Rüthers vs. Canaris
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Re: Rüthers vs. Canaris
Ich habe das von Canaris verfasste Portrait gelesen, ebenso die Kritik von Rüthers. Der Debatte lag eine schon seit langem andauernde literarische Kontroverse zu Grunde. Rüthers hat jahrelang Canaris und Larenz vorgeworfen, sie betrieben in ihren Methodenlehrbüchern "Diskursverweigerung" betreffend die Methodik im Nationalsozialismus. Der weitere Hintergrund ist wohl auch in Rüthers' Habilitation zu erkennen.
Die Vorwürfe von Rüthers sind ein wenig repetitiv. Larenz' Rolle im Nationalsozialismus war unrühmlich; dies wird von niemandem ernstlich bestritten. In der Tat haben sich aber die Schüler und Anhänger von Larenz jahrelang geweigert, sich mit Rüthers überhaupt auseinanderzusetzen. Symptomatisch ist dies in manchen Beiträgen über Larenz gewesen, die dessen Biographie nachzeichnen wollten, aber die Zeit im Nationalsozialismus einfach völlig verschwiegen haben.
Dass Larenz nicht über seine beschämende Rolle im Nationalsozialismus in seinem Methodenlehrebuch schreiben wollte, ist andererseits menschlich nachvollziehbar.
Die Vorwürfe von Rüthers sind ein wenig repetitiv. Larenz' Rolle im Nationalsozialismus war unrühmlich; dies wird von niemandem ernstlich bestritten. In der Tat haben sich aber die Schüler und Anhänger von Larenz jahrelang geweigert, sich mit Rüthers überhaupt auseinanderzusetzen. Symptomatisch ist dies in manchen Beiträgen über Larenz gewesen, die dessen Biographie nachzeichnen wollten, aber die Zeit im Nationalsozialismus einfach völlig verschwiegen haben.
Dass Larenz nicht über seine beschämende Rolle im Nationalsozialismus in seinem Methodenlehrebuch schreiben wollte, ist andererseits menschlich nachvollziehbar.
- immer locker bleiben
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Re: Rüthers vs. Canaris
Wenn es nicht brutale Überzeugung war, dann war es Karrierismus gepaart mit einer gehörigen Portion Rückgratlosigkeit; Menschenverachtung wäre es noch dazu in beiden Fällen. So oder so keine Qualifikation für eine herausgehobene Stellung im Justizsystem der Bundesrepublik. Keiner der genannten war im NS-System beudeutungslos oder jung und unbedarft genug, um sich hinterher irgendwie herausreden zu können. Keiner aus der "Kieler Schule" war irgendwie gezwungen, intellektueller Vorreiter einer nationalsozialischten Justiz zu sein.Swann hat geschrieben:Natürlich wusste er, was er schrieb. Und es ist m. E. eine sehr spannende Frage, was so unterschiedliche Typen wie Larenz, Nipperdey und sogar Wieacker dazu getrieben hat, ins Blut-und-Boden-Horn zu stoßen.
Es gab auch in der NS-Zeit einfache Amtsrichter, die die Deportation von geistig behinderten Menschen per einstweiliger Verfügung stoppten. SOLCHE Juristen sind Vorbilder. Nicht Larentz. Nicht Nipperdey. Und auch nicht Wieacker. Zumal sich meines Wissen keiner der genannten je ernsthaft öffentlich mit seiner Vergangenheit auseinander gesetzt hat.
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Re: Rüthers vs. Canaris
immer locker bleiben hat geschrieben:Wenn es nicht brutale Überzeugung war, dann war es Karrierismus gepaart mit einer gehörigen Portion Rückgratlosigkeit; Menschenverachtung wäre es noch dazu in beiden Fällen. So oder so keine Qualifikation für eine herausgehobene Stellung im Justizsystem der Bundesrepublik. Keiner der genannten war im NS-System beudeutungslos oder jung und unbedarft genug, um sich hinterher irgendwie herausreden zu können. Keiner aus der "Kieler Schule" war irgendwie gezwungen, intellektueller Vorreiter einer nationalsozialischten Justiz zu sein.Swann hat geschrieben:Natürlich wusste er, was er schrieb. Und es ist m. E. eine sehr spannende Frage, was so unterschiedliche Typen wie Larenz, Nipperdey und sogar Wieacker dazu getrieben hat, ins Blut-und-Boden-Horn zu stoßen.
Es gab auch in der NS-Zeit einfache Amtsrichter, die die Deportation von geistig behinderten Menschen per einstweiliger Verfügung stoppten. SOLCHE Juristen sind Vorbilder. Nicht Larentz. Nicht Nipperdey. Und auch nicht Wieacker. Zumal sich meines Wissen keiner der genannten je ernsthaft öffentlich mit seiner Vergangenheit auseinander gesetzt hat.
Ich finde die Unterscheidung zwischen Überzeugungstäter und Karrierist in dem Zusammenhang genrell nicht überzeugend. Denn auch und gerade die Karrieristen haben den Nationalsozialismus bis zum bitteren Ende getragen. Die Sichtweise, wonach die "echten Nazis" alles verblendete Fanatiker waren, die sich von böswilligen Juden und Bolschewisten umzingelt fühlten und im "Führer" den Erlöser sahen, ist für uns heute sehr bequem, weil sie es uns erleichtert, dazu auf Distanz zu gehen ("wir sind ja ganz anders..." "So etwas könnte heute nicht noch mal passieren"). Die besseren Gründe sprechen m.E. aber dafür, dass es sich bei sehr viele Parteigänger, Funktionäre, SSler, Militärs sowieso, um relativ "normale", ideologisch durchaus flexible Leute handelte, die einfach nur rücksichtslos und opportunistisch genug waren, um die Chancen zu nutzen, die das System ihnen bot (s. dazu z.B. Götz Aly, Hitler Volksstaat, der in persönlicher Vorteilnahme ein zentrales Motiv für die Führertreue vieler Deutschen sieht). Deshalb gelang es auch vielen Nazis ohne größere Brüche, in der BRD Karriere zu machen. Man passt sich eben an. Und gerade die "Kieler Schule" ist ein Musterbeispiel dafür, denn gerade in Kiel gab es vor 1933 viele liberaler und auch jüdischer Professoren, deren Beseitigung aus dem Hochschulbetrieb erst die freien Plätze für Nazis wie Larenz geschaffen hat.
Mildernde Umstände, weil jemand "nur" Karrierist war, sind daher unangebracht.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Vgl. dazu auch den Artikel über Thomas Dehler auf lto.deimmer locker bleiben hat geschrieben:Wenn es nicht brutale Überzeugung war, dann war es Karrierismus gepaart mit einer gehörigen Portion Rückgratlosigkeit; Menschenverachtung wäre es noch dazu in beiden Fällen. So oder so keine Qualifikation für eine herausgehobene Stellung im Justizsystem der Bundesrepublik. Keiner der genannten war im NS-System beudeutungslos oder jung und unbedarft genug, um sich hinterher irgendwie herausreden zu können. Keiner aus der "Kieler Schule" war irgendwie gezwungen, intellektueller Vorreiter einer nationalsozialischten Justiz zu sein.Swann hat geschrieben:Natürlich wusste er, was er schrieb. Und es ist m. E. eine sehr spannende Frage, was so unterschiedliche Typen wie Larenz, Nipperdey und sogar Wieacker dazu getrieben hat, ins Blut-und-Boden-Horn zu stoßen.
Es gab auch in der NS-Zeit einfache Amtsrichter, die die Deportation von geistig behinderten Menschen per einstweiliger Verfügung stoppten. SOLCHE Juristen sind Vorbilder. Nicht Larentz. Nicht Nipperdey. Und auch nicht Wieacker. Zumal sich meines Wissen keiner der genannten je ernsthaft öffentlich mit seiner Vergangenheit auseinander gesetzt hat.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Danke für den Tip.recht_selten hat geschrieben:Vgl. dazu auch den Artikel über Thomas Dehler auf lto.de
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Re: Rüthers vs. Canaris
In diesem Satz steckt m. E. ein zentrales Missverständnis, das auch vielen Beiträgen hier zugrunde liegt. Denn mildernde Umstände ist ja ein Begriff der dem Strafrecht entlehnt ist (wenn auch dem Strafrecht vor der Reform von 1975). Ich finde es aber unangemessen, sich in der öffentlichen Diskurs über längst verstorbene Personen den Duktus der Strafgerichtsbarkeit anzueignen. Wir sitzen nicht über Larenz, Wieacker und Nipperdey zu Gericht.EliElezra hat geschrieben:
Mildernde Umstände, weil jemand "nur" Karrierist war, sind daher unangebracht.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Sehe ich anders. Natürlich sitzen wir nicht über sie zu Gericht. Nur wenn die Personen postum (n.F.?, a.F. jedenfalls posthum) gewürdigt werden, darf man die Jahre 1933-1945 nicht verschweigen (werfe ich Canaris gar nicht vor), sondern muss diese offen diskutieren. Welche Schlussfolgerungen man aus diesen Tatsachen zieht, sei jedem selbst überlassen. Dabei mag es für manche eine Rolle spielen, aus welchen Motiven der Betroffene so gehandelt hat, für manche nicht (unter welcher genauen Begrifflichkeit man das macht, ist m.E. nachrangig. Mildernde Umstände muss ja nicht unbedingt im Rechtssinne gemeint sein, wir sind hier ja im Treffpunkt ). Das ist bei Politikern (Filbinger etc.), Schriftstellern (z.B. Benn, oder vgl. nur die Grass-Debatte vor ein paar Jahren) oder Philosophen (z.B. Heidegger) schon seit Jahren der Fall. Warum sollen die Juristen hier eine Ausnahme machen und ihre Größen auf einen Sockel stellen und über ihre potentiellen Verfehlungen den Mantel des Schweigens hüllen?
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Re: Rüthers vs. Canaris
Weil wir eine ganz besondere Spezies sind, die sich anscheinend wenig daran stört, dass der Standard Handkommentar zum BGB nach einem Juristen benannt ist, der diesen Kommentar gerade herausbrachte, um die Nazi-Ideologie im Recht zu verankern. Darüber kann ich mich seit dem Beginn meines Studiums immer noch gut aufregen.recht_selten hat geschrieben:Warum sollen die Juristen hier eine Ausnahme machen und ihre Größen auf einen Sockel stellen und über ihre potentiellen Verfehlungen den Mantel des Schweigens hüllen?
EDIT: Bevor jetzt jemand ganz klug wird: ja, Otto Palandt war nie Herausgeber im eigentlichen Sinne.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Ich sehe da keinen Widerspruch zu meinem Posting. Man sollte nur m. E. weniger moralisieren und verdammen und mehr versuchen darzustellen und zu verstehen.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Das war mich nicht bekannt. (Ich gebe zu, ich musste den Lebenslauf des Otto Palandt erst bei wikipedia nachlesen). Schließe mich den "sich-darüber-aufregern" an.HRP hat geschrieben:Weil wir eine ganz besondere Spezies sind, die sich anscheinend wenig daran stört, dass der Standard Handkommentar zum BGB nach einem Juristen benannt ist, der diesen Kommentar gerade herausbrachte, um die Nazi-Ideologie im Recht zu verankern. Darüber kann ich mich seit dem Beginn meines Studiums immer noch gut aufregen.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Ich hatte schon früher überlegt, diesbezüglich an C. H. Beck zu schreiben, aber letztlich würde ich als einzelner nur als Querulant abgestempelt und mit einer Standardantwort abgespeist, wie ich annehme. Der Protest müsste aus Lehre und Praxis kommen, damit der Verlag und die Herausgeber den Namen des Werkes überdenken. Ich finde nämlich den Gedanken, dass ein bspw. jüdischer Student ein Buch nutzt bzw. im 2. Examen quasi nutzen muss, das den Namen eines Menschen trägt, der ihn aus der sog. "Volksgemeinschaft" ausschließen und entrechten wollte, pervers.immer locker bleiben hat geschrieben:Das war mich nicht bekannt. (Ich gebe zu, ich musste den Lebenslauf des Otto Palandt erst bei wikipedia nachlesen). Schließe mich den "sich-darüber-aufregern" an.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Tja, ich muss darüber jetzt mal nachdenken. C. H. Beck wird sicherlich den Namen "Palandt" als Marke begreifen und diese nicht ohne weiteres aufgeben. Das wäre vielleicht etwas, was man anlässlich eines der nächsten Juristentage mal andiskutieren könnte. Auch möchte ich mal wetten, dass die Bitte um eine Umbenennung bestimmt schon einmal an C. H. Beck herangetragen wurde ... und schlussendlich: so wie ich die lieben Kollegen kenne haben die den "Palandt" viel zu lieb gewonnen, sodass eine Umbenennung vermutlich einen größeren Sturm der Entrüstung hervorrufen würde, als die Fortführung des Namens ...
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Re: Rüthers vs. Canaris
HRP hat geschrieben:Weil wir eine ganz besondere Spezies sind, die sich anscheinend wenig daran stört, dass der Standard Handkommentar zum BGB nach einem Juristen benannt ist, der diesen Kommentar gerade herausbrachte, um die Nazi-Ideologie im Recht zu verankern. Darüber kann ich mich seit dem Beginn meines Studiums immer noch gut aufregen.recht_selten hat geschrieben:Warum sollen die Juristen hier eine Ausnahme machen und ihre Größen auf einen Sockel stellen und über ihre potentiellen Verfehlungen den Mantel des Schweigens hüllen?
EDIT: Bevor jetzt jemand ganz klug wird: ja, Otto Palandt war nie Herausgeber im eigentlichen Sinne.
Der Vollständigkeit halber kannst du nun auch den Schönfelder bemängeln. Immerhin weiß man so noch, wer den Palandt begründet hat. Dass der Mitbegründer des "Fischer" StA am Sondergericht war, ist sicher nicht derart allgemeinbekannt.
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Re: Rüthers vs. Canaris
Es sei denn, man hat Ingo Müllers "Furchtbare Juristen" gelesen. Dort auch nähere Einschätzungen zur zweifelhaften Tätigkeit des von Swann erwähnten Staatsanwaltes (Eduard Dreher) im BMJ in den 60ern...
Was C.H. Beck betrifft: Nicht nur seine Autoren, der Verlag selbst hat eine problematische Vergangenheit (Arisierungsvorteile), mag aber sein, dass das inzwischen einigermaßen glaubwürdig aufgearbeitet ist, weiß da jemand Näheres? Falls nicht, kann man sich idealistische Umbennungsanfragen wohl erst recht sparen...
Was C.H. Beck betrifft: Nicht nur seine Autoren, der Verlag selbst hat eine problematische Vergangenheit (Arisierungsvorteile), mag aber sein, dass das inzwischen einigermaßen glaubwürdig aufgearbeitet ist, weiß da jemand Näheres? Falls nicht, kann man sich idealistische Umbennungsanfragen wohl erst recht sparen...
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Re: Rüthers vs. Canaris
Ich habe schon befürchtet, dass man noch auf einige problematische Namen stoßen wird, wenn man mit der Lupe sucht. Was ich im Internet zu Heinrich Schönfelder finde, reicht mir nicht um mich richtig aufzuregen. Interessant finde ich es allerdings schon, dass diese Namen im Nachkriegsdeutschland so unkritisch weitergeführt werden. Bisher habe ich nur den "Maunz" als Namen für einen Grundgesetzkommentar problematisch empfunden ... Es liegt mir fern, jetzt eine Änderung aller irgendwie entfernt belasteten Namen für Kommentare und Gesetzeswerke zu fordern, bei Verstrickungen in die NS-Justiz mit einer gewissen Intensität (bei Palandt sehe ich die als gegeben an), finde ich allerdings die Benutzung des Namens für heutige Werke mindestens geschmacklos.Swann hat geschrieben:Der Vollständigkeit halber kannst du nun auch den Schönfelder bemängeln. Immerhin weiß man so noch, wer den Palandt begründet hat. Dass der Mitbegründer des "Fischer" StA am Sondergericht war, ist sicher nicht derart allgemeinbekannt.