Rüthers vs. Canaris

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Swann
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Rüthers vs. Canaris

Beitrag von Swann »

Hat irgendjemand die Debatte zwischen Rüthers und Canaris in der Juristenzeitung verfolgt? Rüthers hat in der JZ den Bericht Canaris' über Larenz im Rahmen des Sammelbandes "Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jhdt. in den Berichten ihrer Schüler" verrissen; in der aktuellen Ausgabe schlägt Canaris dann zurück.

Ich finde das nicht ganz fair, denn Canaris' kommt - natürlich - von einer larenzfreundlichen Grundhaltung, aber wenn man beispielsweise den Blick darauf richtet, mit welcher Unverfrorenheit Adomeit Nipperdey im Nebensatz freispricht, dann gewinnt Canaris' Auseinandersetzung mit seinem Lehrer doch an Größe.
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daimos
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von daimos »

Ist es denn so erstaunlich, wenn ein Schüler seinen Lehrer verteidigt? Insofern ist Canaris' Reaktion nachvollziehbar. Wer aber, wie Larenz, in den braunen Jahren mit einer vermutlich enthusiastischen Selbstverständlichkeit solche Sätze abgelassen hat wie:
  • „Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht.“
und deshalb konsequenterweise § 1 BGB wie folgt ändern wollte:
  • "Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist."
so jemanden, den kann man gar nicht mehr verteidigen. Auch ein Canaris kann das nicht. Da hilft's auch nicht, dass Larenz später wieder den frommen Menschenrechtsfreund mimte und sich auf die Methodik konzentrierte.

Rüthers wird die Auseinandersetzung aber wohl nicht scheuen, schließlich hat er mit seinem Buch "Entartetes Recht" gezeigt, dass er sich mit führenden Nazi-Juristen intensiv auseinander gesetzt hat.
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von Scaevola »

Swann hat geschrieben:Hat irgendjemand die Debatte zwischen Rüthers und Canaris in der Juristenzeitung verfolgt?
Noch nicht, aber danke für den Hinweis.

Und frei nach meinem ehemaligen Landesvater möchte ich rufen:
"Karl Larenz war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes."
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daimos
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von daimos »

Scaevola hat geschrieben:frei nach meinem ehemaligen Landesvater
Etwa NS-Marine-Richter Filbinger? ::roll:
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raskolnikov
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von raskolnikov »

daimos hat geschrieben:Etwa NS-Marine-Richter Filbinger? ::roll:
Gemeint ist Oettinger, der so über Filbinger auf dessen Trauerfeier sprach und deshalb beinahe zurücktreten musste.
"Wenn Gott mich ruft, rufe ich zurück."
Swann
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von Swann »

daimos hat geschrieben:Ist es denn so erstaunlich, wenn ein Schüler seinen Lehrer verteidigt? Insofern ist Canaris' Reaktion nachvollziehbar. Wer aber, wie Larenz, in den braunen Jahren mit einer vermutlich enthusiastischen Selbstverständlichkeit solche Sätze abgelassen hat wie:
  • „Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht.“
und deshalb konsequenterweise § 1 BGB wie folgt ändern wollte:
  • "Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist."
so jemanden, den kann man gar nicht mehr verteidigen. Auch ein Canaris kann das nicht. Da hilft's auch nicht, dass Larenz später wieder den frommen Menschenrechtsfreund mimte und sich auf die Methodik konzentrierte.

Rüthers wird die Auseinandersetzung aber wohl nicht scheuen, schließlich hat er mit seinem Buch "Entartetes Recht" gezeigt, dass er sich mit führenden Nazi-Juristen intensiv auseinander gesetzt hat.
Das geht, finde ich, zu weit. Man muss Larenz' Verhalten während des Nationalsozialismus bei der Würdigung seiner Person und seines Werkes in Rechnung stellen, aber ihn auf ewig zur Unperson zu machen, weil er Nazi-Jurist war, schießt m. E. über das Ziel hinaus.
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showbee
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von showbee »

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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von Scaevola »

Was versteht Ihr unter Unperson? Seine Werke können ja weiterhin gelesen werden. Dass er ein brillanter Rechtswissenschaftler gewesen sein mag, ergibt übrigens bei mir für die Würdigung seiner Person keinerlei Pluspunkte. Ich habe allerdings noch einen zusätzlichen Anklagepunkt: Er und seine ganze NS-Juristen-Kohorte haben jahrzehntelang eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit der Rechtswissenschaft (und -praxis) verweigert und verhindert. (Was natürlich in vielen anderen Disziplinen ebenso der Fall war.) Das ist ja ein Verhalten, das in die gleiche Zeit fällt wie das Wirken, für das er heute von manchen noch so gefeiert wird. Ob er auch jahrzehntelang der einflußreiche und auflagenstarke Großordinarius hätte bleiben können, wenn die von daimon zitierten Sätze beizeiten kritisch rezipiert worden wären?
Survivor
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von Survivor »

Interessantes Thema, danke für den Hinweis auf die Debatte, Swann!

Larenz wollte, wie alle Mitglieder der Kieler Schule, im NS-Staat schnell Karriere machen. Das entlastet ihn natürlich nicht, erklärt aber immerhin die Verve, mit der er damals das System rechtswissenschaftlich zu fundieren versuchte. War Larenz also bloßer Karrierist und Opportunist ohne wirklich hinter der NS-Ideologie zu stehen oder war er doch eingefleischter Nationalsozialist? Eine Antwort darauf dürfte selbst Canaris schwer fallen. Seine Perspektive ist auch eine andere. Er verdankt seinem akademischen Lehrer vieles. Durch jahrzehntelange gemeinsame Arbeit ist das Verhältnis vielleicht noch enger, fast vergleichbar dem Verhältnis Vater-Sohn. Der Sohn wird seinen Vater jedoch zunächst und immer gegen andere verteidigen, mag auch der Vater im Unrecht sein. Daher ist die Position Rüthers´und die der Larenz-Kritiker wohl die einfachere.
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-Duke Kahanamoku-
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von recht_selten »

Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit prominenter Juristen wurde bisher ja eher unter- als übertrieben. Freilich mag Canaris eine besondere Perspektive haben, es zwingt ihn aber ja niemand dazu sich gegen seinen Lehrer zu stellen, nur verändert es ja nicht die Fakten, und diese müssen berichtet und offen diskutiert werden. Die andere Seite ist natürlich die einfachere, aber deshalb ist die Gegenseite nicht die richtige. Wenn die Söhne ihre Väter immer kritiklos verteidigen müssten, hätte die NS-Zeit nach dieser Logik ja gar nicht aufgearbeitet werden dürfen. (Überspitzt, ich weiß, du hast es so nicht gemeint). Es ist natürlich immer einfach siebzig Jahre danach mit dem Finger auf alle zu zeigen und so zu tun als hätte man automatisch alles besser gemacht, allerdings ist die Ausrede, es seien alle nur Opportunisten und keiner Überzeugungstäter gewesen, auch etwas einfach. Und wenn man sich derart exponiert (jetzt nicht speziell auf Larenz bezogen) und eifrig an die rechtliche Fundierung eines Unrechtsregimes macht, dann wäre vielleicht im Nachkriegsdeutschland eine etwas größere Zurückhaltung geboten gewesen. Aber naja, die schöne Karriere musste ja weitergehen, sonst wäre ja alles umsonst gewesen...
Zuletzt geändert von recht_selten am Dienstag 20. September 2011, 16:19, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von jurabilis »

daimos hat geschrieben:Ist es denn so erstaunlich, wenn ein Schüler seinen Lehrer verteidigt? Insofern ist Canaris' Reaktion nachvollziehbar. Wer aber, wie Larenz, in den braunen Jahren mit einer vermutlich enthusiastischen Selbstverständlichkeit solche Sätze abgelassen hat wie:
  • „Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht.“
und deshalb konsequenterweise § 1 BGB wie folgt ändern wollte:
  • "Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist."
so jemanden, den kann man gar nicht mehr verteidigen. Auch ein Canaris kann das nicht.
Hast Du Canaris' "Bericht" gelesen?
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Swann
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von Swann »

Ich weiß jetzt nicht, wer hier Canaris' Beitrag im Sammelband gelesen hat, aber m. E. kann man ihm nicht - wie Rüther es tut - vorwerfen, er berichte nicht offen über die Fakten. Seine Bewertung muss man nicht teilen, aber unter den Teppich kehrt er dort nichts. Das tun eher andere.
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von immer locker bleiben »

Swann hat geschrieben:Das geht, finde ich, zu weit. Man muss Larenz' Verhalten während des Nationalsozialismus bei der Würdigung seiner Person und seines Werkes in Rechnung stellen, aber ihn auf ewig zur Unperson zu machen, weil er Nazi-Jurist war, schießt m. E. über das Ziel hinaus.
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daimos
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von daimos »

Swann hat geschrieben:Das geht, finde ich, zu weit. Man muss Larenz' Verhalten während des Nationalsozialismus bei der Würdigung seiner Person und seines Werkes in Rechnung stellen, aber ihn auf ewig zur Unperson zu machen, weil er Nazi-Jurist war, schießt m. E. über das Ziel hinaus.
Meinst du ein Mann von über 30 Jahren, ein Akademiker, ein junger Professor, ein Jurist sogar, meinst du, Larenz wusste nicht, was er da schrieb? Integrität ist was anderes. Und 12 Jahre später will er es plötzlich nicht so gemeint haben und alle Menschen sind wieder Brüder, so nach dem Motto? Wer's glaubt, wird selig. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum Schreibtischtäter irgendwie zu privilegieren wären.
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Swann
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Re: Rüthers vs. Canaris

Beitrag von Swann »

daimos hat geschrieben:
Swann hat geschrieben:Das geht, finde ich, zu weit. Man muss Larenz' Verhalten während des Nationalsozialismus bei der Würdigung seiner Person und seines Werkes in Rechnung stellen, aber ihn auf ewig zur Unperson zu machen, weil er Nazi-Jurist war, schießt m. E. über das Ziel hinaus.
Meinst du ein Mann von über 30 Jahren, ein Akademiker, ein junger Professor, ein Jurist sogar, meinst du, Larenz wusste nicht, was er da schrieb? Integrität ist was anderes. Und 12 Jahre später will er es plötzlich nicht so gemeint haben und alle Menschen sind wieder Brüder, so nach dem Motto? Wer's glaubt, wird selig. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum Schreibtischtäter irgendwie zu privilegieren wären.
Natürlich wusste er, was er schrieb. Und es ist m. E. eine sehr spannende Frage, was so unterschiedliche Typen wie Larenz, Nipperdey und sogar Wieacker dazu getrieben hat, ins Blut-und-Boden-Horn zu stoßen. Das würde uns vielleicht auch viel über heutige juristische Diskurse erzählen.

Man kann und sollte Larenz auch im Kontext seiner NS-Vergangenheit sehen und lesen; nur finde ich die vorgeschlagene damnatio memoriae so verfehlt wie die Bezeichnung "Schreibtischtäter" - Larenz hat m. W. keine strafrechtliche Schuld auf sich geladen, ihn als "Schreibtischtäter" zu bezeichnen, verwischt die Unterschiede zwischen Nazis und Mördern.
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