafbar ist) "fahrlässige Rechtsbeugung", wenn ich mir über bestimmte Rechtsnormen keine Gedanken mache? Weißt du wie lange Richter bspw. noch Unabwendbarkeit nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. in ihren Urteilen geprüft haben, owbohl die Neuregelung schon lange nur noch höhere Gewalt vorsah? War das auch (fahrlässige) Rechtsbeugung, weil sie nicht ins Gesetz geschaut haben? Deine Orientierung an der obergerichtlichen Rechtsprechung dürfte - wenn sich die StA diese Auffassung zu eigen macht - das PErsonalproblem der Justiz dramatisch vergrößern.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Joshua »

Liz hat geschrieben: Dienstag 14. März 2023, 00:05

Wenn Du in der Sache keine Argumente hast, dann spare Dir bitte solche Kommentare.
Erwischt beim genuin unjuristischen Schnellschuss aus der Hüfte, daher der Tonfall...
Zuletzt geändert von Joshua am Dienstag 14. März 2023, 14:19, insgesamt 2-mal geändert.

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Joshua »

Strich hat geschrieben: Dienstag 14. März 2023, 12:44 Deswegen habe ich auch ein so großes Problem mit der Grenzziehung der Rechtsbeugung. Die darf halt nicht zur Bestrafung von Fehlurteilen führen.
Das stimmt!

Meinue Meinung:

Der BGH hält zwar noch an der Schweretheorie fest, weicht diese aber de facto immer mehr auf. Die herrschende Lit. plädiert ohnehin (nach meinem Eindruck leider nicht selten in Unkenntnis praktischer Gegegebenheiten) für einen Abschied von der Schweretheorie:
In mittlerweile ständiger Rspr. vollzieht der BGH jedoch eine einengende Auslegung des Rechtsbeugungstatbestandes dahingehend, dass nicht bereits jede unrichtige Rechtsanwendung, die zu einer nicht mehr vertretbaren Entscheidung führt, den objektiven Tatbestand des § 339 erfüllt. Der erforderliche Rechtsbruch müsse vielmehr die Qualität eines elementaren Verstoßes gegen die Rechtspflege darstellen, bei der sich der Amtsträger bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt (BGH NJW 2014, 1192 (1193); NStZ 1987, 23 =St 34, 146 (149); BGH NStZ 1995, 31 (33) =St 40, 272 (283); BGH NStZ-RR 2001, 243 (244); zul. BGH BeckRS 2009, 20602 = NStZ 2010, 92; BGH BeckRS 2010, 18536 = NJW 2010, 3045; BGH NStZ 2010, 310; bestätigend zur Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit BVerfG BeckRS 2016, 49960; BVerfG BeckRS 2020, 202; ebenso OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 112 (113); OLG Naumburg NJW 2008, 3585; OLG Hamm BeckRS 2016, 18651; Böttcher NStZ 2002, 146 f.; NK-StGB/Kuhlen Rn. 56; MüKoStGB/Uebele Rn. 40 f.; Schönke/Schröder/Heine/Hecker Rn. 10; nach Fischer Rn. 15 „Schweretheorie“). Dies hat zur Konsequenz, dass die Verletzung geltender Normen nur dann den objektiven Tatbestand des § 339 erfüllt, wenn das Verhalten des Täters sich zugleich als Angriff gegen grundlegende Prinzipien des Rechts oder gegen die Rechtsordnung als Ganze bewerten lässt. Der Tatbestand ist dagegen nicht erfüllt, wenn der Täter zwar vorsätzlich gegen als zwingend erkannte Vorschriften verstößt, sich aber von einem Bestreben nach formeller oder materieller Sachgerechtigkeit leiten lässt und seine Ziele nicht ihrerseits als willkürlich und als Missachtung des Rechts gelten können (Herdegen NStZ 1999, 456 (457 f.) unter Verweis auf BGH NJW 1999, 1122; Lehmann NStZ 2006, 127 (129)). Insoweit dominieren in der Rspr. des BGH va gravierende Verstöße gegen das Verfahrensrecht den Tatbestand, → Rn. 14. Die Lit. will dagegen überwiegend darauf abstellen, dass die Grenze des § 339 bei einem eindeutigen Rechtsverstoß überschritten ist, nämlich dann, wenn sich die Entscheidung nicht mehr iRd „noch Vertretbaren“ hält, sondern sich als unvertretbar und objektiv willkürlich erweist (Seebode JR 1994, 1 (3); Spendel JR 1994, 221 (223); Herdegen NStZ 1999, 456 (457 f.); Wohlers/Gaede GA 2002, 483 (486 ff.); Giehring FS Wolter, 2013, 699 (725); Fischer Rn. 33; SK-StGB/Rudolphi/Deiters Rn. 45; Spendel, Rechtsbeugung durch Rspr.: sechs strafrechtliche Studien, 1984, 77).
(BeckOK StGB/Bange, 56. Ed. 1.2.2023, StGB § 339 Rn. 12)
In casu:

Hält man an der Schweretheorie fest, kann es mE nicht allein darauf ankommen, ob die Anhörung (ggf. auch in Kenntnis des obj. Rechtsverstoßes) unterlassen bzw. mit zeitlicher Verzögerung durchgeführt wurde. Es müsste gefragt werden, ob die jeweilige Entscheidung im EINZELFALL unter Berücksichtigung aller Umstände (sic!) die "Qualität eines elementaren Verstoßes gegen die Rechtspflege" darstellt, "bei der sich der Amtsträger in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt".

Dazu müsste man mE auch eruieren, wie sich das Unterbringungsbedürfnis nach Aktenlage darstellte. Ich muss dazu sagen, dass ich in meiner Zeit als Betreuungsrichter sehr streng war und IMMER vorher bzw. bei Anordnung vorab binnen weniger Stunden angehört habe. Fakt ist aber auch, dass es vielleicht einen aus Hundert Fällen gab, in denen ich eine einstweilige Unterbringung einer eindeutigen ärztlichen Stellungnahme und dem behördlichen Antrag bzw. dem des Betreuers zuwider abgelehnt habe. Wenn ich z.B. in der Akte unmissverständliche Fakten für eine Fremdgefährdung bei langzeitig gesicherter Krankheitsdiganose oder etwa der Eigengefährdung eines mir bereits bestens als suizidal bekannten Probanden hatte, ich dann noch vorab mit Behördenvertreter bzw. Betreuer über die aktuelle Entwicklung telofoniert hatte, war die Sache durch, die Anhörung reine Formalie, die NICHTS neues zu Tage fördern konnte. Daher interessiert mich schon, was das im einzelnen für Fälle waren und wie sich Krankheit und Gefährdung nach Aktenlage darstellten.

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