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Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Sonntag 1. Juli 2018, 18:14
von Tobias__21
Doch, wir beherrschen den Jura Markt :)

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Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Sonntag 1. Juli 2018, 18:54
von hlubenow
Übrigens: In der Ukraine-Krise hatte Putin sich darüber empört, daß es dort Anhänger von Bandera geben solle, der seinerzeit, also im Zweiten Weltkrieg, Nazi, bzw. Nazi-Kollaborateur gewesen war.
Wenn der Kreml inzwischen Einfluß auf vk.com nimmt, dürfte man davon ausgehen, daß dort auch keine Neonazis geduldet werden, zumindest nicht mehr.
Ich bin aber weder bei Facebook, noch bei vk.com, daher hab' ich da keine konkreten Erfahrungen.

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Sonntag 1. Juli 2018, 19:35
von Ara
Du meinst den gleichen Putin, der sich überrascht darüber gezeigt hat, dass seine russischen Soldaten in ihrem Urlaub zivil in den Krieg ziehen?

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Sonntag 1. Juli 2018, 19:37
von famulus
hlubenow hat geschrieben: Sonntag 1. Juli 2018, 18:54 Übrigens: In der Ukraine-Krise hatte Putin sich darüber empört, daß es dort Anhänger von Bandera geben solle, der seinerzeit, also im Zweiten Weltkrieg, Nazi, bzw. Nazi-Kollaborateur gewesen war.
Wenn der Kreml inzwischen Einfluß auf vk.com nimmt, dürfte man davon ausgehen, daß dort auch keine Neonazis geduldet werden, zumindest nicht mehr.
Ich bin aber weder bei Facebook, noch bei vk.com, daher hab' ich da keine konkreten Erfahrungen.


Möchtest du hierauf noch antworten?:
famulus hat geschrieben: Sonntag 1. Juli 2018, 04:06 Würdest du dir diese DDR-Analogie auch selbst gefallen lassen, wenn du z. B. am Ort das größte Lokal betreiben würdest, in das täglich ein Gast kommt, der permanent gegen deine Hausordnung ("Netiquette") verstößt - etwa weil er im Suff andauernd deine Belegschaft oder andere Gäste in strafrechtlich noch nicht relevanter Weise belästigt - und dem du deswegen irgendwann keinen Alkohol mehr verkaufst oder gar Hausverbot erteilst? Das wäre dann ja schließlich auch "Zensur", oder nicht?

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Donnerstag 12. Juli 2018, 10:10
von Trente Steele82
Das Thema wird vlt. noch einmal interessant. Eine dritte Variante, die der Kollege neben "Löschung" oder "Duldung" durchspielen könnte, wäre es einmal durchzufechten

http://www.internet-law.de/2018/07/twit ... unden.html

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Donnerstag 12. Juli 2018, 10:18
von famulus
Der Wortlaut des Tweets war „Geh endlich sterben, menschenverachtender Zyniker“ [...]
Mein Tweet bewegt sich äußerungsrechtlich ganz klar im zulässigen Bereich. Mit dem Tweet habe ich Seehofer keinesfalls den Tod gewünscht. Es handelt sich vielmehr um eine drastische Aufforderung endlich zu verschwinden
"Ganz klar". :D

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Donnerstag 12. Juli 2018, 10:32
von Trente Steele82
Klar ist es in der Tat nicht. Aber das ist weitaus harmloser, als das was man aus dem Rechten Lager bei Twitter liest. Und nach meiner Beobachtung sind die entsprechenden Accounts nicht gesperrt oder gelöscht, sondern verfassen munter weiter...

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Donnerstag 12. Juli 2018, 17:06
von hlubenow
famulus hat geschrieben: Sonntag 1. Juli 2018, 19:37Möchtest du hierauf noch antworten?:
famulus hat geschrieben: Sonntag 1. Juli 2018, 04:06 Würdest du dir diese DDR-Analogie auch selbst gefallen lassen, wenn du z. B. am Ort das größte Lokal betreiben würdest, in das täglich ein Gast kommt, der permanent gegen deine Hausordnung ("Netiquette") verstößt - etwa weil er im Suff andauernd deine Belegschaft oder andere Gäste in strafrechtlich noch nicht relevanter Weise belästigt - und dem du deswegen irgendwann keinen Alkohol mehr verkaufst oder gar Hausverbot erteilst? Das wäre dann ja schließlich auch "Zensur", oder nicht?
In so einer Situation würde der Wirt sich wohl überlegen, was er dagegen tun kann. Vermutlich nichts. (Vor einigen Geschäften am Bahnhof hier steht auch regelmäßig eine Gruppe von Alkoholikern, die nicht angenehm anzuhören sind, und dagegen konnte die Stadt trotz Beschwerden der Geschäftsinhaber letztlich auch nichts machen.) Wenn andere Leute belästigt werden, schaukelt sich das normalerweise hoch und erreicht dann schnell das Maß der Strafbarkeit. So daß die Polizei, die inzwischen kurz neben dem Ort eine Filiale aufgemacht hat, auch eingreifen kann.

Aber: Der Vergleich mit dem Wirtshaus (schönes altes Wort) trifft die Situation nicht richtig. Es geht hier um politische Meinungsäußerungen in einer bestimmten politischen Lage - die allerdings von den Regierenden bewußt herbeigeführt wurde. Die Maßnahmen richten sich gegen eine bestimmte Meinung als solche. Das kann man Meinungsunterdrückung nennen. Was Art. 5 GG gerade verhindern soll.

Abgesehen davon bin ich natürlich dafür, daß man gegen Äußerungen wie "Geh' sterben", usw. - ich halte das für eine Beleidigung - vorgehen können soll.
Aber nicht gegen sachliche Diskussionen über Fragen der Realität.

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Freitag 27. Juli 2018, 20:39
von Ara
Es gibt übrigens erste Zahlen: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ ... ussgelder/

Die Vermutung "Es wird eher zu viel als zu wenig gelöscht" ist wohl nicht eingetreten. Bei YouTube sind wir bei 27 Prozent der gemeldeten Beiträge, bei Facebook bei 22 Prozent.

Und jeder der schonmal was gemeldet hat, weiß was FB und YouTube so alles noch stehenlassen... Übrigens beim BfJ wurde sich lediglich 526 mal beschwert. Es wurde kein Bußgeld erlassen.

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Montag 6. August 2018, 02:46
von hlubenow
Das BVerfG konkretisiert das Tatbestandsmerkmal "Störung des öffentlichen Friedens" bei § 130 StGB und beschreibt dabei Inhalt und Reichweite von Art. 5 GG (Pressemitteilung, Beschluß):
BVerfG, 1 BvR 2083/15, vom 22.07.2018 hat geschrieben:Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ergeben sich an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nähere Anforderungen. Ausgangspunkt ist die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit. Eingriffe dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen.
...
Das Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern, ist ebensowenig ein Grund, Meinungen zu beschränken, wie deren Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit
.
Legitim ist es demgegenüber, Rechtsgutverletzungen zu unterbinden. Danach ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen.
Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat.
Der Schutz vor einer "Vergiftung des geistigen Klimas“ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien
oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.
...
Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern.
Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können.
...
Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind ... nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen.

Der Schutz solcher Äußerungen durch die Meinungsfreiheit besagt damit nicht, dass diese als inhaltlich akzeptabel mit Gleichgültigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen.
Wobei es in der Entscheidung um Äußerungen jenseits des Grundgesetzes ging, während Frau von Storch (und andere im Bundestag) schon gar nichts Verfassungswidriges geäußert haben.

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Montag 6. August 2018, 03:08
von Tibor
Eingriffsintensität beachten! In einem Fall wird nur die Verbreitung verhindert. Im anderen Fall wird für erfolgte Verbreitung eine Haftstrafe ausgeurteilt.

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Montag 6. August 2018, 03:13
von hlubenow
Tibor hat geschrieben: Montag 6. August 2018, 03:08Eingriffsintensität beachten! In einem Fall wird nur die Verbreitung verhindert. Im anderen Fall wird für erfolgte Verbreitung eine Haftstrafe ausgeurteilt.
Öhm, "Verbreitung verhindert"? Nennen wir das nicht Vor-Zensur?

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Montag 6. August 2018, 07:13
von Ara
hlubenow hat geschrieben: Montag 6. August 2018, 03:13
Tibor hat geschrieben: Montag 6. August 2018, 03:08Eingriffsintensität beachten! In einem Fall wird nur die Verbreitung verhindert. Im anderen Fall wird für erfolgte Verbreitung eine Haftstrafe ausgeurteilt.
Öhm, "Verbreitung verhindert"? Nennen wir das nicht Vor-Zensur?
Nein? Das NetzDG sieht keine vorherige Prüfung vor, sondern lediglich eine nachträgliche Löschung?

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Donnerstag 9. August 2018, 22:46
von Herr Anwalt
(OLG) München (Az. 18 W 858/18, Beschluss vom 17.07.2018) erlässt EV gegen Facebook.
“Die Klausel […] ist allerdings unwirksam, weil sie die Nutzer als Vertragspartner der Verwenderin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).”

“Für den Inhalt und die Reichweite der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme ist im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung, dass die von der Antragsgegnerin bereitgestellte Social-Media-Plattform dem Zweck dient, den Nutzern einen öffentlichen Marktplatz für Informationen und Meinungsaustausch zu verschaffen”


LG Köln (Urteil vom 27.07.2018, Az. 24 O 187/18)
stellt fest, dass einige der Regelungen, auf die Facebook sich berufen will, missverständlich und daher nicht zu Lasten der Nutzer zu berücksichtigen sind.


Es zeichnet sich langsam ein klares Bild dahingehend ab, dass die Gemeinschaftsstandards unwirksam sind und die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte hier im besonderen Maße gilt, da Facebook ein öffentlicher Marktplatz für Informationen darstellt.
Ich habe mir auch die Entscheidung des OLG Karlsruhe durchgelesen (der einzigen relevanten kontradiktorischen Entscheidung). Der Begründungsaufwand zum Kernpunkt umfasst eine ganze halbe Seite und erschöpft sich in der reinen Feststellung.

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

Verfasst: Freitag 10. August 2018, 07:37
von Ara
Beide Urteile lösen das über das AGB-Recht. Das LG Köln hat die Klausel bereits für missverständlich gehalten.

Deine eigene "Zusammenfassung" hat nichts mit den Urteilen zu tun. Es gilt die "mittelbare Drittwirkung" nicht "im besonderen Maße". Es ist einfach eine AGB-Prüfung vorzunehmen und im Lichte des Grundgesetzes auszulegen. Das ist normales Zivilrecht und keine besondere Bindung von Facebook an Art. 5 GG.