Coronavirus

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Tibor
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Re: Coronavirus

Beitrag von Tibor »

Liz hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 15:41 @Seeker: Das ändert nichts daran, dass das Risiko für jeden Einzelnen bei einer Impfquote von > 95 % (idealerweise > 98 %) verschwindend gering ist und lokale Ausbrüche deutlich einfacher beherrschbar sind als bei einer freiwilligen Impfquote von 70 % (oder von vielleicht 80 % mit einer beschränkten Impfpflicht für einige Bevölkerungsgruppen).
Das ist völlig zutreffend. Die Frage ob wir 80, 90 oder 100% erreichen können, ist eine von der Wissenschaft zu beantwortende Frage. Die Frage, ob wir diese %-Sätze erreichen wollen - ab einer gewissen Schwelle sind wir eben beim "allgemeinen Lebensrisiko" -, um damit bestimmte Ziele zu erreichen ist eine Frage, die der Gesetzgeber nach Maßgabe der Möglichkeit zu beantworten hat. Deshalb ist es Sache des Gesetzgebers, sich Gewissheiten zu verschaffen, Wissenschaftler anzuhören und möglichst auf breiter Informationsbasis zu entscheiden. Da hier je nach sonstiger Einstellung, Erziehung, sozialem Stand, Vorbildung etc. unterschiedliche Gewichtungen für sich selbst und die Gesellschaft gezogen werden, ist es eben eine zuvörderst parlamentarische Entscheidung. Genau dafür - Aufnahme und Ausgleich verschiedener gesellschaftlicher Strömungen - haben wir Wahlen, genau dafür gibt es Parlamente. Und dieses bewegt sich innerhalb der Bindungen der Verfassung, freilich mit einer notwendigen Einschätzungsprärogative.
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Strich
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Re: Coronavirus

Beitrag von Strich »

Hmm ich sehe ein Impfpflicht kritisch, weil es der Auftakt zu einer staatlich angeordenten ärztlichen Massenbehandlung ist. Heute Impfpflicht und morgen? Es ist ein bisschen wie mit der Gurtpflicht, die ist auch der Türöffner für den Wohlfahrtsstaat gegen den Willen des Einzelnen zu seinem vermeintlich Besten.

Oder um mal TF zu zitieren:
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

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Coronavirus

Beitrag von Liz »

@Backstubenthaler/Strich: Natürlich kann man das alles kritisch sehen und zu unterschiedlichen Abwägungsergebnissen gelangen. Ich persönlich halte es jedoch für wesentlich gravierender und tragischer, dass weite Teile der Bevölkerung und Wirtschaft drohen, ein drittes Jahr in Folge mit den Einschränkungen einer globalen Pandemie leben zu müssen, weil ein zu hoher Prozentsatz der Bevölkerung meint, ihre individuelle Bequemlichkeit oder Freiheit höher gewichten zu müssen, als das allseitige Interesse an einer weitgehenden Eindämmung der Pandemielage. Und bei den jungen Bevölkerungsgruppen sehe ich derzeit leider nicht, dass es möglich wäre, das Problem allein durch eine Impfpflicht für Erwachsene bzw Ü60 zu lösen.
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Tibor
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Re: Coronavirus

Beitrag von Tibor »

Liz hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 15:35
Tibor hat geschrieben:Mal eine andere Frage: Kann denn eine nationale Impfpflicht überhaupt Sinn machen in einem freizügigen Europa? Wir haben ja ein grds Bekenntnis für Freizügigkeit. Wir haben auch gesehen, dass Grenzschließungen innerhalb der EU wenig wirskam waren und die Pandemie nur minimal beeinträchtigt haben.
Einschränkungen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit sind europarechtlich durchaus zulässig.
Meine Frage galt eher dem Problem der Effektivität einer Maßnahme des nationalen Gesetzgebers.
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Re: Coronavirus

Beitrag von Iriss »

Strich hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 16:09 Hmm ich sehe ein Impfpflicht kritisch, weil es der Auftakt zu einer staatlich angeordenten ärztlichen Massenbehandlung ist. Heute Impfpflicht und morgen? Es ist ein bisschen wie mit der Gurtpflicht, die ist auch der Türöffner für den Wohlfahrtsstaat gegen den Willen des Einzelnen zu seinem vermeintlich Besten.

Oder um mal TF zu zitieren:
Kritisch kann man die Impfpflicht sehen, deine Begründung ist freilich nur absurd.
Joshua
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Re: Coronavirus

Beitrag von Joshua »

Erstens sehe ich ein nicht zu unterschätzendes Problem gerade darin, dass die Impfpflicht sich auf die weiteren Runden der Impfung erstrecken müsste. Wir können derzeit überhaupt noch nicht absehen, ob die Immunisierung mit der Boosterimpfung wirklich ihren Abschluss findet, oder ob es regelmäßiger Erneuerungen bedarf. Hinzu kommt, dass jeweils neue Varianten entstehen werden, die angepasste Impfstoffe erforderlich machen werden. Nimmt man dies hinzu, erkennt man rasch, dass eine Impfpflicht in eine Dauerschleife aus staatlichen Zwangsansprüchen und deomstrativer Gehorsamsverweigerung renitenter, ohnehin vom Staat enttäuschter Bevölkerungsgruppen führen könnte, welche die sich schon in vielerlei Hinsicht abzeichnende Spaltung der Gesellschaft in einer Weise vertiefen könnte, die wir uns selbst in Ansehung der Hassbotschaften in diversen Internet-Foren nicht ausmalen können.

Zweitens ist mir aus der Rechtspsychologie sowie der Sozialpsychologie der Zusammenhang zwischen sozialen Normen und Rechtsnormen im Sinne einer komplexen Wechselbeziehung durchaus bekannt. Der Hinweis darauf, die gesetzliche Impfpflicht könnte für einige Bürger eine Art Signal sein, die Impfung sei wichtig, was ihnen den entscheidenden Schub geben könnte, sich doch für die Impfung zu entscheiden, ist daher nicht unberechtigt. Allerdings wissen wir aus der Sozialpsychologie ebenfalls, dass bestimmte Sanktionen kontraproduktiv wirken können. Das bezeichnet man in der Psychologie als Reaktanz. Darüber hat die Journalistin Carmen Thomas vor einiger Zeit ein durchaus lesenswertes Buch geschrieben. Der Begriff bezeichnet eine Art Blindwiderstand von Menschen, die sich bevormundet fühlen. Wird auch noch Zwang angedroht, kann dies diesen Widerstand noch potenzieren. Außerdem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass wir es hier teilweise mit Gruppen zu tun haben, die sich aus sehr verschiedenen Gründen ohnehin als Opfer des Systems fühlen, deren Gruppenbildung also gerade eine Art Verbindung gegen "die da oben" ins Zentrum rückt. Gerade diesen Menschen würde eine Impfpflicht Bestätigung verleihen und auch Auftrieb, ihre Verbrüderung im Sinne einer Abwehrhaltung der letzten Aufrechten noch zu verstärken. Allein diese zwei Beispiele möglicher psychologischer Wirkungen zeigen, dass von einer Impfpflicht höchst unterschiedliche psychologische Impulse ausgehen dürften, wobei wir derzeit gar nicht sagen können, welche insofern überwiegen werden. Diese Argumentation betrifft die Geeignetheit einer Impfpflicht für die rasche Erreichung des Zieles einer möglich durchgreifenden Durchimpfung der Bevölkerung.

Drittens kann ich auch dem Schleusentor-Argument, welches Strich hier bereits vorgebracht hat, durchaus einiges abgewinnen. Wir wissen es aus anderen Zusammenhängen, dass eine mit Notständen aller Art begründete Gesetzgebung zugleich die Standards für sog. normale Zeiten definieren kann.

Alles in allem bin ich Stand heute gegen eine Impfpflicht. In Stein ist meine Haltung hierzu allerdings nicht gemeißelt.

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
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Re: Coronavirus

Beitrag von Tibor »

Joshua hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 18:05 Erstens sehe ich ein nicht zu unterschätzendes Problem gerade darin, dass die Impfpflicht sich auf die weiteren Runden der Impfung erstrecken müsste. Wir können derzeit überhaupt noch nicht absehen, ob die Immunisierung mit der Boosterimpfung wirklich ihren Abschluss findet, oder ob es regelmäßiger Erneuerungen bedarf. Hinzu kommt, dass jeweils neue Varianten entstehen werden, die angepasste Impfstoffe erforderlich machen werden. Nimmt man dies hinzu, erkennt man rasch, dass eine Impfpflicht in eine Dauerschleife ................
Alles in allem bin ich Stand heute gegen eine Impfpflicht. In Stein ist meine Haltung hierzu allerdings nicht gemeißelt.
Natürlich hat man ein "Unbehagen", wenn man daran denkt, nun wirklich halbjährlich zur Impfung anrücken zu müssen. Natürlich deckt sich diese Vorstellung nicht mit unserem Bild des erfüllten sorgenfreien Lebens. Ganz davon ab, das Gros der Weltbevölkerung wäre froh, wenn es NUR dieses Problem hätte. Viele wissen tagein tagaus nicht, wie sie den Magen füllen sollen, um nicht zu verhungern.

Die Frage ist, was ist die Alternative zur verpflichtendne Dauerimpfung, wenn man den allgemein erreichten Zustand der Gesundheitsversorgung erhalten will? Faktisch haben wir unsere Lebenserwartung in hohem Maße dieser Errungenschaft zu verdanken. Wenn wir dauerhaft die Krankenhäuser zu 50-80% mit Corona-Patienten belegen, müssen wir entweder die Kapazitäten ausbauen (dagegen spricht das fehlende Personal) oder wir bewegen uns in eine Unterversorgung, wie wir sie nur aus Schwellenländern kennen.

Milderes Mittel wäre es dann, die Kosten der ärztlichen (oder nur intensivmedizinischen und/oder Long-Covid) Behandlung nach einer Erkrankung dann nicht von der allgemeinen Sozialkasse zu decken, sondern hierfür gesonderte Versicherungen zu verlangen? Freilich müsste man dann auch die "allhalbjährlich wiederkehrenden" Impfungen zum Privatvergnügen werden lassen bzw. Arztkosten der Erkrankten nur in Höhe der Impfkosten übernehmen. Freilich nur, soweit der Patient grds. impffähig gewesen wäre. Oder sollen wir im Fall überlasteter Krankenhauskapazitäten dann von den Ärzten eine Entscheidung verlangen, ob die lang geplante Herzklappen-OP bei Lieschen Müller (68 Jahre) wichtiger ist, als die Aufnahme des Corona-Patienten ohne Impfung (31 Jahre, sonst kerngesund)?

So oder so muss eine Entscheidung des Gesetzgebers her. Aktuell tapern wir in einer Situation, wo die Exekutive ganz viel entscheidet und wir viel Verantwortung auf Ärzte / Krankenhäuser / Pfleger abwälzen.
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Re: Coronavirus

Beitrag von Iriss »

Tibor hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 18:27
Joshua hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 18:05 Erstens sehe ich ein nicht zu unterschätzendes Problem gerade darin, dass die Impfpflicht sich auf die weiteren Runden der Impfung erstrecken müsste. Wir können derzeit überhaupt noch nicht absehen, ob die Immunisierung mit der Boosterimpfung wirklich ihren Abschluss findet, oder ob es regelmäßiger Erneuerungen bedarf. Hinzu kommt, dass jeweils neue Varianten entstehen werden, die angepasste Impfstoffe erforderlich machen werden. Nimmt man dies hinzu, erkennt man rasch, dass eine Impfpflicht in eine Dauerschleife ................
Alles in allem bin ich Stand heute gegen eine Impfpflicht. In Stein ist meine Haltung hierzu allerdings nicht gemeißelt.
Natürlich hat man ein "Unbehagen", wenn man daran denkt, nun wirklich halbjährlich zur Impfung anrücken zu müssen. Natürlich deckt sich diese Vorstellung nicht mit unserem Bild des erfüllten sorgenfreien Lebens. Ganz davon ab, das Gros der Weltbevölkerung wäre froh, wenn es NUR dieses Problem hätte. Viele wissen tagein tagaus nicht, wie sie den Magen füllen sollen, um nicht zu verhungern.

Die Frage ist, was ist die Alternative zur verpflichtendne Dauerimpfung, wenn man den allgemein erreichten Zustand der Gesundheitsversorgung erhalten will? Faktisch haben wir unsere Lebenserwartung in hohem Maße dieser Errungenschaft zu verdanken. Wenn wir dauerhaft die Krankenhäuser zu 50-80% mit Corona-Patienten belegen, müssen wir entweder die Kapazitäten ausbauen (dagegen spricht das fehlende Personal) oder wir bewegen uns in eine Unterversorgung, wie wir sie nur aus Schwellenländern kennen.

Milderes Mittel wäre es dann, die Kosten der ärztlichen (oder nur intensivmedizinischen und/oder Long-Covid) Behandlung nach einer Erkrankung dann nicht von der allgemeinen Sozialkasse zu decken, sondern hierfür gesonderte Versicherungen zu verlangen? Freilich müsste man dann auch die "allhalbjährlich wiederkehrenden" Impfungen zum Privatvergnügen werden lassen bzw. Arztkosten der Erkrankten nur in Höhe der Impfkosten übernehmen. Freilich nur, soweit der Patient grds. impffähig gewesen wäre. Oder sollen wir im Fall überlasteter Krankenhauskapazitäten dann von den Ärzten eine Entscheidung verlangen, ob die lang geplante Herzklappen-OP bei Lieschen Müller (68 Jahre) wichtiger ist, als die Aufnahme des Corona-Patienten ohne Impfung (31 Jahre, sonst kerngesund)?

So oder so muss eine Entscheidung des Gesetzgebers her. Aktuell tapern wir in einer Situation, wo die Exekutive ganz viel entscheidet und wir viel Verantwortung auf Ärzte / Krankenhäuser / Pfleger abwälzen.
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Re: Coronavirus

Beitrag von Joshua »

Bei Anne Will war "Doc Caro" zu Gast, die meinte, doch viele Verweigerer noch überzeugen zu können.

Anne Will bat sie dann, ein solches Gespräch mal zu rekapitulieren. Das fand ich schon verdammt gut, wie sie einfach, aber klar argumentiert:

https://daserste.ndr.de/annewill/videos ... l7264.html

ab Min. 56:30

Frau Gammelin sagte in der Will-Sendung auch, in den sehr gläubig-konservativen süddeutschen und z.T. ostdeutschen Regionen (notorisch zB: Erzgebirge) müsste man Pfarrer und Pastoren mit einspannen. Auch das ist keine abwegige Idee.

Ich denke, wir haben derartige Überzeugungsarbeit verpennt, auch wenn man beileibe nicht jeden erreichen könnte...

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Re: Coronavirus

Beitrag von Iriss »

Joshua hat geschrieben: Montag 6. Dezember 2021, 18:05 Erstens sehe ich ein nicht zu unterschätzendes Problem gerade darin, dass die Impfpflicht sich auf die weiteren Runden der Impfung erstrecken müsste. Wir können derzeit überhaupt noch nicht absehen, ob die Immunisierung mit der Boosterimpfung wirklich ihren Abschluss findet, oder ob es regelmäßiger Erneuerungen bedarf. Hinzu kommt, dass jeweils neue Varianten entstehen werden, die angepasste Impfstoffe erforderlich machen werden. Nimmt man dies hinzu, erkennt man rasch, dass eine Impfpflicht in eine Dauerschleife aus staatlichen Zwangsansprüchen und deomstrativer Gehorsamsverweigerung renitenter, ohnehin vom Staat enttäuschter Bevölkerungsgruppen führen könnte, welche die sich schon in vielerlei Hinsicht abzeichnende Spaltung der Gesellschaft in einer Weise vertiefen könnte, die wir uns selbst in Ansehung der Hassbotschaften in diversen Internet-Foren nicht ausmalen können.

Zweitens ist mir aus der Rechtspsychologie sowie der Sozialpsychologie der Zusammenhang zwischen sozialen Normen und Rechtsnormen im Sinne einer komplexen Wechselbeziehung durchaus bekannt. Der Hinweis darauf, die gesetzliche Impfpflicht könnte für einige Bürger eine Art Signal sein, die Impfung sei wichtig, was ihnen den entscheidenden Schub geben könnte, sich doch für die Impfung zu entscheiden, ist daher nicht unberechtigt. Allerdings wissen wir aus der Sozialpsychologie ebenfalls, dass bestimmte Sanktionen kontraproduktiv wirken können. Das bezeichnet man in der Psychologie als Reaktanz. Darüber hat die Journalistin Carmen Thomas vor einiger Zeit ein durchaus lesenswertes Buch geschrieben. Der Begriff bezeichnet eine Art Blindwiderstand von Menschen, die sich bevormundet fühlen. Wird auch noch Zwang angedroht, kann dies diesen Widerstand noch potenzieren. Außerdem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass wir es hier teilweise mit Gruppen zu tun haben, die sich aus sehr verschiedenen Gründen ohnehin als Opfer des Systems fühlen, deren Gruppenbildung also gerade eine Art Verbindung gegen "die da oben" ins Zentrum rückt. Gerade diesen Menschen würde eine Impfpflicht Bestätigung verleihen und auch Auftrieb, ihre Verbrüderung im Sinne einer Abwehrhaltung der letzten Aufrechten noch zu verstärken. Allein diese zwei Beispiele möglicher psychologischer Wirkungen zeigen, dass von einer Impfpflicht höchst unterschiedliche psychologische Impulse ausgehen dürften, wobei wir derzeit gar nicht sagen können, welche insofern überwiegen werden. Diese Argumentation betrifft die Geeignetheit einer Impfpflicht für die rasche Erreichung des Zieles einer möglich durchgreifenden Durchimpfung der Bevölkerung.

Drittens kann ich auch dem Schleusentor-Argument, welches Strich hier bereits vorgebracht hat, durchaus einiges abgewinnen. Wir wissen es aus anderen Zusammenhängen, dass eine mit Notständen aller Art begründete Gesetzgebung zugleich die Standards für sog. normale Zeiten definieren kann.

Alles in allem bin ich Stand heute gegen eine Impfpflicht. In Stein ist meine Haltung hierzu allerdings nicht gemeißelt.
alle 3 Probleme kann man sehen, sind m. E. aber eher zu vernachlässigen vor der ganzen Problematik.
Dies sollte die Impfpflicht insofern nicht verhindern, gerade auch, wenn ich an die Alzernativen denke.
Die Wissenschaft tendiert doch klar dazu.
Joshua
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Re: Coronavirus

Beitrag von Joshua »

@Iriss
Klar, man kann dies mit guten Argumenten anders gewichten und gut vertretbar zu einem abweichenden Ergebnis kommen.

@Tibor
Es gibt noch einen Punkt 4, den ich meiner Liste anfügen würde: Die komplexe Vollzugspraxis.

Du hast dein Vollzugsregime, das durchaus differenziert ist, ja bereits skizziert, danke.

Ich meine aber: Will man echte (und das kann nur heißen: ZEITNAHE) Abhilfe, müsste man wie folgt vorgehen:

Termin, durch VA festgesetzt, für alle Nicht-Geimpften und Impffähigen. Binnen 2 Wochen. Bei Nichtbefolgung ohne hinreichende Entschuldigung: Polizei, bitte mitkommen, Fesseln, Spritze in den Arm beim Amtsarzt.

Alle anderen Varianten heißen bei Lichte besehen (je nach Ausgestaltung im Detail mehr oder weniger): Bußgelder, Verbote, Rechtsbehelfe, jahrelange Rechtsstreits, verwaltungsrechtlich, arbeitsrechtlich, ordnungswidrikeitsrechtlich, viele werden heldenhaft geführt und im Internet breitgetreten, im Zweifel noch Solidarisierung nicht unerheblicher Teile der Bevölkerung mit den "Widerständlern" spätestens im Frühjahr, wenn die imminente Bedrohung wieder weg ist und "Team Öffnen" wieder Oberhand gewinnt... Die Vollzugsgesetzgebung wird dann immer wieder in arge rechtspolitische Diskussionen geraten, je nach Infektionsgeschehen wird man zwischen "aufweichen" und "wieder anziehen" hin und her schwanken. Die Wellenbewegung, die das Virus diktiert, wird die Vollzugsgesetzgebung und -praxis arg beeinflussen, und am Ende kommen weit weniger Impfungen der Unwilligen dabei heraus, als man kalkuliert hatte.

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Re: Coronavirus

Beitrag von Liz »

@Joshua: Die Frage bei der Psychologie/Soziologie der Impfpflicht ist ja letztlich, wie hoch man den Anteil der „Totalverweigerer“ einschätzt und ob man aus Angst vor ihnen praktisch den Kopf in den Sand steckt. Aktuell sehe ich das Problem, dass wir einen Teil der Bevölkerung haben, der sich relativ bequem in einem Zustand von „will ich nicht, weil ich nicht will und gibt ja keine Impfpflicht, also kann mich auch niemand dazu zwingen; ist halt meine Meinung“ eingerichtet haben und die sich durch die extremen Totalverweigerer bzw. das Rumgeeiere der Politik bestärkt fühlen. Eine Impfpflicht wäre demgegenüber eine sehr deutliche Ansage, die dann auch die Rahmenbedingungen für weitere Überzeugungsversuche (die natürlich immer erfolgen sollten) verschieben würden.
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Re: Coronavirus

Beitrag von famulus »

Möge das nächste Unwort des Jahres bitte "Spaltung" sein. Ich kann diesen Mist nicht mehr hören. Der Versuch der Vermeidung einer Spaltung (die meisten haben sich in ihrem geschlossenen Weltbild sowieso schon lange vom großen Teil der Bevölkerung abgespalten) ist genau derselbe dumme Appeasement-Schwachsinn, der die AfD hat großwerden lassen, weil man dachte, sie aus Angst vor Cancelculture-Vorwürfen überproportional in der Öffentlichkeit stattfinden lassen zu müssen. Damit lässt man sich doch nur entgegen faktenbasierten Erkenntnissen vor ihnen hertreiben.
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Re: Coronavirus

Beitrag von OJ1988 »

famulus hat geschrieben: Dienstag 7. Dezember 2021, 08:06 Möge das nächste Unwort des Jahres bitte "Spaltung" sein. Ich kann diesen Mist nicht mehr hören. Der Versuch der Vermeidung einer Spaltung (die meisten haben sich in ihrem geschlossenen Weltbild sowieso schon lange vom großen Teil der Bevölkerung abgespalten) ist genau derselbe dumme Appeasement-Schwachsinn, der die AfD hat großwerden lassen, weil man dachte, sie aus Angst vor Cancelculture-Vorwürfen überproportional in der Öffentlichkeit stattfinden lassen zu müssen. Damit lässt man sich doch nur entgegen faktenbasierten Erkenntnissen vor ihnen hertreiben.
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Re: Coronavirus

Beitrag von Joshua »

famulus hat geschrieben: Dienstag 7. Dezember 2021, 08:06 Möge das nächste Unwort des Jahres bitte "Spaltung" sein. Ich kann diesen Mist nicht mehr hören. Der Versuch der Vermeidung einer Spaltung (die meisten haben sich in ihrem geschlossenen Weltbild sowieso schon lange vom großen Teil der Bevölkerung abgespalten) ist genau derselbe dumme Appeasement-Schwachsinn, der die AfD hat großwerden lassen, weil man dachte, sie aus Angst vor Cancelculture-Vorwürfen überproportional in der Öffentlichkeit stattfinden lassen zu müssen. Damit lässt man sich doch nur entgegen faktenbasierten Erkenntnissen vor ihnen hertreiben.


Grundsätzlich sehe ich die Problematik auch, dass die Angst der Politik vor irrationalen Reaktionen gleichsam zu einer irrationalen Politik führen könnte.

Andererseits muss man natürlich wachsam bleiben, dass die Demokratie nicht übermäßig an Zustimmung verliert.

Da sind wir bei dem alten Böckenförde-Zitat, dass die parlamentarische Demokratie ihre Voraussetzungen nicht selbst schaffen kann, sondern auf komplementäre Vorverständnisse in weiten Teilen der Bevölkerung zwingend angewiesen ist.

Soweit der Begriff der Spaltung dahingehend verwendet wird, man solle nach Möglichkeit Bedingungen vermeiden, die dazu führen, dass sich immer mehr Menschen von der Demokratie abwenden, finde ich ihn nicht gänzlich unberechtigt.

Ich halte es im Übrigen für einen schweren Denkfehler, anzunehmen, dass man unliebsame Parteien sowie unliebsame Position dadurch abbauen bzw. effektiv bekämpfen könnte, dass man die jeweiligen Vertreter aus dem demokratischen Diskurs verbannt. Die AfD hat meines Erachtens gerade von der Tendenz der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten profitiert, Vertreter der Rechtspopulisten selten in Talkshows und ähnliche Runden einzuladen bzw sie dann, wenn sie mal auf der Gästeliste standen, besonders hart zu attackieren und sie eher persönlich anzugreifen, als nüchtern mit Sachproblem zu konfrontieren.

Auch in der Corona-Debatte halte ich es für ein schweres Versäumnis, dass die betreffenden Gegenpositionen aus den Talkshows nahezu gänzlich ausgeklammert worden sind. Erst dadurch war der Boden für Verschwörungstheorien bereitet.

Es bleibt meine Überzeugung, dass man sich auch mit unliebsamen, objektiv mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falschen Position in einem offenen Diskurs auseinandersetzen muss, zumal wenn ein quantitativ relevanter Bevölkerungsanteil diesen anhängt.

Und es gilt dann ganz im Sinne von Habermas der zwanglose Zwang des besseren Arguments. Dieser setzt sich immer durch, wenn der Diskurs nur lang, hart und nach den offenen Diskursprinzipien geführt wird.

Die Irratio blüht in der Verbannung.

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
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