Antidiskriminierungsgesetz Berlin

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Fyrion
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Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von Fyrion »

Was ist denn die Foren hM über das neue Berliner Antidiskriminierungsgesetz? Die Fronten sind klar, Polizei ist empört, weil sie alles empört, was die Polizei auch nur unter stärkere Beobachtung stellt. Linke sind entzückt, weil sie alles entzückt, was vermeintlich gegen die "Bullen" geht. Die Presse ist, je nach Färbung auch empört oder entzückt.

Fraglich ist, was der nüchterne Verwaltungsrechtler dazu meint. Ich habe da im Kollegenkreis eher so den Tenor "ist nicht so heiß, wie es gegessen wird" vernommen, bin mir nach überflugartiger Lektüre aber selbst noch nicht wirklich eins, was ich davon halten soll.

Jedenfalls scheint mir der Vorwurf der "Beweislastumkehr" auf den ersten Blick nicht ganz eindeutig zu sein. Es geht dabei um §7 des LADG, der im Wortlaut folgendermaßen formuliert ist:

"Werden Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes nach §2 bis §6 überwiegend wahrscheinlich machen, obliegt es der öffentlichen Stelle, den Verstoß zu widerlegen."

Zum einen muss also ein potentielles "Opfer" entsprechende Tatsachen glaubhaft machen ( reicht da im Verwaltungsrecht wie in § 294 ZPO eine Versicherung an Eides statt? ) und dann müsste diese Glaubhaftmachung auch das Vorliegen einer Diskriminierung wahrscheinlich machen. Das ist besonders bei der Polizei mE weniger ein Problem, weil diese konsequenterweise Bodycams tragen sollen (die hoffentlich besser funktionieren als in den USA).

Aber was hält mich eigentlich davon ab zu behaupten, dass der Mann im Bauamt gesagt hat "Fyrion bekommt die Baugenehmigung nicht, weil er Jude ist". Und das versichere ich an Eides statt und klage auf Schadensersatz. Wie soll die Behörde nun das Gegenteil beweisen? Noch schwieriger bei Ermessensentscheidungen, insbesondere Prüfungen. Wenn ich behaupte, dass die Lehrerin im Deutsch-LK mir nur 10 Pkt. meinem "biodeutschen" Klassenkameraden aber 13 Pkt. für exakt gleich gute Aufsätze gegeben hat, weil sie meinte "Ausländer kriegen bei mir keine Eins". Wie soll die öffentliche Stelle diese Behauptung widerlegen? Und da ich auch für Nichtvermögensschäden Ersatz in Geld verlangen kann, habe ich eigentlich bei jeder behördlichen Entscheidung einen Anreiz.


Zusätzlich sehe ich durchaus die Gefahr, dass interessierte Gruppierungen auf dieser Grundlage gegen absolut alles klagen, was auch nur entfernt eine Person mit Diskriminierungshintergrund betrifft in der klaren Absicht Behörden lahmzulegen und optimalerweise einzuschüchtern. Aber ich habe ehrlichgesagt viel zu wenig Ahnung vom Verwaltungsrecht, um mir da eine wirklich kompetente Meinung bilden zu können.

Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion \:D/

Link zu Gesetzesmaterialien -> https://www.berlin.de/sen/lads/recht/ladg/materialien/
Zuletzt geändert von Fyrion am Mittwoch 1. Juli 2020, 16:38, insgesamt 1-mal geändert.
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batman
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Re: Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von batman »

Völlig unpolitisch und nur auf das Rechtstechnische beschränkt:
Dass zunächst der vermeintlich Benachteiligte den Verstoß als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen muss und sodann dem Gegner der Negativbeweis obliegt, ist von § 22 AGG her bekannt (dort: Indizien, hier: Glaubhaftmachung). Ebenso kennen wir aus anderen Fällen der Beweislast für negative Tatsachen die Kompensation durch das Institut der sekundären Beweislast. Das System ist also nicht gänzlich neu.
Praktisches Steuerungselement wird auch hier die Frage sein, wann man einen "Anfangsbeweis" durch den Antragsteller für geführt hält.
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Re: Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von Liz »

M. E. bietet das Gesetz für interessierte Kreise durchaus "Potential", zu versuchen, sich polizeilichen oder sonstigen staatlichen Maßnahmen mit einem Diskriminierungsvorwurf zu entziehen:

§ 7 LADG sieht zwar vor, dass zunächst eine Diskrimierung als überwiegend wahrscheinlich glaubhaft gemacht worden sein muss, bevor dieser Verstoß zu widerlegen ist. Hier dürfte indes die Frage sein, wie hohe Anforderungen die Rechtsprechung an die Glaubhaftmachung (die sich, da der ordentliche Rechtsweg zu den Zivilgerichten gegeben ist, nach § 294 ZPO richten dürfte) stellen wird. "Überwiegend wahrscheinlich" sind 50 % - das ist nicht viel. Wenn die Verwaltung dann den Vorwurf einer Diskriminierung (s. etwa auch § 4 Abs. 1 S. 3 LADG: unmittelbare Diskriminierung auch gegeben, wenn der Handelnde nur annimmt, es liege ein Merkmal des § 2 LADG vor.) widerlegen muss, kann sie das eigentlich nur, wenn sie Vorgänge, in denen ein solcher Vorwurf potentiellerweise drohen könnte, entsprechend ausführlich dokumentiert (oder ist das bereits eine Diskriminierung, wenn man einer Person mit einer ausführlichen Dokumentation implizit unterstellt, sie könne ggf. einen Diskriminierungsvorwurf erheben?).

Auch § 6 LADG ("Maßregelungverbot") scheint mir Fragen aufzuwerfen: Soll der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und / oder die (versuchte) Gefangenenbefreiung künftig straffrei sein, wenn man dabei nur laut genug "Diskriminierung" schreit (man wird sich ja wohl mal irren dürfen...)?

§ 8 Abs. 3 LADG: Immaterieller Schadensersatz gleich für die gesamte Familie bzw. alle Personen, die zum Betroffenen in einem "engen persönlichen Näheverhältnis stehen", wenn sie sich nur betroffen genug zeigen?!

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Fyrion
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Re: Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von Fyrion »

batman hat geschrieben: Mittwoch 1. Juli 2020, 16:32 Völlig unpolitisch und nur auf das Rechtstechnische beschränkt:
Dass zunächst der vermeintlich Benachteiligte den Verstoß als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen muss und sodann dem Gegner der Negativbeweis obliegt, ist von § 22 AGG her bekannt (dort: Indizien, hier: Glaubhaftmachung). Ebenso kennen wir aus anderen Fällen der Beweislast für negative Tatsachen die Kompensation durch das Institut der sekundären Beweislast. Das System ist also nicht gänzlich neu.
Praktisches Steuerungselement wird auch hier die Frage sein, wann man einen "Anfangsbeweis" durch den Antragsteller für geführt hält.
Aber ist das nicht genau der Knackpunkt? Glaubhaftmachung beinhaltet auch eidesstattliche Versicherung. Die ist schnell ausgesprochen, insbesondere, wenn man nicht befürchten braucht, dass der Inhalt widerlegt werden könnte - denn, wie gesagt, wie soll man eine behauptete Wortäußerung widerlegen, wenn man nicht permanent mitfilmt?
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batman
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Re: Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von batman »

Der Gesetzgeber verlangt an vielen Stellen Glaubhaftmachung bzw. lässt sie genügen. Dass gegenüber eidesstattlichen ein gesundes Misstrauen am Platze ist, dürfte auch bekannt sein.
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Fyrion
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Re: Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von Fyrion »

batman hat geschrieben: Mittwoch 1. Juli 2020, 17:19 Der Gesetzgeber verlangt an vielen Stellen Glaubhaftmachung bzw. lässt sie genügen. Dass gegenüber eidesstattlichen ein gesundes Misstrauen am Platze ist, dürfte auch bekannt sein.
Klar, aber im privaten Rechtsstreit halte ich die Konsequenzen für nicht so weitgehend, wie im Subordinationsverhältnis zwischen Bürger und Verwaltung. Wenn ich im Zivilprozess nicht widerlegen kann, dass die Gegenseite vorbringt wir hätten einen Kaufvertrag und keinen Schenkungsvertrag geschlossen, ist der Rechtsfrieden nicht so nachhaltig gestört, wie wen staatliches Handeln per eidesstaatlicher Versicherung torpediert wird. Die entscheidende Frage ist dabei doch, wie sich die permanente Drohkulisse von Diskriminierungsklagen auf die Entscheidungs- und Rechtsdurchsetzungsfreudigkeit des durchschnittlichen Beamten auswirkt.
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Re: Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von Liz »

Das Gericht muss einer eidesstattlichen Versicherung indes keinen Glauben schenken. Im Entschädigungsprozess dürfte es sich dann ohnehin anbieten, die vom Kläger angebotenen Zeugen und ihn selbst persönlich anzuhören und sich dann erst eine Meinung dazu zu bilden, ob eine ausreichende Glaubhaftmachung vorliegt, die dann die Beweislastumkehr auslöst.

Dein Bauamtsfall z. B. praktisch gedacht: Du behauptest in Deiner Klage, Du hättest die Baugenehmigung nicht bekommen, weil Du Jude seist oder der Behördemitarbeiter dies geglaubt habe und er habe zu Dir sogar gesagt "Fyrion bekommt die Baugenehmigung nicht, weil er Jude ist". Klageerwiderung des Landes: Baugenehmigung sei völlig zu Recht verweigert worden, weil (sachliche Gründe); auch kein anderer hätte die Baugenehmigung bekommen; die (vermutete) Religionszugehörigkeit habe bei der Entscheidung gar keine Rolle gespielt, sie sei weder bekannt gewesen noch habe sich der Sachbearbeiter irgendwelche Gedanken hierzu gemacht; dass eine derartige Äußerung gefallen sei, werde bestritten und energisch zurückgewiesen.
Zu dem Vortrag der Gegenseite musst Du Dich dann ja irgendwie verhalten. Wenn Du dann keine Gesichtspunkte an der Sachentscheidung aufzeigen kannst, die tatsächlich "verdächtig" sind, mag man es dann ggf. schon nicht für überwiegend wahrscheinlich halten, dass diese Äußerung tatsächlich so gefallen ist und / oder die Ablehnung der Baugenehmigung diskriminierend erfolgt ist. Wenn man hingegen eine ausreichende Glaubhaftmachung annimmt, dann ist die Frage, welche Anforderungen man an die Widerlegung der Diskriminierung stellt: Wenn die Sachentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden ist und der Sachbearbeiter ausreichend überzeugend bekundet, eine derartige Äußerung niemals getätigt zu haben, dann dürfte einiges dafür sprechen, dies bereits für eine Widerlegung ausreichen zu lassen.
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Re: Antidiskriminierungsgesetz Berlin

Beitrag von thh »

Fyrion hat geschrieben: Mittwoch 1. Juli 2020, 15:28Das ist besonders bei der Polizei mE weniger ein Problem, weil diese konsequenterweise Bodycams tragen sollen
Ich halte es für eher weniger wahrscheinlich, dass ausgerechnet in Berlin die Mittel vorhanden sind, alle Beamte im Streifendienst, geschlossenen Einheiten, im Ermittlungsdienst der Reviere und bei der Kriminalpolizei usw. mit Bodycams auszurüsten - dementsprechend wird ja auch nur von "bestimmten Einsätzen" gesprochen. Ganz abgesehen davon bedarf es einer Rechtsgrundlage für die Aufzeichnungen, und die ist - auch in Berlin - mit Grund eingeschränkt. Aufzeichnungen sind nur dann zulässig, wenn die Beamten sich im öffentlichen Raum aufhalten und "tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass dies zum Schutz von Polizeivollzugsbeamten oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist" und "wenn [die Beamten] unmittelbaren Zwang gegen eine Person anwenden oder wenn die von einer polizeilichen Maßnahme betroffene Person eine solche Datenverarbeitung verlangt". In der Praxis wird es die Aufzeichnungen also (wenn überhaupt) bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs geben, denn Gefahren für Leib und Leben sind dann doch glücklicherweise nicht so verbreitet (und man darf sich fragen, ob es dann nicht haufenweise Dinge gibt, die in der Prioritätenliste höher stehen als die Aktivierung einer Kamera). Noch nicht angesprochen ist dabei die Frage, was man auf einer solchen am Körper befestigten Kamera überhaupt sieht, wenn die "mitten im Geschehen" ist. Wer die (routinemäßige) Videodokumentation vom schlagartigen Eindringen durch Spezialeinheiten oder auch die Videodokumentation durch BFE kennt - und das sind immerhin an einem Stativ getragene Kameras, die also getrennt vom Körper bewegt werden können und von geschulten Operatoren bedient werden und nicht einfach mit dem Körper mitgeschwenkt werden -, weiß, wie wenig man da oft an den entscheidendenen Stellen erkennen kann.

Witzig auch, dass die Kameras dauerhaft (!) Ton und Bild aufzeichnen, aber nach 30 Sekunden löschen, es sei denn, die Aufzeichnung wird ausgelöst; dann speichern sie die 30 Sekunden vor der Auslösung und ab der Auslösung fortlaufend. Besonders schön, dass auch der Rettungsdienst diese Bodycams tragen soll. Da wird mir doch als Patient im Hinblick auf das besondere Vertrauens- btw. Arzt-Patienten-Verhältnis richtig warm ums Herz, wenn da immer eine im Dauerbetrieb vorhandene Kamera samt Tonaufzeichnung dabei ist. Aber schon klar: wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.
Fyrion hat geschrieben: Mittwoch 1. Juli 2020, 15:28Noch schwieriger bei Ermessensentscheidungen, insbesondere Prüfungen. Wenn ich behaupte, dass die Lehrerin im Deutsch-LK mir nur 10 Pkt. meinem "biodeutschen" Klassenkameraden aber 13 Pkt. für exakt gleich gute Aufsätze gegeben hat, weil sie meinte "Ausländer kriegen bei mir keine Eins". Wie soll die öffentliche Stelle diese Behauptung widerlegen?
Das ist gar nicht das Hauptproblem. Das liegt vielmehr in dem ganz erheblichen Aufwand, den die Lehrerin dann treiben muss. Da gibt sie doch im Zweifel lieber dem, der sich beschwert, auch 13 Punkte.
Fyrion hat geschrieben: Mittwoch 1. Juli 2020, 15:28Zusätzlich sehe ich durchaus die Gefahr, dass interessierte Gruppierungen auf dieser Grundlage gegen absolut alles klagen, was auch nur entfernt eine Person mit Diskriminierungshintergrund betrifft in der klaren Absicht Behörden lahmzulegen und optimalerweise einzuschüchtern.
Ach was. So etwas gibt es nicht.
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